1) O Jesu Christ, mein schönstes Licht,
Der du in deiner Seelen
So hoch mich liebst, daß ich es nicht
Aussprechen kann noch zählen:
Gib, daß mein Herz dich wiederum
Mit Lieben und verlangen
Mög‘ umfangen,
Und als dein Eigentum
Nur einzig an dir hangen.
2) Gib, daß sonst nichts in meiner Seel‘,
Als deine Liebe wohne;
Gib, daß ich deine Lieb‘ erwähl‘,
Als meinen Schatz und Krone.
Stoß alles aus, nimm alles hin,
Was mich und dich will trennen,
Und nicht gönnen,
Daß all‘ mein Mut und Sinn
In deiner Liebe brennen.
3) Wie freundlich, selig, süß und schön
Ist, Jesu! deine Liebe!
Wenn diese steht, kann nichts entsteh’n,
Was meinen Geist betrübe;
D’rum laß nichts anders denken mich,
Nichts sehen, fühlen, hören,
Lieben, ehren,
Als deine Lieb‘ und dich,
Der du sie kannst vermehren.
4) O, daß ich dieses hohe Gut
Möcht‘ ewiglich besitzen!
O, daß in mir dies‘ edle Glut
Ohn‘ Ende möchte hitzen!
Ach, hilf mir wachen Tag und Nacht,
Und diesen Schatz bewahren
Vor den Scharen,
Die wider uns mit Macht
Aus Satans Reiche fahren.
5) Mein Heiland! Du bist mir zulieb
In Not und Tod gegangen,
Und hast am Kreuz, als wie ein Dieb
Und Mörder, da gehangen,
Verhöhnt, verspeit und sehr verwund’t;
Ach, laß mich deine Wunden
Alle Stunden
Mit Lieb‘ im Herzengrund
Auch ritzen und verwunden.
6) Dein Blut, das dir vergossen ward,
Ist köstlich, gut und reine;
Mein Herz hingegen böser Art,
Und hart, gleich einem Steine.
O, laß doch deines Blutes Kraft
Mein hartes Herze zwingen,
Wohl durchdringen,
Und diesen Lebenssaft
Mir deine Liebe bringen!
7) O, daß mein Herze offen stünd‘,
Und fleißig möcht‘ auffangen
Die Tröpflein Blut, die meine Sünd‘
Im Garten dir abdrangen!
Ach, daß sich meiner Augen Brunn
Auftät‘, und mit viel Stöhnen
Heiße Tränen
Vergösse, wie die tun,
Die sich in Liebe sehnen!
8) O, daß ich wie ein kleines Kind
Mit Weinen dir nachginge,
So lange, bis dein Herz entzünd’t,
Mit Armen mich umfinge,
Und deine Seel‘ in mein Gemüt,
In voller, süßer Liebe,
Sich erhübe,
Und also deiner Güt‘
Ich stets vereinigt bliebe!
9) Ach! zeuch, mein Liebster! mich nach dir,
So lauf‘ ich mit den Füßen!
Ich lauf, und will dich mit Begier
In meinem Herzen küssen;
Ich will aus deines Mundes Zier
Den süßen Trost empfinden,
Der die Sünden
Und alles Unglück hier
Kann leichtlich überwinden.
10) Mein Trost, mein Schatz, mein Licht und Heil,
Mein höchstes Gut und Leben,
Ach, nimm mich auf zu deinem Teil,
Wie ich mich dir ergeben;
Denn außer dir ist lauter Pein,
Ich find‘ hier überalle,
Nichts denn Galle.
Nichts kann mir tröstlich sein,
Nichts ist, das mir gefalle.
11) Du aber bist die beste Ruh‘,
In dir ist Fried‘ und Freude;
Gib, Jesu! Gib, daß immerzu
Mein Herz in dir sich weide.
Sei meine Flamm‘, und brenn‘ in mir;
Mein Balsam, wollest eilen,
Lindern, heilen
Den Schmerzen, der allhier
Mich seufzen macht und heulen.
12) Was ist’s, o schönster: das ich nicht
In deiner Liebe habe?
Sie ist mein Stern, mein Sonnenlicht,
Mein Quell, da ich mich labe,
Mein süßer Wein, mein Himmelsbrot
Mein Kleid vor Gottes Throne,
Meine Krone,
Mein Schutz in aller Not,
Mein Haus, darin ich wohne.
13) Ach, liebstes Lieb‘, wenn du entweichst,
Was hilft mir sein geboren?
Wenn du mir deine Lieb‘ entzeuchst,
Ist all‘ mein Gut verloren;
So gib, daß ich dich, meinen Gast
Wohl such‘, und bestermaßen
Möge fassen,
Und wenn ich dich gefaßt,
In Ewigkeit nicht lassen.
14) Du hast mich je und je geliebt,
Und auch nach dir gezogen,
Eh‘ ich noch etwas Gut’s geübt,
Warst du mir schon gewogen.
Ach! laß doch ferner, edler Hort!
Mich deine Liebe leiten,
Und begleiten,
Daß sie mir immerfort
Beisteh‘ auf allen Seiten.
15) Laß meinen Stand, darin ich steh‘,
Herr! deine Liebe zieren,
Und wo ich etwa irre geh‘,
Alsbald zurechte führen;
Laß sie mich all’zeit guten Rat
Und reine Werke lehren,
Steuren, wehren
Der Sünd‘, und nach der Tat
Bald wieder mich bekehren.
16) Laß sie sein meine Freud‘ im Leid,
In Schwachheit mein Vermögen,
Und wenn ich, nach vollbrachter Zeit,
Mich soll zur Ruhe legen,
Alsdann laß deine Liebestreu,
Herr Jesu! bei mir stehen,
Luft zuwehen,
Daß ich getrost und frei
Mög‘ in dein Reich eingehen.
Liedtext: Paul Gerhardt (1607-1676)
Melodie: 1527 (1535) „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“
Über dieses Lied
Enthalten in der 5. Ausgabe, Berlin, 1653, und der Frankfurter Ausgabe, 1656, von Crügers Praxis, in 16 Strophen zu 9 Zeilen, nachgedruckt in Wackernagels Ausgabe seiner Geistlichen Lieder, Nr. 45; Bachmanns Ausgabe, Nr. 73; und enthalten als Nr. 771 in Unverfälschter Liedersegen, 1851. Eine der schönsten Hymnen über die Liebe Christi, die eine Frucht des Geistes und des Gebetes ist. In J. Arndts Paradiesgärtlein, 1612. Richard Lauxmann, in Koch, VIII, S. 292*, erzählt viele Begebenheiten über diesen Hymnus und erwähnt, daß J. A. Bengel ihn bei der Feier des Heiligen Abendmahls an seinem Sterbebett singen ließ, und daß die Frau von J. Lange in ihren letzten Stunden durch ihn sehr getröstet wurde.
*) Geschichte des Kirchenlieds und Kirchengesangs der christlichen, insbesondere der deutschen evangelischen Kirche. Von Eduard Emil Koch, Dekan, ordentlichem Mitglied der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig. Achter Band. Zweiter Haupttheil: Die Lieder und Weisen. Dritte Auflage, neu bearbeitet von Richard Lauxmann, Stiftsdiakonus in Stuttgart. Stuttgart. Druck und Verlag der Chr. Belser’schen Buchhandlung. 1876 [Digitalisat]
Quellen:
Lied Nr. 256, in: Kirchen-Gesangbuch für Evangelisch-Lutherische Gemeinden
der ev.-luth. Synode von Missouri, Ohio u. a. Staaten, St. Louis/MO, 1862
(externe Links zu Hymnary.org)
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 170-175.
(externer Link zu zeno.org)
Weblinks und Verweise
Liedeintrag bei Christliche Liederdatenbank
Melodieseite bei Bach Cantatas Website
Lied Nr. 654, in: Evangelisch-Reformiertes Gesangbuch (RG)
Lied Nr. 379, in: Gesangbuch für die evangelische Kirche in Württemberg, Schmuckausgabe, S. 401f. (Verlagskontor des evangelischen Gesangbuchs, Stuttgart 1912)