Predigt am vierten Sonntag nach dem Erscheinungsfest

Predigttext: Römer 2, 4-11

Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst den Zorn, auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes, welcher geben wird einem Jeglichen nach seinen Werken. Nämlich Preis und Ehre und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben; aber denen, die da zänkisch sind, und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber dem Ungerechten, Ungnade und Zorn; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun, vornehmlich der Juden und auch der Griechen; Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes tun, vornehmlich den Juden und auch den Griechen; denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott.

„Steige eilend hernieder; denn ich muß heute in dein Haus einkehren“: das waren die freundlichen Worte, die einst Jesus an jenen Maulbeerbaum hinausrief, aus dessen Zweigen ein schüchternes, verlorenes Kind aus dem Hause Israel voll Spannung und Erwartung hervorschaute. Und wahrlich, freudetrunkener und überraschter ist wohl noch nie ein Sterblicher durch eine Botschaft geworden, als Zachäus war, als der HErr mit jenem leutseligen Worte sich selber in des Zöllners Haus zu Gast geladen hat. Daß ein Jesus bei einem Zachäus einkehre, der Gerechte beim Ungerechten, der Heilige beim Sünder, schon das kam ihm unerwartet und unverhofft genug; noch überraschender war es ihm, daß Jesus ihn zu schleuniger Eile aufrief, indem er heute noch in dieser Stunde bei ihm zur Herberge komme. Daß aber endlich der Heiland von einer Nötigung, von einer unabweislichen Sache sprach: heute muß ich in dein Haus einkehren, das vollends gehörte für ihn zu den Unbegreiflichkeiten, die er sich nicht zu enträtseln und zu entwirren vermochte.

Genug, er eilte so gut er konnte, und voll staunender Bewunderung nahm er ihn auf mit Freuden. Auch für uns, meine Lieben, die wir jene Geschichte schon oft gehört und gelesen haben, behält jener Auftritt, namentlich aber jenes göttliche Muß etwas Unbegreifliches, etwas Anbetungswürdiges. Ich glaube auch, man kann Christo nicht leicht bei einem Worte so tief in das vor Liebe und Erbarmung wallende Herz hinabschauen, als bei diesem Worte: „Ich muß heute in dein Haus einkehren.“ Wenn er spricht: „Ich bin gekommen, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist,“ nun, da leuchtet uns Etwas von seiner treuen und gnadenreichen Liebe, der wir die Bewunderung nicht versagen können. Wenn Er den Mühseligen und Beladenen zuruft: „Ich will euch erquicken,“ nun da tut Er seinen Willen kund, kraft dessen Er zu heilen, zu erquicken, zu trösten, zu segnen gedenkt. Und wen sollte das nicht zum Staunen mit fortreißen? Wenn aber der Heiland spricht: Ich muß bei dir einkehren, ich muß mich deiner erbarmen, ich muß mich deiner annehmen, wahrlich, da steht seine Liebe auf dem Höhepunkt einer unbegreiflichen Herrlichkeit, und unwillkürlich wird man an jenes über alles menschliche Denken, Verstehen und Bitten gehende Wort im Propheten Jeremias erinnert (Jer. 31, 20): Ist nicht Ephraim mein teurer Sohn und mein trautes Kind; darum bricht mein Herz gegen ihn, daß ich mich seiner erbarmen muß, spricht der HErr. So ernstlich, so unhintertreiblich, so unabweislich ist der Wille Gottes zu unserer Seligkeit.

So wollen wir denn mit einander reden: Von diesem ernstlichen Willen Gottes zu unserer Seligkeit.

Wir sehen,

wie er so ernstlich ist in seinen gnadenreichen Veranstaltungen;
wie er so ernstlich ist in seinen heiligen Anforderungen;
wie er so ernstlich ist in seinen preiswürdigen Erfolgen.

I.

Der ernstliche Wille Gottes zu unserer Seligkeit kann uns wohl nicht nachdrücklicher und bestimmter versichert werden, als durch die Frage, die Paulus in unserer heutigen Epistel an unser Aller Herz und Gewissen richtet: „Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?“

Alle Taten seiner erlösenden Liebe, alle Erweisungen seiner wunderbaren Güte, alle Proben seiner schonenden und tragenden Langmut und Geduld haben keinen andern Zweck und Zielpunkt, als uns zur Buße und damit zur Seligkeit zu leiten. Man kann auch wohl keine passendere Ueberschrift finden, die über das ganze Leben des Heilands in der Niedrigkeit und in Knechtsgestalt gesetzt zu werden verdient, als die einfache Frage: „Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ Ueber der Türe des Stalles zu Bethlehem, wo das fleischgewordene Wort Gottes in äußerster Niedrigkeit, Armut und Knechtsgestalt in der Krippe lag, auf daß wir durch seine Armut reich würden, und über dem Kreuze, das auf Golgatha errichtet stand, wo der Fürst des Lebens für uns den Kelch des Todes schmeckte, – was Anderes ist dort zu lesen, als die wunderbare Schrift: „Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße und zur Seligkeit leitet?“ Am Taufbecken, das das heilige Wasser in sich schloß, durch welches wir in den Friedensbund des dreieinigen Gottes aufgenommen wurden, und am Gnadenkelch des heiligen Abendmahls, in welchem wir die preiswürdigsten Segensgüter des Reichs Jesu Christi empfangen, was anders glänzt uns von ihnen entgegen, als das große Wort: „Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße und zur Seligkeit leitet?“

Was Anders sagt dir eine jede Bibel, die du in die Hand nimmst, und darin du die Testamente der ewigen Verheißung liest, und was Anders sagt dir jede Kanzel, von der das reine und lautere Wort Gottes gepredigt wird, was Anders als das herzgewinnende Wort: „Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße und zur Seligkeit leitet?“ Ja, du darfst kecklich noch weiter gehen: ein jeder Schritt und ein jeder Tritt auf deiner Lebensstraße, eine jede Erweisung von Gottes unverdienter Gnade, eine jede Weckstimme zur Buße und Bekehrung durch gute und böse Tage, eine jede Durchhülfe in schwierigen und bedrängten Umständen, eine jede Züchtigung des göttlichen Geistes von Innen und von Außen, die viele Langmut, Geduld und Nachsicht, womit der barmherzige Gott dich trägt und hält, und dir nicht vergilt nach deinen Sünden, und dich nicht straft nach deinen Missetaten, – was Anders predigen sie dir, was Anders als immer wieder über das alte und herrliche Thema: Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße und Seligkeit leiten will?

Ja, wenn es Gott nicht Ernst wäre mit unserer Seligkeit, wenn Er nicht Friedensgedanken über dich hätte, wenn es nicht sein heiliger, ausgesprochener Wille wäre, dich zu retten und selig zu machen: glaubst du wohl noch, Er würde seine Sonne über mir und dir noch aufgehen lassen, Er würde mit Strömen der Liebe noch über uns herunterregnen, Er würde einen Gnadenantrag nach dem andern an dein und mein Herz ergehen lassen, Er würde bald mit Lieben, bald mit Leiden kommen, um unser ungöttliches Herze zu bereiten, sich ganz zu ergeben ihm? Nein! Längst schon wäre ihm der Geduldsfaden gebrochen, längst schon wäre das Maß seiner Langmut erschöpft worden, längst schon hätte Er uns dem großen Verderbensstrome überlassen, der uns fortgeschwemmt, und in’s Meer des ewigen Todes uns hinabgeschleudert hätte. Aber es ist ihm Ernst mit der Seligkeit des Sünders; Er will nicht seinen Tod, sondern – daß er sich bekehre und lebe, Hes. 33, 11; nicht umsonst sollen die Quellen seiner ewigen Erbarmung aufgeschlossen sein; nicht umsonst soll der Ratschluß seiner Gnade seit Ewigkeit gefaßt, nicht umsonst in der Fülle der Zeiten ausgeführt sein, nicht umsonst soll der Fuß Christi die Erde betreten, nicht umsonst Golgatha sein Kreuz getragen, sein Blut der Boden getrunken, nicht umsonst die Welt seine Kämpfe gesehen haben; nicht umsonst will Er seinen Geist ausgegossen haben; nicht umsonst will Er ein Jahr nach dem andern zuwarten und harren, nicht umsonst ein Gnadenmittel nach dem andern aus der großen Rüstkammer seines Reichs hervorholen und anwenden: Alles dies soll eine Frucht tragen; der Sünder soll bekehrt, der Verlorene gefunden, der Verirrte zurecht gebracht, der Fremdling in’s Vaterhaus Gottes zurückgeführt werden.

Wie es Gott Ernst war mit der Erhaltung Noah’s und seiner Familie, als Er ihn die Rettungsarche zimmern ließ, und die Türe hinter ihm schloß, als die Zornfluthen des Abgrundes einhertobten und die übrige Welt verschlangen in einem weiten, wüsten und verheerungsvollen Wellengrab; und wie es Gott Ernst war mit der Rettung Israels, als Pharao ihm auf den Fersen war, und Er ihnen eine Gasse öffnete durch das Meer, daß sie trockenen Fußes hinüberkamen; und wie es Gott Ernst war mit der Rettung des ganzen Menschengeschlechts, als Er Christum sandte in die Welt; und wie das bloße Dasein des HErrn in der Welt die kräftigste Predigt darüber ist, daß der verdorrte Baum der Menschheit nicht abgehauen, sondern neu begrünt, neu belebt und neu befruchtet werden soll: so ist es Gott Ernst mit der Seligkeit einer jeden einzelnen Menschenseele; denn sie ist theuer erkauft durch das heilige teure Blut Jesu Christi, des unschuldigen und unbefleckten Lammes Gottes; sie ist theuer und werth geachtet, nicht um ihres eigenen Werthes und Verdienstes willen, sondern um des Lösegeldes willen, das für sie erlegt worden ist, und sie ist zu hohen und herrlichen Dingen aufgehoben, nicht durch ihre eigene Kraft und ihr eigenes Vermögen, sondern durch den Mittler des ewigen Bundes, in dem Alles versöhnt, geheiligt und verklärt werden soll zur ursprünglichen Würde und Vollkommenheit. Darum freue dich mein unsterblicher Geist; es ist Gott Ernst damit, dich zu retten und selig zu machen: seine Geduld ist noch nicht erschöpft, sein Erbarmungsborn ist noch nicht leer geworden, sein Gnadenmeer ist noch nicht versiegen gegangen. Auch dich will Er durch seine Gottesmacht bewahren zur Seligkeit.

II.

Der ernstliche Wille Gottes zu unserer Seligkeit erweist sich also vor allen Dingen durch seine gnadenreichen Anordnungen, aber ebenso unzweideutig auch durch seine heiligen Anforderungen. Ist der Wille Gottes zu unserer Seligkeit so ernstlich und nachdrücklich, um so größer ist auf unserer Seite die Verpflichtung, diesem gnadenreichen Willen Gottes mit unserem Willen entgegenzukommen, und um so größer auch die Verantwortung, wenn derselbe bei uns keine Anerkennung, keine Aufnahme, keine willige Folgsamkeit findet. Darum fragt auch Paulus so nachdrücklich in unserer Epistel: Willst du denn verachten, o Mensch, den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? Willst du denn nach deinem unbußfertigen und verstockten Herzen häufen den Zorn auf den Tag des Zoms und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes?

Es ist freilich unbegreiflich, daß der ernste Wille Gottes zu unserer eigenen Seligkeit nicht mehr Herzen erobert und Seelen gewinnt. Wenn ein Feld gut bestellt wird, und der Sonnenschein von oben und der Tau der Fruchtbarkeit und der Regen des Gedeihens nicht fehlt, wenn Frost und Hagel und Ungewitter ferne von ihm bleibt, so trägt es doch seine Frucht zu seiner Zeit, und die Saat geht auf dreißigfältig, sechzigfältig, hundertfältig, und wenn man doch den Weinstock pflegt und bedüngt und behackt und beschneidet und bebaut, und die Segenshand des HErrn nimmt ihn in Schutz, so bietet er im Herbst seine Trauben dem Weingärtner dar als Lohn für seine Arbeit, für seinen Schweiß, für seine Mühe und seine Anstrengung; und wenn man etwa einen Hund gut behandelt und ihm Nichts zu Leide tut, und er darf Liebe spüren, so wird er anhänglich und dankbar und so treu, daß er endlich seinem Wohltäter durch’s Wasser und durch’s Feuer läuft: und nur vom Menschen, dieser Krone und dieser Zierde der Schöpfung, soll der treue und gnadenreiche Gott für alle Erweisungen seiner Gnade, für alle Ergüsse seiner unendlichen Barmherzigkeit, für alle Proben seiner segnenden, seiner helfenden, seiner suchenden Liebe vielfach Disteln statt kehren, Undank statt Dank, Kaltsinn statt Liebe ernten? Ist es auch nur möglich, ist es auch nur denkbar? möchte man fragen. Der Apostel spricht von solchen, die da zänkisch seien, und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit.

Von diesen sagt er: Nach ihrem verstockten und unbußfertigen Herzen häufen sie sich selbst den Zorn. Der Grund dieser unbegreiflichen Erscheinung liegt teils darin, daß Gott den Menschen nicht zur Buße und zu seiner eigenen Seligkeit nötigt und zwingt. Der Apostel sagt deswegen nur: Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet, gängelt, führt? Von Zwang und Nötigung ist im Reich des Geistes keine Rede. Auf der andern Seite liegt der Grund darin, daß es den meisten Menschen im Dienst der Ungerechtigkeit wohl ist: darum schätzen sie den Reichtum der göttlichen Gnade und Langmut geringe, und verachten die Schätze, welche ihnen in Christo Jesu geboten sind. Sie haben schon ein Lieblingselement, in dem sie sich bewegen; in diesem ist es ihnen wohl; aus diesem feinen oder groben Weltdienst mögen sie sich nicht aufstöbern und verjagen lassen; sie sind zufrieden, wenn sie Gott darin ruhig leben läßt, und sie wollen auch gut Freund mit ihm bleiben, wenn er sie dann nur noch geschwind ohne viele Umschweife in seinen Himmel nimmt. Aber der Wahrheit gehorsam zu werden, als reumütige und bußfertige Sünder durch die enge Pforte des Lebens einzudringen, den Fuß auf den schmalen Weg zu setzen, und durch einen stillen, verborgenen Wandel vor Gott die Seligkeit zu schaffen mit Furcht und Zittern, – damit sind die Meisten schon überfordert; sie werden zänkisch, wie der Apostel sagt, sie setzen sich mit dem Wort der Wahrheit in Widerspruch, glauben lieber den Eingebungen ihrer eigenen verblendeten Worte, als den klaren und deutlichen Aussprüchen der heiligen Schrift, und so häufen sie sich den Zorn auf den Tag des Zorns.

Denn wenn Gottes Wille zu unserer Seligkeit so ernstlich ist, so kann er nicht gleichgültig sein gegen die Verächter seiner Gnade, die seine Langmut und Güte mißbrauchen: nur Ungnade und Zom, nur Trübsal und Angst kann denen zu Teil werden, die der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit, und wenn sie sich nicht hinaufziehen und hinanleiten lassen wollen zu den Armen der Barmherzigkeit, die gegen sie ausgereckt sind, so kann es nicht anders sein, sie müssen hinausgeworfen werden in die äußerste Finsternis, wo Heulen und Zähneknirschen ist.

Ich weiß zwar wohl, daß in der Modereligion der neueren Zeit die Hölle keine Stelle mehr findet; das, sagt man, gehöre zu dem altfränkischen Aberglauben, den man im neunzehnten Jahrhundert abgeschafft habe; es sei das höchstens noch ein abgenütztes Schreckmittel für den ungebildeten Pöbel; nach der Religion des neunzehnten Jahrhunderts kommt Alles in den Himmel, Christen und Türken, Juden und Heiden, Ungerechte und Selbstgerechte, Hurer und Ehebrecher, Trunkenbolde und Lästerer, Geizige und Diebe. An die Stelle des Worts Christi: „die Pforte ist eng, der Weg ist schmal,“ hat die neue Religion anders gesetzt: das Tor ist weit, der Weg ist breit, der zum Leben führt; Alles kann und darf da wandeln. Auch nur der leiseste Zweifel, ob wohl ein Verstorbener die ewige Seligkeit nicht erlangt habe, wird für eine Grobheit und für Mangel an Bildung angesehen; und deswegen will es dem feinen Ohr unserer Tage nicht mehr zusagen, wenn sie von einem Zornfeuer hören, das die Widerwärtigen verzehren werde, und von einer Qual und Angst, die ihre Seele erfasse, und einem Wurm, der, ohne zu sterben, sie nagen wird. Aber es bleibt dabei: Trübsal und Angst, Zorn und Ungnade über Alle, die da zänkisch sind, und der Wahrheit nicht gehorchen. Denn Gott wird geben einem Jeglichen nach seinen Werken; bei ihm ist kein Ansehen der Person. Denn er ist Ernstlich, sein Wille zu unserer Seligkeit, ernstlich auch in den heiligen Anforderungen, die Er macht, ernstlich in den heiligen Gerichten, die Er verhängt.

III.

Aber der Wille Gottes zu unserer Seligkeit erweist sich auch ernstlich in den preiswürdigen Erfolgen, die er herbeiführt: Preis und Ehre und unvergängliches Wesen, sagt Paulus, sei denen von ihm aufgehoben, die durch Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben. Ja der Apostel wiederholt es noch einmal: Preis und Ehre und Frieden allen denen, die da Gutes tun, vornämlich den Juden und auch den Griechen.

Es gibt in der Tat und Wahrheit keine kräftigere Erreichung des Willens Gottes zu unserer Seligkeit, als ein durch Gottes Gnade hindurch- und hinaus- und hineingerettetes und beseligtes Menschenkind. Wer da weiß, welche Bollwerke der Finsternis schon bei einer Seele niedergerissen werden müssen, bis nur Ein Lichtstrahl von oben in ein umnachtetes und verdüstertes Gemüt fällt; wer da weiß, wie viele Sünden-Ketten gesprengt, wie viele Bande gelöst werden müssen, bis ein gefesselter Geist Freiheitsluft atmet aus dem oberen Königreich; wer das weiß und bedenkt, der wundert sich nicht mehr darüber, daß so Wenige selig werden, der wundert sich vielmehr darüber, daß nur Ein Mensch durch Gottes Gnade gerettet und durch Gottes Macht bewährt wird zur Seligkeit. Dem ist ein jeder begnadigter Sünder, der arm in sich, aber reich in Christo in die Ewigkeit hinübergeht, ein neues Wunder der herrlichen Macht Christi und ein Lobpsalm auf seine rettende und beseligende Liebe.

Und solche preiswürdige Erfolge stehen ja doch – dem HErrn sei Dank! – vor unserem Geistesblick, und der Apostel ruft uns zu (Hebr. 12, 1): „Dieweil wir eine solche Wolke Zeugen vor uns haben, so lasset uns ablegen die Sünde, so uns immerdar anklebt und träge macht, und lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampfe, der uns verordnet ist.“ Hienieden waren sie unscheinbar und verachtet, dort aber sind sie gekrönt mit Preis und Ehre; hienieden trugen sie an sich umher das Sterben des HErrn Jesu; nun sind sie umgeben mit unvergänglichem Wesen; hienieden seufzten und rangen sie, wie wir unter dem nämlichen Dienste der Eitelkeit, und klagten über ihren Unglauben, ihres Herzens Unbeständigkeit; und stehe, droben ist Alles verschlungen in göttliche Kraft; hienieden war es ihre schwerste Aufgabe, durch Geduld mit sich und mit Andern zu trachten in guten Werken nach dem ewigen Leben, und droben werden sie für alle Opfer herrlich entschädigt, für alle Verleugnung königlich bereichert, für alle Werke himmlisch belohnt, denn sie sind vor dem Stuhle Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem heiligen Tempel. Und in ihrem Stehen vor dem Throne der Majestät, in ihrer herrlichen Bekleidung in das Geschmeide der Herrlichkeit Christi, in ihren Lobpsalmen, die sie dort singen dürfen, – in allem dem erkennen sie nichts Anderes als die Gnade und Erbarmung, die sie hindurchgebracht; wenn man sie fragt nach der letzten Ursache und nach den tiefsten Gründen ihrer himmlischen Erwählung, – was werden sie anderes antworten, als: der ernstliche Wille Gottes zu unserer Seligkeit, er ist’s allein, und er ist’s ganz; was werden sie anderes antworten als:

Mir ist Erbarmung widerfahren,
Erbarmung, deren ich nicht wert;
Das zähl‘ ich zu dem Wunderbaren,
Mein stolzes Herz hat’s nie begehrt.
Das weiß ich nun, und bin erfreut,
Und rühme die Barmherzigkeit.

So ist der Wille Gottes zu unserer Seligkeit ernstlich in seinen gnadenreichen Anordnungen, ernstlich in seinen heiligen Anforderungen, ernstlich in seinen preiswürdigen Erfolgen.

Der HErr aber spricht: Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt.
Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Amen.

(Wilhelm Hofacker)

Liedvers: Philipp Friedrich Hiller

Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter