Jeremia 7, 23

Sondern dies gebot ich ihnen und sprach: Gehorchet meinem Wort, so will ich euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein; und wandelt auf allen Wegen, die ich euch gebiete, auf daß es euch wohl gehe. (Jeremia 7, 23)

Kontext (Jeremia 7, 22-24):

»Denn ich habe euren Vätern des Tages, da ich sie aus Ägyptenland führte, weder gesagt noch geboten von Brandopfer und anderen Opfern; sondern dies gebot ich ihnen und sprach: Gehorchet meinem Wort, so will ich euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein; und wandelt auf allen Wegen, die ich euch gebiete, auf daß es euch wohl gehe. Aber sie wollten nicht hören noch ihre Ohren zuneigen, sondern wandelten nach ihrem eigenen Rat und nach ihres bösen Herzens Gedünken und gingen hinter sich und nicht vor sich.«

Dies Wort erschütterte das Fundament von Israels bisherigem Opferkultus. Es griff also nicht nur die gesetzliche Gesinnung an, in der das Volk Gott durch Opfer huldigte. Wie konnte Jeremía behaupten, Gott habe in der Zeit der Rettung seines Volkes und mithin auch bei der Sinai-Offenbarung weder von Opfern gesprochen noch solche vom Volke gefordert? Nach alter Überlieferung waren ja alle Opfer, wie Brandopfer, Sündopfer, Schlachtopfer, Webopfer, Speisopfer und andere mehr, aufs engste mit der Gesetzesoffenbarung verbunden. Kannte Jeremía diese etwa nicht? Das ist kaum anzunehmen. Außerdem spricht er diese Erkenntnis als ein Wort Jahves aus. Wort Gottes stand mithin gegen Wort Gottes; gegenwärtige Offenbarung sprach gegen die Offenbarung der Vergangenheit.

Die zahlreichen Versuche, die bis in unsere Zeit hinein gemacht worden sind, die so fundamentale Frage zu klären, haben bisher kaum zu einer Lösung geführt, die uns befriedigen konnte. Werden mit ihr und durch sie doch so viele andere Fragen ausgelöst, die mit zu den wesentlichen Bestandteilen der Heilsgeschichte gehören. Sind die Opferverordnungen nicht göttlichen Ursprungs, wie kommt dann die Heilsgeschichte dazu, bis zum Opfer Christi hin und zu den Deutungen der Opfer bei Paulus und im Hebräerbrief, diesen solche zentrale Bedeutung im Heilsgeschehen zu geben? Gehören sie aber nach unserer biblischen Überlieferung zum Offenbarungsgut des Gesetzes, wie konnte Jeremía dann ihren göttlidien Ursprung verneinen? Die schwere Frage nach der Zuverlässigkeit der biblischen Überlieferung wird damit in einer Weise aufgerollt, die nicht ganz einfach zu lösen ist.

Auch wir können hier die Frage nicht lösen. Wir wissen zwar, daß nach 2. Mose 19,3ff. Gott die Gesetzesoffenbarung am dritten Monat nach dem Auszug auf dem Berge mit den Worten einleitete:

„Und Jahve rief ihm [Mose] vom Berge aus zu und sprach: So sollst du zum Hause Jakobs sprechen und den Söhnen Israels verkünden: Ihr habt selbst gesehen, was ich den Ägyptern getan und wie ich euch auf Adlers Flügeln getragen und euch hierher zu mir gebracht habe. Und nun, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, so sollt ihr vor allen Völkern mein Eigentum sein; denn mein ist die ganze Erde. Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern werden und ein heiliges Volk.“

Diese Worte decken sich in ihrem Wesen und Inhalt auffallend mit Jeremías Prophetenwort. Sie reden von dem unmittelbaren Umgang, für den Gott sein aus Ägypten geführtes Volk erziehen wollte. Gott wollte in seiner Offenbarung der dauernd Gebende, Israel sollte als ein ihm verhaftetes Volk dauernd der Empfangende sein. Nicht die in Stein gegrabenen Worte, nicht die zahllosen Opferhandlungen, nicht die heiligen Festfeiern sollten den Verkehr zwischen ihm und seinem Volk vermitteln, vielmehr sollte seine lebendige, unmittelbare Gegenwart zum Volke sprechen, und das Volk sollte hören und in lebendiger Glaubenshingabe zu Gott stehen. Auf dem Grunde dieses unmittelbaren Umgangs sollte Israel ein Königreich von Priestern werden, eine heilige Nation vor allen anderen Völkern; es sollte eine Nation sein, die nicht auf der Grundlage einer Religion, auch nicht einer Gesetzesreligion, sondern auf der Grundlage einer lebendigen Glaubensgemeinschaft Umgang mit Gott pflegt. Schon damals brach in dieser Offenbarung das Ziel aller Erlösung durch: die Gemeinschaft des Geistes und des Glaubens zwischen Gott als dem Vater und dem Volk als seiner Reichsfamilie. In dieser Unmittelbarkeit vernahm wahrscheinlich auch das Volk zum erstenmal den Dekalog, die Zehn Gebote.

(Jakob Kroeker)

Quelle:

Das lebendige Wort. Eine Einführung in die göttlichen Gedankengänge und Lebensprinzipien des Alten Testaments –
Band 7: Jeremia Der Prophet tiefster Innerlichkeit und schwerster Seelenführung. Von Jakob Kroeker† (Überarbeitet und ergänzt von Hans Brandenburg†)
[S. 70f./Digitalisat als pdf– oder Word-Datei bei sermon-online.com/de/]


Übersicht: Der Prophet Jeremia

Eingestellt am 30. August 2024