2. Samuel 14

Absalom’s Rückkehr aus der Verbannung (2. Sam. Kap. 14.)

V. 1ff.  Joab merkte, daß des Königs Herz geneigt war gegen Absalom (so statt: „war wider Absalom*); und darum beschloß er denn, David dazu zu bringen, die Bedenken, die seinem eigenen Verlangen nach Absalom noch entgegenstanden, zu überwinden. Stimmte er sich den Nachfolger günstig, so konnte er um so eher der Strafe für Abner’s Meuchelmord u. a. entgehen Er ließ ein kluges Weib aus Thekoa (südlich von Bethlehem) kommen und wies sie an, in Trauerkleidern zum Könige zu gehen und mit ihm zu reden, wie er ihr eingab. Die Frau willfahrte Joab: sie erschien vor dem König und warf sich mit dem Ruf: „hilf mir, König!“ zu seinen Füßen nieder. Als David fragte, was ihr sei, erzählte sie: sie sei eine Witwe und habe zwei Söhne gehabt; von denen habe der eine seinen Bruder bei einem Zank auf dem Felde getödtet; und nun verlange die ganze Verwandtschaft, daß sie auch den zweiten Sohn, den Mörder, herausgebe, damit er nach dem Recht der Blutrache wieder getödtet werde; so stehe sie in Gefahr, daß auch der letzte Funke ihres Hauses ausgelöscht werde, und ihres Mannes Name von der Erde verschwinde. Der König versprach für sie zu sorgen; und sie erklärte, alle Missethat, die darin lag, daß der Brudermörder ungestraft bleiben sollte, auf sich zu nehmen, der König und sein Stuhl solle ganz unschuldig sein. Nochmals versicherte sie der König seines unbedingten Schutzes; aber sie redete immer wieder von den Gefahren ihres Sohnes wegen der vielen Bluträcher, bis der König ihr sogar mit einem Eid zusicherte: so wahr der Herr lebt, es soll kein Haar von deinem Sohn auf die Erde fallen Nun hatte das Weib den Zweck ihrer erdichteten Erzählung erreicht, denn sie wendet jetzt das Versprechen David’s, den Brudermörder zu schützen, auf den Fall Absalom’s an und legt es ihm als den Wunsch des ganzen Volkes vor, er möge auch diesem Brudermörder verzeihen.

V. 13.  Das Weib sprach: Warum sinnest du solches wider Gottes Volk 1) ? Nachdem der König solches geredet hat, ist er wie schuldig, daß er seinen Verstoßenen nicht wieder holen läßt 2). 14. Denn wir sterben des Todes, und sind wie Wasser, das auf die Erde ausgegossen und, nicht wieder gesammelt wird 3); und Gott nimmt nicht das Leben weg, sondern denkt Gedanken aus, daß das Verstoßene nicht von ihm verstoßen bleibe 4). Und nun, daß ich gekommen bin, mit meinem Herrn Könige dieses zu reden 5)  war; weil das Volk mir bange macht, und deine Magd gedachte: Ich will mit dem Könige reden; vielleicht wird der König tun, was seine Magd sagt.  16. Ja der König wird mich erhören, daß er seine magd errette von der Hand jener, die mich sammt meinem Sohne vertilgen wollen vom Erbe Gottes. 17. Und so gedachte deine Magd: Meines Herrn, des Königs, Wort möge Ruhe schaffen; denn mein Herr, der König, ist wie ein Engel Gottes, zu vernehmen das Gute und das Böse 6); und Jehovah, dein Gott, sei mit dir.

1) nämlich: unversöhnlich gegen zu zürnen; damit betrübst du das Volk Gottes, das nach seinem Thronerben verlangt; wie weit dies auch nur eine Erfindung Joab’s war, läßt sich nicht sicher sagen; es mag allerdings damals schon eine Partie im Volk gegeben haben, die mit Vorliebe auf Absalom als den künftigen König blickte.
2) nachdem der König in dem einen Fall dem Brudermörder Verzeihung zugesichert, würde er sich schuldig sprechen, wenn er in dem andern Fall den verstoßenen Absalom nicht wieder holen ließe.
3) Sinn: ist einer (es geht auf Absalom) einmal todt, so ist’s zu spät ihn wieder holen zu wollen.
4) Sie erinnert David an Gottes Gnade, die auch den den Verstoßenen wieder annimmt; übrigens – und das sagt das Weib nicht – nur den Bußfertigen.
5) unverwandt geht sie V. 15 ff. wieder auf ihre eigene angebliche Sorge um ihren Sohn über; aber ihre wiederholten Versicherungen, daß sie gewiß glaube, der König werde ihre Bitte erfüllen, zielen doch versteckterweise auf Absalom. Diese Reden erinnern manchfach an die Art, wie Abigail einst David zu besänftigen wußte; man sieht, es galt im AT als eine besondere Gabe kluger Frauen, durch wohlgesetzte Worte der Männer Sinn umzustimmen; ein weiteres Beispiel dieser Art gibt 2. Sam. 20, 16 ff.
6) ohne dadurch in seinem gerechten Urtheil irre gemacht zu werden.

V. 18ff.  David durchschaute den Sinn der Rede wohl, und fragte nur Eines, ob nicht Joab’s Hand hinter all dem stecke. Denn Joab hatte wohl schon öfters auf die Rückkehr Absalom’s hinzuwirken gesucht. Die Frau bejahte die Frage mit den schmeichelhaftesten Ausdrücken der Bewunderung für David’s alles durchschauende Weisheit. Der König aber erklärte Joab, der gewiß in der Nähe des Ausgangs der Unterredung gewartet hatte, er wolle folgen; Joab möge hingehen und den Knaben Absalom wieder bringen. Joab dankte dafür als für einen besonderen Beweis königlicher Gnade; zog gen Gesur und brachte Absalom nach Jerusalem. Allein David ließ ihn zwar in sein Haus zurückkehren, aber nicht vor sein Angesicht kommen. Und so gewiß es eine Schwäche war, daß David den Absalom ohne irgend welche Buße zurückkehren ließ, so gewiß mußte andererseits die nur halbe Begnadigung auf Absalom verbitternd wirken. So waren David’s eigene Fehler nicht ganz ohne Schuld an der Entfremdung des Sohnes gegen über seinem Vater.

V. 25ff.  Absalom aber galt mit Recht für den schönsten Mann in ganz Israel; sein Hauptschmuck war der gewaltige Haarwuchs, der jedes Jahr einmal beschoren wurde und jedesmal 200 Sekel wog (da dies = 3,27 klgr. wären, so muß die Zahl 200 verschrieben sein). Er hatte drei Söhne, die übrigens nach 18, 18 früh gestorben sein müssen, und eine durch ihre Schönheit berühmte Tochter, die Thamar hieß, wie Absalom’s Schwester. Zwei Jahre war Absalom so in Jerusalem, ohne des Königs Angesicht zu sehen. Da wollte er durch Joab auch vollends Zulassung bei seinem Vater erlangen und ließ Joab zu sich rufen. Als dieser auf wiederholte Botschaft nicht kam, ließ er ein Stück Gerstenfeld, das Joab gehörte, in Brand stecken; das wirkte; Joab kam, um sich zu beklagen. Aber nun erklärte ihm Absalom, er habe ihn zum König senden wollen, und wolle des Königs Angesicht wieder sehen, sonst wäre er lieber in Gefur geblieben; oder wenn eine Missethat an ihm sei, solle ihn der König tödten. Durch seinen gebieterischen Trotz ließ sich Joab bestimmen, noch einmal Fürbitte für ihn einzulegen; und David gewährte sein Verlangen. Absalom erschien vor dem König fiel vor ihm nieder und der König küßte ihn; – so schien äußerlich die Versöhnung vollendet und das Unheil, das mit Amnon’s Schandthat in David’s Hause begonnen hatte, beendet; aber bald brach es in neuer, schrecklicherer Gestalt hervor.

Quelle:

Handbuch der Bibelerklärung, Erster Band. Das Alte Testament, S. 379f. Mit zwei Karten. Fünfte, umgearbeitete Auflage. Calw und Stuttgart, Verlag der Vereinsbuchhandlung, 1878 [Digitalisat]


Eingestellt am 23. März 2023