Hebräer 10, 32-39 (Kolb)

Wie der Glaube durch Proben geübt werde.

Wenn man die vielen Leiden der ersten Christen betrachtet, die sie um Jesu willen erduldeten, so trauert ein Kind Gottes, daß es in jetziger Zeit derselben nimmer so gewürdiget wird, und freut sich sehr, wenn es vom Unverstand manchmal einen kleinen Spott zu tragen hat. Damals kostete es viel, herauszutreten und sich als einen Christen zu bekennen; jetzt ist es Mode. Wer von uns würde sich um Jesu willen aller irdischen Habe berauben lassen? Wen könnte Gott so stärken? Wenn wir uns gleich oft dem Willen nach scheiden, so ist doch die Wirklichkeit etwas ganz Anderes.

Die herzliche Verbindung der Brüder untereinander zeigt sich besonders auch darin, daß sie Alles gemeischaftlich tragen, so lange es nämlich nicht selbstverschuldete Leiden sind. In diesem Fall soll ich nicht tragen, sondern dagegen zeugen. Sind es aber Leiden um Christi willen und ich leide mit, so werde ich auch Theil haben an der darauf folgenden Herrlichkeit.

Lebendiges Gottvertrauen ist Frucht lebendigen Glaubens. Oft kommen Umstände und Begegnisse, die uns verstimmen; oft wird es so Nacht, wie wenn ein schwarzes Tuch vor unserer Seele hienge. In solchen Proben ist Geduld uns noth; hier sollen wir ausharren, stille sein und hoffen und das Vertrauen nicht wegwerfen. Und wer ausharrt bis ans Ende, der vereinigt sich mit dem Willen Gottes und wird die Verheißung der Seligkeit empfahen.

Wer nicht immer die Kürze dieser Zeit in Vergleich mit der Ewigkeit bedenkt, ist freilich nicht geschickt zur Geduld. Wir sind übernächtig, und es sollte uns deßwegen nichts so sehr anliegen, als mit unsrem Lauf ins Reine zu kommen. In der Noth wird uns die Zeit freilich lang; ist’s aber vorüber, so werden wir denken: der Herr hat seine Verheißungen erfüllt, er verzieht nicht.

Alles dies ist nur dem Glauben möglich. Wir sollten um nichts so sehr bitten, wie um Glauben. Täglich sollten wir bitten: gib mir nur Glauben, sonst verlange ich nichts, nur Glauben, dann habe ich Alles, und Alles ist mir dann möglich. Ich darf mich dann auch nicht mit Bauchsorgen quälen. Gewiß, es könnte auch der Aermste ausreichen, wenn der Glaube nicht fehlte. Wenn wir Glauben hätten, so würde uns immer geholfen, und wenn einer deßhalb aus Paris heraus kommen müßte. Auch jezt noch geschehen solche Glaubenswunder, wie zu Eliä Zeiten, denn der alte Gott lebt noch; nur bleiben sie verborgen um des Unglaubens willen. Wer nun jetzt sich entschließt, künftighin mehr Treue zu beweisen, der wird auch mehr Proben durchzumachen haben, die seinen Glauben herausstellen, der Eine mehr, der Andere weniger, je nachdem wir es ertragen können. Hast du einen Glauben wie Abraham, der seinen Sohn willig zum Opfer geben wollte, weil er glaubte, Gott könne auch wohl von den Todten erwecken, so wird dein Glaube nicht zu Schanden.

Immanuel Gottlieb Kolb (1843)

Aus: Kurzer Lebensabriss von Immanuel Gottlieb Kolb, Schulmeister in Dagersheim, nebst einer Sammlung von Betrachtungen, Briefen etc., S. 546. Von seinen Freunden herausgegeben. Vierte Auflage, Dagersheim, zu haben bei Gebrüder Ziegler, 1865.

Kolb’s Leben 35 – S. 544-546 (Nachgeschriebene Gedanken)


Eingestellt am 15. April 2024