Heinrich M. Möwes (1793-1834)

Heinrich M. Möwes wurde am 25. Februar 1793 zu Magdeburg geboren. Als nach dem frühen Tode seines Vaters seine Mutter sich wieder verheiratete, nahm sich ein Onkel, welcher Prediger im Magdeburgischen war, seiner an und schickte ihn auf die Domschule in Magdeburg. Hier gewann er an einem Mitschüler Karl Blum einen Freund, mit dem er fortan aufs engste verbunden war; diese Freundschaft war für seine weitere Entwicklung von entscheidender|Bedeutung; in ihr fand der alleinstehende und glaubenslose Jüngling sein Ideal und seinen Halt. Die Freunde gingen miteinander nach Göttingen, wo er Theologie studierte, ohne doch dem Christentum innerlich näher zu treten.

Als Napoleon Elba verlassen hatte, wurden Möwes und Blum von der patriotischen Begeisterung mit erfaßt; sie traten in ein westfälisches Jägercorps ein. Bei Ligny wurde Blum tödlich verwundet, und Heinrich mußte sich von ihm nach vergeblichem Versuch, ihn zu retten, wie es schien, auf immer trennen. Bei der Einnahme von Paris erwarb Möwes sich durch seine persönliche Tapferkeit das eiserne Kreuz. Auf dem Rückweg fand er in Charleroi seinen Freund wieder; tödlich verwundet hatte derselbe in einem Privathaus Aufnahme und Pflege gefunden, und Heinrich durfte dort bei ihm bis zu seiner völligen Herstellung bleiben. Er setzte darauf das Studium der Theologie in Halle/Saale fort. Nach beendetem Studium wurde er Lehrer an der Domschule in Magdeburg und blieb in dieser Stellung, bis er im Jahre 1818 vom Grafen von der Schulenburg-Angern zum Prediger in Angern und Wenddorf berufen ward.

Nun heiratete er die Schwester seines Freundes Blum. In seinem Amt wandte er sich zunächst mit Eifer der Verbesserung der Schulen zu, vor allem, indem er sich mit den Lehrern in Verbindung setzte und für deren Ausbildung wirkte. Aber je ernster er es mit seinem Beruf nahm, desto eifriger fing er nun auch an, die heilige Schrift zu studieren, und so kam er selbständig immer völliger zur Erfassung der göttlichen Wahrheit derselben. Hernach haben die Schriften von Dräseke, Menken und von Meyer ihn besonders gefördert. Lebendiger Glaube an Christum und ein auf diesem ruhender Mut zeichnen ihn fortan aus und geben ihm eine wunderbare Macht über andere Menschen. Sein Amt ist nun seine Freude, und besonders wandte er auf seine Predigten großen Fleiß.

Im Jahr 1822 berief ihn der Graf von Schulenburg-Altenhausen auf die Pfarre in Altenhausen und Wenrode, wo sich ihm ein größerer Wirkungskreis eröffnete. Nachdem er hier sechs Jahre in wachsendem Segen und unter den erfreulichsten Verhältnissen gewirkt hatte, begann sich im Herbst 1828 ein Leiden bei ihm einzustellen, das sich immer deutlicher als ein Brustübel zeigte und seine Kraft bald so brach, daß er das Predigen aufgeben mußte. Im Jahr 1830 legte er sein Amt nieder und zog (im August) nach Magdeburg in der Hoffnung, dort eine Stelle als Beamter zu finden, die er trotz seiner immer heftiger auftretenden Krankheit noch ausfüllen könne. In mannigfacher Weise beteiligte er sich dort am öffentlichen Leben. Hatte er schon früher, namentlich in der Zeit seiner schlimmsten Leiden, seine Empfindungen in Gedichten ausgesprochen, die jedoch größtenteils zunächst nicht weiter bekannt geworden waren, so veranlaßten ihn jetzt die revolutionären Bewegungen des Jahres 1830 „Die Lieder eines preußischen Landskindes“ zu dichten (erschienen zu Beginn des Jahres 1831 — als Einzeldruck?—), und ebenso ließ er beim Erscheinen der Cholera im Jahr 1831 „ein Trostlied“ ausgehen (—wohl zuerst in einer Zeitung?—). Um dieselbe Zeit schrieb er eine Novelle „Der Pfarrer von Andouse“, welche in Magdeburg 1832 erschien. Seine Gesundheit schien sich zu befestigen, und da die gewünschte Anstellung ausblieb, zog er nach Altenhausen zurück, um in der ihm so lieben Gemeinde zu leben, und im Jahr 1834 konnte er dort sogar wieder mehrmals predigen. Schon glaubte er es wagen zu dürfen, sich nach einem Amte in der Kirche wieder umzusehen, und so bewarb er sich um die Superintendentur in Weferlingen, als plötzlich die Krankheit in neuer Heftigkeit wieder ausbrach und nach einigen Monaten schweren Leidens seinem Leben am 14. Oktober 1834 ein Ende machte. Seine Gedichte wurden nach seinem Tode von einem Freund (wahrscheinlich war es Friedrich Arndt, der am 8. Mai 1881 gestorbene Prediger an der Parochialkirche in Berlin — nach anderen Quellen August Wilh. Appuhn? —) nebst einem Abriß seines Lebens herausgegeben, Magdeburg 1836 (2. Aufl. Berlin 1837; 3. Aufl. 1838 mit einigen Predigten vermehrt, 4. Aufl. Magdeburg 1843 als zweiter Teil der sämtlichen Werke, deren erster Teil ein Neudruck des Pfarrers von Andouse ist).

Seine Gedichte haben, wie schon die immer neuen Ausgaben zeigen, nicht geringe Verbreitung gefunden und werden von manchen denen eines Spitta und ähnlicher Dichter an die Seite gestellt. Was sie auszeichnet, ist der Heldenmut des Glaubens, der sich in allen Leiden verklärt und fast an ihnen seine Freude hat und dabei ein offenes Auge für die verschiedensten Lebensverhältnisse behält. Und so wird Möwes, trotzdem seine Gedichte in der Form keineswegs vollendet sind, noch lange ein Lieblingsdichter Leidender bleiben. Eins und das andere seiner Lieder sind auch in Gemeinde-Gesangbücher aufgenommen worden; so das Gebet in Not und TodDer Himmel hängt voll Wolken schwerund, wenn wir nicht irren, auch das Karfreitagslied: O Tag, so schwarz und trübe, wie düstre Mitternacht

Quelle:

Schulte, von, „Moewes, Heinrich“ in: Allgemeine Deutsche Biographie 22 (1885), S. 418-420 unter Möwes [Online-Version]

Lieder und Gedichte:

Das Glück des Glaubens

Der Himmel hängt voll Wolken schwer

Mein Geheimnis

O Tag, so schwarz und trübe, wie düstre Mitternacht

Aus seinem Leben

Heinrich Möwes wurde den 25sten Februar 1793 zu Magdeburg geboren. Seine ersten Lebensjahre brachte er unter vielfacher Not und Bedrängnis zu. Oft sagte er, daß sein Herz nie am Vater und Mutterherzen recht warm geworden sei, und daß er den Segen des christlichen Vaterhauses als Kind nie kennen gelernt habe. Sein Vater starb früh, und die Mutter verheiratete sich wieder. Des verlassenen Knaben nahm sich ein Oheim an, ein Prediger im Magdeburgischen, und ließ ihn die Domschule besuchen. Daß er so früh schon auf sich selbst hingewiesen war, trug vielleicht dazu bei, seinem Wesen das scharfe und bestimmte Gepräge und seiner Seele die Sicherheit und Festigkeit zu geben, wodurch er sich auszeichnet. Die Unterstützungen seines Verwandten waren nur dürftig. Er selbst sagte oft, wie er nicht selten daran gewesen sei, den Plan, Theologie zu studieren aufzugeben. Einmal war er entschlossen, westfälischer Soldat zu werden, und nur die plötzliche Versetzung eines Obersten, der ihn sehr lieb gewonnen und ihm das Versprechen gegeben hatte, für seine schleunige Beförderung zu sorgen, hielt ihn davon zurück. Wie ganz anders wäre sein Lebensweg gewesen, hätte er diesen Entschluß ausgeführt! Dieser Entschluß selbst aber ist bei ihm charakteristisch; entschieden hatte er etwas Kriegerisches, und eine fast unüberwindliche Tapferkeit trat bei ihm in allen Lebenslagen hervor. Wäre er kein Prediger gewesen, er hätte zu nichts mehr Tüchtigkeit gehabt als zu einem christlichen Krieger. Beweise hat er hinlänglich in den Schlachten gegeben, welche er mitgefochten. Uebrigens klagte er sich selbst oft an, wie er auf der Schule und auch später noch, bis der Herr ihm ein neues Herz gab,  ein trotziger und wilder Mensch gewesen sei, der seinen Lehrern viel Not gemacht habe, und wie er gar leicht hätte zum Zorn gereizt werden können. Seine Freunde aber aus dieser Zeit bezeugen ihm, er habe stets eine edle Natur offenbart.

Entscheidend für die ganze Richtung, welche seine Herzens- und Lebensbildung nahm, war es, daß er vor seinem Abgange zur Universität in seinem lieben Carl Blum einen Freund fand, dem er seine ganze Seele hingab. Kaum kann ein Mensch einen andern mehr lieben als er ihn. Er sagte von dieser Freundschaft, wie sie gleichsam in den leidenschaftlichen Jahren seiner Jugend ihm ein Ersatz gewesen sei für den Glauben; sie hätte sein Herz besänftigt, und es vor allem Unedlen und Gemeinen bewahrt. Sein Carl war damals seine Welt; seine Zärtlichkeit für ihn und seine Hingabe an ihn kannte keine Grenzen; das Leben für ihn zu lassen, wäre ihm sicher etwas Geringes gewesen. Nie haben wir ihn nach dem Tode seines Freundes ohne Tränen von ihm sprechen hören; der Geburtstag und Todestag desselben waren für ihn Festtage, als habe er mit dem Abgeschiedenen noch den innigsten und vertrautesten Umgang. So kam es uns oft vor; nach dem Liede „Erinnerung und Hoffnung“ erwartete er von dem Herrn, seines Freundes Seele werde ihm als Führer zum Jenseits entgegen kommen, wenn er das Diesseits überschritten. Mit diesem Freunde bezog er die Universität Göttingen. Er trieb hier die Theologie als eine tote Wissenschaft. Er erinnerte sich nicht, sagt er, auch nur im geringsten christliche Eindrücke empfangen zu haben. Das Christentum blieb ihm etwas völlig Fremdes, das er nur als eine geschichtliche Erscheinung außer sich behandelte. Dagegen aber wurde er tief ergriffen von der allgemeinen Begeisterung, welche damals die Gemüter entflammte. Die Nachricht, der Feind seines Vaterlandes habe Elba verlassen, trieb ihn mit seinem Freunde aus Göttingen fort an den Rhein. Sie wollten in den ersten Reihen streiten und wurden in ein eben organisiertes westfälisches Jägercorps aufgenommen. Nach sechs Wochen kämpften sie in der Schlacht bei Ligny. Als einen Beweis, wie weit damals seine Seele noch von dem Herrn entfernt war, erzählte er oft: „Auch der Ernst der Schlacht trieb mich nicht zu Ihm hin; ich erinnere mich nicht, daß ich gebetet hätte. Wir wurden vor der Schlacht aufgefordert, das heilige Abendmahl zu empfangen; ich ließ meinen Freund, dem ich sonst nie von der Seite ging, doch allein zum Tische des Herrn gehen; ich begriff damals noch nicht, wozu mir das Sakrament dienen sollte. Gleichwohl empfand er nicht die geringste Anwandlung von Furcht und bemerkte oft, wie er viel mehr gezittert habe bei seiner ersten Predigt als bei dem Donner der ersten Schlacht.

Beide Freunde hielten sich an dem heißen Tage unzertrennlich aneinander, von dem gleichen Eifer beseelt, den Feind zu besiegen und das Herz des Freundes zu schützen. Neben einer Hecke stehend, und von hier aus auf den Feind feuernd, werden sie es nicht gewahr, daß schon der Befehl zum Rückzuge gegeben ist; da sinkt plötzlich sein Carl neben unserm Möwes nieder mit dem Ausrufe: „Hilf mir, ich bin verwundet, verlaß mich nicht, mein Möwes!“

Der erste große Schmerz seines Lebens, das an Schmerzen so reich war, dringt durch sein Herz. Er vergißt die ihn umwogende Schlacht, und der Tod ist das Geringste, was er fürchtet; er hat nur einen Gedanken, wo möglich den Geliebten zu retten. Drei fliehende Kameraden bieten ihm, die Gefahren nicht achtend, ihre Hilfe an. Sie legen den Verwundeten auf ihre Büchsen, um ihn an einen sichern Ort zu bringen. Aber die Feinde dringen heran. Sie müssen unter einem Kugelregen ihre Last forttragen. Zwei von Möwes Helfern glauben, an ihre eigene Rettung denken zu müssen. Möwes setzt mit dem Treuesten sein Werk fort. Noch einige Schritte, und eine Kugel der nahen Feinde reißt diesem den Tzschakko vom Kopfe. Nun fliehet auch der Letzte. Möwes hat nur ein Auge und ein Herz für seinen Freund. Er bittet diesen, an seinem Arme sich festzuhalten und ziehet ihn am Kleide hinter sich her. Nicht lange aber, so fühlt er eine Erschütterung im Arme, die Hand seines Freundes sinkt herab: eine neue Kugel hat ihn getroffen, und sein Carl ruft ihm zu: „Möwes, rette Dich für den König und das Vaterland, ich bin verloren!“ Noch ein Scheideblick, und die Freunde trennen sich, wie sie meinen für immer. Möwes geht mit blutendem Herzen. Daß er unter einem Kugelregen dahingeht, weiß er nicht. Endlich bringt ihn ein Schuß, der die Sohle seines Stiefels trifft, zu sich selbst. Er fühlt, daß er sein Leben nicht nutzlos preisgeben darf und eilt nun seinen fliehenden Kameraden nach.

Aus: Gedichte von Heinrich Möwes, weiland Pastor zu Altenhausen und Ivenrode, nebst einem Abrisse seines Lebens, großentheils nach seinen Briefen. Vierte, mit einer kleinen Auswahl von ihm gehaltenen Predigten vermehrte Auflage. Magdeburg, in der Heinrichshofenschen Buchhandlung, 1843, S. 206fDigitalisat

Bork, Wilhelm: Kurzbiografie

Der schon genannte Lebensabriß vor der Ausgabe seiner Gedichte. — Koch, Geschichte des Kirchenliedes u. s. f., 3. Ausg., VII, S. 247 ff. — Barthel’s Vorlesungen über die deutsche Nationallitteratur der Neuzeit, 9. Aufl., S. 970 ff. — Goedeke, Grundriß, III, S. 730, Nr. 205. ADB 22, 418–420 — Neuer Nekr 12, 1836, 848f. — Wilhelm Appuhn, Abriß seines Lebens, großentheils nach seinen Briefen, in: H. M., Gedichte, 1836, 1–120 — Franz Brümmer, Deutsches Dichterlexikon, Bd. 2, 1877 — Wochenblatt für die Kreise Neuhaldensleben, Gardelegen und Wolmirstedt und den Amtsbezirk Calvörde vom 13. und 16.10.1894.