Johannes 1, 29 (Hofacker, Schlatter)

Siehe das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt. (Johannes 1, 29)

In den Zeiten des Alten Bundes gab es auch Gelegenheiten, wo Lämmer geopfert wurden Jenes Lamm, das Passah, mit dessen Blute die Türpfosten der Israeliten in Ägypten bestrichen wurden, verhinderte ja den Einbruch des Würgengels, als er die Erstgeburt der Ägypter schlug. Aber alle jene Opfer und auch das Blut des Passahlammes hatte nur seine Bedeutung und seinen Wert in dem Opfer des neutestamentlichen Lammes, in dem Opfer Jesu Christi. Dieser ist das wahrhaftige Opferlamm, von Gott dazu ausersehen vor den Weltzeiten, erschienen in der Fülle der Zeit, auf daß er eine ewige Erlösung erfände. Opfer und Gaben hatte der Vater nicht gewollt, aber den Leib hatte er ihm bereitet, um ein Opfer zu werden für das Leben der Welt. Mit dieser seiner Aufopferung, mit seiner Geduld, mit seinem Harren auf Gott, mit seiner Liebe bis zum Tode, mit seinem Todeskampf und blutigen Schweiß hat er die Welt versöhnet, die von Gott abgefallene Welt, die Welt, auf welcher der Zorn Gottes ruhte, denn er, der Mittler zwischen Gott und den Menschen, trug unsere Sünden und hat den ganzen Zorn Gottes gegen die Sünde auf sich genommen.

O schreckliche Last, die Sünden aller Sünder! Aber, Gott Lob! das Lamm hat gesiegt, es hat ausgehalten, es hat sie getragen, das Opfer ist vollendet, es bedarf keines Opfers mehr, dem Übertreten ist gewehret, die Sünde zugesiegelt, die Missetat versöhnet und die ewige Gerechtigkeit gebracht (Dan. 9, 24). Er hat eine ewige Erlösung erfunden. Jesus Christus hat die Sünden getragen und aufgehoben, also daß ihrer ewiglich nicht mehr gedacht werden soll vor dem Angesichte des Vaters.

O es ist ein gar schöner, bezeichnender Ausdruck, den Johannes davon gebraucht: »das der Welt Sünde trägt«, oder vielmehr durch sein Tragen wegnimmt. Sie sind also nicht mehr vorhanden; sie sind also ins Meer der Vergessenheit versenkt; sie dürfen also nicht mehr zwischen mich und meinen Gott scheidend hineintreten; sie sind begraben, bedeckt, verhüllet, versöhnet in den Wunden des Lammes.

O Abgrund, welcher alle Sünden
In Christi Tod verschlungen hat!
Das heißt die Wunden recht verbinden,
Da findet kein Verdammen statt,
Weil Christi Blut beständig schreit:
Barmherzigkeit, Barmherzigkeit!

(Ludwig Hofacker)

Quelle: Andacht zum 25. Oktober, aus: Ludwig Hofacker † Pfarrer in Rielingshausen: Erbauungs- und Gebetbuch für alle Tage, nebst einem Anhang von besonderen Gebeten – Aus den hinterlassenen Handschriften und aus den Predigten des sel. Verfassers. Herausgegeben von G. Klett, Pfarrer in Barmen. Dritter Abdruck, Stuttgart 1879. Druck und Verlag von J. F. Steinkopf. [Digitalisat bei Google Buchsuche und externer Download bei Deutsche Digitale Bibliothek]

Dem, was der Täufer über Jesus sage, hat Jesus nicht widersprochen. Das war er und er war es mit ganzem Herzen, das für Gott geheiligte und zu Gottes Eigentum gemachte Lamm. Jesus kannte nichts Größeres, keinen herrlicheren Beruf. Das für Gott geweihte Lamm kam an jedem Morgen und an jedem Abend auf den Altar und dagegen, daß er zum Altar gebracht werde, hat sich Jesus nie gesträubt. Im Leben und im Tod mit Seele und Leib gehört er dem Vater ganz. Das täglich geopferte Lamm war der Trost Israels; denn es zeigte ihm Gottes Vergebung und nahm seine Schuld von ihm weg. Darum war am frühen Morgen, wenn das Lamm auf den Altar gebracht wurde, immer auch eine betende Gemeinde im Tempel, die dankend Gottes vergebende Güte pries. Bedurfte nur Israel ein Lamm, das seine Schuld wegtrug und es von der Last seiner Sünde befreite?

Was im Tempel geschah, zeigte der Welt, was sie nötig hat. Die Welt, das ist die Menschheit, wie sie immer und überall ist, die Menschheit, die ein gemeinsames Schicksal hat und eine alte bedrückende Not. Bisher sprach das Lamm Gottes nur zu Israel von Gottes Gnade. Nun aber ist die Stunde des Heils gekommen, in der sich Gottes Gnade für jeden, der Mensch ist, offenbart. Nun wird die Schuld der Welt begraben. Hier ist er, sagte der Täufer, der das kann, und Jesus widerspricht ihm nicht, sondern antwortet in der Vollmacht Gottes: Ja, ich bin da und heilige mich für euch alle und nehme von euch allen weg, was eure Seele euch bereitet hat.

Was Welt ist, lieber Vater, das sehe ich, und was die Sünde der Welt ist, ist mir nicht völlig verborgen. Offenbar und gewiß ist mir, daß niemand die Sünde der Welt wegnehmen kann als Du allein. Nun zeigt mir Dein Wort den, der dein eigen ist, den Du dazu gabst, damit er die Schuld der Welt auslösche. Das ist ein Wunder über alles Begreifen hinaus. Es ist aber ein fröhlich Ding, diesem Deinem Wort zu glauben. Dazu hilf mir, lieber Herr.

Amen.

(Adolf Schlatter)

Der, der hat ausgelöschet,
was mit sich führt den Tod;
der ist’s, der mich rein wäschet,
macht schneeweiß, was ist rot.
In ihm kann ich mich freuen,
hab einen Heldenmut,
darf kein Gerichte scheuen,
wie sonst ein Sünder tut.

(Paul Gerhardt)


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Eingestellt am Neujahrstag, 1. Januar 2024