Offenbarung 9, 1-2

1 Und der fünfte Engel posaunte: und ich sah einen Stern, gefallen vom Himmel auf die Erde; und ihm ward der Schlüssel zum Brunnen des Abgrunds gegeben.  2 Und er tat den Brunnen des Abgrunds auf; und es ging auf ein Rauch aus dem Brunnen wie ein Rauch eines großen Ofens, und es ward verfinstert die Sonne und die Luft von dem Rauch des Brunnens.

Gibt es kein Entrinnen vor diesem Zorn Gottes? Trifft das Gericht der Zornesgluten Gottes bei den Posaunengerichten alle Menschen gleichmäßig? Das ist die Frage der Menschen. Es ist nicht anzunehmen, daß sich Gottes Zorn gleichmäßig über alle und alles ergießt, denn bei den folgenden sieben Zornschalengerichten sehen wir, wie Gott in seiner Weisheit nach festem Plan die Gerichte bestimmte Gruppen treffen läßt. Alles geschieht nach klarer Gerechtigkeit Gottes entsprechend dem Maß der Sünde. Weiter sagt die Schrift davon, daß verschiedene Menschengruppen zu verschiedenen Zeiten vor das Gericht gestellt werden, daß es zum Beispiel immer anfangen soll am Hause Gottes (1. Petrus 4, 17). Die Seinen kommen also zuerst dran, das heißt, ehe die eigentlichen Gerichte über die Menschheit ergehen, sollten die Gläubigen eigentlich schon durchgerichtet und geläutert sein, im Ofen des Elends bereitet, um vor dem Zorn Gottes errettet zu werden. Davon sagt uns ein Geschehen zur Zeit der Posaunengerichte. Mitten in den furchtbaren Plagen der fünften Posaune, wenn die Menschen vor Qual den Tod suchen und doch nicht finden können, hören wir plötzlich von Bewahrung. Eine Gruppe von Menschen darf dieses Gericht nicht treffen. Das furchtbare Dämonenheer, das unter dem König des Abgrunds steht und die Menschen so grauenhaft quält, darf dieser Schar keinen Schaden antun. Wer gehört dazu? Alle, die das Siegel Gottes an ihren Stirnen haben (Offb. 9, 4.5), also Menschen, die versiegelt sind, um vor dem Zorn Gottes bewahrt zu sein.

Von solcher Bewahrung Gottes für die Seinen spricht die Heilige Schrift seit der Erschaffung des Menschengeschlechts. So war es schon „ein Noah, der Prediger der Gerechtigkeit, den Gott selbacht bewahrte, als er die Sintflut über die Welt der Gottlosen führte“ (2. Petr. 2, 5). Und auch im Zusammenhang der Gerichte Gottes über Sodom und Gomorrha geht es um Errettung und Bewahrung. Lot sollte das Zorngericht nicht treffen.

Vereinsamt liegen die Straßen,
verödet die Häuser und Gassen,
und keine Stimme, kein‘ Laut man hört.
Vergiftet sind Pflanzen und Felder,
zerbrochen die Bäume der Wälder,
die Schöpfung Gottes verheert.

Die Bosheit der Menschenhände
macht aller Schönheit ein Ende,
die Gottes Liebe einst schuf.
Die Erde wird zum Leide,
die Gott erschuf zur Freude
für alle seine Menschenkind‘.

Gott-Vater voll der Leiden
sieht Untergang bereiten
die Menschen voller Haß und Neid.
Er wartet Jahr und Stunde,
daß Menschheit ihm bekunde,
daß sie sich kehrt von ihrer Sünd‘.

Doch Tausend‘ Jahr vergehen
sie noch in Sünden stehen,
und achten Jesu Opfer nicht.
Nun wird die Saat aufgehen:
das Zorngericht geschehen
durch Waffen der Vernichtung groß.

(Klara Schlink: Das Ende ist nah)

Und der  f ü n f t e  Engel posaunte. Johannes sieht einen Stern auf der Erde liegen, der vom Himmel herabgekommen war. Also wiederum (vergl. Offb. 8, 10) greift eine himmlische Macht auf Erden ein. Wir wissen es und sehen es besonders deutlich in den Bilderreden gerade unseres Kapitels, daß der Seher, wenn er mit einem Bildwort eine Sache, ein Ereignis angedeutet hat, oftmals weiter eilt, ohne daß sich die neuen Gleichnisse mit dem Bisherigen wie Einzelzüge zu einem einheitlichen Bild zusammenfügen. Der Stern, die Himmelskraft, erscheint auf einmal belebt, erhält einen Schlüssel und öffnet den „Brunnen des Abgrunds“.

Also nach Gottes Willen und durch Himmelskraft werden Höllenkräfte entfesselt und werden auf die Menschheit losgelassen. Das ist fürwahr ein „Weh“, wenn die Menschenwelt dem Geist aus der Hölle preisgegeben wird. Aus dem Schacht des Abgrunds steigt dicker Rauch, der die Sonne verfinstert und die Luft erfüllt.

Wir verstehen das Bild: Gott gibt die Menschen dahin in Umnachtung, die ihnen das himmlische Licht verdunkelt, daß sie der Macht der Lüge und des Irrtums verfallen +), und die geistige Luft wird verpestet, daß sie das Böse gleichsam einatmen, unwillkürlich und unentrinnbar davon angesteckt werden ++).

+ 2. Thess. 2, 11.12: Darum sendet ihnen Gott kräftigen Irrtum, daß sie der Lüge glauben, damit alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen an der Ungerechtigkeit gehabt haben.
++) Eph. 6, 12: Denn unser Kampf richtet sich nicht wider Fleisch und Blut, sondern wider die Herrschaften, wider die Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Regionen.

(Christian Friedrich Römer)


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Eingestellt am 29. April 2020