Psalm 86, 1 (Elias Schrenk)

Herr neige Dein Ohr und erhöre mich! denn ich bin elend und arm.
(Psalm 86, 1)

Wenn David seinen Gott bittet: neige Dein Ohr, so kann man daraus schließen, daß er eine Zeitlang den Eindruck hatte, Gott höre ihn nicht, er sei gleichgültig gegen sein Rufen. Ja, so kann es oft scheinen, als gehe unser Gott an unserm Gebet vorbei, ohne es zu beachten und doch bringen wir so wichtige Bitten vor ihn. Vielleicht ist es Familiennot, Sünden unserer Angehörigen, die uns zum Anrufen des Herrn treiben und die göttliche Antwort bleibt so lange aus. Da gibt es dann Versuchung zum Irrewerden am Herrn, man fragt: warum bekomme ich keine Antwort? Liebe Seele! hast du gelernt zu sagen: ich bin elend und arm? Wie oft bittet man für andere; aber man ist selber nicht elend und arm. Da ist ein Vater, dem sein ungeratener Sohn schwer auf dem Herzen liegt; er bittet um Bekehrung des Sohnes und es vergehen Jahre ohne Erhörung. Warum lässt Gott mich so lange rufen? fragt er. Lieber Vater! bist du elend und arm? Hast du gelernt in der Sünde deines Sohnes deine eigene Sünde zu sehen? Bist du mit der Sünde deines Sohnes als mit deiner eigenen Sünde vor deinen Gott gekommen? Verstehst du deines Gottes Wort: ich will die Missetat der Väter heimsuchen an den Kindern? 2. Mose 20, 5. Die Sünden deiner Kinder, deiner Angehörigen müssen dich selber erst demütigen und reinigen helfen, und so lange das nicht geschehen ist, ist dein Gebet nicht wohlgefällig vor Gott. Unser Gott nimmt es genau mit uns; die elenden und armen Beter hat Er gerne. Beugen wir uns, lassen wir uns reinigen durch Jesu Blut, damit wir lernen heilige Hände aufheben im Gebet. Dann neigt der Herr sein Ohr zu uns, und wann wir die Erhörung lange nicht sehen, so wird unser Herz doch still, und wir harren im Glauben.

Herr, mein Gott! Oft habe ich gebetet, und ich war nicht elend und arm. Mache mich arm im Geist; aber laß mich nicht verzagen. Ich danke Dir, daß Du mich lehrst auf Deine Winke merken und immer kleiner werden. Amen.

Elias Schrenk
(1831-1913)

Quelle: Suchet in der Schrift Tägliche Betrachtungen für das ganze Jahr mit Anhang, S. 8. Von E. Schrenk. 2. Auflage, 32. bis 36. Tausend. Kassel. Druck und Verlag von Ernst Röttger, 1892.


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Eingestellt am 26. Januar 2021 – Letzte Überarbeitung am 20. November 2023