Nicolaus Selneccer, der Sohn eines Actuars, war am 6. Dec. 1530* zu Hersbrück in Franken geboren.
*) So nach Zeumer mit Berufung auf Leipziger Universitätsangaben und die Leichenpredigt von Mylius, welche letztere freilich nur sagt: „Er soll Anno 30 geboren sein, im Jahr, da die Augsb. Conf. gestellet und übergeben worden“. Andere nennen als Geburtstag den 6. Dec. 1532.
Er besuchte die Schule zu Nürnberg und spielte schon damals regelmässig in der dortigen Burgkapelle die Orgel, wodurch er nicht bloss einem innern Triebe genügte, sondern auch ein jährliches Stipendium von acht Thalern und zwei Fudern Holz erwarb. Von Nürnberg ging er zu theologischen Studien nach Wittenberg, wo er vorzüglich Melanchthon hörte und 1554 Magister wurde. Als solcher begann er bald mit grossem Feuer zu lehren, in’s Besondere exegetische Vorlesungen zu halten. Aber dem Muthe, mit dem er arbeitete, fehlte noch die Demuth. Er sollte sie erst lernen unter dem Kreuz und der Angst des Pfarramtes. 1558 trat er in dasselbe als zweiter Hofprediger zu Dresden ein.
Wie es ihm zur Schule der Beugung wurde, beschreibt er selbst in seinen Betrachtungen zum 67. Verse des 119. Psalms folgendermaassen: „Ehe ich gedemüthigt ward, irrete ich; nun aber halte ich dein Wort. Ach, dass doch nur Alle möchten darauf merken und an Anderer Schaden klug werden! O, du liebes Verslein, wir meinen, es sei viel Vernunft, Weisheit, Kund und Frömmigkeit in uns; wenn wir aber ein starkes Kreuz bekommen, Herzensangst, geistliche Traurigkeit und Schwermuth haben, so sehen wir, dass wir weit geirret und Nichts in uns ist, dadurch wir uns selbst rathen und helfen können, wo nicht der heilige Geist durch das Wort Gottes uns beisteht und hilft. Ich für meine elende Person muss frei bekennen, dass es also ist. Da ich noch frei und ohne Amt war, däuchte mich Nichts zu schwer zu sein, davon ich nicht hätte wollen reden und disputiren in dem göttlichen Worte. Da nahm ich mir für, bald Ritter zu werden in den höchsten Streithändeln und däuchten mich aller andern Lehrer Meinungen nicht so gut als eben meine, so ich doch jung und ein Schüler war. Ich unterstand mich auch, von Stund an zu schreiben in die heilige Schrift und zu lesen öffentlich die Geschichte der Apostel, den Matthäum, Johannem, Danielem und Andere. Da war es köstlich Ding, da war ich „Magister Magistrorum“ und hatte Alles auf ein Nägelein geschrieben und ausgesoffen. Da ich aber zum Predigtamte berufen ward, und ich nicht allein mit leiblichen Krankheiten und anderen Unfällen heimgesucht, sondern auch mit gefährlichen Gedanken und Todesangst geplagt war und Solches nicht ab-, sondern täglich zunahm, also dass ich fast vor keinem Menschen mehr tauglich und mir das Gesicht verging, und ich allen Muth und Herz verloren und schier weder predigen noch sonst mein Amt ausrichten konnte, da ward ich in die Schule gefüht und lernte „Nil sum“ (ich bin ganz und gar Nichts), und wiewohl mir solches Kreuz einen grossen Schaden an meiner Gesundheit und am Leben gethan, doch danke ich Gott von Herzen, dass er mich also gedemüthiget und aus meiner Jugend, NB. Frevel, Uebermuth und Stolz, geführet hat, und bin allerdings gar wohl zufrieden, wenn ich nur ein wenig kann meines Amts abwarten, wiewohl es mir sauer wird, und habe jetzt, Gott sei Lob, das blosse Wort Gottes, daran ich mit andern Gläubigen mich halte, wider alle Anfechtung des Teufels, des Todes, der Ketzer und der Welt. Solches scheue ich mich nicht zu bekennen. Es ist ja wahr und ist mein Trost, dass ich lese, dass Dergleichen auch Anderen widerfahren, wie Taulerus schier zwei Jahr nicht hat dürfen unter die Leute gehen und hat weder predigen, noch lehren können aus lauter Blödigkeit, dass man ihn auch für einen wahnsinnigen Menschen hielt. Sirach redet auch also (34, 12-15): „Da ich noch im Irrthum war, da konnte ich Viel lehren und war so gelehrt, dass ich nicht Alles sagen konnte, und bin oft in Gefahr des Todes darüber kommen, bis ich davon erlöset worden bin. Nun sehe ich, dass die Gottesfürchtigen den rechten Geist haben; denn ihre Hoffnung steht auf Dem, der ihnen helfen kann“.
Mit dem heiligen Muthe, der in der Demuth nicht unterging, sondern wuchs, verwaltete Selneccer sein Hofpredigeramt zum grossen Segen seiner Gemeinde. Unerschrocken strafte er die Sünden des Hofes, und Churfürst August grollte ihm darum nicht. Einen ausgezeichneten Beweis seines Vertrauens gab er ihm u.A. dadurch, dass er ihn beauftragte, dem Kaiser Maximilian, welcher so manche Proben freundlicher Gesinnung gegen die Protestanten gegeben und den Grundsatz ausgesprochen hatte, „dass Gott allein die Herrschaft über die Gewissen zustehe“, die von Selneccer eben vollendete Psalmenerklärung zu überreichen. Letzterer machte bei dieser Gelegenheit den Kaiser auf seine hohe Aufgabe aufmerksam und hatte die Freude, dass ihm jener in Gegenwart des Vice-Canzlers Zasius andächtig zuhörte und nach Beendigung seiner Rede erwiderte: „Wir hören, dass ihr uns des vortrefflichen Kaisers Constantin des Grossen, Theodosius und Marcianus, um deroselben Exempel nachzufolgen, erinnert, welches ich billig als ein Zeichen der Liebe gegen mich erkennen. Allein, wer bin ich? Und was kann ich thun? Bittet für mich Elenden, dass ich Eurer Lehre durch göttliche Gnade lebe und sterbe“.
Dankbar erkannte S. das ihm vielfach von dem Churfürsten bewiesene Wohlwollen; aber das Umsichgreifen des Krypto-Calvinismus unter den chursächsischen Theologen vermochte er nicht zu ertragen, zumal, da derselbe durch den Leibarzt Peucer auf August Einfluss zu gewinnen begann. Er bat daher um seine Entlassung und nahm in einer Predigt über Ps. 141, in welcher er einerseits mit Beziehung auf V. 5. („der Gerechte schlage mich freundlich und strafe mich, Das wird mir so wohl thun als ein Balsam auf meinem Haupte“) das unerschrocken geübte Strafamt rechtfertigte, andererseits für alle empfangene Liebe dankte („Alles gute ich empfangen han Von Obrigkeit und Unterthan; Wider Niemand ich Etwas hab‘, Danksagen ist mein Wiedergab’“), von seiner Gemeinde Abschied, um sich nach Jena zu begeben, wo er am 26. März 1565 eine theologische Professur übernahm. Aber hier verfolgten ihn die Hyperlutheraner noch mehr, als in Leipzig die Calvinisten. Er wurde als Philippist verschrieen, als „Seelhenker“ gebrandmarkt und 1568 seines Amtes entsetzt. Jetzt erst mochte ihm sein Abgang von Dresden übereilt und das Arbeitsfeld in Chursachsen nicht ganz unergiebig erscheinen. Er kehrte desshalb als Professor, Superintendent und Pastor an der Thomaskirche zu Leipzig dahin zurück. 1570 wurde er in Wittenberg zum Doctor der Theologie promovirt, und noch in demselben Jahre nahm er auf die Einladung des Herzogs Julius von Braunschweig vom Churfürsten Urlaub zur interimistischen Verwaltung der Generalsuperindentur und des Hofpredigeramtes in Wolfenbüttel. Leider trat er hier zu Andreä und Chemnitz nicht in das freundlichste Verhältniss. Gleich nach seiner Ankunft von Wigand in einem Briefe an Chemnitz des Philippismus verdächtig gemacht, sah er sich von einer vielseitigen Verstimmung umgeben. Bald verbreitete sich ziemlich allgemein die Ansicht, Selneccer wolle die in der Kirchenordnung den symbolischen Büchern vorgedruckte, von Chemnitz ausgearbeitete Declaration abschaffen, ja an die Stelle der Kirchenordnung das Corpus doctrinae Philippicum einführen. Hat S. Wirklich diese Absichten gehabt, so wurde er doch durch einen von den Wittenbergern herausgegebenen lateinischen Katechismus, in welchem sie mit dem Calvinismus offen hervortraten, vollständig umgestimmt und gab auf einem am 8. Dec. 1570 zu Riddagshausen gehaltenen Convente die Erklärung, „er habe es mit dem Corpore Philippi nicht also gemeinet, dass es norma doctrinae sein sollte, sondern, dass man’s als nützlich lesen möchte, aber nach der Declaration, so in der fürstlichen Kirchenordnung eingeleitet, reguliren sollte“. „Letztlich hat auch D.Selneccer gebeten, wenn D. Chemnitius oder das Ministerium Brunsvicense Etwas von ihm hörten, dass sie es ihm selber schreiben, oder ihn an einen Ort bescheiden, und es mit ihm reden, oder durch Mittelpersonen mit ihm reden lassen möchten, dass es nicht sobald an den durchl. Herzog gelangte“ (Rehtmeyer). Als indessen trotz dieser und anderen entschiedenen Gegenerklärungen, sowie der gewissenhaftesten Amtsführung die Gerüchte vom Kryptocalvinismus Selneccer’s immer noch nicht verstummten, nahm er 1572 seinen Abschied. Schon war Timotheus Kirchner von Jena an seine Stelle berufen, als sich Selneccer noch wiedergewinnen liess, um mit jenem die früheren Ämter in der Art zu theilen, dass die Generalsuperindentur von Gandersheim und Alfeld von Selneccer, die über Wolfenbüttel, Helmstedt, und Bokenam von Kirchner verwaltet wurde. Doch schon 1573 ging Jener nach Oldenburg, visitirte dort die Kirchen, ordnete den Lehrbegriff und die Ceremonien, verweilte dann kurze Zeit wieder in Wolfenbüttel und wurde noch in demselben Jahre wieder nach Leipzig zurückberufen. Der Rath, welchen er dem Herzoge gegeben hatte, die in der Kirchenordnung von 1569 bloss angeführten symbolischen Bücher vollständig abdrucken zu lassen, wurde im Corpus doctrinae Julium 1576 durch Chemnitz ausgeführt.
Bedeutsame Ereignisse traten gleich nach dem Zeitpunkte ein, in welchem Selneccer nach Leipzig zurückgekehrt war. Die Wittenberger Theologen brachen in der Schrift Exegesis perspieua contraversiae de eoena Domini (1574) ganz entschieden mit der lutherschen Abendmahlslehre, und diese mit fast allgemeiner Entrüstung der protestantischen Stände aufgenommene Thatsache heilte den Churfürsten gründlich von seinen calvinistischen Sympathien. Er liess den Geheimrath Cracau, den Kirchenrath Stössel, den Hofprediger Schütz und den Leibmedicus Peucer gefangen setzen, hielt zu Torgau im September einen Landtag, auf dem die Theologen 30 luthersch-rechtgläubige Artikel unterschreiben mussten, und verjagte die unbeugsamen, unter ihnen die Wittenberger Professoren Christoph Pezel und Caspar Cruciger. Eine von ihm geschlagene Denkmünze, auf welcher der Teufel mit Christus und der Churfürst mit den Wittenbergern ringt, verherrlichte den Sieg über den Calvinismus. Von nun an wandte sich sein ganzes Vertrauen Selneccer zu, der ebensoweitvom Kryptocalvinismus als von dem Hyperorthodoxismus einiger Theologen entfernt war, die in den Torgauer Artikeln noch Häresieen witterten. Peucer, der, mit dem Verachte calvinistischer Conspiration am schwerstern graviert, bis zum Ende des Jahres 1585 in verschiedenen Kerkern schmachtete, wurde im Leipziger Schlossgefängniss auch von Selneccer besucht, der mit ihm über die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahle vergeblich disputirte.
An dem Concordienwerke, das der Churfürst nach Beseitigung der Philippisten mit grossem Eifer betrieb, nahm Selneccer den lebhaftesten Antheil. Er war auf den Conventen zu Maulbronn (Januar 1576), Lichtenberg (Febr. 1576) und Torgau (Mai 1576) zugegeben, half zu Kloster Bergen (März bis Mai 1577) die Concordienformel vollenden und verbesserte die lateinische Uebersetzung derselben von Lucas Osiander (1582). Leider war er hierbei an die Octav-Ausgabe der Augsburgischen Confession von 1531 gerathen, welche nicht unbedeutende Abweichungen vom ursprünglichen Texte enthielt. Doch verbesserte er, nach geschehener Erinnerung, seinen Irrthum bald, indem er 1584 eine neue Uebersetzung auf Grund der ungeänderten Ausgabe ans Licht stellte. Sie steht in allen späteren Editionen des Concordienbuches mit Ausnahme der Müllerschen vom Jahre 1705.
Aber der Tod des Churfürsten August (1586) unterbrach noch einmal die Fortschritte des Luthertums. Christian I., von seinem Kanzler Crell ganz beherrscht und für den Calvinismus gestimmt, zog heimliche und offene Anhänger des reformirten Lehrbegriffes ins Land, bereitete wieder luthersche Institutionen vor, wie sie später in der Herausgabe eines calvinisirenden Katechismus, in der Abschaffung des Exorcismus und in der Bibelerklärung von Heinr. Salmuth hervorgetreten sind, und verbot den lutherschen Predigern die Kanzelpolemik. Selneccer vermochte nicht zu gehorchen und wurde deshalb 1589 seines Amtes entsetzt. Nachdem er eine Zeit lang an verschiedenen Orten, u.a. in Braunschweig, im Exile gelebt und darauf die Superintendentur in Hildesheim übernommen hatte, änderte plötzlich der Tod Christian’s, am 25. Sept. 1591, die Lage der Dinge in Sachsen. Sowohl die churfürstliche Wittwe, Sophie, als auch der zum Landesadministrator ernannte Herzog Friedrich Wilhelm aus der ernestinischen Linie waren dem Calvinismus abhold. Crell wurde auf den Königstein transportirt, die gefangenen lutherschen Prediger wurden befreiet, die calvinischen Theologen dagegen verjagt oder, wie die Professoren Pierius zu Wittenberg und Gundermann zu Leipzig, die Hofprediger Johann Salmuth und David Steinbach, eingekerkert. Zur Abhaltung einer allgemeiner Kirchenvisitation wurde vor Allen Selneccer ersehen und desshalb zurückberufen. „Seines Herzens Begierde und Verlangen ist hiemit wirklich erfüllet worden. Denn er ihm eine geraume Zeit llein gewünschet, vor seinem Ende sein liebes Leipzig noch mit Augen zu sehen und, da es möglich, gleichsam in den Armen seiner lieben vertraueten Gemeinde allhie in Leipzig abzuscheiden; welcher Ursachen halben er auf dieser seiner letzten Reise zu Braunschweig, als er daselbst mit höchster Schwachheit befallen, kaum mit grosser Mühe hat können beredet werden, sich einen oder zween Tage allda aufzuhalten und in guter Ruhe die Kräfte des Leibes zu erholen. Denn er immer besorget, er möchte unter Wegen bleiben, und gebeten, man wollte ihn ja nicht verkürzen; denn er zu Leipzig zu sterben und begraben zu werden Verlangen trage. So muss ihm Das vor seinem Ende ein grosser Trost und besondere Freude gewesen sein, dass durch obgedachte seine Beschreibung und Erforderung zum vorstehenden Visitationswerk er gleichsam öffentlich in diesen Chur- und Fürstlichen Landen wiederum ausgesöhnet, und ihm hiemit das öffentliche Zeugniss seiner vor Diesem geleisteten Treue gegeben worden, dabei alle seine und reiner lutherscher Lehre Feinde zu prüfen haben, wie unchristlich und ungebührlich sie vor Diesem mit Verfolgung dieses Mannes gehandelt haben.“ (Leichenpredigt.) Vier Tage nach seiner Ankunft in Leipzig, den 24. Mai 1592, ist S. „in seligem und beständigem Erkenntniss, Anrufung und Bekenntniss Jesu Christi abgeschieden, und hat es mit ihm nach seinem eigenen Verslein geheissen:
In vita et morte es tu mea Christe salus.
Im Tod und Leben, Herr Jesu Christ
Allein Du mein Trost und Heil bist.“ (Das.)
Am 26. Mai wurde er in der St. Thomaskirche feierlich bestattet, wobei ihm Professor Georg Mylius (Müller) aus Jena die Leichenpredigt hielt.
Zu seinen Wahlsprüchen gehörte ausser dem genannten der 16. Vers des 31. Psalms:
In manibus tuis sortes menae.
Er erweiterte ihn zu dem Distichon:
Sum tuus inque tuis manibus mea tempora vitae;
Nemo nocere mihi te prohibente potest.
Sein Namenssymbol war: Dominus Novit Suos (Doctor Nicolaus Selneccer). Überhaupt ein Freund von Sprüchen, kleidete er selbst die in ihm lebendige, schon anderthalb Jahre vor seinem Tode ausgesprochene Ahnung, nach sechs verschiedenen Amtsführungen die siebente nicht zu erleben, in den Vers:
Septima me laeto civem assignabit Olympo.
Die siebente Stelle wird mir geben
Die Bürgerschaft in jenem Leben.
S.’s Gattin, Margarethe, war eine Tochter des Dresdener Superintendenten Daniel Greser. Sie wurde 1559 mit ihm verbunden und gebar ihm drei Söhne, Daniel, Georg und Nicolaus, von denen der letzte ihn ins Exil begleitete, zu Hildesheim studirte und später Prediger in Leipzig war.
S. war von so kleiner Gestalt, dass er das Doctor Selneccerle genannt zu werden pflegte. Gleichwohl imponirte er, wenn er redete. Denn seine Worte waren voll Geist und Kraft, und blieben sich selber treu;
„denn D. Selneccer ist nicht ein Vertumnus und Polypus, ein Wetterhahn und Wendehals gewesen, der heute Dies, bald morgen ein Anderes in der Lehre christlicher Religion angenommen, approbiret und unterschrieben hätte; nicht hat er sich als ein Rohr gehalten, das der Wind hin und her wehet,auch nicht als ein Mensch in weichen Kleidern, der um Herrengunst, zeitlichen Geniesses und weltlicher Ehren willen zu allem unbilligen Fürnehmen und Veränderungen in Religionssachen sich hätte bewegen und vermögen lassen, sondern in einmal erkannter und bekannter reiner, allein selig machender Lehre der evangelischen Wahrheit, wie diese einmal durch den theuern Mann Gottes und hohen Propheten Martinum Luther aus Gottes Gnaden an Tageslicht gebracht worden, ist er die Zeit seines Lebens allhier auf Erden und bei seinen geleisteten Kirchen- und Schuldiensten fest, treu, aufrecht und beständig geblieben und bis in seinem letzten Athem verharret.“ (Leichenpred.)
Seine Grabschrift, die ihn einen unwandelbaren Vertheidiger des Testamentes Christi nennt (testamente Christi assertor constantinissimus), gilt auch in besonderer Beziehung auf seine Predigten. Nicht überall freizusprechen von Cathederdoctrin, sind sie doch im Ganzen heilslebendig und warm. Die herrschende Methode ist die Betrachtung des Textes unter beigeordneten Lehrstücken desselben.
S. schrieb Commentare zu vielen Büchern des alten und fast sämmtlichen Büchern des neuen Testaments.
Catalogus praecipuorum conciliorum. Lips. 1564. 8.
De justificatione et bonis operibus. Lips. 1570. 8.
Verschiedene Schriften über das heil. Abendmahl, u.a.:
Kurzes, wahres und einfältiges Bekenntniss von der Majestät, Auffahrt, Sitzen zur Rechten Gottes und vom Abendmahle unseres Herrn Jesu Christi. Heinrichsstadt 1571. 4.
(Hierin heisst es: „3. Christus ist aufgehoben, gen Himmel gefahren oder in den Himmel aufgenommen und durch die Rechte Gottes erhöhet. Dieses Auffahren heisst nicht über sich hinaufsteigen, als wenn Einer an einer Leiter oder Treppen auf einen Söller über sich steiget, sondern zu den höchsten Ehren kommen und neue, unermessliche Gewalt bekommen. 4. Er hat den Himmel eingenommen, der Himmel aber, als ein gewisser, erschaffener Ort, hat ihn nicht eingenommen oder an einen gewissen Ort beschlossen, dass er derwegen mit seinem Leib, wo, wenn und wie er will, auf Erden nicht mehr sein könne; sondern er ist ein Herr des Himmels, ja über alle Creaturen im Himmel und Erden. Ich fahre auf, spricht er, zu meinem Vater, das ist: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. 9. Christus sitzt nicht auf einem sonderlichen Stuhl seiner Menschheit nach, an einem gewissen, umschränkten Ort und nach dem Cirkel abgemessenen Revier, sondern der ganze Himmel ist nun sein Stuhl, und seine Majestät und Gewalt ist unendlich, und er ist allmächtig, wahrer Gott und Mensch. 10. Christus, Gottes und Marien Sohn, ist an allen Orten, und bei uns allzeit gegenwärtig, laut seiner Verheissung: Ich bin bei euch bis zu Ende der Welt, nicht allein nach seiner göttlichen Natur, sondern auch, da er laut seines Wortes sein will, und dahin er sich mit seinem Wort auch nach seiner menschlichen Natur selbst verbunden und versprochen hat, als im Abendmahl; obgleich Solches geschieht wider und über alle natürliche Eigenschaft eines menschlichen Leibes.“).
Institutiones christianae religionis. Francof. 1573. 8.
Unterricht von der Person Christi. Leipz. 1577. 8.
Evangeliorum et epistolarum omnium harmoniae, explicationis et homiliarum partes II. Francof. 1577. 8.
Espistola ad Ambrosium Wolffium, Luthero-Mastygem. Lips. 1580. 8.
Warnung auf der Anhaltischen Theologen unchristl. Antwort. Leipz. 1585. 4.
Ehespiegel, christliche Lehre. Eisl. 1589. 4.
Paedagogia christiana. Francof. 1567. 8.
Kurze Summarien und Gebetlein über den Psalter. Leipzig 1605.
Postilla. Leipzig. 1575. 8.
Predigten von dem christlichen Buche der Concordien. Leipzig 1581. 4.
Psalmpredigten: Fünfte Auflage. Leipzig 1623. Passionspredigten. Leipzig 1587. 4. Verschiedene einzelne Predigten, z.B. Predigt vom heiligen Abendmahle. Leipz. 1577. 4.
Desgl.: Drei Predigten vom heil. Abendmahle. Leipz. 1580. 4.
Drei Predigten vom reichen Manne etc. Leipz. 1580. 4.
Viele Casualreden. Kirchenlieder.
D. Leuckfeld. Antiquitates Gandersheimiensis, p. 318.
Rehtmeyer a.a.O. Bd. 3. S. 344ff.
Zeumeri vitae professorum Jenesium, p. 63.
Christl. Predigt bei der Leiche des ehrwürdigen und hochgelahrten Herrn Nicolai Selnecceri, gehalten von Georg Müller (Mylius). Leipz. 1592.
Heinrich Thiele, D. Nic. Selneccer’s geistliche Lieder, mit einer kurzen Lebensbeschreibung des Verf. Halle 1855. 16.
Erschienen in:
Die bedeutendsten nachreformatorischen Kanzelredner der lutherschen Kirche des XVI. Jahrhunderts in Biographieen und einer Auswahl ihrer Predigten. Dargestellt von Wilhelm Beste, Pastor an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel und ordentlichem Mitgliede der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig. Leipzig, Verlag von Gustav Mayer, 1858. [S. 202ff., Digitalisat]
Lieder von Nikolaus Selnecker
Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ
Laß mich dein sein und bleiben