7. Zwei Ströme (Römer 5, 18)

Wie nun durch Eines Sünde die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, also ist auch durch Eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen. (Römer 5, 18)

Im Streite der Gewalten
Muß meine Seele stehn;
Der Abgrund will mich halten,
Der Heiland mich erhöhn.

Jesu, Du unerschöpflicher Quell des Lebens und der Barmherzigkeit, Du hast den Deinen verheißen, daß sie die Wahrheit erkennen sollen und die Wahrheit soll sie frei machen, Joh. 8, 32. Irrtum ist wie die nächtliche Finsternis mit ihrem Grauen und ihren Gefahren,
sich zu stoßen und zu fallen. So laß, o Herr, vor dessen Angesicht Gnade und Wahrheit ist, von demselben Deinem Angesichte Wahrheit in meine Seele fallen, daß die Wahrheit mich frei mache. Das ist die Wahrheit, daß zwei Häupter unseres Menschengeschlechtes sind – Adam und Christus. Durch Adam ist die Sünde gekommen und mit der Sünde die Verdammnis und der Tod.

Das ist der tiefe, schwarze Strom, in welchem nur Tod und nichts als Tod ist. Der Tod herrschet über Alle. Durch Jesum Christum ist die Gerechtigkeit gekommen und die Rechtfertigung und das Leben; aus Dir, o Jesu, Du Brunnen der ewigen Freuden, kommt nur Leben und nur Gnade. O Herr, laß mich Deine Herrlichkeit sehen, daß ich Dich anbete und Dich täglich lobe, Ps. 145, 2.

Du bist gekreuzigt. Was das ist, dürfte ich nimmer denken, noch aussprechen, wenn es nicht Dein Geist geoffenbart hätte. Nun aber beuge ich mein Angesicht und höre und spreche: Christus hat uns erlöset von dem Fluche des Gesetzes, da Er ward ein Fluch für uns, Gal. 3, 13.

Du bist gestorben; es ist gewiß und wahrhaftig, daß Du Dein Leben zum Schuldopfer gegeben. Und da Du starbest, wurdest Du frei und gerechtfertigt von der Sünde, die Dir zugerechnet war, Röm. 6, 7.

Du bist begraben und es kam der große Sabbath – Deine Ruhe, da das fremde Grab Deinen Leichnam barg. Danach bist Du auferstanden und stirbst hinfort nicht mehr, sondern lebst Gott in ewiger Kraft und Herrlichkeit, Röm. 6, 9.10. Das Alles aber hast Du
getan und ist von Dir und an Dir geschehen, als an dem Haupte der Gemeine. An dem Tage meiner Taufe hat Dein Geist mich in Dich verpflanzt und seit diesem Tage bin ich, wie ich durch Adam in den Strom des Todes gefallen bin, in den goldenen Strom der Gnade und Wahrheit, nämlich in Dich, mein Heiland, verborgen (Röm. 6, 3.4).

Nun Herr, erhebe ich mein Herz und meine Hände zu Dir und bitte Dich, daß die unendliche Kraft Deines Lebens mich halte und erhöhe. Ich fühle und empfinde meine Abkunft von Adam; nichts ist in Adams Sünde und Verdammnis, was nicht in mir ist.
Wie er, bin ich betrogen und habe um des Apfels willen – ich meine um der Liebe dieser Welt willen – meine Krone verloren; wie er, bin ich getäuscht durch die List des Argen, der Reiche verheißt und nur Qual gibt; wie er, bin ich betrogen, da ich auf Herrlichkeit hoffte und bin ein Kind der Verdammnis und des Todes. Das ist der bittere Strom, der meinen Leib und Seel‘ durchdrungen hat. Barmherziger und starker, gnädiger Heiland, vor dem ich meinen Mund auftun darf, ich rufe zu Dir, daß wie die Sünde geherrscht hat zum
Tode, so laß nun auch die Gnade herrschen durch die Gerechtigkeit zum Leben in Dir, Röm. 5, 21.

Laß die Brunnen meiner Taufe fließen über mich und in mir und laß mich sein von denen, welche die Taufe vollbringen. Gib mir die Süßigkeit der Gewißheit, daß ich Dich mein nenne, mein Haupt, Du Gekreuzigter, Begrabener, Auferstandener und laß die überschwengliche Gnade in Dir meiner Seele und meinem Leibe sein, wie den Tau in der Nacht und wie die Sonne am Tage, unter deren Flügeln Heil ist. Jacob hinkte, als er von Pniel kam. O wie gerne will ich vor Dir hinken – einen Schritt tun, wenn ich inne werde, daß ich von Adam herkomme und der Tod mit der Sünde über mich gekommen ist; hilf mir nur, daß mein anderer Schritt ein wenig größer sei, den ich tun will in Deine Gemeinschaft. Gedemütigt, aber gerettet – gebeugt, aber getragen, so laß mich dahingehen und nimm mich endlich mit Ehren an.

Nun ergreif ich Dich,
Du mein ganzes Ich.

Quelle:

Stille halbe Stunden. Von Th. Schmalenbach. Gütersloh, Druck und Verlag von C. Bertelsmann. 1877.
Bayerische Staatsbibliothek, urn:nbn:debvb:12-bsb11354794-3
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