Predigt über Evangelium Johannis Cap. 3, Vers 1-6 (Herm. Fr. Kohlbrügge)

1 Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern, mit Namen Nicodemus, ein Oberster unter den Juden.
2 Der kam zu Jesu bei der Nacht, und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, daß du bist ein Lehrer von Gott gekommen; denn Niemand kann die Zeichen tun, die Du tust, es sei denn Gott mit ihm.
3 Jesus antwortete, und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen.
4 Nicodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen, und geboren werden?
5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: es sei denn, daß Jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.
6 Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.

Johannes der Evangelist berichtet uns in dem vorangehenden Capitel, daß Jesus wohl wußte, was im Menschen war. Zu dieser Wahrheit gibt er uns in dem Gespräch mit Nicodemo einen Beleg.

Unser theurer Heiland hat in den Tagen seines Fleisches doch wohl gar keine Ruhe gehabt; man ließ ihm keine Ruhe zu essen, auch nicht mal Ruhe zu schlafen; und hätte man nur Ruhe bei ihm gesucht für die Seele, aber meistens plagte man ihn mit allerlei Nebendingen, behauptete sich selbst so viel man konnte in seinem verkehrten Wesen und wollte Gott die Ehre nicht geben für seine Gnade, noch den anerkennen, den Gott gesandt zum Seligmacher einer Welt.

Das wußte nun Jesus recht gut, daß dieses nur in dem Menschen war und steckte, sich selbst zu behaupten; dennoch hörte er alle geduldig an und offenbarte sich selbst einem Jeglichen als den Weg, die Wahrheit und das Leben. So gefiel er sich selbst in keinem Stücke, sondern gab alles dran, um von der Wahrheit zu zeugen, auf daß der Vater geehret werden möchte, oder wenigstens dem Menschen alle Entschuldigung benommen wäre.

Das Evangelium deckt es uns nun hier einmal recht auf, was in dem Menschen ist. Es war ein Mensch unter den Pharisäern. Ein Mensch ist ein Mensch, ein Mensch ist ein Sünder, vor Gott verdammt, und wenn er das rechte Heil nicht hat, geht er ewig verloren: es soll ihm aber Tod und Leben vorgehalten werden, auf daß Gott gerechtfertiget bleibe, der Mensch wisse, was er sich wähle. Hier haben wir einen Menschen aus den Pharisäern, demnach nicht einen Menschen vom gewöhnlichen Schlage, sondern einen, der sich von dem großen Haufen der Sünder abgesondert hatte, um heilig zu leben und alles für den Gottesdienst einzusetzen, einen Menschen, der vor anderen im Rufe der Frömmigkeit stand. Sein Name war Nicodemus, das heißt, Ueberwinder des gemeinen Haufens, denn der gemeine Haufe läßt sich immerdar von Solchen treiben und an dem Gängelband herumführen, die ihnen die Seligkeit durch Werke vorhalten, denn ein jeder Mensch verdient sich gerne den Himmel mit seiner Frömmigkeit. Dieser Nicodemus war ein Oberster unter den Juden, also ein sehr angesehener Mann, von großer Autorität; zu solchen schlägt sich der große Haufe gerne, denn so ein Mann soll Verstand haben vom rechten Wege zum Himmel und kann auch Geld geben, wenn man lieber frömmelt, als Gott anruft um Segen und Arbeit.

Dieser Oberste unter den Juden, den der gemeine Haufen wohl als einen Pfeiler der Wahrheit und der Kirche wird betrachtet haben, dieser ausgezeichnete Pharisäer war doch, nachdem er von der Taufe Johannis und von Jesu gehört, wie ein Rohr geworden; seine Werke und Frömmigkeit waren ihm so ziemlich über den Haufen geworfen, er hatte eine innere Unruhe und Unfrieden, und es wollte ihm alles nichts helfen, was er dagegen that; nun wollte er mal sehen, ob er Ruhe bei Jesus finden konnte, wenigstens sollte Jesus es ihm sagen, ob er tauge oder nicht, dann wollte er weiter sehen, was anzufangen.

Wie kommt er nun aber zu Jesus? Der war so verachtet, so verschrieen, besonders bei den Pharisäern und bei dem hohen Rath, und Nicodemus war ein Mitglied dieses hohen Raths, demnach ein so hochgestellter und allerwärts geachteter Mann! Was würden die Menschen davon sagen, wenn sie hörten, daß er, Nicodemus, den Nazarener besucht und befragt hätte.

Aber er hat doch zu viel von Jesus gehört; es ist doch wohl eines Versuches werth, sich mit dem mal zu unterhalten; er wählt die Nacht, da sieht ihn kein Mensch, und Jesus möge sich doch wohl durch seinen Besuch geschmeichelt genug finden, um ihm die Unhöflichkeit, daß er zur ungelegenen Stunde kam, nicht zu verargen. Der Mensch schämt sich nicht, am hellen Tage dem Teufel zu dienen, um so mehr schämt er sich aber Christum zu bekennen vor der Welt; auch ist Fleisch der Meinung, daß es mit Gott dem Herrn machen kann, was es will.

Was soll er aber zu Jesus sagen? Ich stecke voller Unruhe, ich habe keinen Frieden; ich Nicodemus, ich Pharisäer, ich Oberster unter den Juden, bekenne vor dir, daß ich nicht tauge, erbarme dich meiner, und sage mir an, was ist der Weg, daß ich vor Gott in Gerechtigkeit erfunden werde? Nein, das nicht, er will sehen, ob er sich vor dem Herrn behaupten kann mit seiner Frömmigkeit, dann kann er in seiner Frömmigkeit stecken bleiben und darin sterben; darum, so wie er eintritt und Jesum erblickt, spricht er zu dem Herrn: Meister, wir wissen, daß du bist ein von Gott gekommener Lehrer, denn Niemand kann die Zeichen thun, die du thust, es sei denn Gott mit ihm. – Da meinte er nun, der Herr würde ihm antworten: Ei, du frommer Nicodemus, legst du ein solches Zeugniß von mir ab, so bist du gewiß von Gott gelehrt, oder selbst ein Lehrer von Gott. –

Aber Gott kennt das Gerede der Lippen wohl, bevor es auf der Zunge ist, und was Nicodemus sagen wollte, um sich vor dem Herrn breit zu machen, das mußte er sagen zu seiner eigenen und aller Pharisäer Verdammung. Denn er sagt nicht: ich weiß es, daß du bist ein von Gott gekommener Lehrer, sondern: wir wissen es; damit sagen sie ja, daß sie wußten daß sie Lehrer wären, die nicht von Gott gekommen waren, und daß sie dennoch stolz in ihren verkehrten Wegen beharreten; denn wußten sie, daß Jesus der von Gott gekommene Lehrer war, dann hätten sie ja alle ihren Gottesdienst dran geben und sich zu ihm aufmachen sollen, von seinen Lippen zu vernehmen die Lehre des Heils und darnach zu thun; und wenn Gott mit Jesus war, dann bewies doch Nicodemus, daß er mit aller seiner Frömmigkeit sehr ferne war von aller wahren Gottesfurcht und nur Ehre von Menschen nahm; denn ist Gott mit einem, so darf man ihn doch wohl am hellen Tage besuchen.

Aber die ewige Weisheit läßt dem Nicodemus sein Compliment, und geht auf den Mann an; der Herr durchwundet ihn auf der Stelle mit seinem scharfen Pfeil, indem er ihm antwortet: Wahrlich, wahrlich ich sage dir: Es sei denn daß Jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Dieses wahrlich, wahrlich sprach der Herr darum aus, auf daß Nicodemus es zu Herzen nehmen möchte; daß er des Herrn Worte nicht für bloße Worte anschlagen sollte, sondern es inne werden, daß sein ewiges Wohl oder Wehe von der Beachtung dieser Worte abhing, denn diese Worte mußten dem Nicodemus entweder ein Geruch zum Leben oder ein Geruch zum Tode sein. Ich sage Dir, spricht unser Herr, das ist, du hast für dich selbst zuzusehen, und nicht damit zu kommen, was andere wissen oder glauben, du fühlst ja, daß du keinen Boden unter deinen Füßen hast, um vor Gott zu bestehen. Unter „Gottes Reich“ versteht hier der Herr nicht den Himmel an und für sich, sondern das Reich und die Herrschaft der ewigen Gnade, welches Reich durch und in Jesu ist für alles was verloren ist: den ganzen Rath Gottes in Christo Jesu zur Seligkeit armer Sünder, und wie Gott seinen Sohn gesandt hat, um diesen Rath auszuführen. Und nun gibt der Herr es dem Nicodemus zu verstehen, daß ob er schon sagen möchte, wir wissen daß du bist ein von Gott gekommener Lehrer, er alles, was Gott that in der Sendung seines Sohnes, nicht mal besehen konnte, daß er weder Verstand noch Begriffe davon haben konnte, es sei denn, er, Nicodemus, wäre von neuem geboren. – Der Herr wollte ihm also sagen, davon kannst du nichts wissen oder deuten, mein lieber Nicodemus, wer ich bin und woher ich komme, und wozu Gott mich gesandt hat, wenn du nicht von oben herab erst ein ganz anderer Mensch geworden bist, als du jetzt bist, denn du steckst noch in dem alten Wesen Adams, und du mußt gänzlich in einem andern erfunden werden, erst dann kannst du davon mitsprechen.

Der treue Heiland, wie ist er doch so gnädig und gut, daß er einem Menschen so mit einemmal alle seine Stützen und Krücken, womit er zur Verdammung hinkt, zerbricht! Man sieht ihn dafür wohl an, als seie er der Teufel, aber weil er so liebt, sagt er die Wahrheit zur Errettung der Seele.

Das war nun eine neue und unerhörte Wahrheit für Nicodemus; er wußte wohl von der Wiedergeburt, diese hielt er aber für nothwendig für die Heiden, die sich zum Judenthum bekehrten, und dann hielt er solche Wiedergeburt doch wohl für nichts mehr als eine Sinnesänderung, wonach der Mensch sich vom Götzendienst zur Frömmigkeit und Gesetzeswerken bekehrte; solche Wiedergeburt brauchte er aber als Jude nicht, indem er meinte, er sei durch seine Geburt aus Abraham zu dem Himmel berechtiget!

Wenn aber der Herr sagt, daß der Mensch von neuem oder von oben herab muß geboren werden, nimmt der Herr die Seligkeit eines Menschen gänzlich aus seinen Händen und legt sie in die Hände Gottes; denn so wenig ein Mensch etwas dazu beigetragen hat, daß er von seiner Mutter geboren ist, eben so wenig wird ein Mensch dazu etwas beitragen können, daß er von oben herab geboren werde.

Mit dieser Anrede sind aber dem Nicodemus alle Werke des Gesetzes und der Frömmigkeit, worauf er sich verließ und wofür er gerne von dem Herrn sich hätte gutheißen lassen, zerschlagen, und steht er vor Gott wie er eigentlich war, das ist nackt, verloren und verdammt. Seine Geburt aus Abraham hilft ihm also nichts, nichts daß er ein Pharisäer und ein Oberster der Juden ist, er ist vor Gott als bestände er gar nicht, Gott weiß nichts von ihm noch von allen seinen Werken. Nicodemus fühlt es, aber er will sich helfen aus seiner Bestürzung, darum antwortet er mit jüdischer Schlauheit und Witz, wie das den Eigengerechten eigen ist: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?

Die Nothwendigkeit, daß er wiederum geboren werden mußte, hat er verstanden, um sich aber zu retten, versucht er als ein Knecht des Buchstabens die ewige Wahrheit, welche er nach Geist auszulegen hatte, in den Buchstaben zu drehn.

Der Herr in seiner Geduld kehrt sich nicht an seinen gottlosen Witz, sondern durchbohrt ihn mit einem noch schärfern Pfeil, indem er ihm sagt, wie er das von dem Neugeborenwerden zu verstehen habe. Er wiederholt sein ernsthaftes: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, – und gibt es ihm nun völlig zu verstehen, indem er spricht: Es sei denn, daß Jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.

Erst hatte der Herr zu Nicodemus gesagt, daß er das Reich Gottes nicht besehen konnte, auch nichts davon wußte, noch davon etwas Rechtes zu behaupten oder zu lehren verstand, jetzt sagt er ihm, daß er nicht in Gottes Reich kommen könnte, also nicht in Gottes Reich wäre, und daß er nur dann hineinkommen könnte, wenn er aus Wasser und Geist geboren wäre.

Wie mußte nun Nicodemus aus Wasser geboren werden, um in Gottes Reich zu kommen? Ihr wisset, meine Geliebten, daß die Pharisäer den Rath Gottes gegen sich selbst verachteten, damit daß sie sich von Johannes dem Täufer nicht taufen ließen. Johannes hatte geprediget von der Bekehrung von den todten Werken zu dem lebendigen Gott, – er hatte den Pharisäern es vorgehalten, daß es mit ihrem Ruhm, daß sie Abrahams Kinder wären, aus sei, indem Gott wohl aus den Steinen dem Abraham würde Kinder erwecken können; nun hielten aber die Pharisäer ihre todten Werke für gute, Gott wohlgefällige Werke, und meinten ohne solche Werke werde man nicht selig, sie hatten keine Sünden und verachteten die Gerechtigkeit aus Glauben. Ihren Ruhm und ihre Rechte als Abrahams Same abzulegen und als Heidenkinder in das Wasser der Taufe zu gehen, um daselbst alle Frömmigkeit abzulegen und als nackte und arme Sünder dazustehen, um nunmehr ihre Seligkeit durch den verheißenen Christum von der Hand der freien Gnade zu empfangen, das alles hielten sie für Gotteslästerung. Sie blieben demnach Pharisäer und wollten nicht selig werden, so wie Gott will selig und gerecht machen vor ihm.

Der Herr hält es aber dem Nicodemus vor, daß er diesen Rath Gottes verworfen hatte, und daß er sich diesen Stücken zu unterwerfen hätte, d. i. der Taufe Johannis in ihrer ganzen Bedeutung. Nicodemus würde demnach aus dem Wasser geboren werden in dem Sinne, daß wenn er sich der Taufe Johannis in ihrer ganzen Bedeutung unterwürfe, Gott selbst sich zu diesem Mittel mit seiner Gnade bekennen würde, so daß Nicodemus durch die Gnade aus dem Wasser würde hervorgehen, eine neue Creatur, neu geboren, neu geschaffen, hinweggenommen aus dem alten Wesen Adams und des Buchstabens und hinübergesetzt in das neue Wesen des Geistes.

Auf daß aber Nicodemus solches nicht wiederum nach dem Buchstaben deuten möchte und denken: nun wohlan, kann ich nicht anders selig werden, es sei denn ich untergebe mich dieser Schmach vor der Welt, und lasse mich, was denn auch die Leute davon sagen mögen, taufen, und er also nicht stracks hinfahren und in dem geschehenen Werk an und für sich beruhen möchte, fügt der Herr hinzu: und aus Geist.

Wie wird aber ein Mensch aus Geist geboren? Antwort: das äußerliche Mittel, die Taufe Johannis that es an und für sich nicht, auch nicht daß einer sich dem Mittel äußerlich unterwürfe, als könnte einer geboren werden mit einer Geburt daß er ein Kind Gottes würde, dadurch daß man das Werk gethan hatte, welches Gott befohlen; sondern es gesellt sich etwas zu diesem äußerlichen Werke, wenn es vor Gott gethan ist, und das ist der Heilige Geist; dieser gesellt sich zu dem Menschen, daß es ihm nicht um das Mittel, sondern um Gott und sein Gebot geht, und er gesellt sich zu dem Mittel, daß er sich daran will verbunden wissen; da wirft er aber den lebendigen Samen in das Herz eines Menschen, das ist das lebendige und ewig bleibende Gotteswort, durch dieses Wort schafft er den Menschen um und macht ihn zum neuen Menschen, der vom Tode in das Leben übergeht. Da ist denn zuerst Aufdeckung von Verdammung, Verlorenheit, von Sünden und Ungerechtigkeit, von einem gänzlichen Abgefallensein von Gott, da erweckt denn der Geist ein sehnliches Verlangen nach Erlösung von Schuld und Strafe, nach Befreiung von aller Herrschaft der Sünde, da gehen denn bei dem Menschen auch alle Werke des Gesetzes und der Frömmigkeit verloren, daß er gar nichts mehr ist und nichts mehr hat, und liegt unter dem schrecklichen Gefühl des Zornes Gottes, und da gibt der Geist auch Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit, welche vor Gott gilt, ein Schreien und Rufen um Gnade und Erbarmung. So treibt denn der Geist zu den Mitteln, denn es geschieht nichts durch die Mittel an und für sich, aber auch nicht durch den Geist ohne Mittel, sondern der Geist will sich gesellen zu den Mitteln, weckt und stärkt durch die Mittel den Glauben, so daß ein Mensch am Glauben neu geboren wird aus solchem Geist, durch welchen der Mensch alles Vertrauen auf sich selbst fahren läßt, sich selbst und alles was an ihm ist verdammt und nur die freie Gnade preist.

So wird ein Mensch aus Geist geboren. Aus Wasser geboren werden sie demnach: seine Ehre vor der frommen Welt und vor den Menschen, auch eigne Ehre der Werke und der Scheinheiligkeit drangeben, und die Mittel und Wege, durch welche es Gott gefällt, daß man in sein Reich eingehen soll, hochachten und sich denselben nach dem Befehle Gottes unterwerfen, und Christi Kreuz und Schmach auf sich nehmen, und Gottes Gebote den eignen Gelüsten vorziehen; denn Gott bekennt sich zu Solchen und macht sie zu neuen Geschöpfen, daß sie eine gar andere Geburt bekommen, als die welche des Fleisches ist.

Und aus Geist geboren werden ist: alles Vertrauen auf unser eigen Vermögen, Weisheit und Gerechtigkeit fahren lassen, und alles was in uns ist ganz und gar verdammen; denn wo solches geschieht, da weckt der Heilige Geist den Glauben, an welchem Glauben ein Mensch aus diesem Geiste ein ganz anderer Mensch wird, der im Herrn lebt und in dem Herrn seine Gerechtigkeit und Stärke hat und nicht mehr auf dem alten Stamme Adams erfunden wird.

Dieses alles ist lediglich aus Gott, es wird aber dem Menschen vorgehalten, auf daß er wisse, wo er es zu suchen habe, und was ihm Noth thut, sobald er anhebt zu fragen nach den Dingen Gottes, des lebendigen Gottes.

Was für Unterschied zwischen dem ist, ob ein Mensch aus Geist geboren wird, oder noch in dem alten Wesen Adams steckt, gibt der Herr mit den Worten zu verstehen: „Was aus Fleisch geboren ist, das ist Fleisch, und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist.“

Nicodemus hielt es mit den Pharisäern dafür, dass Abraham durch die Werke, das ist durch seine Frömmigkeit gerecht worden war. Er meinte, Abraham habe für sich und für seinen Samen den Himmel verdient mit seinen Werken, und weil er ein Nachkomme Abrahams war, so habe er den Himmel bereits inne, und habe sich desselben nur durch eigene Werke der Frömmigkeit zu versichern und sich selbst der Seligkeit Werth zu machen. So verstand er denn die Schrift nicht, welche sagt: „Abraham glaubte Gott, und das ist ihm gerechnet zur Gerechtigkeit“, er hatte nicht Acht darauf gegeben, daß nur diejenigen Abrahams Samen vor Gott seien, die in den Fußtapfen des Glaubens Abrahams wandeln, auch nicht Acht darauf gegeben, daß dem, der mit Werken umgehet, der Lohn nicht aus Gnaden zugerechnet wird, sondern aus Pflicht. Was Abraham vor Gott war, das war er nicht durch seine Werke, denn so spricht die Schrift: „Dem, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an den, der den Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit“. Abraham an und für sich war Fleisch, und wer aus dem Fleisch Abraham geboren war, war auch Fleisch und dessen Werke und Frömmigkeit auch Fleisch, demnach vor Gott, der Geist ist, gottlos und verflucht an und für sich. Gott, der Geist ist, kann sich mit Fleisch nicht abgeben, er will und muß Geist haben, die fleischliche Geburt unterliegt seiner Verdammung. Wie ist man nun Gott gefällig? Wenn man Geist ist, – und wie wird man Geist? Wenn man aus dem Geist geboren wird. Was will das nun sagen, wer aus dem Geist geboren ist, der ist Geist? Das will sagen, daß ein solcher wieder zu Gott gebracht ist, daß er mit Gott, der Geist ist, eins geworden ist, so daß er gerecht und heilig ist, wie Gott gerecht und heilig ist. –

Weil aber aus Geist geboren zu werden nicht in des Menschen Macht steht, sondern lediglich abhängt von Gottes Gnade und Erbarmung, so stand denn Nicodemus mit einemmal da, entblößt von aller Gerechtigkeit, ohne Gott und ohne Seligkeit, und blieb ihm nichts anderes übrig, als diese neue Geburt für sich von Gott zu erflehen, oder mit andern Worten: den Weg einzuschlagen, auf welchem Gott ihn dieser neuen Geburt wollte theilhaftig machen.

Und dieser Weg war: Ihn, den Gott gesandt, Jesum Christum mit wahrhaftigem Glauben, mit Drangebung seiner selbst, der Welt und aller Frömmigkeit eigener Wahl, zu umfassen als seine einzige Gerechtigkeit vor Gott.

Dabei wollen wir es für diesmal bewenden lassen. Ihr habt gehört, meine Geliebten, daß Nicodemus ein ausgezeichneter Mann in Israel gewesen. Wie schön wußte er davon zu zeugen, was ein von Gott gesandter Lehrer ist, was einer thun kann, wenn Gott mit ihm ist. Welche Fortschritte muß ein solcher gemacht haben in der Kenntniß biblischer Wahrheit, außerdem als Oberster der Juden muß er doch einen guten Theil der Schrift inne gehabt haben, auch suchte er Jesum auf und schien ihm alle Ehre zu erweisen. Bei alle dem war er vor Gott nichts, der Herr nannte ihn Fleisch und alle seine Frömmigkeit Fleisch. Er war also vor Gott verdammt und verflucht, außer dem Himmel und aller Seligkeit Gottes, trotz aller seiner Erfahrung und aller seiner Frömmigkeit.

Was sollen wir daraus lernen? Ich meine dieses, wie weit man auch mag gekommen sein in aller Frömmigkeit, in allerlei Kenntniß der Dinge und Wege Gottes, stehe man auch so hoch, wie Nicodemus in Israel stand, – ist man nicht von neuem geboren, so ist man verloren. Wir haben uns über diesem Stück vor dem Herzenskündiger zu prüfen, denn Mancher hält sich für neu geboren, der es mit seinen Werken, wie er sich gegen die Seinen und gegen seinen Nächsten benimmt, wohl beweist, daß er es nicht ist, und der es demnach auch beweist aus den Gedanken seines Herzens, die sich kund thun gegen Gott, sein Gesetz und sein heiliges Evangelium. – Wer aber aus dem Geist geboren ist, der verläßt sich nicht auf seine Wiedergeburt, um sodann Laster und Feier, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit zusammen zu paaren; er verläßt sich als ein Gottloser auf die Gnade Jesu Christi, so glaubt er Gott und geht in seinen Wegen.

Es versteht sich von selbst, daß die Wiedergeburt aller Erwählten Statt gefunden hat in dem Tode und in der Auferstehung Jesu Christi, aber es gibt auch eine Zeit für einen jeden Einzelnen derselben, in welcher er dieser Wiedergeburt durch Erneuerung des Geistes theilhaftig wird.

Diese Erneuerung des Geistes darf wohl eine Geburt heißen, denn nur sie macht lebendig, was todt war, und zu Kindern Gottes, die zuvor Sclaven des Satans und der Sünde waren: auch ist sie lediglich ein Werk der Gnade. –

Viele halten eine lebendige Ueberzeugung von Sünden und eine darauf folgende Beruhigung der Seele für die Wiedergeburt. Wenn dies auch zu der Wiedergeburt gehört, so ist es doch die Wiedergeburt an und für sich nicht.

Der Herr nennt die Wiedergeburt ein Geborenwerden aus Wasser und Geist; von Gottes Seite kann er uns und will er uns solcher Geburt theilhaftig machen in der Taufe, wie solche unser Taufformular ausdrücklich lehrt, daß aber seinerseits der Mensch davon später die Frucht habe, ist wiederum ein Werk der allmächtigen Gnade.

Wenn auch bei dem einen und anderen die Wirkung solcher Gnade sich äußert von Jugend auf, äußert sie sich durchgehend bei den Meisten zwischen dem Jünglings- und Mannesalter, bei etlichen selbst wenn sie grau geworden sind.

Wenn aber die Wiedergeburt nicht allein besteht in einer Ueberzeugung von Sünden und darauf folgender Beruhigung, so wird mancher verlegen fragen: worin besteht sie denn eigentlich? Ich antworte: darin, daß man aus dem Gesetz und seinem Treiben hinübergeht am Geist in den Glauben an Jesum Christum als seinen einzigen Lehrer, König, Hohenpriester, Gesetzgeber und Seligmacher, seine Seligkeit in keinem Stücke mehr zu erwarten von den Werken der Gerechtigkeit, die wir möchten gethan haben, sondern von der großen Barmherzigkeit unseres Gottes und Heilandes. Demzufolge liegt die wahrhaftige Wiedergeburt in dem Uebergang am Glauben aus dem alten Wesen Adams und des Buchstabens in das Wesen des Geistes des Lebens in Christo Jesu, und dieser Uebergang geschieht an der Hand des Heiligen Geistes durch ein mächtiges, unwiderstehliches und liebliches Ziehen des Vaters zu Christo hin.

Wo ein solcher Uebergang stattfindet, da ist ein mächtiges und tiefes Gefühl nicht allein seiner Sünden, sondern auch seiner grundlosen Verlorenheit und Verdorbenheit, dazu eine wahrhaftige Lust, mit dem Gesetze Gottes in Uebereinstimmung zu sein, aber nicht weniger ein Innesein seiner eigenen gänzlichen Ohnmacht und ein Ringen, um von der Tyrannei der Sünden erlöst zu sein. Da wird man denn völlig überzeugt von der Unzulässigkeit aller Werke der Frömmigkeit unsrer eignen Hände, und indem man hinübergesetzt wird in die Herrschaft der Gnade, hält man sich mit Christo dem Gesetze abgestorben und freut sich der Verheißung, indem man sich bedeckt fühlt mit ewiger Gnade: Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, da du wandeln sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten.

Das untrüglichste Kennzeichen der Wiedergeburt ist das Bewußtsein im heiligen Geist, das Zeugniß, welches der Heilige Geist unserm Geist gibt: daß wir dort droben einen gnädigen Gott und Vater haben, der um Christi willen uns alle unsere Sünden geschenkt, unser Leben vom Verderben gerettet hat und uns krönet mit seinem Heil.

Das zweite Kennzeichen ist, daß man es nicht mache wie Saul, welcher stets meinte: Gott könne ihm nur gnädig sein, wenn er Werke der Frömmigkeit gethan hätte, welche er sich selbst vorschrieb. Er warf Gott einen Knochen hin, und behielt das fette Fleisch für sich.

Das dritte Kennzeichen besteht darin, daß man unter Hintansetzung seiner selbst und eignen Gelüstens sich gegen seinen Nächsten benimmt in derselben Liebe, mit derselben Gelindigkeit und Bereitwilligkeit zu vergeben, wie Gott sich gegen uns benimmt; daß man nicht sich selbst für einen Christen und Andere für Gottlose hält, vielmehr von allen Menschen das Beste glaubt, sich selber aber als einen Gottlosen und als den Vornehmsten der Sünder kennt. Denn der läßt wahrlich Anderen Barmherzigkeit widerfahren, dem selbst Barmherzigkeit widerfahren ist. –

Diejenigen von euch, welche diese Dinge wissen, sind selig, wenn sie dieselben auch thun. – Und ihr Elenden, die ihr nichts habt als Sünden und euch so ausstrecket zu dem Herrn, eurer Gerechtigkeit, das wisset, daß ihr es freudig wagen könnt, im Namen Jesu euch zu werfen ohne Werk auf die freie Gnade, welche für alle da ist, die im Schatten des Todes hinaufseufzen zu der ewigen Erbarmung. Amen.

Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter