Wo ist der Weg, den ich muß gehen (Joh. E. Schmidt)

Nachfolge.

Eine nach dem rechten Weg des Lebens ernstlich fragende Seele.

1) Wo ist der Weg, den ich muß gehen,
Wenn ich gen Himmel kommen soll?
Wer ist nun so erbarmungsvoll,
Daß er mich solchen lässet sehen?
Sagt an, ihr Wächter und ihr Hirten!
Wo finde ich die rechte Spur?
Ich ford’re nichts, ich flehe nur!

2) Doch seid ihr etwa blinde Leiter,
So werde ich mit euch nicht gehn;
Auch so ihr pflegt am Weg zu stehn
Wie Säulen, und geht selbst nicht weiter;
So kann ich mich euch nicht vertrauen,
Ich täte gern gewisse Tritt‘,
Und möchte die Fußstapfen schauen
Des, der mich führt von Schritt zu Schritt.

3) Beweis’t ihr aber mit dem Wandel,
Was ihr mit Mund und Fingern weist,
So seh ich, daß ihr seid gereift,
Und schliesse bald mit euch den Handel,
Ich folge euch, wie ihr dem Wege
Vorhero selbst gefolget seid,
Ich trete ab vom falschen Stege
Und aller Ungerechtigkeit.

4) So saget nun, ob jener breite
Der rechte Weg zum Leben sei?
Ich seh zwar dort sehr viele frei
In lauter Lust und lauter Freude,
Doch glaub‘ ich nicht, daß ihre Seelen
In wahrer Ruh und Friede stehn;
Sagt, ob sie nicht des Ziels verfehlen,
Und zu der Hölle schnell hingehn?

5) Ich traue dieser engen Pforte
Und diesem schmalen Wege mehr,
Ach! wenn ich nur auf solchem wär,
Und folgete dem Lebensworte!
Ich seh zwar da viel Dornenhecken,
Hingegen wenig Wanderer,
Doch laß ich mich so bald nicht schrecken;
Ist’s nicht der rechte Weg? Ja, der!

6) Wen seh ich aber dort mit Dornen
Gekrönt, und mit der Kreuzes-Last,
Die er so tapfer aufgefaßt,
Vor allen andern und von vornen?
Ist dieser nicht der Fürst des Lebens,
Der dieses Weges Meister ist?
Ach! sagt’s, ich frage nicht vergebens,
Ist’s nicht selbst mein Herr Jesus Christ?

7) Ja, ja; laßt uns auf ihn aufsehen!
Er ist’s, der sehr getreue Hirt,
Der uns auf rechter Straße führt;
Ich will ihm wie ein Schaf nachgehen:
Doch dring‘ ich erst durch diese Pforte
Der wahren Herzens=Buße ein,
Auch sollt‘ ich erst aus seinem Worte
An ihn recht gläubig worden sein.

8) Ach! ach, ich fühl die Last der Sünden,
Wie komm‘ ich durch die enge Tür?
Nimmt Jesus nicht die Schuld von mir,
Läßt er mich nicht erst Gnade finden,
Trägt er mich nicht auf seinem Rücken;
Zieht er mich nicht mit Trost, und spricht:
Komm her, ich will dich recht erquicken;
So bleib‘ ich lahm, und laufe nicht.

9) Jedoch, ich glaube, daß er eben
Den Kreuzes=Weg betreten hat,
Daß er sich selbst von Gottes Gnad‘
Für mich zum Opfer möchte geben;
Nehm‘ ich ihn erstlich an zur Gabe,
So weiß ich, daß ich ihn zugleich
Auch zum Exempel wirklich habe,
Ist’s nicht so? Sagt’s, ich frage euch!

10) So ist’s gewiß, wer Christum kennet,
Wie er uns zur Gerechtigkeit
Und Heiligung von Gott bereit’t,
Läßt ihn gar willig unzertrennet;
Doch nimmt er auch die Ordnung gerne
Mit allem Fleiße recht in acht;
Und der ist noch von Jesu ferne,
Der aus ihm einen Mosen macht.

11) Verdienst bringt Kraft dem grünen Reben;
Vor Wahrheit gehet Gnade her:
Wenn Jesus nicht erst für uns wär‘,
So könnt‘ er auch in uns nicht leben:
Wo er nicht erst Gestalt gewinnet,
Da wird man ihm nicht ähnlich sein:
Sind wir ihm nicht erst gleich gesinnet,
So ist der Wandel auch nicht rein.

12) Wohlan! Ich will ihn recht ergreifen,
Wie ich von ihm ergriffen bin,
Ihr treibet, packet euch nur hin,
Ich geh den Weg nun ohn‘ Umschweifen,
Ich folg‘ dem Lamme, wo es gehet,
Weil es auch nimmer von mir weicht:
Wißt ihr’s nun, was mich treibet? Sehet!
Die Liebe machet alles leicht.

13) Ich will dem Vorbild seiner Lehre
Ergeben und gehorsam sein;
Was Jesus tut und lehrt, ist mein,
Ich lerne, was ich seh‘ und höre:
Ein Beispiel hat er mir gelassen
In Sanftmut, Demut und Geduld;
Ich geh mit ihm die Leidens=Straßen,
Denn mich erfreut nur seine Huld.

14) Habt Dank, ihr Hirten und ihr Wächter,
Daß ihr mir habt den Weg gezeigt:
Je mehr sich nun der Tag geneigt,
Je mehr ich höre das Gelächter
Der Spötter, die dort ewig heulen,
So mehr will ich, dieweil ich kann,
Auf diesem schmalen Weg forteilen:
Ich geh mit euch, geht ihr voran!

Liedtext: Johann Eusebius Schmidt (1670-1745)
Melodie: Choral-Harmonie, 1822

Quelle: Lied Nr. 212, in: Die Kleine Geistliche Harfe der Kinder Zions, oder auserlesene Geistreiche Gesänge. Allen wahren heilsbegierigen Säuglingen der Weisheit, insonderheit aber allen Christlichen Gemeinden des HErrn zum Dienst und Gebrauch mit Fleiß zusammengetragen und in gegenwärtiger Form und Ordnung gestellt. Mit einem dreyfachen Register, nebst einer Zugabe. Vierte Auflage. Auf Verordnung der Mennonisten Gemeinden. Northampton [Mass.]: Gedruckt und zu haben bei A. A. und W. S. Blumer. 1834. [Digitalisat und Choralmelodie, externe Links zu Hymnary.org]

Schriftstellen

Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? (Lukas 6, 39)

Lasset sie fahren! Sie sind blinde Blindenleiter. Wenn aber ein Blinder den andern leitet, so fallen sie beide in die Grube. (Matthäus 15, 14)

Ringet darnach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet; denn viele werden, das sage ich euch, darnach trachten, wie sie hineinkommen, und werden’s nicht tun können. (Lukas 13, 24)

…und folgen dem Lamme nach, wo es hingeht. Diese sind erkauft aus den Menschen zu Erstlingen Gott und dem Lamm; (Offenbarung 14, 4)

Weblinks und Verweise

Zwei erweckliche Lieder, (aus dem Hallischen Gesang-Buch P. II. n. 434. und 433) vorstellende: Eine nach dem rechten Weg des Lebens ernstlich fragende Seele [S.I.] , 1740
[Digitalisat – Deutsche Digitale Bibliothek]

Liedeintrag bei Hymnary.org

Charles Haddon Spurgeon: Glaube und Wiedergeburt

Briem, Christian: Blinde Leiter der Blinden

Eingestellt am 11. März 2023 – Letzte Überarbeitung am 11. Juni 2023