Du sprichst: Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts! und weißt nicht, daß du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß. (Offb. 3, 17)
Wenn der Knecht in dem Zustand verharrt, in dem er ist, so wird der Herr ihn nicht mehr länger tragen, sondern sich seiner entledigen, ihn ausspeien aus seinem Mund, wie lauwarmes Wasser, das dem Gaumen widerlich ist. Aber es gibt noch Rettung für ihn, wenn er auf den Rat des Herrn hören will. Es ist nur ein „Rat“, kein Befehl, wie er an den Knecht, wenn er richtig zum Herrn stünde, ergehen würde; nein, er hat die Wahl, ob er das Band zwischen ihm und dem Herrn noch weiter lösen oder wieder knüpfen will. Es ist aber ein über alle Maßen barmherziger Rat: Weil du völlig über dich selbst dich betrügst und keine Ahnung davon hast, „daß du bist der Unglückliche und der Bejammernswerte, sowohl arm als blind als bloß“, so bricht mir das Herz über deinen Jammer und ich rate dir: laß dir aus meinem Reichtum schenken, was du zu haben nur träumst, laß meine Gnade deine Sünde und Schande decken, und laß dir von mir, dem Arzt, die Augen heilen, daß du sehest! Es gibt noch eine Rettung für die, welche in Verblendung und unsauberem Treiben die erste Gnade verscherzt haben. Kein Mensch, auch kein Apostel kann helfen, wenn „die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe, und teilhaftig worden sind des heiligen Geistes und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, wieder abfallen“ (Hebr. 6, 4.5); auch die menschliche Fürbitte mag oder muß am Ende verstummen (1. Joh. 5, 16), und doch, wo apostolische Belehrung (Hebr. 6, 1) und Fürbitte der Frömmsten und Nächsten (1. Joh. 5, 16) völlig versagt, da ist, was den Menschen „unmöglich“ ist (Matth. 19, 26), dem Heiland in Gotteskraft möglich: geistlich Erstorbene aus ihren Gräbern zu rufen; und wir danken es ihm, daß auch wir hören dürfen, daß er [geistlich] „Tote“ zum Leben und völlig Verwerfliche, die nur noch das Ausspeien wert sind, zur Buße zurückruft.
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Viele Gemüter bilden sich ein, sie wären etwas, da sie doch nichts sind. Sie sind wirklich noch arm, nackt, blind und bloß und meinen, sie seien reich und haben gar satt. Und es kann wirklich die erste empfangene Gnade des Heiligen Geistes so schwach werden, daß alles wieder verwelkt, was vorher grün gewesen. Wenn dann nun solche Seelen noch zum öftern eine Unruhe in ihren Gewissen verspüren, welche ihnen heimlich sagt, daß es noch nicht recht mit ihnen stehe, daß sie noch nicht bis auf das Blut wider die Sünde gekämpft haben, und ihnen daher obliege, den Bußkampf von neuem anzuheben, so berufen sie sich durch Betrug des Feindes auf dasjenige, was sie schon einmal wirklich erfahren zu haben meinen. Da und da, sprechen sie, bist du noch einmal deiner Sünden wegen so traurig und bekümmert gewesen, hast dieselben so nachdrücklich gefühlt, so herzlich beweint. Zu der und der Zeit hast du diese und jene Gnadenerquickungen, diese und jene Glaubenskraft empfunden, diese und jene Versicherung von der Vergebung der Sünden erhalten. Auf solche Weise suchen sie ihr unruhiges und sie anklagendes Gewissen wieder zu besänftigen und einzuschläfern. Aber ihr betrügt euch, ihr macht euch nur einen falschen und vergeblichen Trost. Alles dies sind nichtige Feigenblätter, mit welchen der nackt dastehende Mensch seine Blöße zu bedecken sucht. Gesetzt auch, daß wir die Gnade wirklich erfahren und empfangen hätten – was ich vor einem Jahr genossen habe, kann mich heute nicht mehr sättigen. Wir müssen die Kraft aus der Höhe täglich an uns wahrnehmen und vermittels derselben auf dem Wege der Buße und Bekehrung nie stillestehen, sondern immer mehr und mehr fortgehen, in dem Worte der Gerechtigkeit täglich erfahrener und in dem Herrn völliger werden, weil uns sonst das vorige nichts helfen kann.
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Der Vorsteher hat bei sich selbst in großer Einbildung gesprochen: Ich bin reich und habe mich bereichert und bedarf nichts (das heißt in Bezug auf das, was ihm gesagt wird); ich habe Gold und habe mir einen guten Vorrat an Kleidern und dergleichen angeschafft und bedarf keiner Arzneimittel; mir ist um und um wohl. Es mag sein, daß dieser Mann im Leiblichen sich wohl fühlte, ein großes Vermögen gehabt hat, dabei sicher gewesen ist und sich eingeredet hat, es stehe im Geistlichen auch gut um ihn. In der Tat war es aber ganz anders, was um so kläglicher war, als er es nicht wußte. Daran ist nichts gelegen, was einer von sich selbst hält, sondern was er in der Tat ist. So ist mancher elend und jammert nicht über sich selbst, sondern ist wie einer, der in der hitzigen Krankheit phantasiert und sich einbildet, es fehle ihm nichts, da die Umstehenden um ihn desto mehr bekümmert sind. Wenn ein Gebrechen allein da ist, dann ist es schon elend genug; wenn aber ihrer mehrere vorhanden sind, dann ist es noch kläglicher. Diesem Vorsteher fehlte es in allen Stücken: er war arm, blind und bloß; doch will ihm der barmherzige Heiland von dem allem helfen.
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Für diese Gemeinde und ihren Hirten war es keine angenehme Sache, wenn er als der Wahrhaftige, als der treue und wahrhaftige Zeuge zu ihnen redete; denn der Inhalt seiner Rede war: Ihr steckt im Selbstbetrug, in der Selbsttäuschung. Gerade darin erweist sich Jesus an ihnen als der treue Zeuge, daß er ihnen unverblümt die Wahrheit sagt.
Selbsttäuschung gehört zum traurigsten für den einzelnen und eine ganze Gemeinde; denn Selbsttäuschung ist Lüge. Die Laodiceer waren weder kalt noch warm, sondern lau; sie befanden sich in einem ekelhaften Zustande, würdig ausgespieen zu werden. Ihre Sprache, die sie führten, zeigt klar, daß sie selber gar nichts merkten von ihrem traurigen Zustande, – sie sprachen: „Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts“; und doch waren sie in Jesu Augen „elend, arm, jämmerlich, blind und bloß“.
Diese Tatsache nötigt zu der Frage: Wie kann eine ganze Gemeinde in einen solchen Zustand der Lauheit und des Selbstbetruges geraten? Der Apostel erwähnt Laodicea in Kolosser 3, 13.15.16. Er schrieb damals zu gleicher Zeit nach Kolossä und Laodicea, und beide Briefe sollten in beiden Gemeinden gelesen werden. Daraus können wir schließen, daß der geistliche Lebensstand beider Gemeinden in jener Zeit verwandt war. In Kol. 2 sagt er uns, in welchen Gefahren sie damals waren: eine falsche Prophetie und eine falsche Askese suchten unter ihnen einzudringen und Christum zu verdunkeln. Darum macht er ihnen Christum groß, zeigt ihnen, daß sie in ihm alles haben und keine neuen Lehren brauchen.
Es ist immer so gewesen, daß Menschenweisheit und äußerliche, einseitige Enthaltsamkeit vorgaben, sie führten den Menschen zu tieferer Erkenntnis und vermehrter Kraft, während sie tatsächlich verflachen und veräußerlichen. Keine Erkenntnis läßt sich an Tiefe mit der Erkenntnis Jesu Christi vergleichen, und keine Kraft kommt der Kraft gleich, die der Glaube in Christo findet.
(Nikolaus von Brunn)