So bin ich nun kein Kind der Erden (Lehr, Köthnische Lieder #70)

Mel.: „Die Tugend wird durchs Kreuz geübet“

1. So bin ich nun kein Kind der Erden,
Kein Bürger dieser Eitelkeit,
Mein Hierseyn soll nicht ewig werden,
Ich walle eilend durch die Zeit;
Mein Vaterland ist in der Höhe,
Wo mein geliebter Abba wohnt,
Und wo ich meinen Bruder sehe,
Der, als Monarche, herrscht und thront.

2. Wenn nur die wenig Trauerstunden,
Nach meines holden Königs Mund,
In siegender Gedult verschwunden;
So schlägt auch mir die frohe Stund,
Daß sich aus dieser Wildniß Gräntzen
Mein frey=gelaßner Fuß bewegt,
Und da, wo Lust und Wonne gläntzen
Den müden Geist zur Ruhe trägt.

3. Ich bin darzu geschaffen worden,
Ich bin darzu mit Blut erkauft;
Ich bin zum Himmels=Bürger worden,
Zur Braut des Königes getauft.
Der Geist, der mir zum Pfand gereichet,
Macht meinen Geist gewiß und fest,
Daß auch bey allem, was mich beuget,
Mein Glaube mich nicht zweifeln läßt.

4. Nur eines ligt mir an der Seele
Und macht mein Hertze sorgenvoll:
Ob mir der rechte Schmuck nicht fehle,
Wenn ich zur Hochzeit kommen soll?
Ich weiß, in meines Königs Augen
Kan nur ein loßgeschnittner Geist,
Ein ausgeleertes Hertze taugen,
Das alles Fremde Schaden heißt.

5. Ein Glaube, der nur ihn erwehlet,
Der still in seinen Wunden ruht,
Und uns in heisser Lieb beseelet,
Die seinen Willen kindlich thut;
Der ihn bis an das Creutz begleitet
Und gerne seine Dornen trägt,
Der munter um die Crone streitet
So offt die Welt sich in ihm regt.

6. Dis ist die Zierde seiner Tauben,
So siehet seine Fromme aus,
Und diesen Schmuck kan ihr nichts rauben,
Er wächst vielmehr bey Kampf und Straus.
Stellt sie sich denn in dem Geschmeide
Dem König, obgleich thränend, für,
So ist sie dennoch seine Freude,
Er reicht den Gnaden=szepter ihr.

7. Nun Bräutigam, du wirst es wissen,
Wie viel mir noch hieran gebricht,
Mein Aug ist voller Finsternissen,
Ich Armer kenn mich selbsten nicht;
Zum wenigsten ist ein Verlangen
In mir, durch deinen Geist, erweckt,
Mein Lamm, dir eintzig anzuhangen
Bis mir der Tod die Glieder streckt.

8. Was ich nicht hab, das kannst du geben,
Was ich nicht bin, das bist du mir;
Nimm hin mein Hertz, es zu beleben;
Ich überlaß es gäntzlich dir.
Erfülle mich mit Glaub und Liebe
Und bild‘ mich ganz nach nach deinem Bild.
Entzünde mich mit süssem Triebe,
Zu leiden, wo du’s haben willt.

9. Zermalm, zerbrich, o HERR, verbrenne,
Was dir nicht völlig wohl gefällt;
Zerstoß, zerschlage und zertrenne,
Was sich nicht gäntzlich zu dir hält.
HERR, greiff die angebohrnen Seuchen
Recht bey der tiefsten Wurzel an,
Laß keinen dann im Finstern schleichen,
Der mich und dich einst trennen kan.

10. Hier reich ich schwörend beide Hände,
Ich sage dirs auf’s neue zu.
Ich liebe dich ohn alles Ende,
Du meiner Seelen wahre Ruh.
Ich liebe dich nicht nur in Freuden
Und wenn du mich mit Zucker speiß’st:
Ich liebe dich in Schmach und Leiden,
Und wenn du mich auch sterben heiß’st.

11. So komm ich dir geschmückt entgegen:
Du nahst in Liebe dich zu mir,
Mir Cron und Purpur anzulegen.
Du öffnest mir die Himmelsthür.
Wann werd ich dich, mein Lamm! umfangen,
Und wann, ach wann! umarmst du mich?
Laß mich nur bald dahin gelangen,
Dann lob und lieb ich ewig dich.

Liedtext: Leopold Franz Friedrich Lehr (1709-1744)

Quelle:

Lied Nr. 70, in: Der Cöthnischen Lieder Erster und Anderer Theil: zum Lobe des Dreyeinigen GOTTES und zu gewünschter reicher Erbauung vieler Menschen mit Innhalts=Spruch=und Anfangs=Registern herausgegeben. Reuttlingen, mit Fleischhauerischen Schriften. 1768. [Digitalisat]

Brautschmuck einer glaubigen Seele. Psalm 45, 14.
Erstmals im 1. Teil der Cöthnischen Lieder, 1736.

Des Königs Tochter ist ganz herrlich inwendig; sie ist mit güldenen Stücken gekleidet. (Psalm 45, 14)

Weblinks und Verweise

Liedeintrag bei Hymnary.org

Melodieseite „Wie groß ist des Allmächtgen Güte“ bei Hymnary.org;
jeweils mit Audiofiles (midi, mp3) und 4st. Notensatz (We come to thank you, by singing; Die Tugend wird durchs Kreuz geübet)

Lied Nr. 376, in: Evangelisches Gesangbuch. Nach Zustimmung der Provinzialsynode vom Jahre 1884 zur Einführung in der Provinz Brandenburg mit Genehmigung des Evangelischen Oberkirchenrats. Königliches Konsistorium, Berlin 1911 (Seite 256f., externe Links zu Hymnary.org)

Lied Nr. 67, in: Christliches Hausbüchlein. Von Pfarrer Gottlob Baumann in Kemnat. Eine Sammlung meist alter, bewährter Gebete und Lieder, besonders über die Heilsordnung, 15. Auflage, Seite 112f. Verlag der Evangelischen Gesellschaft, Färberstraße 2,  Stuttgart 1910. (11 Strophen)

Lied Nr. 302, in: Diakonissen-Liederbuch. Zweite, vermehrte und mit Melodieen versehene Auflage. Kaiserswerth a. Rh., Verlag der Diakonissen-Anstalt, 1866.
[S. 267f.; Digitalisat]


Eingestellt am 23. Dezember 2024 – Letzte Überarbeitung am 3. Januar 2015