Trost aus Gottes Wort für fromme Witwen und Waisen (Scriver)

Es ist ein bitteres Wort, eine Witwe zu heißen, und eine klägliche Sache, eine Witwe zu sein. Einer Witwe sind gleichsam die Hände gebunden, daß sie sich nicht schützen und verteidigen kann, sie muß schweigen zu dem Unrecht das ihr widerfährt; denn ihr Beschützer ist von ihr geschieden. Wittwen und Waisen gehören zu den unglücklichsten Leuten in dieser Welt, die viel Trutz und wenig Schutz erfahren müssen. Jenes kluge Weib von Thekoa, als sie sich vor dem König David auf ihr Angesicht niederwarf, und auf allerlei Weise ihm das Herz zu bewegen suchte, antwortete, als er fragte, was ihr wäre: „Ach, ich bin eine Witwe, ein Weib, das Leid trägt, und mein Mann ist mir gestorben“ (2. Sam. 14, 5). Als wollte sie sagen: Was mir sei, o König, fragst du und wunderst dich darüber, daß ich dich anrufe? Ich bin eine Witwe, und der König kann sich denken, wie es einer Witwe geht; ich werde bedrängt und beleidigt. Witwen und Waisen, sagt der geistreiche Johannes Arnd, sind arme, verlassene Leute. Niemand leidet größere Gewalt und ärgere Verleumdung, als sie.

Eine Witwe ist nicht selten einer Weinrebe gleich, die man mit Füßen tritt, weil der Pfahl, an den sie sich hielt, verfault oder vom Winde umgeweht ist. Sie ist wie ein Baum ohne Zaun. Denn wie ein solcher Baum Jedermanns Raub sein, und sich mit Steinen und Knütteln zerwerfen lassen muß, so geht es auch mit den Witwen und Waisen; Jedermann will an ihnen zum Ritter werden und ihre Güter an sich reißen;  sie werden allenthalben bedrängt und betrübt. Wenn eine Ehefrau von ihres Mannes Lichte glänzet, wie das kaiserliche Recht sagt, so mag man sie allerdings mit dem Vollmonde vergleichen, so lang der Mann lebet; nach seinem Tode aber ist sie dem Neumond ähnlich, namentlich wenn er sie in Armut zurückgelassen hat. Und gewiß, schon manche fromme Witwe hat aus der Tiefe ihres Herzens mit dem heiligen Sänger geseufzt und gesprochen:

Wo Dein Gesetz, o Gott, nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend (Psalm 119, 92).

Es ist aber auch in der Tat nicht leicht Jemand, für den mehr und reicherer Trost in Gottes Wort zu finden ist als Witwen und Waisen. Sie gehören nebst den Fremdlingen zu den von Gott begünstigten Menschen, die Er in Seinen besonderen Schutz genommen und sie vor andern in Seine väterliche Fürsorge geschlossen hat. Ihr sollt keine Witwen und Waisen beleidigen, spricht Er zu Seinem Volke. Wirst du sie beleidigen, so werden sie zu Mir schreien, und Ich werde ihr Schreien erhören (2. Mose 22, 22.23). Er hat auch solches ernste Gebot gar oft durch Seine Propheten wiederholt, und den Uebertretern, die den Armen, den Fremdlingen, Witwen und Waisen Gewalt und Unrecht tun, Seinen Zorn angedeutet (Jer. 7, 6; 22, 3, Sach. 7, 10). Er nennt sich der Waisen Vater und der Witwen Richter (Psalm 68, 6), das ist ihren Beistand, der ihnen Recht spricht und schaffet, der ihrer sich annimmt und ihre Sache gegen ihre Beleidiger ausführet. Er hat geboten, daß man den Witwen und Waisen alle drei Jahre einen besonderen Zehnten geben, daß man ihnen an den hohen Festen von seinem Ueberfluß etwas darreichen und sie an seiner Freude teilnehmen lassen, daß man ihnen von dem Segen im Felde etwas zurücklassen und geben solle (5. Mose 14, 28.29). „Wenn du“, spricht Er, „auf deinem Acker geerntet und eine Garbe vergessen hast auf dem Acker, so sollst du nicht umkehren, dieselbe zu holen, sondern sie soll des Fremdlings, des Waisen und der Witwe sein, auf daß dich der Herr, dein Gott, segne in allen Werken deiner Hände. Wenn du deine Oelbäume geschüttelt hast, so sollst du nicht nachschütteln; es soll des Fremdlings, des Waisen und der Witwe sein. Wenn du deinen Weinberg gelesen hast, so sollst du nicht nachlesen, es soll des Fremdlings, des Waisen und der Witwe sein, und sollst gedenken, daß du Knecht in Aegyptenland gewesen bist; darum gebiete Ich dir, daß du Solches tust“ (5. Mose 24, 19-22).  Weil aber die Welt, dessen ungeachtet, gewohnt ist, der Witwen und Waisen sich nicht groß anzunehmen, ja sie zu beleidigen und zu betrüben, so bezeuget nebst der Schrift die tägliche Erfahrung, daß Gott selbst väterlich für sie zu sorgen und Seine wunderbare Güte an ihnen zu beweisen pflegt.

Quelle:

Trost aus Gottes Wort für fromme Witwen und Waisen. Aus dem Seelenschatz des seligen Christian Scriverius. Ansbach, Druck der Carl Junge’schen Officin, 1865.
[S. 3-5; Digitalisat]

Schriftstellen

Der König sprach zu ihr: Was ist dir? Sie sprach: Ach, ich bin eine Witwe, und mein Mann ist gestorben. (2. Samuel 14, 5)

Wo Dein Gesetz, o Gott, nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend (Psalm 119, 92).

Sehende Augen gibt er den Blinden,
Erhebt, die tief gebeuget gehn;
Wo er kann gläubige Seelen finden,
Die läßt er seine Liebe sehn.
Sein‘ Aufsicht ist des Fremdlings Trutz;
Witwen und Waisen hält er Schutz.
Halleluja! Halleluja!

Liedvers: Johann Daniel Herrnschmidt „Lobe den Herren, o meine Seele


Eingestellt am 29. März 2024