2. Der Student in Tübingen

Leben und Wirken von Christian Gottlob Barth (1799-1862)

Wer schon in Tübingen gewesen ist, der weiß auch, wo das ehrwürdige theologische Stift liegt, mit langer Front vier Stockwerke hoch am Ufer des Neckar hin stattlich und freundlich sich präsentierend, eine alte Heimstätte vielen Ernstes und vielen Unsinns, eine Pflanzstätte mancher Wahrheiten und mancher Irrtümer. Dort liegt, die Fenster dem Neckar zuwendend, hoch oben unterm Dach eine Stube, die heutzutage Zion heißt, damals aber, als Barth ins Stift eintrat, den minder poetischen Namen „Lettenhaus“ führte.

Dieser Stube wurde Barth bei seinem Eintritt ins Tübinger Stift zugeteilt, und hier hat er von den acht Semestern seines Tübinger Aufenthalts sieben zugebracht. Er hat dort im Lettenhaus mit manchen andern Genossen zusammengewohnt, deren Namen später bekannt geworden, deren Wege freilich auch weit auseinandergegangen sind, hat auch einmal die ganze Stubengesellschaft sauber und treulich porträtiert. Noch heutzutage hängt dieses Bild, schwarz eingerahmt, in Calw in der Schreibstube des dortigen Verlagsvereins. Das Lettenhaus ist darauf als ein Baum dargestellt, in dessen Zweige, wie man es bei Stammbäumen manchmal sieht, die wohlgetroffenen Porträts der damaligen Bewohner eingetragen sind. Zur Vorsicht steht unter jedem Antlitz noch der Name dessen, dem es gehört, und damit alle Gerechtigkeit erfüllt sei, ist jedesmal auch der studentische Zu- und Uebername, „Schmälzle“, „Scholiast“, „Landrath“, „Gottlob“ fein leserlich dazu geschrieben. Bloß unter sein eigenes Bild hat Barth außer seinem Namen nichts als sein „fecit“ gesetzt; ob er keinen Uebernamen hatte oder bloß ihn nicht sagen wollte, ist mir nicht bekannt, tut auch nichts zur Sache. In seinem letzten Semester bezog er, um ungestörter arbeiten und seine Zeit mehr nach seinem Geschmack einteilen zu können. eine Wohnung in der Stadt, von der ein Freund, der ihn damals besuchte, sagt:

„Es war eine Studentenstube, in der viele, meist alte Bücher umherstanden: Andreä, Bengel, Rieger zween, samt Oetinger sind da zu sehn. Neben dem Bücher- und Gelehrtenduft bemerkte man aber auch ein Rüchlein Rauchtabak nebst den Apparaten zur Herstellung dieses edlen Parfüms. Auch eine Guitarre zierte diese gemütliche Studentenstube“.

Es hat einmal ein Vater, der einen Sohn in Tübingen hatte, auf die teilnehmende Frage eines Bekannten: „Das Studieren Ihres Herrn Sohnes kostet wohl viel Geld?“ seufzend geantwortet: „Das Studieren weniger, aber das Nichtstudieren…“ – Barth aber gehörte nicht zu den Nichtstudenten, sondern zu den Studenten in der Tat und in der Wahrheit, und zwar gleich im ersten Semester, das sonst auch von fleißigeren Studenten gar gerne dem Nichtstun und dem Vollgenuß der akademischen Freiheit geopfert wird. Barth hatte von Anfang an viel zu arbeiten, um so mehr, da er neben seinen Studien sich auch mit Erteilen von Privatunterricht beschäftigte, um seiner Mutter nicht allzuviele Kosten zu verursachen. Denn obwohl er als Stiftler sein Mittag- und Abendessen sowie seine Wohnung frei hatte, so waren doch auch bei eingezogenem Leben der Ausgaben noch manche, die zu machen waren, zumal bei Barth, der zwar wenig für sich, um so mehr aber für Andere brauchte. – Da im Stift kein Frühstück gegeben wird, Barths Mutter aber haben wollte, daß er Morgens etwas esse, so versuchte er es zuerst mit Aepfeln. Weil jedoch diese bald seine Zähne angriffen, so ließ er sich von dem Brot, das er sich am Mittag und Abendessen absparte, eine Suppe bereiten, bei der er sich ganz vortrefflich befand. Seine Stubengenossen, welche besser bei Mitteln waren, machten sich Kaffee, wie solches der Stiftler noch heutigen Tages zu tun pflegt, und zwar so, daß auch ein sehr verschwenderischer Student bei der Bereitung seines Frühstücks an Einem Ding sehr bedeutend spart, nämlich an der Cichorie, deren Gebrauch beim Stiftskaffee schwer verpönt ist und für gänzlich unstudentisch gilt. Barth beneidete jedoch Keinen um seinen Morgenkaffee, er hielt sich bei seiner Morgensuppe für glücklicher als alle Kaffeetrinker. War er ja doch von Haus aus an Mäßigkeit und Einfachheit gewöhnt.

Um durch das Erteilen seiner Privatstunden die eigenen Studien nicht zu verkürzen, begann Barth die Arbeit schon Morgens drei Uhr, wenn das übrige Stift noch in tiefem Schlummer lag. Wie er dann im ersten Jahr seine Zeit einteilte, soll er uns selber sagen:

„Zuerst lese ich zwei Kapitel im französischen Testament, dann zwei Psalmen hebräisch und holländisch, ferner 30-40 Verse aus der Ilias, 10-12 Stanzen aus Tasso’s befreitem Jerusalem (italienisch), dann ein Kapitel aus einem englischen Buch, endlich ein Kapitel aus Seneka (wegen meines Aufsatzes über die Eigenheit seines Stils), einige Briefe aus Cicero und etwas aus meiner spanischen Grammatik“.

Also, wenn wir auch nur auf’s Sprachliche sehen: lateinisch, griechisch, hebräisch, englisch, französich, italienisch, holländisch, spanisch. Warum er aber das Alles trieb? Er hatte wohl selbst keinen bestimmten Zweck dabei, aber dieselbe Beweglichkeit des Geistes, dieselbe Aufgeschlossenheit für alle Gebiete des Lebens und Wissens die den Knaben in Stuttgart zu allen möglichen Versuchen und Unternehmungen getrieben hatte, trieb ihn auch jetzt im Garten des Wissens von Blume zu Blume, nicht um als Schmetterling bloß darauf umherzugaukeln und selbstgefällig der eigenen Schwingen Pracht im Sonnenlicht schillern zu lassen, sondern um als fleißige Biene Honig aus Allem herauszuziehen und sein Geistesleben damit zu bereichern. Und wie gut kam ihm in seinem späteren Leben namentlich der Umstand, daß er von allen neueren Sprachen wenigstens etwas verstand! Arbeit war sein Element, und unter verschiedenen Siegeln und Wappen, die er damals gravierte, war auch eins, das lautete: „odi tranquillitatem!“ – Untätigkeit haß ich!

Aber gut war’s, daß Leute da waren, welche neben all diesem Vielerlei besonders auch auf die Befestigung, Läuterung und Vertiefung seines christlichen Charakters hinarbeiteten, denn er war auch als Student noch nicht über die Gefahr hinaus, mit seinen reichen Gaben, seiner lebhaften Phantasie und der großen Mannigfaltigkeit seines Wissens auf Irrwege zu geraten, zumal ihn Gott zu alle dem auch noch mit einem sprudelnden Humor ausgestattet hatte, der manchmal seine ganze Umgebung mit fortriß. Ein Blick, ein kurzes Wort von ihm konnte eine wahrhaft zündende Kraft ausüben und Alle in die heiterste Stimmung versetzen. In dieser Beziehung war nun vor allen Dingen der Einfluß seiner Mutter von großer Bedeutung für ihn. Diese einfache,klarsehende, scharfblickende, treubesorgte Frau hat es vortrefflich verstanden, ihn aus dem Weiten und Schrankenlosen, in das er sich hätte verlieren können, zum Einfachen und Notwendigen, aus dem Äußern in die Stille des Innern, von gefährlichen Höhen herab in die Tiefen der demütigen Selbsterkenntnis zu weisen, und das war um so wirksamer, da bei ihr immer auch aus dem ernsten Wort und der scharfen Feder und dem kritischen Auge die herzliche Liebe herausleuchtete. Dazu kam dann der Verkehr mit gereiften, gegründeten Christen, die er auf einer Reise nach Bayern kennen lernte, und die mit ihrer gründlichen Erfahrung und allseitigen Schrifterkenntnis ihm freundlich leitend und beratend zur Seite standen. Und endlich lebte er in Tübingen selbst in einem ernsten, durch christliche Gesinnung zusammengehaltenen Freundeskreis, dem unter Andern auch Ludwig Hofacker angehörte. Da half Einer dem Andern auf, wo es fehlen wollte, nahm ihn in Zucht, wo eine Gefahr der Ausschreitung war, und so fand auch Barth hier immer wieder sein Korrektiv im Verkehr mit den Andern.

Auch in der Nachbarschaft um Tübingen her verstand Barth allerlei Verbindungen anzuknüpfen, und merkwürdige Bekannte und Freunde hat er da manchmal gewonnen. Da war in Stockach bei Dußlingen ein origineller Schulmeister Namens Klett. Während der großen Teuerung des Jahres 1817 war er oft so übel dran, daß auch nicht ein Brot für ihn und seine Familie vorhanden war. Da kam es vor, daß er eine Schüssel voll Wasser auf den Tisch stellte, eine Handvoll Salz hineinstreute, das Tischgebet drüber sprach und dann die ganze Familie das bloße Wasser mit den Löffeln herausaß. Gott aber segnete das und Wenige so, daß der Schulmeister versicherte, sie seien allemal satt geworden. Nun, von diesem Mann hörte Studiosus Barth, und sofort war sein Entschluß gefaßt. In aller Stille setzte er sich hinter sein Schreibpult auf dem Lettenhaus und zeichnete das Bild des Schulmeisters, wie er leibte und lebte. Dann wurde es lithographiert und koloriert, Stück für Stück um einen Sechser verkauft, und fand so guten Absatz, daß dem Original eine ganz ordentliche Summe als Beitrag in seine Haushaltung geliefert konnte. Der drollige Mann blieb fortan in Verbindung dem Freundeskreis, in welchem Barth lebte, und als einer der Studenten ihn „Prälat von Bethlehem“ titulierte, wurde dieser Name fortan beibehalten. Er hat auch späteren Jahren manchen Besuch bei Barth gemacht, und dieser hat, auch als der Prälat von Bethlehem schon längst nicht mehr unter den Lebenden war, noch manche komische Äußerung von ihm im Mund geführt und allerlei Anekdoten von ihm zu erzählen gewußt.

Die Predigten, welche Barth in seiner Studentenzeit teils in Tübingen, teils auswärts hielt, machten immer einen ganz besonderen Eindruck. Sie waren voll Geist und Leben und bewegten sich, wie der ganze Barth, nicht in den hergebrachten Formen und Geleisen, sondern hatten in Gedanken und Form etwas Originelles, Außergewöhnliches. Wenn er in einem Dorf in der Nähe Tübingens predigte, so konnten die Bauern nachher zu ihrem Pfarrer sagen: „Der darf kommen und predigen, so oft er will“. Als echter Volksmann verstand er es meisterhaft, für’s Volk zu predigen und sich dem gemeinen Mann verständlich zu machen. Er war auch als Student ein ganzer Schwabe, und deshalb ging’s ihm nicht wie vor einigen Jahren jenem Studenten aus Norddeutschland, der in der Nähe von Tübingen predigte, und zwar mit viel Eifer und großer Beredtsamkeit. „Wo ist denn der her?“ fragte am andern Tag ein Bauer den Ortspfarrer. „Der ist weit von hier zu Haus, dahinten im Pommerland“, war die Antwort. So erwiderte der Bauer: „i han mer’s doch glei denkt, des könn‘ kei Deutscher sei, sust hätt er net so ausländisch prediget daß mer kei Wort verstande hätt“. Nun, wie gesagt, den Magister Barth verstand der Bauersmann, und deswegen war eine Gemeinde in der Nähe von Tübingen so entzückt von seinen Predigten, daß sie ihn durchaus zum Vikar haben wollte, ja sogar eine Bitte an’s Konsistorium zu richten beschloß, daß man ihr den Magister Barth als Pfarrer gebe. Diese Voreiligkeit hat aber Barth selbst ihnen auf’s ernstlichste verwiesen. Im letzten Jahre seines Tübinger Aufenthalts hatte Barth auch in der Schloßkirche zu Tübingen seine amtlichen Candidatenpredigten von Stifts wegen zu halten. Aber wie ganz anders war’s an den Sonntagen, da er die Predigt hatte, im Vergleich zu sonst! Sonst pflegte sich bei den Candidatenpredigten in der Schloßkirche bloß der das Ganze leitende Professor mit einem Repetenten einzufinden, und daneben eine Schar Studenten aus dem Stift und aus der Stadt, weniger um sich zu erbauen, als vielmehr um sich an der Verlegenheit des predigenden Candidaten zu weiden, etwaige Fehler oder gar Böcke mit Genuß zu registrieren, und das Ganze unbarmherzig zu kritisieren. Wenn’s hoch kam, so fanden sich vielleicht außerdem noch etliche Männlein und Weiblein aus der Stadt ein, welche für den Candidaten aus irgend welchen Gründen ein besonderes Interesse hatten. Wenn aber der Magister Barth in der Schloßkirche predigte, da war die Sache anders. Da zogen nicht bloß Tübinger Bürgersleute in Scharen den Schloßberg hinan, sondern auch von den umliegenden Ortschaften kamen Zuhörer herbei, die enge Kirche wurde zum Erdrücken voll, für Professor, Repetenten und Studenten gab’s kaum noch die nöthigen Plätze, und mancher von Barths Freunden stand in solchen Predigten dicht eingepreßt zwischen Bauern und Bäuerinnen, Knechten und Mägden. So bedeutend war die Anziehungskraft, welche seine Predigten schon damals ausübten. Noch größeres Aufsehen erregte er aber durch einige schriftstellerische Arbeiten in seiner Studentenzeit. Es ging damals eine starke Gärung und Bewegung durch viele Christenherzen in Württemberg. Der Grund davon lag teils in den allgemeinen Zeitverhältnissen, die durch die schreckliche Teurung des Jahres 1817 noch besonders ernst gestaltet wurden, teils in der besondern Lage der Kirche Württembergs. Der Rationalismus streckte eben damals seine Hand nach der Alleinherrschaft in Württemberg aus. Noch in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts war ein Gesangbuch eingeführt worden, das an Stelle der alten guten Kernlieder der evangelischen Kirche die seichten und Läpperigen Reimereien des damaligen Rationalismus setzte. Da fing ein Lied an: „Des Leibes warten und ihn pflegen, das ist, o Vater, meine Pflicht“; ein anderes: „Ich sterb‘ im Tode nicht, mich überzeugen Gründe“ (nach der Melodie: Nun danket alle Gott„). Es war darin viel die Rede von der Natur und dem Morgenrot, den Blumen und Tautropfen und von dem edlen Streben nach Tugend, aber blutwenig von der freien Gnade Gottes in Christo und dem lebendigen Glauben an ihn. Die alten guten Lieder waren entweder ganz ausgetan, oder so jämmerlich verwässert und verstümmelt, daß sie kaum mehr zu kennen waren. Dieses Gesangbuch sollte nun bei den sonntäglichen Gottesdiensten benützt werden, so daß unsern guten altgläubigen Württembergern wahrhaft ein Schwert durch die Seele ging. Dazu kam dann eine Liturgie für Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen, die sich diesem Gesangbuch würdig an die Seite stellte und den Menschen in den wichtigsten Augenblicken seines Lebens mit allgemeinen Redensarten abspeiste, anstatt ihm aus der Fülle evangelischer Wahrheit darzureichen, was das Herz bedurfte.

Da man zugleich häufig anfing, diejenigen zu bedrücken, welche sich diesen Neuerungen nicht fügen wollten, so erkannten gar viele ernste Christen darin ein untrügliches Zeichen des letzten antichristlichen Abfalls, gaben Württemberg mit seiner Landeskirche auf und wanderten aus, die Meisten nach Rußland, wo der fromme und geistvolle Kaiser Alexander I ihnen eine Stätte bereitete. Viele nahmen geradezu an, daß Rußland der verborgene Ort sei, an welchem Christus einen Theil seiner Gemeinde während der antichristlichen Verfolgung bergen werde. Zwar nicht Alle waren damit einverstanden. Ein angesehener Mann aus den christlichen Kreisen Stuttgarts sagte damals einem Freund, der immer wieder von der Auswanderung nach Ruusland redete: O du mit dei’m Ruusland! wart‘, bis der Ruus einmal kommt und schlägt dir den Buckel recht voll!“  – Aber doch wurde diese Auswanderung allmählich zu einer ernsten Lebensfrage für die württembergische Landeskirche, denn was sollte aus ihr werden, wenn gerade ihre lebendigsten Mitglieder an ihr verzweifelten?

W e i t b r e c h t,  Dr. Barths Leben.

Da trat der Bürgermeister Hoffmann von Leonberg vor den gerechten und gottesfürchtigen König Wilhelm mit einer Eingabe, welche von 1700 Familien unterstützt wurde, und worin um die Erlaubnis gebeten war, eigene, vom Konsistorium unabhängige Gemeinden gründen zu dürfen. Dadurch, wurde gesagt, könnte am gründlichsten der Auswanderung gesteuert werden. Der König nahm die Eingabe sehr freundlich auf, lächelte zwar, als Hoffmann von der Nähe des Antichrists sprach, und sagte zu ihm: „Warten Sie, bis er vollends da ist dann gehe ich auch mit Ihnen“, hielt aber doch zu große Stücke auf seine Pietisten, als daß er ihnen nicht das Bleiben im Land nach Kräften ermöglicht hätte. So wurde denn die Erlaubnis zur Gründung eigener, in kirchlicher Hinsicht selbstständiger Gemeinden erteilt und dadurch der Anstoß zur Entstehung der Gemeinde Korntal gegeben.

Es gab aber Viele, welche dazu den Kopf schüttelten und sprachen: „Wo will das hinaus? das sieht einer Sektenbildung so ähnlich wie ein Ei dem andern, und unsere Landeskirche wird den Schaden davon haben“. Daran knüpften sich dann allerlei ungünstige Urteile über diejenigen, welche überhaupt mit Gesangbuch, Liturgie und Kirchenregiment unzufrieden waren, und die man Summa Summarum „Pietisten“ nannte Da unternahm es nun der Studiosus der Theologie Barth, eine Ehrenrettung dieser Leute, unter denen er aufgewachsen war und mit denen er sich im Innersten Eins wußte, zu versuchen und gab eine Schrift heraus, in deren Titel „Hoffmännische Tropfen gegen die Glaubensohnmacht“ er zugleich auf witzige Art den Namen des Gründers von Korntal benützte. Das Aufsehen, das diese Schrift erregte, war von Anfang an groß, noch ehe man den Verfasser wußte; es wurde aber noch größer, als man hörte, daß sie das Werk eines jungen Studenten in Tübingen sei. Viele freuten sich des David, der dem Goliath so kräftig zu Leibe ging. Viele schüttelten aber auch den Kopf und meinten, da habe ihm einmal wieder sein lebhaftes Temperament einen Streich gespielt. Zu den letzteren gehörte auch seine Mutter, so sehr sie andrerseits im Stillen ihre Freude daran hatte, daß ihr Sohn so kräftig und mutvoll für diejenigen eintrat, denen sie mit ihm angehörte. Barth selbst hatte jedenfalls das Zeugnis eines guten Gewissens, daß er bei seiner Schriftstellerei nicht seine, sondern allein Gottes Ehre im Auge gehabt habe; er war sich auch bewußt, seine Schrift nicht ohne Leitung des göttlichen Geistes geschrieben zu haben. Das erhielt ihn ruhig inmitten des Staubs, der durch sein Auftreten eine Zeit lang aufgewirbelt wurde. Doch legte sich der Staub auch wieder, und die Sache ging ohne unangenehme Folgen für ihn vorüber. Überdies kam bald das Ende seiner Tübinger Studienzeit, und das praktische Amt in das er nun eintrat, brachte Aufgaben mit sich, welche seinen arbeitshungrigen und tatendurstigen Geist vollauf beschäftigten.

W e i t b r e c h t,  Dr. Barths Leben.

Quelle:

Weitbrecht, G.: Dr. Christian Gottlob Barth, nach seinem Leben und Wirken geschildert, S. 23-35. Druck und Verlag von J. F. Steinkopf, Stuttgart 1875. [Digitalisat]

Bildnachweis:

Tübingen, Evangelisches Stift: Michael Fiegle at German Wikipedia, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons


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Eingestellt am 4. August 2022 – Letzte Überarbeitung am 25. März 2024