Kinder, es ist die letzte Stunde! Und wie ihr gehört habt, daß der Widerchrist kommt, so sind nun viele Widerchristen geworden; daher erkennen wir, daß die letzte Stunde ist. (1. Johannes 2, 18)
Von den Zeichen der letzten Zeit und dem Ruf: „Komm, Herr Jesu!“
An was kann man merken, daß viele Widerchristen worden sind und also die letzte Stunde ist? Hauptsächlich an drei Dingen:
- Im Politischen wird die Uneinigkeit immer größer und der Geist der Einigkeit weicht immer mehr.
- Im Religiösen wird die Verwirrung immer größer; der Eine ruft: hier ist Christus! der Andere: da ist er! Die Toren sprechen jetzt nicht mehr bloß im Herzen, sondern laut: es ist kein Gott! Aber der im Himmel ist, lachet ihrer.
- Auch in der Natur wird die Unordnung immer größer. Es mehren sich Erdbeben, Hagel, Ungewitter, Mißwuchs, Seuchen etc. Bald ist es zu kalt, bald zu heiß, es ist nimmer wie ehemals, wo zu rechter Zeit günstige Witterung einfiel.
Aber es ist kein Wunder; die Sünden der Menschen häufen sich immer mehr an, so daß der Segen nicht mehr eindringen kann; denn was sie hinauf schicken, das kommt herunter. Es ist gerade, wie wenn die Sünden eine Wolke bildeten, durch welche die Segenssonne nicht mehr durchdringen könnte. Dabei ist nun ein großer Teil der Menschen gleichgültig: sie sind es schon gewohnt. Denn wer kennt nicht die Gewohnheit und erfährt nicht ihre Macht? Durch sie wird das Schöne mittelmäßig und das Häßliche erträglich.
Ein anderer Teil der Menschen kann zwar noch ein wenig in Furcht gesetzt werden, aber es geht ihnen wie einem faulen Pferde, das man tüchtig hauen muß, wenn es gehen soll, das aber gleich wieder ins Alte zurücksinkt. Aber noch ein Teil freut sich auf das Kommen Jesu und wünscht sehnlich, daß er doch einmal kommen und dem Jammer ein Ende machen möchte. Ich weiß, es gibt Leute, die zubereitet sind auf das Kommen Jesu. Wer bereitet ist, kann warten auf die Zukunft Jesu; wer noch nicht bereitet ist, hat zu eilen mit der Zubereitung. Aber auch die, welche zubereitet sind, wissen, daß sie immer noch reifer werden können in dieser Gnadenzeit. Um so zubereitet zu werden, müssen wir suchen uns selbst immer besser kennen zu lernen. Wer sich nicht kennt, [ver]traut sich am meisten; wer sich kennt, [ver]traut sich am wenigsten. Wir haben eine kleine Welt in uns, ja sogar der Antichrist, der falsche Prophet, das Tier, der Drache, die Hure sind in uns; diese müssen wir in uns erkennen und überwinden lernen, wenn sie uns außer uns nichts anhaben sollen.
Jesus sagte: Der Fürst dieser Welt kommt und hat nichts an mir (Johannes 14, 30). Sind wir noch Welt, so hat auch der Teufel noch ein Recht an uns. Wir müssen zuerst beten: Komm, Herr Jesu in mein Herz und mache dieses als ein kleines Reich, als eine kleine Welt dir untertan. Dann können wir auch fürs große Ganze beten: Komm Herr Jesu.
Es ist mitunter eine Wirkung dieses Gebets der Gläubigen, daß es in der Welt so durcheinander geht. Denn so muß es kommen, ehe es besser wird. Ich darf sagen, daß wenige Tage vergehen, an denen ich nicht über diese Sache denke und bete. Ich denke mehr darüber, als ich davon sage. Wem das Kommen Jesu wichtig ist, der schläft nicht, wenn man davon redet.
Wenn ihr dieses Alles sehet angehen, so sehet auf und hebet eure Häupter auf, darum daß sich eure Erlösung naht! Wenn sogar die stumme Natur nach Erlösung seufzt, warum sollte der Mensch allein so stumpfsinnig sein?
(1845)
Quelle:
Kurzer Lebensabriß von Immanuel Gottlieb Kolb, Schulmeister in Dagersheim, nebst einer Sammlung von Betrachtungen, Briefen etc., S. 519. Von seinen Freunden herausgegeben. Vierte Auflage, Dagersheim, zu haben bei Gebrüder Ziegler, 1865. [Digitalisat]