Paul Schneider (1897-1939)

Paul Schneider wurde in Pferdsfeld, einem alten Pfarrdorf, am 29. August 1897 als zweiter von drei Söhnen des Pfarrers Gustav Adolf Schneider geboren. Genau einen Monat später, am 29 September, wurde er in der Dorfkirche getauft. Seine Mutter hieß Elisabeth Schnorr; die Eltern hatten im Jahr 1888 geheiratet.

Sein Vater stammte aus Elberfeld, er war ein reformierter Pfarrer der Evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen Preußens. Seine Familie gehörte zur reformierten Gemeinde, deren Hirte seinerzeit der bekannte Pastor Friedrich Wilhelm Krummacher (1796-1868) war, welcher ihn auch konfirmierte.

Die ersten 13 Jahre seines Lebens verbrachte Paul Schneider in der ländlichen Idylle des Hunsrück, bis sich sein Vater gezwungen sah, wegen zunehmender Arthritis seiner Frau an einen anderen Ort mit vermeintlich trockenerem Klima umzuziehen. Zu Ostern 1910 trat der Vater die Pfarrstelle der pfarramtlich verbundenen Kirchengemeinden Hochelheim (zu Hüttenberg) und Dornholzhausen (Großgemeinde Langgöns) an, einer ebenfalls ländlichen Gegend bei Wetzlar in Mittelhessen. Dennoch verschlechterte sich der Gesundheitszustand seiner Mutter zunehmend. Schneider wechselte vom Gymnasium in Bad Kreuznach nach Gießen. Kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, am 8. September 1914, starb seine Mutter. Am 29. Juni 1915 bestand er das Notabitur.

1918–1926: Studium, Vikariat und Hilfsdienst

Nach dem Ende des Krieges begann Schneider auf Wunsch des Vaters in Gießen Evangelische Theologie zu studieren. Er trat wie sein Vater dem Gießener Wingolf bei, einer christlichen, nicht-schlagenden Studentenverbindung. Seine Hoffnung, daß ihm die Mitgliedschaft gegen seine Neigung, sich zurückzuziehen, helfen und ihm seine gesellschaftliche Unsicherheit nehmen würde, erfüllte sich nicht. Seine Kritik an den Trinksitten des Marburger Wingolfs, dem er gleichfalls angehörte, führte nach einem Jahr zu seinem Austritt. Als Mitglied der Marburger Studentenverbindung nahm er an den Kämpfen und Unruhen in Thüringen teil. Schließlich nahm er 1921 die Mitgliedschaft im Gießener Wingolf wieder auf und behielt sie dann zeit seines Lebens [1]. Das dritte Semester studierte er an der Philipps-Universität Marburg; anschließend ging er nach Tübingen, wo die Theologenausbildung noch eher konservativ geprägt war. Dies kam Schneider entgegen: Die liberale Theologie hatte ihn in große innere Konflikte gebracht. Besonders durch die Auseinandersetzung mit Adolf Schlatter erlebte er eine theologische Veränderung hin zu einer biblisch orientierten Theologie [2]. Er zog nun bei der Pfarrersfamilie Dieterich in Weilheim (Tübingen) als Untermieter ein; später heiratete er dort deren jüngste Tochter, die am 8. Januar 1904 geborene Margarete Dieterich.

Am 29. August 1921 meldete Schneider sich beim Konsistorium der Rheinprovinz in Koblenz zum Ersten Theologischen Examen an. Nachdem er im Mai 1922 seine Prüfungen bestanden hatte, entschloß er sich zu einem Arbeitseinsatz am Hochofen in Stahlwerken in Aplerbeck und Hörde. Im September 1922 wohnte er wieder bei seinem Vater in Hochelheim und verlobte sich mit Margarete. Am 31. Oktober 1922 begann er seine praktische Ausbildung als Vikar, verbunden mit dem Eintritt ins Predigerseminar Soest. Nachdem Paul Schneider das Zweite Theologische Examen bestanden hatte, ging er nach Berlin, um bei der dortigen Stadtmission tätig zu sein. Dort arbeitete Schneider vom 1. November 1923 bis zum 15. September 1924 unter Anleitung des Pfarrers und Missionsinspektors Erich Schnepel (1893–1986) vor allem unter der Arbeiterschaft im Berliner Osten, um zusammen mit anderen Kandidaten für ein evangelisches Pfarramt die praktische Arbeit eines christlich-sozial engagierten Glaubenswerkes kennen zu lernen [3].

Ende Januar 1925 wurde er in Hochelheim in der Kirche seines Vaters ordiniert und trat dann in Essen-Altstadt seine erste Stelle als Hilfsprediger an (heute Pfarrer zur Anstellung). Am 10. Januar 1926 erlitt der Vater während der Predigt in Dornholzhausen einen Schlaganfall und starb drei Tage später, am 13. Januar.

Pfarrer von Hochelheim und Dornholzhausen

Evangelische Pfarrkirche in Hochelheim bei Wetzlar

Auf Bitten der beiden Gemeinden erlaubte die Kirchenleitung Paul Schneider, am 4. September 1926 die Nachfolge seines Vaters in Hochelheim und Dornholzhausen anzutreten. Die Besetzung einer Pfarrstelle erfolgt alternierend durch Pfarrwahl der Gemeinde oder Besetzung durch die Kirchenleitung.

Da seine berufliche Zukunft nun gesichert war, erlaubten Margaretes Eltern die Eheschließung der Brautleute. Noch vor seiner Amtseinführung heiratete er am 12. August 1926 in Weilheim Margarete Dieterich. Die Trauung vollzog sein Schwiegervater, Pfarrer Karl Dieterich. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor. Die Familie Schneider wohnte  bis zum Frühjahr 1934 im Pfarrhaus von Hochelheim.

Die ersten Jahre im Pfarramt waren von den alltäglichen Problemen einer ländlichen Gemeinde geprägt. Erst Anfang der dreißiger Jahre erreichte die Weltwirtschaftskrise mit ihren Auswirkungen in Deutschland auch die Dörfer Hochelheim und Dornholzhausen. Als eine Folge davon bekam die NSDAP immer mehr Zulauf. Auch wenn Paul Schneider am Anfang unschlüssig war, was von Hitler zu halten sei, war ihm spätestens nach der Machtergreifung klar, daß die Ziele der Nationalsozialisten nicht mit den Aussagen der Bibel in Einklang zu bringen waren, auch wenn dies manche Christen versuchten.

Am 21. März 1933 kam der neue Reichstag zusammen. Anläßlich dieses Tages sollten von 12.00 Uhr bis 12.30 Uhr im ganzen Land die Glocken geläutet werden. Nachdem dies um 9 Uhr im Dorf bekannt gegeben worden war, beantragte ein Hochelheimer Gemeindeglied, daß dies auch in der evangelischen Kirche des Ortes geschehen solle. Ein kirchlicher Erlaß zur Sache war nicht ergangen. Noch am Vormittag kamen die vier Presbyter zu einer kurzfristig einberufenen Sitzung im Pfarrhaus zusammen, um über diesen Antrag zu beraten. Schneider plädierte:

„Nicht nur um des Übergriffs der NSDAP und der kommunalen Behörden in die Rechte der Kirche willen, sondern auch um der politischen Zurückhaltung willen seitens der Kirche und um deutlich zu machen, daß wir nicht Staatskirche sind, bittet der Vorsitzende, den Antrag abzulehnen, ohne damit dem nationalen Tag irgendwie zu nahe zu treten“ [4].

Auf den Einwand eines Presbyters, „um der nationalen Bedeutung willen“ [5] dennoch die Glocken zu läuten, stellte sich das Presbyterium gegen Schneider. Zugleich beschloß es aber, „daß es für die Zukunft ähnliche Eingriffe in die Rechte der Kirche … zurückweist“ [5].

Da bereits im Laufe des Jahres 1933 den Kirchen erste Einschränkungen auferlegt wurden – unter anderem sollten die Pfarrer dafür sorgen, daß keine „Nichtarier“ an den Gottesdiensten teilnahmen –, gründete sich im September 1933 der Pfarrernotbund, der auf der Barmer Bekenntnissynode im Mai 1934 zur Bekennenden Kirche wurde. Gemeinsam wollte man den Einfluß, den die Nationalsozialisten auf die Kirche ausübten, zurückdrängen. Paul Schneider fand sofort seinen Platz in dieser Bewegung. Dabei ist von Anfang an klar gewesen, daß bei ihm auch die Maßstäbe des politischen Handelns ausschließlich vom Evangelium her gesetzt waren. Da er wegen seines „schriftgemäßen Verstandes der Abendmahlsfeier und der ernst zu nehmenden Beichtfrage“ im Konflikt mit seinem Presbyterium stand und zudem wegen freimütiger Äußerungen über ihm anstößig erscheinende Zeitungsartikel von Joseph Goebbels und Ernst Röhm auch dem Druck staatlicher Stellen ausgesetzt war, konnte er schließlich nach Ansicht der Kirchenleitung nicht länger in Hochelheim bleiben.

Pfarrer von Dickenschied und Womrath

Evangelische Pfarrkirche in Dickenschied im Hunsrück

Paul Schneider bewarb sich auf die freie Pfarrstelle der zum Kirchenkreis Simmern gehörenden, pfarramtlich verbundenen, reformierten Evangelischen Kirchengemeinden Dickenschied und Womrath im Hunsrück und wurde von den dortigen Presbyterien gewählt. Der Simmerner Superintendent Gillmann führte Schneider am 8. Mai 1934 in sein Amt ein, das er bis zu seinem Tod am 18. Juli 1939 innehaben sollte. Für Schneider war es die Rückkehr in die Hunsrücker Heimat, die er sehr genoß, zumal er Dickenschied aus seiner Kindheit noch gut kannte, als Walter Schneider, ein Bruder seines Vaters, die Stelle von 1901 bis zu seiner Pensionierung im August 1925 innehatte [6].

In den beiden reformierten Gemeinden befaßte sich Schneider erstmals eingehend mit dem Heidelberger Katechismus und trat schließlich dem „Coetus reformierter Prediger“ bei.

1934–1936: Weitere Konflikte mit dem NS-Staat

Evangelische Pfarrkirche in Womrath im Hunsrück

Kurz nach Antritt der neuen Pfarrstelle ergab sich der nächste Konflikt zwischen ihm und der NSDAP: Bei der Beerdigung des Hitlerjungen Moog in der Nachbarkirchengemeinde Gemünden sagte der NS-Kreisleiter, daß „der Verstorbene in den himmlischen Sturm Horst Wessels eingegangen“ sei. Daraufhin äußerte Paul Schneider, ob es einen himmlischen Sturm Horst Wessel gebe, wisse er nicht, aber Gott möge den Jungen segnen und ihn in sein Reich aufnehmen. Da trat der Kreisleiter noch einmal vor und wiederholte seine Aussage. Empört entgegnete Paul Schneider: „Ich lege Protest ein. Dies ist eine christliche Beerdigung, und ich bin als evangelischer Pfarrer verantwortlich dafür, dass das Wort Gottes unverfälscht verkündet wird!“ – Schweigend ging man nun auseinander. Dieses Aufeinanderprallen von Staat und Kirche führte am Tag darauf, dem 13. Juni 1934, zu Schneiders erster Verhaftung. Diese als „Schutzhaft“ deklarierte Maßnahme sollte eine Woche dauern.

Schneider hatte sich mit seiner Gemeinde gleich zu Beginn seiner Amtszeit der Bekennenden Kirche angeschlossen. Die zweite Synode der Bekennenden Kirche der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union verabschiedete am 5. März 1935 ein Wort an die Gemeinden gegen das „Neuheidentum“ der „rassisch-völkischen Weltanschauung“, die von allen bekenntnistreuen Pfarrern am 17. März im Gottesdienst verlesen werden sollte. Das Reichsministerium des Innern verbot die Abkündigung, und die Gestapo verlangte von allen Pfarrern entsprechende Erklärungen; Schneider verweigerte diese und wurde darum vom 16. März bis zum 19. März in Kirchberg inhaftiert.

Am 29. März 1936 fand eine Reichstagswahl statt. Paul und Margarete Schneider gingen nicht zur Wahl, da auf dem Wahlzettel nur ein „Ja“ angekreuzt werden konnte. In der Nacht auf Ostern, also dem nächsten Sonntag, wurde das Pfarrhaus beschmiert: „Er hat nicht gewählt! Vaterland? Volk, was sagst du?!“ Diese Schrift wurde noch vor dem Ostergottesdienst in Dickenschied von Gemeindegliedern beseitigt.

1936–1937: Konfrontationen in der Gemeinde

Seit 1933 unterrichteten die beiden Lehrer der evangelischen Volksschulen in Dickenschied und Womrath eine „deutsche Glaubenslehre“, die den nationalsozialistischen Lehren entsprach. Dazu gingen zwei Familienväter aus Womrath gegen Schneider vor und versuchten, ihre Kinder aus dem Kindergottesdienst und dem Konfirmandenunterricht herauszuholen und in Gemünden, wo ein deutsch-christlicher Pfarrer amtierte, konfirmieren zu lassen. Versuche Schneiders, vermittelnde Gespräche zu führen, wurden abgewiesen. Ein Dimissoriale kam für Schneider nicht in Frage, da eine deutsch-christliche Gemeinde wie die damalige Evangelische Kirchengemeinde Gemünden nicht mehr als kirchentreu angesehen werden könne. Das Womrather Presbyterium stimmte darin mit seinem Pfarrer überein und entschloß sich, die beiden Womrather Familienväter von allen kirchlichen Rechten, unter anderem vom Abendmahl, auszuschließen. Aufgrund ihrer Lehre sollten auch die beiden Lehrer unter Kirchenzucht genommen werden. Theologische Grundlage für diese Maßnahme waren die Fragen 82–85 des Heidelberger Katechismus [7]. Dafür bedurfte es zudem außer dem Presbyteriumsbeschluss der dreimaligen Abkündigung im Gottesdienst. Das Dickenschieder Presbyterium zog im letzten Moment seinen Beschluß zurück. In Womrath kam es nur zu zwei diesbezüglichen gottesdienstlichen Abkündigungen, da Schneider vor der dritten verhaftet wurde. Zunächst wurde die Verhaftung zurückgestellt, da er sich im März 1937 bei einem Motorradunfall ein Bein gebrochen hatte und im Krankenhaus lag. Doch am 31. Mai 1937 wurde der Haftbefehl vollstreckt: Schneider wurde bis zum 24. Juli im Koblenzer Gestapo-Gefängnis in „Schutzhaft“ gehalten.

Sommer und Herbst 1937: Ausweisung und letzte Inhaftierung

Schneider wurde in Wiesbaden freigelassen. Man eröffnete ihm, daß er Aufenthaltsverbot für die Rheinprovinz habe, also auch für seine Gemeinden im Hunsrück. Nach seiner Entlassung hielt er sich deswegen zunächst eine Weile im hessischen Eschbach sowie in Baden-Baden auf. Als er aber von seinen Presbyterien gebeten wurde zurückzukehren, machte er sich auf den Weg nach Dickenschied zu seiner Frau und den sechs Kindern, nicht ohne gegenüber dem Regierungspräsidenten, dem Reichsinnenminister und sogar der Reichskanzlei seine Entscheidung ausführlich zu begründen. Es ging dabei um die Frage, ob der Staat das Recht habe, in die Kirche hinein zu regieren. Mit Ausweisungen von Christen aus ihren Provinzen unterlief der Staat die von Schneider faktisch vertretene Trennung von Kirche und Staat. Schneider hielt am 3. Oktober 1937 den Gottesdienst zum Erntedankfest in Dickenschied. Auf dem Weg zum Gottesdienst in Womrath, der am Nachmittag stattfinden sollte, wurde er, weil Dickenschieder inzwischen die Polizei in Kirchberg benachrichtigt hatten, verhaftet und wieder in das Gefängnis der Geheimen Staatspolizei Koblenz gebracht.

1937–1939: KZ Buchenwald

Am 27. November 1937 wurde Paul Schneider nach Weimar in das neu errichtete KZ Buchenwald verlegt, wo er Zwangsarbeit verrichten musste. Der Arbeit im Straßenbau und an weiteren Stellen konnte er aufgrund seiner guten körperlichen Verfassung standhalten, manchmal sogar für andere Häftlinge Arbeit mit übernehmen.

Als er bei einem Fahnenappell anläßlich des Führergeburtstages am 20. April 1938 den Hitlergruß verweigerte, seine Mütze nicht abnahm und als Begründung angab: „Dieses Verbrechersymbol grüße ich nicht!“, wurde er öffentlich mit Stockschlägen bestraft und in eine Einzelzelle des Arrestgebäudes („Bunker“) gesperrt. Trotz schwerster Mißhandlungen unterließ er es auch weiterhin nicht, aus seinem Gefängnis heraus das Evangelium zu verkünden. So wurde er im Konzentrationslager, in dem zu jener Zeit politisch, religiös oder rassisch Verfolgte sowie Kriminelle einsaßen – das „Judenlager“ wurde erst nach den Novemberpogromen 1938 errichtet –, für seine Mitgefangenen zum „Prediger von Buchenwald“. Am Ostersonntag soll er sich trotz größter Schmerzen an den Gitterstäben seiner Zelle hochgezogen und den Tausenden von Häftlingen draußen auf dem Appellplatz zugerufen haben: „Kameraden, hört mich. Hier spricht Pfarrer Paul Schneider. Hier wird gefoltert und gemordet. So spricht der Herr: ‚Ich bin die Auferstehung und das Leben!‘“ Weiter kam er nicht. Massive Stockschläge ließen den „Prediger von Buchenwald“ wieder verstummen.

Über ein Jahr lang wurde Paul Schneider in der Einzelzelle gefangengehalten und vor allem vom Aufseher Martin Sommer gequält, bis er körperlich nur noch ein Wrack und dem Tode nahe war. Alle gegen ihn bei einem Sondergericht in Köln anhängigen Verfahren waren am 10. Juni 1938 eingestellt worden, da nur eine geringe Strafe zu erwarten war. Er hätte das KZ auf der Stelle verlassen können, wenn er sich dem Ausweisungsbefehl aus der Rheinprovinz gebeugt hätte, was er aber nicht tat, da er sich unter Berufung auf Apg. 5, 29 seinen Gemeinden in Dickenschied und Womrath verpflichtet fühlte.

Das rheinische Konsistorium bemühte sich nun, auf der Grundlage veränderter kirchenrechtlicher Regelungen Schneider in den Wartestand zu versetzen. Die kirchenrechtlich vorgeschriebene Anhörung der Gemeinde wollte das Konsistorium vornehmen. Die Gestapo sollte einen Beamten mit der Anhörung Schneiders beauftragen [8]. Die Versetzungsverfügung wurde am 15. Juni 1939 ausgefertigt. In ihr wurden Schneiders „staatsfeindliches Verhalten“ und das „Fehlen einer positiven und vorbehaltlosen Bejahung des heutigen Staates“ und die damit verbundene fehlende Aussicht auf Entlassung aus dem Konzentrationslager als Gründe für die Versetzung in den Wartestand angeführt [9]. Das Schreiben erreichte Schneider nicht mehr vor seinem Tod; so trat es nie in Kraft, was hinsichtlich der Pension für seine Witwe von Bedeutung war [10].

Zuletzt kam er, von den Haftbedingungen und Mißhandlungen schwer gezeichnet und mit Wasser in den Beinen, mehrfach zur medizinischen Behandlung, wobei man ihn so weit wieder herstellte, daß ihm die Folter nicht mehr sofort anzusehen war. Als dies erreicht war, wurde er dort am 18. Juli 1939 von dem Lagerarzt Erwin Ding-Schuler nach dem Bericht des als Arztschreiber eingesetzten KZ-Häftlings Walter Poller durch eine starke Überdosis des Herzmedikaments Strophanthin ermordet [11]. Seine Frau wurde über den Tod ihres Mannes informiert, und sie erhielt die – ansonsten nicht gewährte – Möglichkeit, den Leichnam nach Dickenschied zu holen. Mit Unterstützung reiste Margarete Schneider sofort nach Weimar, konnte den Leichnam ihres Mannes dort im geöffneten Sarg sehen und nahm diesen dann versiegelt in Empfang. Er wurde in das Evangelische Krankenhaus Simmern gebracht, wo er unter Polizeiaufsicht bis zur Beisetzung verblieb.

Beisetzung

Der Leichnam des Pfarrers wurde nach Dickenschied überführt. Trotz Vorkehrungen seitens der Gestapo fand die Beisetzung, bei der der Gödenrother Kollege Schneiders, Friedrich Langensiepen die Predigt hielt, unter sehr großer Anteilnahme der Bevölkerung statt. Insgesamt kamen wohl mehr als 1000 Trauergäste, viele von weit her, einige waren aus dem benachbarten Ausland angereist. Unter den Trauernden waren etwa 200 Pfarrer, davon rund 50 im Talar [12]. Katholische Gasthausbetreiber verwiesen Gestapo-Mitarbeiter zu deren Überraschung des Hauses, weil sie selbst an der Beisetzung teilnehmen wollten; dadurch konnte die Überwachung nicht wie geplant stattfinden. „So werden Könige begraben“, soll einer der Gestapomänner angesichts der Hunderte von Beerdigungsgästen gesagt haben [12]. Aufgrund der großen Teilnehmerzahl konnte der Gestapomann seine Aufgabe, nämlich die Teilnehmer zu notieren, nicht erledigen.

Das von den Deutschen Christen beherrschte rheinische Konsistorium beschwerte sich nach der Beisetzung bei der Gestapo, daß sie die Angelegenheit nicht im Griff gehabt habe. Diese öffentlich weithin wirksame Begräbnisfeier hätte verhindert werden müssen.

Für Paul Schneiders Grabmal wurde 1939 vom Bildhauer und Prediger Wilhelm Groß, der selbst aktives Mitglied der Bekennenden Kirche war, eine Holzstele gestaltet.

Literatur

  • Albrecht Aichelin: Paul Schneider. Ein radikales Glaubenszeugnis gegen die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus. Kaiser, Gütersloh 1994, ISBN 3-579-01864-7.
  • Wolfgang BenzSchneider, Paul Robert. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 23, Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 978-3-428-11204-3, S. 304 f. (Digitalisat).
  • Manfred Blänkner: Paul Schneiders Aktivität im Wingolf. In: Wingolfsblätter, 135. Jahrgang, Heft 1/2016, S. 40–49.
  • Claude R. Foster jr.: Paul Schneider. Seine Lebensgeschichte. Der Prediger von Buchenwald. übersetzt von Brigitte Otterpohl. Hänssler, Holzgerlingen 2001, ISBN 3-7751-3660-6. Die Englischsprachige Ausgabe hat etwa den doppelten Umfang: Paul Schneider, the Buchenwald apostle: a Christian martyr in Nazi Germany; a sourcebook on the German Church struggle. SSI Bookstore, West Chester University, Westchester, Pennsylvania 1995, ISBN 1-887732-01-2.
  • Markus Geiger: Pfarrer Paul Schneider und seine Rezeptionsgeschichte (= Schriftenreihe der Pädagogischen Hochschule Heidelberg 49). Mattes, Heidelberg, 2007
  • Werner Raupp: Paul Schneider – der Prediger von Buchenwald. In: Werner Raupp: Werkbuch Kirchengeschichte. 52 Personen aus zwei Jahrtausenden. Brunnen-Verlag, Gießen / Basel, 1987, ISBN 3-7655-2870-6, S. 352–355 und 63–64 (Quiz: Steckbrief).
  • Folkert Rickers: Widerstehen in schwerer Zeit. Erinnerung an Paul Schneider (1897–1939). Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht in den Sekundarstufen und für die kirchliche Bildungsarbeit. Verlag des Neukirchener Erziehungsvereins, Neukirchen-Vluyn 1998, ISBN 3-7887-1673-8.
  • Margarete Schneider: Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald. Neu herausgegeben von Elsa-Ulrike Ross und Paul Dieterich. SCM Hänssler, Holzgerlingen 2014, ISBN 978-3-7751-5550-2. Im epub-Format: ISBN 978-3-7751-7210-3
  • Margarete Schneider: Der Prediger von Buchenwald. mit einem Geleitwort von Heinrich Vogel. Evangelische Verlagsanstalt, Berlin Ost, 1958, DNB 578206811
  • Rudolf Wentorf: Paul Schneider. Der Zeuge von Buchenwald. Brunnen, Gießen und Basel 19873, ISBN 3-7655-3810-8.
  • Rudolf Wentorf: Der Fall des Pfarrers Paul Schneider. Eine biographische Dokumentation. Verlag des Neukirchener Erziehungsvereins, Neukirchen-Vluyn 1989, ISBN 3-7887-1327-5.
  • Klaus-Gunther Wesseling: Paul Schneider. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 9, Bautz, Herzberg 1995, ISBN 3-88309-058-1, Sp. 563–568.
  • Karl Würzburger: Martyrium und Mahnung, Hörbuch (Zusammen mit Johannes Kuhn: Dietrich Bonhoeffer. Allein in der Tat ist Freiheit), Medienverlag Kohfeldt, 2009, ISBN 978-3-940530-82-0.
  • Philippe Noyer: Paul Schneider 1897–1939. Martyr de l’Eglise Confessante Allemande. Diplomarbeit am Institut Protestant de Théologie (Faculté de Théologie Protestante) à Montpellier / Paris 1983 (als Manuskript einsehbar in der Bibliothek des Institutes)
  • A. B. Goedhart: De dominee van Buchenwald: het levensverhaal van Paul Schneider (= Reihe Kroongetuigen). Uitgeverij De Banier, Apeldoorn, 2021, ISBN 978-90-8718-296-0. E-Book: ISBN 978-90-8718-506-0.

Filme

  • Sabine Steinwender, Folkert Rickers: „Ihr Massenmörder – ich klage euch an“. Pfarrer Paul Schneider (ein für Unterrichtszwecke konzipierter Film; englischsprachige Fassung unter dem Titel: “You Mass Murderers – I accuse you”. Reverend Paul Schneider)[24]
  • Eva-Maria Schepers (heute Eva-Maria McCormack): „Der Vater und wir. Das Erbe des Paul Schneider.“ Dokumentation SWR 3, Erstausstrahlung am 19.04.1998 (Dokumentarfilm mit Interviews mit Margarete Schneider, Tochter Evamarie Forster und den Söhnen Ernst-Walther Schneider und Karl-Adolf Schneider)[25]

Quellen:

Seite „Paul Schneider (Pfarrer)“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Paul_Schneider_(Pfarrer)&stableid=213885477 (Abgerufen: 21.12.2022)

Bildnachweise:

Portrait von Paul Schneider: Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland von Düsseldorf/ Boppard, Deutschland, CC0, via Wikimedia Commons
Evangelische Pfarrkirche in Hochelheim: Stefan Dornbusch, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Evangelische Pfarrkirche in Womrath: Guenter Engelmann, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Rudolf Wentorf: Paul Schneider – Der Zeuge von Buchenwald. Aus der Sammlung Zeugen des gegenwärtigen Gottes, Band 174/175. Brunnen-Verlag, Giessen und Basel, 1967 [Digitalisat, pdf von sermon-online.de]

Paul Schneiders Charakterisierung aus diesem Buch:

PAUL SCHNEIDER (1897-1939) wird im Gedächtnis der Gemeinde Jesu Christi weiterleben als einer, der in Zeiten der Tyrannei und des Gewissens­zwangs sich mutig zu seinem Herrn Jesus Christus und zum unverfälschten Evangelium bekannt und dafür schließlich sein Leben gelassen hat. Es dürfte in unserer Zeit, in der der Kampf um das reine Be­kenntnis wieder mit besonderer Schärfe entbrannt ist, gut und heilsam sein, sich an dem Leben und Leiden Paul Schneiders neu zu orientieren. In dem vorliegenden Büchlein geht es nicht nur um seinen äußeren Lebensablauf, sondern vor allem auch um
sein Hineinreifen in die Glaubensfestigkeit, in das Martyrium. Paul Schneider war kein Eiferer; auch verbot es ihm sein sehr fein reagierendes Gewissen, durch irgendwelche Winkelzüge das eine zu lassen, um das andere zu tun. Sein ungeheurer Ernst im Um­gang mit der ihm anvertrauten Botschaft läßt etwas von dem „Geist der ersten Zeugen“ deutlich wer­den. Das Lebensbild stützt sich auf Briefe Paul Schneiders an seine Frau und Freunde, sowie bisher noch nicht veröffentlichtes Aktenmaterial und Aus­sagen von Leidenskameraden aus dem Konzentra­tionslager Buchenwald, wo der standhafte Bekenner zum Blutzeugen seines Glaubens wurde.

Margarete Schneider (Hrsg.): Paul Schneider. Der Prediger von Buchenwald – Das Martyrium Paul Schneiders. Hänssler Verlag, Neuhausen-Stuttgart, 2. Auflage 1985 (ISBN 3-7751-0547-6)


Eingestellt am 28. Juli 2021 – Letzte Überarbeitung am 19. Februar 2024