Fünfte Predigt – Von dem kläglichen Fall der Seele und dem Verderben der Sünde (Scriver, Christian) –

Röm. 5, 12: Durch Einen Menschen ist die Sünde In die Welt gekommen etc.

Eingang. Im Namen Jesu. Amen!

Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! ruft Jesaias, als er den Fall des Königs zu Babel im Geist vorhersah. Könige und Fürsten sind von Gott hoch über Andere erhoben, und mit Ehre, Macht, Reichtum und Herrlichkeit ausgestattet, daß sie, wie der Morgenstern vor andern Sternen, vor andern Menschen glänzen und leuchten sollen. Wenn sie sich aber ihrer Macht und Herrlichkeit wegen erheben, und dieselben zur Verachtung Gottes, zur Ueppigkeit und zur Ungerechtigkeit mißbrauchen, so ist es Ihm ein Leichtes, daß Er sie herunterstürzt von ihrer Höhe, daß Er Schmach kommen läßt über die Fürsten, und sie zu einem verachteten Lichtlein, ja zu Nichts macht. Die Raketen steigen geschwind in die Höhe und geben einen leuchtenden Glanz von sich; wenn sie aber auf’s Höchste gekommen sind, so haben sie sich selbst aufgezehrt, und es bleibt nichts übrig, als ausgebranntes Papier, das herunterfällt und zertreten wird. An diesen Dingen pflegen sich die hohen Häupter der Welt zu ergötzen, wenn sie sich recht herrlich und fröhlich zeigen wollen.

Ach, daß doch Alle diese Herrlichkeit so ansehen möchten, wie einst ein großer Monarch, der kurz vor seinem Ende sich mit einer Rakete verglich, und seine Gedanken über die Eitelkeit der irdischen Pracht schriftlich hinterließ. Ach, daß sie sich stets an die Worte ihres obersten Lehnsherrn, dessen Reichsamtleute sie nur sind, erinnerten: „Ich habe wohl gesagt, ihr seid Götter, und allzumal Kinder des Höchsten; aber ihr werdet sterben, wie die Menschen, und wie ein Tyrann zu Grunde gehen“.

O, wie mancher Regent fällt vom Himmel (der weltlichen Pracht und Herrlichkeit) in die Hölle, in die ewige Qual und Pein, aus dem Reichtum in die ewige Armut, aus der höchsten Ehre in die tiefste Sklaverei des Teufels! Doch wir wollen diesen Gedanken nicht weiter verfolgen, sondern sagen bloß: da es so kläglich ist, und so große Bestürzung bei Jedermann verursacht, wenn ein hohes Haupt von seiner Höhe und Herrlichkeit in Schmach, Verachtung, Armut und Elend verfällt, um wie viel mehr ist es zu beklagen, daß die edle menschliche Seele durch des Teufels List verleitet, aus ihrer angeschaffenen großen Herrlichkeit in die Tiefe des äußersten Elends, aus der Gerechtigkeit in die Sünde, aus der Gnade Gottes in seine Ungnade, aus dem Licht in die Finsternis, aus dem Leben in den Tod, vom Himmel in die Hölle gefallen ist. –

Wahrlich, wenn wir uns an das, was wir in den vorigen Predigten gehört haben, erinnern, und es mit dem, was nun folgen wird, zusammen halten, so mögen wir wohl sagen: „Wie bist Du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern“. Die heiligen Engel werden ihrer Klarheit und Heiligkeit wegen Morgensterne genannt, wie der Herr zu Hiob sagt: „Wo warst du, da Mich die Morgensterne miteinander lobten, und alle Kinder Gottes jauchzten?“

Den gleichen Namen kann man auch der menschlichen Seele in dem Stande der Unschuld beilegen. Der Morgenstern ist der schönste unter allen, er heißt billig ein Wunder des Himmels, sein liebliches, helles Licht spielt so anmutig mit den silberhellen Strahlen, daß man sich daran fast nicht satt sehen kann, er geht vor der Sonne, gleichsam als kleine Sonne vorher, und ist eine Zierde des ganzen Himmels.- So war die Seele vor dem Fall, voll göttlichen Lichts, voll Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit, Freundlichkeit, Sanftmut und Demut, voll himmlischer Liebe und Klarheit. Sie leuchtete mit ihren Gaben vor allen sichtbaren Geschöpfen, war mit dem Schöpfer vereinigt, und ein erschaffenes Ebenbild seiner Herrlichkeit. Sie war eine Freude der Engel und aller Creaturen. Aber ach! welch eine schreckliche Veränderung hat sie erlitten! Ihr Licht verwandelte sich in Finsterniß, ihre Weisheit in Blindheit und Torheit, ihre Gerechtigkeit in Sünde, ihre Freundlichkeit und Liebe in Zorn und Feindseligkeit, ihre Demut in Hoffart, ihre Seligkeit in Verdammnis. Sie ist leider durch die Sünde aus einem Bilde Gottes ein Bild des Teufels, aus der Engel Lust ihre Feindin, aus einem Tempel des heiligen Geistes eine Wohnung der höllischen Geister geworden! O wie bist Du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! –

Es ist also sehr nötig, daß wir das Elend der menschlichen Seele, in welches sie durch den Sündenfall geriet, genau betrachten. Denn wenn wir dieselbe zur Erneuerung in Christo führen wollen, so muß sie zuerst ihren Schaden und ihr Verderben kennen lernen. Der Arzt kann keine Krankheit heilen, wenn er nicht ihre Ursache, Zufalle und ganze Beschaffenheit weiß; so kann auch die Seele nicht zu ihrer Wiedergeburt und Erneuerung gebracht werden, es sei denn, daß man ihren Fall wohl verstehe. Die Erkenntniß der göttlichen Gnade und Barmherzigkeit, und das Wunder der Liebe, welches durch Jesum geschehen ist, wird um so herrlicher, je mehr wir uns das Elend, aus welchem die Seele errettet wurde, vergegenwärtigen. Davon wollen wir weiter reden, und der Herr, unser Gott, leite unsere Gedanken zu seiner Ehre, wie zu unserer Erbauung durch Christum Jesum. Amen.

Abhandlung.

Wenn David seufzt: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir!“ so nennt er die Sünde eine Tiefe, und erinnert uns damit an unsern schweren, tiefen Fall, durch welchen wir von dem ewigen und allerhöchsten Gut, von Leben und Seligkeit abgefallen, und in das größte Uebel, in die höchste Unglückseligkeit, in den bittern Tod, in den tiefen Abgrund der Hölle geraten sind. Dies alles geschah durch die Sünde unserer ersten Eltern, sie ist die Mutter aller Sünden, die Quelle alles Elends. Die Vernunft kann dies freilich nicht begreifen, und es gehört mit zu dem menschlichen Elend, daß wir unser Verderben nicht verstehen, uns selbst wohlgefallen, und bei dem größten Seelenschaden noch sicher sind. Von Natur sind wir elend, arm, blind und bloß, und so lange Gott uns durch seinen Geist die Augen nicht öffnet, sprechen wir: Wir sind reich, haben satt, und bedürfen nichts. Eben deswegen stellt uns der gnädige und barmherzige Gott den ersten Sündenfall und seine traurigen Folgen in seinem Worte so oft vor Augen, damit wir klug werden, und unsere Seligkeit nur in seiner Gnade suchen.

Durch Einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, sagt Paulus, und deutet dabei auf Adam. Zwar ist Eva, die Mutter aller Lebendigen, seine Verführerin gewesen, daher der Apostel in einer andern Stelle sagt: „Das Weib ward verführt und hat die Uebertretung eingeführt; – weil er aber hier hauptsächlich von der Fortpflanzung der Sünde spricht, so schreibt er sie zunächst dem Adam, als dem Stammvater der Menschen, zu. Die Geschichte dieses Falls lesen wir ausführlich bei Moses. – Trefflich sagten die Alten: in der heiligen Schrift seien drei Kapitel besonders merkwürdig, – das dritte des ersten Buchs Mosis, welches den kläglichen Fall des Menschengeschlechts enthält, – das dritte des Evangelisten Johannis, in welchem sich der Sündentilger und Erlöser selbst vorstellt, – und das dritte des Briefs an die Römer, welches von der Rechtfertigung des armen Sünders vor Gott handelt, die aus lauter Gnade durch das Blut und Verdienst Christi dem Glauben zugerechnet wird. – Das erste kann ein christliches Herz nicht ohne Leid und Tränen der Reue, die beiden andern aber nicht wohl ohne Tränen der Liebe und Freude lesen. – Als der Satan aus Stolz von Gott abgefallen, und von Ihm zur ewigen Verdammnis verstoßen war, sah er den Menschen, welchen Gott zum Ebenbild geschaffen hatte, mit neidischen Augen an. Es verdroß ihn, daß der Mensch in der Wahrheit bestehen sollte, aus welcher er selbst gefallen war, und weil er trotz seiner Feindseligkeit gegen Gott seinen Grimm an Ihm nicht auslassen konnte, so wollte er es an den Menschen tun. Auch hielt er es in seiner Verdammnis für einen Trost, (die Hölle hat sonst keinen, auch nicht einen Tropfen), wenn er noch viele Andere mit sich in’s Elend stürzen konnte. Dies kann man an dem teuflischen Betragen aller Bösewichte deutlich sehen. So z. B. wünschte der grausame Kaiser Caligula, das ganze römische Volk möchte nur Einen Hals haben, um denselben mit Einem Streich abhauen zu können. Ferner wurde vor wenigen Jahren in Schlesien ein Wildschütze hingerichtet, der einige hundert Menschen ermordet hatte. Dieser bekannte, daß, wenn er an einen Ort gekommen sei, wo viele Menschen versammelt waren, z. B. in der Kirche, er sich sehnlich gewünscht habe, alle zu erwürgen, und es sei eine große Lust für ihn gewesen, das Wimmern und die Schmerzen der verwundeten und sterbenden Menschen anzusehen. Dies ist die Art des Teufels, er ist ein Mörder von Anfang an. Er sucht seine Lust und seinen Trost im Verderben der Menschen. Zum Werkzeug seiner Arglist wählte er eine Schlange. Einige, halten dafür, daß dieselbe vor dem Sündenfall ein liebliches Tier gewesen sei, welche sich besonders zu den Menschen gehalten habe, weswegen die Eva um so weniger einen Betrug vermutete. – Noch jetzt ist es so, daß der Satan sich gerne unter einem schönen Mantel verbirgt und sein Gift aus goldenen Bechern einschenkt; darum sollen wir bei Dingen, die in die Augen fallen und unserem Fleisch angenehm sind, um so behutsamer sein. Ganz unnütz aber ist die Frage, was für eine Schlange es gewesen sei; und es bringt offenbar mehr Nutzen, über den Schaden, den sie angerichtet, zu seufzen, und den himmlischen Arzt um Hülfe anzurufen.

Der Satan hat in Schlangengestalt durch List und Betrug die Menschen in’s Verderben gestürzt, indem er Gottes ausdrückliches Verbot in Zweifel zog, und sprach: „Sollte Gott gesagt haben, ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten, besonders von den edelsten und besten? Ihr werdet es vielleicht nicht recht verstanden haben, oder gönnt euch Gott die Glückseligkeit nicht, die euch durch den Genuß dieser Frucht zu Teil würde: Er weiß gar wohl, welches Tags ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott, und wissen, was gut und böse ist.“ –

Sehet, so mußte der getreue und wahrhaftige Gott dem Erzlügner ein Lügner, und dem neidischen Feind ein mißgünstiger Herr sein. Der Mensch ließ sich überreden, daß es der Satan gut, Gott aber übel mit ihm meine. Die ewige Treue und Wahrheit mußte Lüge, und die Lüge Wahrheit sein. Noch jetzt hat er die Gewohnheit, sich freundlich zu stellen, und unter dem Scheine des Wohlmeinens die Menschen zu verführen. Darum lasset uns wachsam und vorsichtig seyn; denn wenn der Teufel brüllt, wie ein hungriger Löwe, wenn er Feuer- und Wasserströme ausspeit, wie ein Drache, so ist er nicht so gefährlich, als wenn er sich verstellt, und als Engel des Lichts den Menschen schmeichelt und sie liebkoset. –

Diese Schmeichelei gefiel der schwachen Eva, sie ließ sich verführen, und verleitete durch freundliches Zureden auch ihren Mann, so, daß beide von der verbotenen Frucht aßen.- Dieß betrachte man aber nicht als etwas Geringes. Die Vernunft denkt, was liegt an einem Apfel? Soll es wohl eine so große Sünde seyn, einen Apfel zu brechen und zu essen, daß es das Mißfallen Gottes nach sich zieht? O Mensch, es ist nicht um den bloßen Imbiß zu thun, sondern in dieser Uebertretung liegt eine solche Menge anderer Sünden, daß es kaum zu sagen ist. Bei diesem Apfelbiß war Unglaube und Ungehorsam gegen Gott. Der Mensch ließ das Wort Gottes aus dem Herzen, und räumte sein Inneres dem Satan und seinen Lügen ein. Er traute dem betrügerischen Feind mehr, als seinem treuen Schöpfer, er fiel von diesem ab und hing sich an den Satan. Hoffart und die Begierde nach göttlicher Ehre trieb den Menschen an, daß er sich gegen seinen Gott empörte, als wollte er sein eigener Herr seyn, sich selbst regieren und versorgen, und ohne die Fürsorge und Aufsicht Gottes glücklich durch sich selbst werden. Damit war eine große Undankbarkeit gegen den gütigen Gott verbunden, der ihn nicht allein mit so vielen herrlichen Gaben ausgestattet, sondern auch in den Besitz aller Geschöpfe gesetzt und sie ihm zum Dienste gegeben hatte. Es war eine große Nachlässigkeit, daß er seine Fähigkeiten nicht besser anwendete, um den Anfechtungen des Satans zu widerstehen.

Auf diesen betrübten Fall folgte bald eine klägliche Veränderung. Sobald sich der Mensch durch Unglauben und Ungehorsam von Gott wendete, ging das Ebenbild Gottes, welches in Heiligkeit und Gerechtigkeit, in Weisheit, Ruhe, Friede und Freude der Seele bestand, verloren, und des Satans Bild – Unreinigkeit, Bosheit, Blindheit, Feindseligkeit gegen Gott, Furcht und Schrecken – trat an dessen Stelle. Der Satan wußte sich durch seine trügerischen Worte in dem menschlichen Herzen Eingang zu verschaffen, er hauchte demselben die Sünde ein, und erfüllte es ganz mit seiner Bosheit. Der Verstand ist nun verblendet, und voll Finsterniß, der Wille von Gott abgewendet, ungehorsam und widerspenstig, die Liebe zu Gott ist in Haß und Feindseligkeit, die Gemeinschaft mit Gott in ein Fliehen vor demselben, der Friede in Unfrieden und Schrecken verwandelt worden. Die Seele wurde aus einem göttlichen, geistigen und himmlischen Bild ganz irdisch, fleischlich und thierisch. Sie hat sich, ohne zu wissen wie, gleichsam mit verbundenen Augen, verleitet durch Augenlust und Hoffart, dem Satan hingegeben. Sie war ein heller Spiegel, aus welchem die Klarheit Gottes wiederstrahlte; der Satan aber hat denselben verfinstert. Sie war ein schöner Baum; aber der Teufel hat ihn so vergiftet, daß er nun zu allem Guten erstorben ist. Nun ist die Seele, die von Gott zum ewigen Leben erschaffen war, in den ewigen Tod gefallen, sie hat durch Sünde Alles verloren, und nichts behalten als Angst und Schrecken, Trübsal und Ungnade. Darum rief auch der gnädige und barmherzige Gott, bald nach dem Fall, dem Adam zu: Adam, wo bist du? Ach Adam! was hast du gethan? In welches Elend hast du dich gestürzt? Warum willst du dich vor meinen Augen verbergen? O du bist leider schon zu weit von mir gewichen, möchtest du doch mit Reue und Leid zurückkehren, und um Gnade bitten! – Es wäre genug, daß der erste Mensch, welchen Gott in Gerechtigkeit und Heiligkeit erschaffen und mit Glückseligkeit begabt hat, einen so schweren Fall gethan und sich in ein solches Elend gestürzt hätte; aber Schrecken und Trauern erfüllt das Herz, und man möchte weinen, wenn man bedenkt, was der Apostel sagt: die Sünde sey nicht bei einem Menschen geblieben, sondern sey durch ihn in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod, und es sey also der Tod zu allen Menschen hindurchgedrungen. Die Sünde, welche die Natur des Menschen eingenommen, seinen Verstand verfinstert, seinen Willen verkehrt und sein Herz vergiftet hat, pflanzte sich fort, und die Erde wurde mit sündigen Menschen angefüllt. Wie der Stamm und die Wurzel, so die Zweige. Von dem unreinen Adam konnte kein Reiner gezeugt werden. Der verdorbene Vater zeugte verdorbene Kinder, der sündige Adam zeugte Sünder, er selbst war ein Kind des Zorns, und so konnten auch bloß Kinder des Zorns entspringen. –

Daher kommt es, daß Sünder von Sündern geboren werden, daß die Erbsünde mit uns auf die Welt kommt, und uns bis in’s Grab anhängt; denn was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch. Kein Mensch ist also frei von der Sünde. Und wenn Gott vom Himmel schaut auf die Menschenkinder, daß Er sehe, ob Jemand klug sey, und nach Gott frage, so findet Er, daß sie alle abgewichen und allesamt untüchtig geworden sind; da ist Keiner, der Gutes thue, auch nicht Einer. Alle Menschen sind voll Heuchelei, Trug, Arglist und Bosheit; sie sind allzumal Sünder, und mangeln des Ruhms, den sie vor Gott haben sollen, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesum Christum geschehen ist. –

Diese letzte Hauptstelle machte auf einen der katholischen Lehrer, die sonst so viel Werth auf der Menschen Verdienst und Werke legen, einen solchen Eindruck, daß er sagte: „Dieser Spruch schlägt den Hochmuth aller Menschen nieder, benimmt ihnen allen Ruhm, erklärt sie alle für Sünder und der Ungnade Gottes schuldig, macht alle zu Bettlern, die der Gnade Gottes bedürfen, wirft sie alle Gott zu Füßen, daß sie auf Nichts, als auf seine Gnade, Güte und Barmherzigkeit sich berufen und verlassen können.“

Ach ja, wir Alle bedürfen der Gnade unseres Gottes zur Seligkeit; denn, wenn Er nach Recht mit uns handeln und uns. unsere Sünden zurechnen wollte, wer könnte vor Ihm bestehen? Dabei bleibe es; stets denke man daran, und lege sich mit allen armen Sündern zu den Füßen des gekreuzigten Jesu, und rufe: Gnade, Gnade, Herr! und nicht das Recht. – „Der Mensch hat, wie Luther schreibt, auch in seinem besten Leben Nichts, dessen er sich vor Gott und seinem Gericht rühmen könnte, und ihm gehört, wenn Gott in’s Gericht gehen will, nichts als Schmach und Schande und die ewige Verdammniß.“ – Dieß aber ist die größte Ehre und der herrlichste Ruhm Gottes, daß Er die Sünden aus Gnade vergibt, wie der Prophet sagt: „Wo ist ein Gott, wie Du bist, der die Sünde vergibt und erlässet die Missethat, der seinen Zorn nicht ewiglich behält? Du allein bist barmherzig.“ – Die Sünde geht aber nicht allein über alle Menschen, sondern sie durchdringt auch den ganzen Menschen. Sie hat alle Kräfte des Leibes und der Seele angesteckt und eingenommen; wir sind in Sünden empfangen, unsere Geburt ist unrein, so auch das ganze Leben; Fleisch und Blut ist vergiftet, selbst die Seele und der Geist ist nicht frei von dieser Unreinigkeit. Vernunft und Wille sind so durch die Sünde geschwächt, daß sie nicht bloß Gott nicht mehr lieben, sondern Ihn fliehen, und lieber ohne Gott seyn und leben wollen. Daher sagt die Schrift: „Alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist nur böse immerdar von Jugend auf.“ –

Dieß bezieht sich aber nicht bloß auf jene gottlosen Menschen, welche durch ihre Bosheit die Sündfluth herbeiführten, sondern es wird auch nachher von Noah und seinen Söhnen gesagt, um zu zeigen, daß selbst die Herzen der Frommen voll seyen von sündlichen Begierden, welche jeden Augenblick zum Ausbruch kämen, wenn Gottes Geist nicht Kraft und Stärke verleihen würde. Und diese Neigungen regen sich täglich wieder, verursachen viel Kampf, erhalten die Gläubigen in beständiger Thätigkeit, und machen ihnen ihr Leben recht sauer. – Es ist wie mit der Erde; – seitdem sie um der Sünde willen von Gott verflucht ist, daß sie Unkraut, Dorn und Disteln tragen soll, behält sie dieß immer bei. Wenn auch ein Fürst einen schönen Garten anlegt, und denselben mit den prächtigsten Blumen und Pflanzen ziert, so läßt doch die Erde nicht von ihrer Weise; sie bringt ihr Unkraut und gibt dem Gärtner unaufhörlich zu thun. So verhält es sich mit dem Herzen der Wiedergeborenen; die Sünde bleibt in ihnen, so lang sie leben, und zeigt sich täglich in Gedanken, Begierden, Worten und Werken, so, daß sie immer zu streiten, zu kämpfen und zu beten haben. – Darum sagt unser Heiland: „Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsches Zeugniß, Lästerung.“ Das Herz des Menschen ist gleichsam der Hauptsitz und die Quelle des Lebens und aller Lebenskräfte. Wenn nun die Quelle vergiftet ist, so ist alles Wasser vergiftet, welches daraus fließt. –

Alles ist durch die Sünde befleckt, so lange es nicht durch das Blut Christi und den Geist Gottes gereinigt und erneuert wird. Deßwegen bezeugt auch Paulus, daß der Leib des Menschen, wie die Seele verdorben, und mit Finsterniß und Bosheit erfüllt sey. Im Hinblick auf jenen sagt er namentlich: „Der Menschen Schlund ist ein offenes Grab, ihre Zungen sind voll Betrug, ihre Lippen voll Otterngift, ihr Mund voll Fluchens und Bitterkeit, ihre Augen voll Neid und Bosheit, und ihre Füße eilen zum Blutvergießen.“ Auch der Verstand ist kein helles Licht mehr, wie er vor dem Falle war, sondern so verfinstert, daß er die göttlichen und himmlischen Dinge nicht begreifen oder fassen kann, sondern sie für Thorheit hält. Der Wille ist verkehrt und dem Willen Gottes entgegen, er läßt sich von den bösen Begierden des Fleisches lenken, und will sich von Gottes Geist nicht regieren lassen; was die Erfahrung besser lehrt, als man es beschreiben kann. Daher dringt die Schrift, wenn sie von der Erneuerung des Menschen redet, zuvörderst auf das Herz, auf den Geist und auf das Gemüth. Es ist also nichts an dem Menschen, das durch die Sünde nicht verdorben und vergiftet wäre. –

Die Folgen der Sünde aber, in welche der erste Mensch gerieth, und die sich auf alle Menschen fortpflanzte, sind grenzenlos. Das Elend, der Jammer und die Noth, die sie mit sich brachte, ist nicht auszusprechen, wie der Apostel andeutet: „Durch die Sünde ist der Tod (d. i. allerlei leibliches und geistiges, zeitliches und ewiges Elend), in die Welt gekommen und zu allen Menschen hindurchgedrungen“; –

Schrecklich ist es, daß der Mensch, das Ebenbild Gottes, die anerschaffene Gerechtigkeit, Heiligkeit und Weisheit verloren, aus der Gemeinschaft des Höchsten gefallen, und dafür ein Kind des Zorns geworden ist, daß aus seinem Herzen Bosheit quillt, daß die Seele verkehrt, blind, und eine Feindin Gottes geworden ist. Schrecklich ist es, daß der Mensch, sobald er geboren wird, dem Fluch Gottes, und dem tausendfachen Elend dieses Lebens unterworfen ist. Wir fangen unser Leben mit Weinen an, setzen es mit Klagen und Seufzen fort, und endigen es mit Angst und Schmerzen. Das Leben und das Elend sind Zwillinge, die zu gleicher Zeit geboren werden, beisammen leben, und endlich mit einander sterben. Doch, wenn der Mensch nicht durch Christum erneuert wird, so stirbt sein Elend selbst im Tode nicht; sondern fängt dann erst recht an. O wie passend sagt Sirach: „Es ist ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen-Leben, von Mutterleibe an, bis sie wieder in die Erde begraben werden, die unser Aller Mutter ist.“ – Wohin kann der Mensch seine Augen wenden, da ihm nicht ein kläglicher Anblick entgegentritt? Sieht er sich selbst an, so ist er mehr Krankheiten und Widerwärtigkeiten unterworfen, als er Glieder an seinem Leibe hat, und wenn man sein Leben köstlich nennt, so ist es Mühe und Arbeit. Oft kommt es so weit mit ihm, daß er, wenn er gleich Niemand betrübt, sich selbst zur Last wird, und sich mit traurigen Gedanken plagt. Wir sind manchmal voll Unmuth und Traurigkeit, ohne zu wissen warum; denn die Ursache der Betrübniß ist nicht bloß außer uns, sondern zunächst in uns, und entsteht aus der Erbsünde. In wie viel Noth und Gefahr bringt sich der Mensch, daß man ihn oft nicht ohne Mitleiden und Thränen ansehen kann; was anders ist die Ursache davon, als die Erbsünde, die ihn immer zum Bösen treibt? Sieht er Andere an, so ist überall Krankheit, Schmerz, Traurigkeit, Widerwärtigkeit, Noth und Tod. Ein Mensch ist des andern Teufel, einer verfolgt und betrübt den andern, sie rechten und fechten, sie streiten und kriegen mit einander, und einer macht dem andern das Leben sauer; und dieß thun nicht allein Fremde und Auswärtige, sondern auch Freunde und Einheimische, nach dem Wort: „Des Menschen Feinde sind seine eigene Hausgenossen.“ Ein Ehegatte ist oft der Plagegeist des andern, obgleich Gott den Ehestand zur Erleichterung der Mühseligkeiten dieses betrübten Lebens angeordnet hat. Die Kinder, welche den Eltern ohnehin so viele Mühe und Sorgen machen, sollten ihre Freude seyn, und machen ihnen meistens nichts als Herzeleid. Was eine Blume seyn sollte, wird eine Distel, und der Weinstock, von dem die Eltern süße Trauben hofften, wird ein Dornstrauch und trägt nur saure und herbe Früchte. Unter den Menschen sollte einer an dem andern einen Tröster haben, wie denn Gott einem Jeden seinen Nächsten empfohlen hat; einer sollte des andern Freund und Stab seyn, worauf sich sein Herz verlassen könnte; allein die meisten Freunde sind wie Rohrstäbe, welche, wenn sich Jemand darauf lehnt, zerbrechen und ihn verwunden. –

Doch es gehört mehr Zeit und Beredtsamkeit dazu, das menschliche Elend ausführlich zu beschreiben; daher wollte ich nur mit Wenigem andeuten, wie viel Trübsal und Herzeleid die Sünde in die Welt gebracht habe. –

Das Schrecklichste, was aus dieser giftigen Wurzel entspringt, ist der zeitliche und ewige Tod. Der Mensch fängt an zu sterben, wenn er zu leben beginnt, er trägt die Sünde, und der Sünden Sold in der Brust, auch wenn er sich wohl befindet, und weit vom Tod entfernt ist. Paulus nennt den gesunden und lebendigen Leib einen Leib des Todes, und spricht: Der Leib ist todt um der Sünde willen. Er ist dem Tode unterworfen, der Tod hat sich in alle seine Glieder gesetzt, und nagt täglich an seinem Herzen, wie ein Wurm im Apfel. Sicht man einen Schwindsüchtigen, der bleich und kraftlos einhergeht, so sagt man: der ist des Todes. Das Gleiche kann man auch von einem Gesunden sagen, der so gut als Jener den Tod im Busen trägt, obgleich derselbe nicht so sichtbar ist. Hier ist kein Unterschied, als der, der zwischen einer halbverwelkten und noch frischen Blume stattfindet; diese verwelkt, wie jene, nur etwas später; die Sünde ist ein Gift, das den einen bälder, den andern später zu Grunde richtet. Wie der Tod den menschlichen Körper zurichtet, bezeugt der Augenschein; er zerreißt das Band der natürlichen Vereinigung des Leibes und der Seele, und, wenn diese Abschied genommen hat, so bleibt nichts als eine hinfällige Hütte, die durch Verwesung eine Hand voll Asche wird. Dieß alles wäre zu ertragen, und, weil es nicht zu ändern ist, auch einen wie den andern trifft, geduldig anzunehmen; aber das ist das schrecklichste, daß die Seele, wenn sie ohne Gottes Gnade in ihrem natürlichen Zustande bleibt und so abscheidet, den Fluch Gottes auf sich behält in Ewigkeit. Ist die Seele nicht durch Christi Blut gereinigt, so nimmt sie die Sünde mit vor Gottes Gericht, und wird um derselben willen zum ewigen Tode verdammt. Sie hat sich dem Satan ergeben, und muß seine Sklavin seyn in Ewigkeit, sie bleibt von Gott geschieden und ewiglich verstoßen von seinem Angesicht. Siehe also, o Mensch, was der Fall unserer ersten Eltern, und was die Sünde sey, die leider in uns Allen wohnt!

Ach Adams Fall und Missethat,
Soll gänzlich auf uns erben,
Ach Gott, schaff‘ Du hier guten Rath,
Daß wir nicht ewig sterben.
Laß uns nicht blind und sicher seyn,
In aller Trübsal, Angst und Pein,
O Herr, erbarm Dich unser!

Lasset uns also diese wichtige Lehre stets wohl zu Herzen nehmen, dem Teufel mit allen seinen Werken und Wesen absagen und vorsichtig wandeln, daß wir seinen Zumutungen, wenn sie auch noch so lieblich sind, nicht trauen, sondern uns ihm, dem ewigen Feind unseres Gottes und unserer Seelen, mit Freudigkeit, in der Kraft des heiligen Geistes, widersetzen. Was der Satan von Anfang war, das ist er noch, ein Lügner. Er redete aus der Schlange als Freund, und war innerlich der erbittertste Feind; er hatte Honig auf der Zunge, aber Gift und Galle im Herzen; – so geht es noch heute. Der Teufel redet zwar nicht mehr aus der Schlange, sondern aus den Menschen, die er verleitet, und deren Herz er eingenommen und besessen hat; und diese sind oft unsere nächsten Freunde und Angehörige. Oft redet er durch weltlichgesinnte und gottlose Ehegatten, oft durch einen irdischgesinnten Freund, oft aus einem gelehrten, geehrten und angesehenen Mann. –
Hier gilt es! hier ist Noth, vorsichtig zu wandeln, zu beten, zu wachen, und zu kämpfen, damit wir nicht vom Satan unversehens berückt werden. Er ist in dieser letzten Zeit eben so thätig, wie immer, wiewohl sehr heimlich; er stellt sich, als sey er über tausend Meilen weg, und sitzt doch einem angesehenen, mächtigen und boshaften Gottesläugner im Herzen und auf der Zunge, und sucht durch denselben die unschuldigen Herzen zu verführen. Er würde es gerne sehen, wenn wir uns überreden ließen, daß entweder gar kein Teufel oder keine Hölle, oder daß er nicht so feindselig, so listig und begierig nach der Menschen Verderben sey, als er beschrieben wird. Und um dieses der Welt beizubringen, läßt er es sich in seinen lieben Getreuen, den heutigen Spöttern, sehr sauer werden. –
Ein berühmter Mann bemerkt: daß die Gottesläugner so gar gerne von ihrer gottlosen Meinung reden, und dieselbe zu vertheidigen sich bemühen, und glaubt: sie thun es deßwegen, weil sie ihrer Sache nicht ganz gewiß seyen, (was nicht fehlen kann; denn das Gewissen widerspricht ihnen), und mit dem Beifall Anderer sich zu beruhigen suchen. Ich gebe es zu, glaube jedoch, daß der Satan, der ihr Herz beherrscht, sie stets antreibe, nach seinem Gefallen zu reden und Andere zu verführen. –

Manche läugnen zwar, daß es einen Teufel gebe; allein der Christ kann dieser Meinung wohl begegnen; ohne sich auf die Zeugnisse der heiligen Schrift und die häufigen Erfahrungen zu berufen, will ich bloß auf das Elend hinweisen, in welches wir durch des Teufels List gerathen sind. Gibt es keinen Teufel, woher kommt denn so mancherlei Sünde und Schande, so große Grausamkeit und Bosheit der Menschen? Woher kommt so viel Krieg und Blutvergießen, so viel Verwüstung, so viel Widerwillen, Feindseligkeit und Bitterkeit, auch unter Ehegatten, Eltern und Kindern, Schwestern und Brüdern? Es ist gerade, wie wenn man auf dem Felde eine zerstreute Herde Schafe finden würde, von denen einige voll Angst hin und her liefen, andere aber in ihrem Blute lägen, und Jemand wollte den Hirten glauben machen, es sey kein Wolf mehr im Lande. –

Wie wollten wir zweifeln, daß es einen Teufel gebe, da wir doch seine Bosheit, Grausamkeit, Feindseligkeit, und Arglist in seinen Werkzeugen täglich wahrnehmen, und so viel Unglück und Elend, das weder von dem gütigen und heiligen Gott, noch von der Natur, wie sie von Gott erschaffen ist, herrühren kann? Damit du aber, o Christ, den listigen und reizenden Versuchungen des Teufels zu begegnen wissest, so stelle dir öfters den betrübten Sündenfall unserer ersten Eltern vor, und denke an das Elend, in welches sie und wir dadurch gerathen sind. Und laß dir dieß zum Beweis dienen, wie listig und boshaft der Satan sey. –

Alles, was dich vom Worte und Gehorsam Gottes, von der Liebe und Hochschätzung des Gekreuzigten, von der Gottseligkeit, von der Furcht vor dem göttlichen Gericht und der Hölle, von der Hoffnung des Himmels und der Seligkeit abbringen will, das rührt vom Teufel her, und wenn er auch in der Gestalt eines Engels redete. Wenn Jemand Gottes Wort in Zweifel zieht, so halte denselben für ein Werkzeug des Satans, und glaube fest, daß ihm derselbe im Herzen und auf der Zunge sitze, und eben so gewiß aus ihm rede, als er einst im Paradies aus der Schlange geredet hat. Widersprich ihm, und wenn keine Hoffnung da ist, ihn zu gewinnen, so meide ihn wie die Pest, und mache dich seiner Gottlosigkeit auf keinerlei Weise theilhaftig. Verschließen die Gottlosen ihre Ohren, wenn die Frommen von ihrem Erlöser und ihrer Hoffnung auf ein anderes Leben reden, so lasset uns vielmehr die Ohren verschließen, wenn der Satan aus einem gottlosen Menschen spricht. Lasset uns auch dem Teufel, als dem Haupturheber unseres ganzen Elends, von Herzen feind seyn, und täglich unsern Taufbund erneuern, und mit der alten Kirche sprechen: „Ich sage dir ab, Satan, und halte mich zu Dir, mein Herr Jesu“ Lasset uns aus allen Kräften des Satans Reich zerstören, und das Reich Christi vermehren helfen, und Gott herzlich bitten, daß er uns vor des Teufels Macht und List bewahren möge.
Gebrauch der Lehre von der Erbsünde.

In dieser wichtigen Lehre findet sich sehr viel, was wir theils auf uns selbst, theils aus Andere anwenden können. Sieh, o Mensch, ich und du und wir Alle sind leider auch mit diesem Gift befleckt. Die Erbsünde, die Wurzel aller wirklichen Sünden, hat ihren Sitz auch in unserem Herzen, und dasselbe ist von Natur nichts anders, als eine vergiftete Quelle, und ein Acker voller Unkraut, und es ist keine Sünde so groß, deren Samen nicht in unserem Herzen verborgen liegt. Bleibt das Herz sich selbst überlassen, so steht es mit dem Satan im Einverständniß, und läßt sich von demselben zu schlimmen Handlungen hinreißen. Die bösen Lüste sind die betrügerischen Rathgeber, die bösen Gedanken sind die Unterhändler und die Welt ist die Zuträgerin; daher kommt es, daß wir häufig von unserem eigenen Herzen verrathen werden, ehe wir daran denken. Dieß haben von jeher die Frommen und Heiligen eingesehen und über die Verdorbenheit ihres Innern so schmerzlich geklagt. Jeremias nennt das Herz ein trotzig und verzagt Ding; und Paulus bekennt: „Ich weiß, daß in mir, d. i. in meinem Fleische nichts Gutes wohnt; ich habe Lust an Gottes Gesetz, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüth, und nimmt mich gefangen in der Sonden Gesetz. O ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?! Ebenso bezeugt ein Einsiedler: „er habe zwar Alles verlassen, aber seines bösen Herzens könne er doch nicht los werden.“ Luther schreibt: „er fürchte sich mehr vor seinem eigenen Herzen, als vor dem Pabst mit allen seinen Cardinälen.“ Ein anderer berühmter Lehrer sagt: „Keiner kann sein Herz recht sehen oder kennen; ja das Herz ist oft unser größter Feind, und es hat ein Jeder, er sey, wer er wolle, genug zu thun für sich, um dasselbe zu zähmen und zu stillen, was alle Heiligen bis in’s Grab erfahren haben und bezeugen müssen.“ Damit stimmt, auch der geistreiche Arndt überein: „Es ist Keiner,“ sagt er, „so heilig, so fromm, so rein, daß er nicht täglich an seinem bösen Herzen etwas zu bessern hätte.“ – O wie manchem gottseligen Menschen entleidet das Leben so sehr, daß er sich lieber den Tod wünscht, um seines Feindes einmal los zu werden! Denn obgleich die Wiedergebornen mit demselben täglich kämpfen und ringen, so dünket ihnen doch, als sey alle ihre Mühe und Arbeit umsonst. Sie meinen zwar, sie haben die Begierden des Herzens unterdrückt, haben dasselbe gereinigt, damit es dem Geist ohne Widerspruch gehorchen möge; aber es läßt doch seine Unart bald wieder blicken. Es gleicht einem Gefäße mit trübem Wasser , in welchem der Schlamm sinkt und das Wasser klar wird, so lang es still steht; aber eine kleine Bewegung kann Alles wieder trüb und unrein machen. Es mischt oft seine Unart unter die heiligsten Uebungen, daß auch das Gebet, die Andacht, die gottseligen Betrachtungen, die Werke der Liebe rc. nicht ganz frei sind von Eigenliebe und geistigem Stolze. Oft, wenn man am brünstigsten beten will, stiehlt sich das Herz gleichsam weg, wie ein muthwilliger Knabe, der während des Gottesdienstes aus der Kirche schleicht und seinem Spiel nachläuft. O wie viel Mühe kostet es, wenn man eine gottselige Betrachtung über himmlische Dinge oder eine Gewissensprüfung anstellen will! Wie unstät und flüchtig zeigt sich das Herz bei solchen heiligen Unternehmungen, und wie richtig ist die Meinung eines Engländers, welcher die geistlichen Betrachtungen der Heiligen mit einem Fernrohr vergleicht, das zwar gen Himmel gerichtet ist, aber von einer zitternden Hand gehalten wird, so daß man eigentlich nichts erkennen kann. Auch David deutet auf die Wankelmuth seines Herzens, wenn er betet: „Erhalte mein Herz bei dem Einigen, daß ich Deinen Namen fürchte;“ d. i. der Herr möge die mancherlei flüchtigen‘ Gedanken seines Herzens sammeln, daß sie ihm in seinen gottseligen Uebungen nicht hinderlich wären. Deßwegen sagt er auch in einer andern Stelle: „Dein Knecht hat sein Herz gefunden, daß er dieß Gebet zu Dir betet.“ Damit gibt er zu verstehen, daß man vor dem Gebet oder vor irgend einer andern heiligen Uebung das unstäte und flatterhafte Herz gleichsam suchen und von den irdischen Dingen zurückrufen müsse, wie man die Kinder, die sich zum Spiel zerstreut haben, zum Gebet und zur Schule suchen muß. – Sehet! das ganze Verderben unseres Herzen rührt von der Erbsünde her. Daher ist es die größte Thorheit, wenn der Mensch sich vor Gott seiner Heiligkeit und Frömmigkeit rühmen, und durch eigene Gerechtigkeit den Himmel erlangen will. Es ist gerade, wie wenn ein Bettler in seinen Lumpen prangen, oder ein Alberner sich einbilden wollte: er sey ein königlicher Prinz. Ich glaube vielmehr, daß eine gründliche Betrachtung der Erbsünde und eine genaue Erkenntniß unserer selbst hinreichend sey, alle Eigenliebe, alle Einbildungen des alten Menschen, allen geistigen Stolz und heuchlerische Prahlerei mit eigenen guten Werken zu unterdrücken. Wer aber diesem noch ergeben ist, der mag sonst recht viel wissen; allein sich selbst und die Tiefe seines Herzens hat er noch nicht erkannt, und so lange er in diesem Zustande bleibt, ist er vor Gott ein Greuel, und weil er sich für Etwas hält, ist er Nichts, und wenn gleich die ganze Welt ihn für einen Heiligen halten würde.

Nichts hilft sein eigen‘ Heiligkeit,
Sein Thun ist ganz verloren,
Die Erbsünd‘ macht’s zur Nichtigkeit,
Darin er ist geboren,
Er kann sich selbst nicht helfen.

Darum, o Christ, gewöhne dich daran, dein Herz oft zu untersuchen und eine genaue Prüfung deiner Gedanken, Neigungen und Begierden anzustellen, damit sich kein Vertrauen auf dich selbst und keine falsche Einbildung von Heiligkeit bei dir einschleiche. Schone dich nicht, sondern züchtige dein Herz mit Gottes Wort, und richte es nicht nach eigenem Gutdünken, sondern nach dem Gesetz des Herrn – du wirst gar bald finden, daß mehr Greuel und Unreinigkeiten in demselben sind, als du glaubst. Es werden dir Gedanken begegnen, vor denen du erschrecken wirst, und die du vor Scham keinem Menschen zu entdecken wagst, welche aber doch dem allwissenden und heiligen Gott bekannt sind. Du wirst einen heimlichen Haß wider den Herrn, ein beständiges Tadeln seiner Wege, eine unaufhörliche Unzufriedenheit, ja einen Widerwillen, ihm zu dienen, in dir finden; – lauter Sünden wider das erste Gebot, – um nichts von der Eigenliebe, dem Eigenwillen, der Hoffart, der Feindseligkeit und Bosheit zu sagen. Wie könnte also ein Herz, das von Natur voll sündlicher Begierden und Feindschaft wider Gott ist, sich rühmen und auf seine Frömmigkeit pochen? „Siehe, unter seinen Heiligen ist keiner ohne Tadel und die Himmel sind nicht rein vor Ihm, wie viel weniger der Mensch, der ein Greuel und schnöde ist, der Unrecht trinkt wie Wasser?“ Die Erbsünde erregt in ihm eine immerwährende Begierde, Böses zu thun, so, daß er oft nicht ruhen kann, bis er seinen sündlichen Willen erfüllt hat.

Bedenkst du dieß, o Christ, so wirst du des Rühmens wohl vergessen, und auf Nichts als auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit in Jesu Christo bauen. Denn wenn auch die Erneuerung in dir durch die Gnade des Höchsten ihren Anfang genommen hat, und wenn du gleich täglich mit der Sünde streitest und sie nicht in dir. herrschen lässest; ja, wenn du schon nach dem inwendigen Menschen beginnst, Lust zu haben an Gottes Gesetz und seinen heiligen Willen mit Freuden zu vollbringen, auch durch des heiligen Geistes Beistand anfängst, dich in der wahren Gottseligkeit zu üben, und Gott und Menschen von Herzen zu dienen, so wirst du es doch nicht weiter bringen als der Apostel Paulus. Dieser bezeugt mitten im Laufe seines Amts und Christenthums: „Das Wollen habe er zwar wohl; aber das Vollbringen finde er nicht, er fühle ein anderes Gesetz in seinen Gliedern, welches dem Gesetz des Gemüths widerstrebe und ihn unter das Gesetz der Sünde gefangen nehme.“ –

Obgleich er sich also keiner muthwilligen Sünde bewußt war, so hielt er sich doch hierin nicht für gerecht, wollte sich auch Nichts rühmen, als des Kreuzes Jesu Christi, auch von keiner eigenen Gerechtigkeit wissen, sondern sich allein auf die Gerechtigkeit Jesu verlassen, die dem Glauben zugerechnet wird. Darum, o Christ, lerne wohl unterscheiden, was dein eigenes und fremdes Gut ist, was dir und was deinem Gott zusteht. Wenn du Alles wohl bedenkst, so bleibt dir Nichts als die Sünde, Schmach und Schande, Gott aber gehört alles Andere. Wenn Gott das wegnimmt, was er dir aus Gnaden gegeben hat, so bleibt dir Nichts als ein unreines Herz voller Greuel und Bosheit. –

Lerne daher auch demüthig und sanftmüthig seyn gegen deinen Nächsten, habe Geduld mit seinen Fehlern und Schwachheiten und enthalte dich alles lieblosen Richtens, habe Mitleiden mit ihm, wenn er strauchelt und fällt, bete für ihn und hilf ihm, so viel an dir ist, mit sanftmüthigem Geiste wieder zurecht. Der irrende Nebenmensch ist ein Spiegel, darin du deine eigene Unarten sehen kannst. Die Sünde, die in ihm wohnt, hat ihn zu Falle gebracht, sie wohnet auch in dir; zieht Gott die Hand ab, so kannst auch du fallen. Heute fällt er, morgen vielleicht ich oder du, heute bedarf er meiner und deiner Sanftmuth und Geduld, morgen bedürfen wir vielleicht derselben. Siehst du deinen Nächsten sündigen, so laß es dir eine Warnung seyn und dich zu größerer Vorsicht und zu mehr Eifer im Gebet antreiben. Er ist gefallen , du stehst aber noch auf dem gleichen schlüpfrigen Boden; hast du auch nicht die nämlichen Sünden begangen wie er, so bist du vielleicht ein Sklave von heimlichen, oder hast du einige Fehler an dir, die du aus Gewohnheit nicht mehr achtest, und bist also vor Gott in einem gefährlicheren Zustand, als ein offenbarer Sünder. – Doch, wenn du dich auch der Unschuld und Heiligkeit nach Kräften befleißigst, wenn man das Leben Christi an dir wahrnimmt, so mußt du wissen, daß zwischen dem größten Sünder und dir kein Unterschied ist, als der zwischen einem gepfropften und ungepfropften wilden Stamme; jener bringt gute Früchte, aber nicht aus sich selbst, sondern durch das gute Reiß, welches ihm eingepfropft wurde; würde das Reiß abgeschnitten, so dürfte sich bald zeigen, daß er eben so wild ist, wie dieser. In Adam sind wir Alle gleich, der größte Heilige ist nicht besser als der größte Sünder; der Vorzug kommt von Gottes Geist und Gnade, wenn diese verloren sind, so ist jener so gut ein Kind der Hölle, als dieser.
Aus der Lehre von der Erbsünde folgt ferner eine Ermahnung an alle christliche Eltern, daß sie auf ihre Kinder um so fleißiger Acht haben und um so mehr für ihre gottselige Erziehung sorgen sollen. – Die meisten Eltern lieben ihre Kinder bloß fleischlich, nicht in Gott und nach Gott; sie lieben die Kinder und zugleich die Sünde, die in ihnen wohnt, sie lassen dieselben aufwachsen, ohne ihnen einen Zwang anzuthun, und sind vergnügt, wenn sie am Leibe gesund, dem Geiste nach fähig, in den Sitten anständig und in allen Dingen nach dem Wunsche der Welt geartet sind. Ist ein Kind wohlgestaltet, schön gekleidet, freundlich und munter, so küsset man es und hält es wie seinen Augapfel; aber um den Greuel, der in dessen Herzen steckt, bekümmert sich Niemand. Man liebt die Kinder, weil sie unser Fleisch und Blut sind, ohne daran zu denken, daß wir das Gift der Sünde auf sie fortgepflanzt haben, und daß dieselben schon Kinder des Zorns gewesen sind, ehe sie geboren wurden. Zwar werden sie in der heiligen Taufe zum Reiche Gottes wiedergeboren, die Sündenschuld wird vergeben, und der heilige Geist fängt das Werk der Erneuerung in Christo Jesu an; doch bleibt die Wurzel im Herzen, und der Mensch bedarf einer guten Aufsicht und einer christlichen Erziehung. –

Daher ist vor allen Dingen nothwendig, daß die Eltern die Unarten ihrer Kinder genau kennen zu lernen suchen, und dann auf Mittel bedacht sind, um denselben zuvorzukommen und sie zu unterdrücken. Wenn ihr also, ihr christlichen Eltern, euer Kind mit wahrer Liebe ansehet, und Freude habt an dessen Schönheit, Lieblichkeit und Munterkeit, so vergesset nicht, daß aus dieser Freude leicht ein Leid und aus eurer Lust eine Unlust entstehen kann. Dieß liebe, schöne Kind, das ihr jetzt herzet, das ihr euern Engel nennet, kann ein Feind Gottes und der Menschen, ein Teufel, ein Gottesläugner, kurz ein Kind der Hölle werden. Die tägliche Erfahrung bezeugt es zur Genüge, und man sollte nicht glauben, daß in einem so kleinen, holdseligen Kinde ein solches böses Herz verborgen seye, wenn es sich nicht mit der Zeit selbst offenbarte. –

Darum liebet eure Kinder, aber mit Furcht – die Kinder sollet ihr lieben, aber die Sünde hassen, die in ihrem Herzen steckt. Es ist eine falsche, höchst schädliche Liebe, welche die Unart des Herzens nicht sehen und bestrafen will, um das Kind damit nicht zu betrüben. Es ist eine falsche Liebe, die das Kind in seiner Bosheit lachen läßt, und ihm selbst nachher ein Weinen bereitet. Demnach gebet fleißig Acht auf die allgemeinen Früchte der Erbsünde, nämlich auf den Eigenwillen, den Eigensinn, Ungehorsam, Bitterkeit, Lügen u. s. w. Uebersehet nicht, daß das Gute mit großem Fleiß in die zarten Herzen gepflanzt werden muß und doch nicht Wurzel fassen will. Es wird langsam und mit Widerwillen aufgenommen, und geschwind wieder vergessen. Das Böse aber wächst ohne Mühe von Innen heraus und verbreitet sich geschwind, besonders da es noch von der gottlosen Welt durch Aergernisse gleichsam bewässert und unterstützt wird. Ja, wenn man auch immer dagegen arbeitet und sich Mühe gibt, das Unkraut auszujäten, so zeigt es sich doch bald wieder und schlägt häufig wieder aus. –

Ein wohlverdienter Lehrer erklärte dieß durch ein Beispiel, welches ich näher angeben will: „Das ABC, sagt er, welches die Knaben in der Schule lernen müssen, ist nicht so schwer, wie Mancher glaubt; denn es sind nur 24 Buchstaben. Aber weil dasselbe, wenn es recht angewendet wird, dem Menschen nützlich ist, zu Gottes Ehre dient und dem Teufel keinen geringen Schaden zufügt, so geht es den Kindern äußerst schwer ein. Ferner gibt es mehrere Spiele mit Würfeln und Karten, – die Blätter, die Bilder, die Farben, die Zahlen rc. rc. auf denselben sind sehr verschieden, auch ist weit mehr Aufmerksamkeit und Einsicht nöthig, als beim Lernen des ABC; doch ist dieß keinem Kind zu viel, keinem zu schwer. Wir Alle haben solches schnell gelernt und Freude daran gefunden.“ –

Ebenso geht es mit dem Beten. – Ein Kind lernt manchmal bald reden und hat eine geläufige Zunge, dieß und jenes zu sagen, zu fordern, oder nachzuschwätzen; soll es aber ein kurzes Sprüchlein lernen und nachbeten, so läßt es sich sauer an, ist meistens blöde, redet langsam, und es kostet viel Mühe, bis man es mit guten Worten oder mit Drohungen dazu bringt. Darüber darf man nicht gleichgültig weggehen, geschweige denn es für Kinderei halten; sondern wir sollen es mit Seufzen als eine Frucht der Erbsünde betrachten, und demselben nach Kräften zu steuern suchen. –

Neben dem ist aber noch zu bedenken, daß jene böse Wurzel im Herzen zwar einerlei Art ist, doch sich in mancherlei Früchten zeigt, und bei dem einen Menschen auf diese, bei dem andern auf eine andere Weise zum Vorschein kommt. Ein Mensch hat z. B. viel Eigensinn und ein unbändiges, freches Wesen, der andere zeigt einen großen Leichtsinn, viel Unbeständigkeit und Wankelmuth. Ein dritter besitzt ein stolzes Herz, das alle Andere neben sich verachtet, und immer hoch hinaus will, oder hat er Neigung zur Völlerei, zur Ueppigkeit und Wollust. Noch andere sind geneigt zur Untreue, zur Unredlichkeit, zur Falschheit, zum Lügen, zum Spielen u. dergl. –

Auf solche Früchte der Erbsünde müssen verständige, gottselige Eltern bei Zeiten genau Acht haben, die bösen Neigungen ihrer Kinder gründlich kennen lernen und denselben durch Unterricht, durch liebreiche Ermahnungen, durch Warnungen und Strafen, zuvörderst aber durch ein herzliches Gebet zu begegnen suchen. Es muß ihnen daran liegen, daß die Kinder frühzeitig mit ihren Unarten bekannt und angehalten werden, wider dieselben zu kämpfen, den eigenen Willen zu brechen und dem zu entsagen, was sie oft am sehnlichsten wünschen. Daher ist nothwendig, ihnen den Taufbund deutlich zu erklären, und die Sünde als einen Greuel vor Gott, und als ein Gift der Seele darzustellen. –
So hielt es die fromme Mutter des heiligen Ludwig, Königs von Frankreich, welche öfters sagte: „sie wolle lieber ihren Sohn umkommen sehen, als daß er eine Sünde begehe.“- Die Kinder der Christen sollten billig, von Mutterleibe an, dem Herrn geheiligt und geopfert werden; denn die Erfahrung bezeugt es, daß aus solchen wirklich vortreffliche Menschen geworden sind. Ein sprechendes Beispiel haben wir an dem Samuel, welchen seine Mutter, Hanna, dem Herrn gelobte. Das Gleiche lesen wir auch von den Müttern anderer berühmten Männer ; namentlich wird von der Mutter des frommen Bernhard erzählt, daß sie die Gewohnheit gehabt habe, ihre neugebornen Kinder auf die Arme zu nehmen, und sie dem Herrn Jesu als ein Opfer zu übergeben. Sie betrachtete diese fortan nicht mehr bloß als ihre Kinder, sondern als Eigenthum des Erlösers und als ein anvertrautes Gut, das sie innigst liebte, und sorgfältig in Acht nahm. Dadurch erlebte sie auch die Freude, daß sie ihre sieben Kinder zu frommen und rechtschaffenen Menschen heranwachsen sah. – Endlich ist es eine fromme und löbliche Sitte, wenn christliche Mütter selbst unter dem Stillen ihrer Kinder einige Seufzer zum Himmel schicken und sich etwa auf folgende Weise ausdrücken: „Ach, mein Herr Jesu! ich danke Dir, daß Du mich gewürdigt hast, Mutter zu werden, und mir die Gnade verleihst, daß ich mein Kind selbst stillen kann. Ich gebe demselben die Muttermilch, flöße Du ihm, mein Erlöser, Deine Liebe und heilige Furcht ein. Ach, laß es allezeit ein lebendiges Glied an Deinem Leibe bleiben! Dämpfe in ihm die Erbsünde und alle Bosheit, gib ihm Deinen Geist und Sinn; bewahre es vor dem Aergerniß und der Verführung der bösen Welt, heilige und segne es an Leib und Seele, und laß es täglich zunehmen an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ –

Ein berühmter Prediger in Polen erzählt von sich: daß er von seinem Vater nicht nur von Kindheit an selbst unterrichtet und dem Dienste Gottes und seiner Kirche gewidmet worden sey, sondern daß dieser ihn auch an dem Tage, da er zur Schule gebracht werden sollte, mit sich zur Kirche genommen und auf den Knieen Gott dargestellt und übergeben habe. Ebenso kannte ich einen Vater, welcher die Gewohnheit hatte, daß er seine Kinder, wenn sie das gehörige Alter erreicht hatten und zum Tische des Herrn gehen sollten, zuerst über ihren Taufbund und dessen Erneuerung und Bestätigung im heiligen Abendmahl sorgfältig belehrte, dann aber in ein Kämmerlein führte, wo er sie vor sich niederknieen ließ. Er selbst kniete hinter ihnen, legte seine Hände auf ihr Haupt und opferte sie mit Thränen und einem herzlichen Gebet seinem und ihrem himmlischen Vater. –

Ach, daß alle christliche Eltern solchen Fleiß und solche Andacht zeigen, daß alle so ernstlich und herzlich mit und für ihre Kinder beten möchten! O ihr Eltern, die ihr dieses leset und höret, ich bitte euch vor Gott und dem Herrn Jesu, der da zukünftig ist zu richten die Lebendigen und die Todten, daß ihr euch dadurch bewegen lasset, über eure Kinder fleißig zu wachen, und dieß mit aufrichtigem Herzen, im Glauben, zu thun. Gebrauchet die Ruthe zu rechter Zeit, eingedenk dessen, was Salomo sagt: „Thorheit steckt dem Knaben im Herzen; aber die Ruthe der Zucht wird sie ferne von ihm treiben.“ Doch nehmet dabei zweierlei in Acht. Einmal handelt nicht im Zorn und Ungestüm; dann vergesset das Gebet nicht.

Manche Eltern können ihren Kindern lange zusehen, und ihnen, wenn sie gerade guter Laune sind, sogar Muthwillen gestatten; sind sie aber über Etwas erzürnt und durch irgend einen Zufall unwillig gemacht, so mißhandeln sie ihre Kinder bisweilen ohne Maaß und Ziel. Dadurch werden sie erbittert und scheu gemacht, daß sie keine rechte Liebe und kein Vertrauen mehr zu den Eltern haben, nichts destoweniger aber boshaft bleiben und mit größerer Vorsicht sündigen lernen. Wie es überhaupt kein Beispiel gibt, daß allzustrenge Eltern durch ihren unzeitigen Grimm wohlgerathene Kinder erzogen haben. –
Mit einer geordneten Zucht muß aber auch das Gebet Hand in Hand gehen; denn die allerstrengste Zucht ohne Gottes Gnade taugt nichts. Darum rufet den Vater im Himmel an, daß Er eure Mühe und Arbeit segnen und euch das erwünschte Ziel erreichen lassen möge. Auch Paulus schreibt, wenn er von den Pflichten gegen Gott, gegen sich selbst und de n Nebenmenschen spricht, Alles der heilsamen Gnade Gottes zu. „Es ist erschienen,“ spricht er, „die heilsame Gnade Gottes allen Menschen, und züchtiget uns, daß wir sollen verläugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt.“ So ist nun Gottes Gnade die rechte Zuchtmeisterin, welche das Herz ändern, erneuern und reinigen kann. –

Dieß verstand jener gottselige Vater wohl, welcher, wenn die Kinder fehlten, nicht sogleich im ersten Eifer strafte, sondern sich Zeit nahm, in sein Kämmerlein ging, Gott um Beistand anrief und sich wohl bedachte. Dann erst züchtigte er seine Kinder väterlich, und ließ sie dabei seine Liebe und seine guten Absichten empfinden. Noch ist übrig, daß wir denen Etwas zum Troste geben, welche über ihr verderbtes Herz und die Macht der Erbsünde sehnlich klagen und oft sehr betrübt sind. Ach, sprechen sie, woher kommen denn alle die gottlosen und unreinen Gedanken, die täglich und stündlich in uns aufsteigen? O ich elender Mensch, was ist doch mein Christenthum! Ich habe genug zu thun, um den sündlichen Lüsten und Begierden zu wehren; was soll ich Gutes thun, da ich das Böse nicht meiden kann, welches sich auch in meine besten Gedanken mischt? Wie soll mein Christenthum Gott gefallen, da es mir armen, elenden Menschen selbst nicht gefallen kann? –

O Christ, glaube es mir, es ist gewiß keine geringe Gnade, wenn wir die in uns wohnende Sünde erkennen, sie für den gefährlichsten Feind halten und mit ihr täglich im Kampfe begriffen sind. Sehen wir unser Elend und beklagen dasselbe, so ist es ein Beweis, daß Gottes Gnade an unserem Herzen arbeitet; denn bei dem Unwiedergebornen und Unbußfertigen ist die Erbsünde eine unerkannte Sünde. Darum nennt auch David die Erkenntniß seiner verderbten Natur eine heimliche Weisheit, und eine Gabe des Höchsten. –

Ebenso ist es eine Gnade Gottes, wenn wir keinen Gefallen an uns selbst finden. Der Elendeste und Verachtetste in seinem Herzen ist der Liebste und Angenehmste bei Gott, und darf sich dessen freuen, was der Herr zu dem Propheten spricht: „Ich sehe an den Elenden und den der zerbrochenen Geistes ist, und der sich fürchtet vor meinem Wort.“ Indem wir mit der Sünde kämpfen und einen Haß wider dieselbe zeigen, dienen wir zugleich Gott, und schon unser guter Wille gefällt Ihm wohl. O wie angenehm sind Ihm die Thränen, die in einem solchen Streite vergossen werden! Doch sollen wir dabei nicht bloß auf uns selbst und auf unser Herz sehen, sondern zuvörderst auf Jesum Christum, den Gekreuzigten, und dessen reinstes Herz, aus welchem wir das nehmen müssen, was uns fehlt. Eben deßwegen läßt ja Gott die Sünde in unserem Fleische, daß wir erkennen mögen, wie sehr wir einer fremden Gerechtigkeit und Heiligkeit bedürfen, und daß wir Jesum Christum, den Gekreuzigten, die Gabe Gottes, über Alles hochschätzen lernen. Dieser muß wachsen, wir aber abnehmen, dieser muß Alles, wir sollen Nichts seyn. Wir müssen uns zwar eines reinen Herzens nach Kräften befleißigen; doch wenn wir eine Freudigkeit vor Gott haben wollen, so ist es umsonst, daß wir dieselbe in uns suchen. Diese kann uns nur das gänzliche Vertrauen auf Jesum Christum verschaffen, dessen Blut uns rein macht von allen Sünden. –

Jeremias spricht: „So wasche nun Jerusalem dein Herz von der Bosheit, auf daß dir geholfen werde“. Ach ja, Herr! alle unsere Herzen sind unreine Gefäße, sie bedürfen des Wassers wohl. Wo finden wir aber ein Wasser, welches diese tiefsitzende Unreinigkeit wegnehmen könnte? – Es gibt kein anderes, als das Strömlein, welches aus der Seite Jesu geflossen ist; dort wollen wir unser Herz waschen, damit es Dir gefällig werde. Entsündige uns Herr Jesu! mit Deinem Blute, daß wir rein werden, wasche uns, damit wir schneeweiß werden; Du bist uns gemacht von Gott zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. Deinem Namen sey Lob und Ehre in Ewigkeit!

Amen.

Quelle: Glaubensstimme