Gottlob Baumann: Am Pfingstmontag

Predigttext: Hesekiel 36, 26. 27.

Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben; ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und darnach tun. (LUT 1912)

„Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben.“

Der das sagt, ist derselbe , der auch spricht: „Siehe, ich mache alles neu.“
Es bedarf aber auch alles der Erneuerung; alles ist alt, im schlimmsten Sinne alt. Daran soll uns das Pfingstfest erinnern, nämlich an die Notwendigkeit dieser Erneuerung, an die göttliche Anstalt, wodurch alles erneuert werden soll. Das haben wir namentlich auch an jedem Bußtag zu betrachten, diese Notwendigkeit der Erneuerung. Wer diese recht erkennt, an dem haben die Bußtage ihren Zweck erreicht. „Siehe“, spricht der Herr, „ich mache alles neu.“

Aber was ist denn dieses alles, das der Erneuerung bedarf? Dreierlei ist’s, das erneuert werden muß, und das der große Gott in Christo durch den heiligen Geist erneuern will. So betrachten wir denn

die große Erneuerung

1) des Herzens,
2) des Leibes,
3) der Erde.

O Herr, du großer Erneuerer und Wiederhersteller der gefallenen Menschheit, nimm auch uns auf in deinen Plan, in deine alles neuschaffende Hand! Segne auch diese Festtage! Amen.

1. „Ich will Euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben.“

Das ist das erste, das Notwendigste, die Grundlage des Übrigen. Am Herzen, an dem alten Herzen muß der Anfang gemacht werden. Wenn man ein Haus baut, ist der Grund das erste; so die Wurzel am Baum. Als der Mensch sündig wurde, da fing er auch von innen an. Die Lust empfing im Herzen und nahm sich den Giftsamen der alten Schlange, der Hölle. Da wurde das menschliche Herz etwas Altes, Schlechtes; dann ging es an den Leib, und es hieß: „Welchen Tages du davon issest, sollst du des Todes sterben. Ihre Augen wurden aufgetan und wurden gewahr, dass sie nackt waren“. Endlich: „Verflucht sei der Acker um deinetwillen; Dornen und Disteln soll er dir tragen. Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zur Erde werdest, davon du genommen bist.“ So wurde alles alt und schlecht, von innen heraus, vom Herzen aus. Auf demselbigen Wege will nun Gott in Christo alles neu machen.

Das Wichtigste ist also das Herz. „Ich will euch ein neues Herz geben.“ Wer sind denn diese „euch“? Zu wem sagt das Gott? Sagt er’s zu allen Menschen? Er sagt vorher: „Ich will euch aus den Heiden holen.“ Er redet mithin von seinem Volk Israel, dann aber auch von allen, die sich seinem Israel einverleiben, geistlicherweise aus den Heiden holen lassen wollen.

Aber den Heiden, auch unseren Heidenchristen, gilt das nicht. Es gilt nur denen, die das Alte an und in sich sehen, und die es beklagen, beweinen. Es gilt denen, die nach Erneuerung begierig sind, die das Bedürfnis derselben fühlen. Solche geht diese Verheißung an, die den Fluch fühlen, der auf der Erde liegt. Den Fluch, der in unserem Fleisch wohnt, nämlich der Tod, der Sünde Sold, und auch die Ursache davon erkennen, daß diese nicht in Gott, nicht in Adam, sondern in dem eigenen Herzen zu suchen ist.

Sie sagen: Mein Herz ist steinern geworden, davon rührt alles Elend her. Zu diesen spricht Gott: „Ich will euch ein neues Herz geben.“ Wer ist also der Erneuerer – Gott, der dreieinige Gott, Gott in Christo durch den heiligen Geist; der Gott, der „in Christo war und die Welt mit ihm selber versöhnte“; der Gott, der alles erschaffen hat, der alles vermag, der will das steinerne Herz aus unsrem Fleisch wegnehmen und uns ein fleischernes Herz geben. Daran darf man nicht zweifeln; man muß nur glauben, sich ihm willig und still überlassen, so geschieht, was er spricht. Es ist durchaus nicht anders zu helfen; es heilt weder Kraut noch Pflaster. Das Alte kann nicht ausgebessert werden, es ist ein neues, ganz neues Herz nötig mit ganz anderen Anschauungen, Trieben und Neigungen.

Aller Gottesdienst, aller Wandel in den Geboten Gottes ist für uns eben ein Frondienst, so lange wir das alte Herz haben. Das kann dem großen Gott nicht genügen. Es geschieht so auch nicht viel, und das wenige taugt nichts. Von der Erde und vom Himmel und vom Geschöpf heißt es: „Sie werden alle veralten wie ein Gewand.“ – „Du aber bleibest wie du bist“, heißt es dann von Gott; Gott ist der ewig Neue.

Was neu sein und neu bleiben soll, das muß aus Gott kommen, das muß göttlich sein. Ich denke, das neue Herz sei ein göttliches Herz, denn der neue Geist ist Gott selbst. Darum ist das etwas Neues, Bleibendes, wahrhaft und ewig Neues. Bei einem solchen Herzen ist dann der Wandel in den Geboten Gottes kein Frondienst mehr.

Da sind die Gebote Gottes auch die eigenen Gebote, und da geschieht der Gehorsam aus Neigung, aus Lust. Das sind dann die Leute, die „in den Geboten Gottes wandeln, seine Rechte halten und darnach tun.“ Es wäre jetzt unsere Aufgabe, solches an uns geschehen zu lassen. Der Leib und die Erde werden erneuert ohne unsere Mitwirkung, und nur insofern wirken wir dort mit, als wir zuvor müssen das Herz erneuern lassen; denn jene weitere Erneuerung kann nur so weit geschehen, als zuvor das Herz erneuert ist. Hier aber müssen wir durchaus dabei sein. Deswegen schenkt und erhält uns Gott unser Leben in dieser Welt. Das ist der einzige Zweck unseres Lebens. Wenn wir einmal das neue Herz und den neuen Geist in uns haben, dann können wir die Welt ruhig verlassen, wir haben hier nichts mehr zu tun. Aber dazu braucht man auch ein ganzes Leben. Man muß gewiß sein Leben lang sich recht sorgfältig erneuern, wenn dieser Zweck am Ende erreicht sein soll. Alt ist unser Herz schnell geworden; aber bei der Erneuerung geht es langsam. O daß wir uns dazu bequemen! Denn das ist ein Geschäft, das niemend gereut, von dem man am Ende eine selige Frucht hat, das auch an sich selbst vergnüglich und selig ist. Sich erneuern lassen, sich ein neues Herz und einen neuen Geist geben lassen, fort und fort, das sei unser Haupt-, unser einziges Geschäft.

Zu dem, was da auf unserer Seite zu geschehen hat, gehört auch, daß man in den Geboten Gottes wandelt, seine Rechte hält und darnach tut. Gott erneut das Herz, wenn man die rechten Mittel braucht, damit wir Leute werden, die in den Geboten Gottes wandeln; aber das ist auch wahr: Wenn wir als solche Leute uns betragen, geschieht jene Erneuerung immer weiter, tiefer, völliger. „Wer da hat, dem wird gegeben.“ – Wer mit den Geisteskräften wuchert, dem vermehren sie sich unter den Händen.

2) Das zweite, was neu werden soll, ist der Leib.

Dieser alte Leib ist der Leib des Todes und der Demütigung. Mit dem Ablegen des alten Gewandes wäre uns aber allein nicht gedient. Ein schlechtes Kleid ist immer noch besser als gar keines. Der neue Mensch ist ebensowohl ein Mensch mit Leib und Seele. Es ist aber unbegreiflich, daß die Menschen so ruhig dem Ausziehen des alten Kleides entgegengehen können. Als ob sich dort alles von selbst machte, als ob uns das neue Kleid, das Kleid der Herrlichkeit nicht fehlte! Bei denen, die ihren Aufenthalt hienieden recht benützt haben, macht es sich damit freilich von selbst. Aber diese haben hier das Ihrige getan. Paulus sagt, er gebe sich alle Mühe, daß er entgegenkomme der Auferstehung von den Toten; ja sogar, er jage ihm nach, ob er es ergreifen möchte. Davon sticht die Sorglosigkeit unserer Christen auf betrübte Weise ab. Also wer bekommt das neue Kleid, den neuen Leib? – Wer es macht wie Paulus und „alles für Schaden achtet, ja für Kot, auf daß er Christum gewinne und in ihm erfunden werde, daß er nicht habe seine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die aus dem Glauben an Christum kommt [nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird], zu erkennen ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, daß er seinem Tode ähnlich werde (Phil. 3, 8-10).

Also diejenige erhalten den neuen Leib, die das neue Herz und den neuen Geist in sich bekommen. Das neue Herz wächst aus dem Grab Jesu heraus. Wer mit ihm stirbt, mit ihm begraben wird und mit ihm aufersteht, der bekommt das neue Herz. Und dieser kommt dann auch entgegen der Auferstehung der Toten. So gewiß Christus auferstanden ist, so gewiß stehen auch alle auf, die innerlich aus ihm den neuen Menschen angezogen haben. Diese unsere Auferstehung sollten wir aber ununterbrochen im Auge haben. Die Sache ist so wichtig, sie erfordert so viel Fleiß. „Ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage“, spricht der Herr. Und Paulus sagt (Phil. 3, 20): „Welcher unseren nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe“.

Derselbe, der spricht: „Ich will euch ein neues Herz geben„, derselbe macht auch den Leib neu. Das wird dann ein wahrhaft neuer Leib oder ein neues Kleid sein, das nie veraltet, das durch und durch mit göttlicher Klarheit durchdrungen ist. Es ist unbegreiflich, daß die Menschen dagegen so gleichgültig sein können.

3. „Siehe, ich mache alles neu.“ – „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde.“

Damit geht es nicht, wie bei dem Leib; die Erde wird in jedem Fall eine neue, aber nicht für jeden. Wer den neuen Leib nicht hat, ist kein Erbe, kein Bewohner und Besitzer der neuen Erde. Die müssen hinaus in die Fremde, von der heimatlichen Erde hinweg. „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen“ (Matth. 5, 5). Die neue Erde ist wiedergeboren, von oben geboren. Wer auf die jetzige Erde einen geringen Wert legt, wer sucht, was droben ist und nicht nach dem trachtet, das auf Erden ist, der wird die neue Erde erben und bewohnen. Auf der neuen Erde wird Gerechtigkeit, d.h. Gott selbst wohnen; darum wird sie nimmer veralten, sondern in ewiger Jugend und Schönheit blühen. Da wird es dann [nach J.J. Schütz] erst recht heißen:

Der Herr hat es alles wohl bedacht
und alles, alles recht gemacht.
Gebt unserm Gott die Ehre!

Amen.

(gehalten 1844)

M. Gottlob Baumann, Pfarrer in Kemnat bei Stuttgart: Neunundsiebenzig Predigten über die Evangelien des zweiten württ. Jahrgangs auf alle Sonn-, Fest- und Feiertage. Dritte Auflage, Unveränderter Abdruck. Quell-Verlag der Ev. Gesellschaft, Stuttgart.

Schriftstellen:

Und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht zu mir: Schreibe; denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß! (Offb. 21, 5)

Ihr habt den neuen Menschen angezogen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat. (Kol. 3, 10)

Ja, ich achte es noch alles für Schaden gegen die überschwengliche Erkenntnis Christi Jesu, meines HERRN, um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet, und achte es für Kot, auf daß ich Christum gewinne. (Phil. 3, 8)

Welcher unsern nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe nach der Wirkung, mit der er kann auch alle Dinge sich untertänig machen.
(Phil. 3, 20)

Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. (Matth. 5, 5)

Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. (Matth. 25, 29)