Wenn mein Stündlein vorhanden ist (aus Starcks Handbuch)

Seufzer und Gebete eines Sterbenden.

Aus dem Gesang: Wenn mein Stündlein vorhanden ist.

I.

Wenn mein Stündlein vorhanden ist ─

Ach mein Jesu! das weißt du am besten, mein letztes Sterbestündlein ist vielleicht bald vorhanden, darum lehre mich, daß mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß.  Erhalte mich im Glauben, daß ich auf den dreieinigen Gott, auf den ich getauft bin, mich verlasse und auf dein Verdienst, Blut und Wunden, o Jesu! alle meine Hoffnung setze. Ach! in der letzten Lebensstunde bewahre mich vor Anfechtung, laß deine Linke unter meinem Haupte sein und deine Rechte mich decken. Erwecke mich in meinem Sterbestündlein durch den Trost des heiligen Geistes und laß mich hören Freude und Wonne. Bleibe bei mir, wenn mein Ende kommt,

Und soll hinfahr’n mein‘ Straße,

Ach ja, mein Jesu! ich werde die Todesstraße fahren, aber ich fürchte mich nicht, wenn du, o Jesu! bei mir bist. Mein Tod ist ein Hingang zum Vater; wie freue ich mich, daß ich zu meinem himmlischen Vater, zu dir, meinem Jesu, kommen soll! da werde ich Friede, Freude, Trost, Wonne, Sonne, ein herrliches Kleid, eine schöne Krone antreffen. O wie wohl wird mir da sein! da wird all mein Jammer und Elend aufhören, und ich werde zur Ruhe, zur Freude und zur Seligkeit gelangen. Auf dieser Todesstraße zum ewigen Leben sei bei mir, o Jesu! treibe von mir meiner Seele Feinde, schenke mir hingegen des Glaubens Freudigkeit und deines Trostes Süßigkeit, und damit ich diese Todesfahrt mit Freuden selig antreten und vollbringen möge,

So g’leit‘ du mich, Herr Jesu Christ!

Ach ja, o Jesu! begleite mich aus diesem zeitlichenLeben in das ewige Leben! Ist’s auf der Todesstraße finster, so werde ich doch im Licht wandeln, wenn du, o Jesu, mein Licht bist! Stehe bei mir an meinem Sterbebette, und nimm meine Seele auf, wann sie vom Leibe scheidet. Wann ich meine Leibesaugen im Tode schließe, so laß meine Seelenaugen dich erblicken. Begleite meine Seele, bis du mich bringest zu deiner heiligen Wohnung, zu den heiligen Engeln und zu der Schar der Auserwählten. Ja, begleite mich vor den Thron deines himmlischen Vaters als dein Eigentuum, damit ich daselbst Gnade erlangen und als ein Erbe der Seligkeit angenommen werde. In meinem Abschied aus dieser Welt stehe bei mir und

Mit Hilf‘ mich nicht verlasse.

Ach! es kann mir in meinem Sterbestündlein Niemand helfen, als nur du, o Jesu! allein. Hilf mir, und stärke meinen Glauben, hilf mir, und gib Zeugnis meinem Geiste, daß ich wahrhaftig Gottes Kind sei und jetzt, als ein Kind Gottes, das ewige Erbe empfangen werde. Ja, verlaß mich nicht, wann ich im Tod erblasse und die Todesfarbe anziehe. Verlaß mich nicht, wann mir die Augen brechen, alsdann sei und bleibe du das Licht meiner Seele. Verlaß mich nicht, wann mir das Gehör vergehet, alsdann lehre, tröste und erquicke mich inwendig in meiner Seele. Verlaß mich nicht, wann mir die Sprache vergehet und ich nicht mehr beten kann, alsdann bitte für mich, o Jesu! und o heiliger Geist! bete in mir und vertritt mich bei Gott mit unaussprechlichem Seufzen. Verlaß mich nicht, wenn ich nun verscheide, alsdann führe mich zur Himmelsfreude, ach nimm

Mein‘ Seel‘ an meinem letzten End‘

in deinen Schutz und Gnade auf. O Jesu! du hast meine Seele mit deinem heiligen Blute erkauft, ach! wasche und reinige sie, damit sie als ein reines und Gott wohlgefälliges Gefäß erfunden werde. Kommt nun das Ende meines natürlichen Lebens, ach! so gib mir ein vernünftiges Ende, wenn es dein heiliger Wille ist, damit ich mein Herz, meine Augen und mein Gemüt zu dir richten, und beten, so lange die Zunge lallen kann; seufzen, so lange der Athem in mir ist, ja daß ich den Zuspruch der Umstehenden mit Freuden und zu meinem Trost vernehmen kann; gib mir ein fröhliches Ende, wenn es dir gefällt, daß ich möge deiner Gemeinschaft, o Jesu! im Sterben genießen, die Süßigkeit deiner Einwohnung empfinden, und durch den Trost und Beistand des heiligen Geistes erquickt werden möge. Gib mir auch ein seliges Ende, daß ich im Glauben sanft und selig einschlafe, und mit dir vor dem Tode, in dem Tode und nach dem Tode vereiniget bleibe. Damit das möge geschehen, so übergebe ich dir meine Seele, und

Befehl‘ ich, HErr! in deine Händ‘;

O wie wohl wird sie darin bewahret seyn! Siehe, ich habe dir meine Seele alle Tage anbefohlen, so soll auch jetzt dieß mein Gebet seyn: HErr Jesu, nimm meinen Geist auf! Mein Jesu, du hast meine Seele mit deinem heiligen Blute von der Gewalt des Teufels erlöst, darum befehle ich sie dir; sie ist dein Eigenthum, und soll auch dein in Ewigkeit bleiben. Nimm sie auf zu deiner ewigen Himmelsfreude, zur Wonne, zur Herrlichkeit, da wird ihr wohl seyn. Deine Hände sind mächtige Hände, Niemand kann meine Seele aus deiner Hand reißen, nicht die Welt denn sie hat keinen Theil an mir, nicht der Satan, den hast du ja überwunden. Deine Hände sind treue Hände, da wird meine Seele in Ewigkeit wohlaufgehoben seyn, denn

Du wollst sie wohl bewahren.

Ich gebe sie dir bis zu dem lieben jüngsten Tag aufzubewahren, da wirst du sie mit meinem verklärten Leibe wieder vereinigen und sodann Leib und Seele der Himmelsfreude genießen lassen. Indeß, HErr Jesu, erfreue, tröste und erquicke meine Seele in deiner Herrlichkeit. Verleihe mir nach dem Glauben das Schauen, nach der Unruhe die Ruhe, nach dem Leiden die Freude, nach der Angst den Trost, nach dem Elend die Erquickung. Laß meine Seele unter den Engeln und Auserwählten deine Herrlichkeit sehen, die du deinen Kindern bereitet hast.

II.

Mein‘ Sünd‘ mich werden kränken sehr ─

Ach ja, mein Jesu, ich denke heute an meine Sünde, ich denke daran und ist mir herzlich leid, daß ich dich die Zeit meines Lebens, so lange, so oft und so vielfältig erzürnet habe mit Gedanken, Worten und Werken. Ach! ich betrübe mich darüber von Grund meiner Seele, daß ich meinen Schöpfer, meinen Erlöser und Heiligmacher beleidiget habe, ach! hätte ich es doch nicht getan! und wenn ich es noch zu tun hätte, so wollte ich es auch nimmermehr vollbringen. Aber, o Jesu, durch dein unschuldig Blut, die schöne rote Flut, wasch‘ ab all‘ meine Sünde, mit Trost mein Herz verbinde, und ihr nicht mehr gedenke, ins Meer sie tief versenke*. Ach, mein Jesu! wenn meine Sünden vor mein Krankenbette treten, mich ängstigen und verklagen wollen, so tritt, o Jesu, zu meiner Seite und zeige mir deine heilige Wunden, und durchstreiche mit deinem heiligen Blute das Sündenregister**, und versiegle in meinem Herzen die Vergebung der Sünden mit deinem heiligen Geist. Nun, dessen tröste ich mich, wenn

Mein G’wissen wird mich nagen.

*) Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Missetaten dämpfen und alle unsre Sünden in die Tiefen des Meeres werfen. (Micha 7, 19)
**) Und hat uns geschenkt alle Sünden und ausgetilgt die Handschrift, so wider uns war, welche durch Satzungen entstand und uns entgegen war, und hat sie aus dem Mittel getan und an das Kreuz geheftet; (Kolosser 2, 13.14)

Quelle:
Johann Friedrich Starck’s, gewesenen evang. Predigers und Konsistorialrats zu Frankfurt a. M., tägliches Handbuch in guten und bösen Tagen. Enthaltend: Aufmunterungen, Gebete und Lieder 1. für Gesunde, 2. für Betrübte, 3. für Kranke und 4. für Sterbende; wie auch Sprüche, Seufzer und Gebete, den Sterbenden vorzusprechen, nebst Fest-Andachten. Morgen- und Abendandachten auf alle Tage der Woche, Trost- und Erquickungsgebete samt Gesängen, Buß-, Beicht-, Kommunion- und Wettergebete und  Kriegs-, Teuerungs-, Pest- und Friedensgebete,  nebst einem Gebetbuch für Schwangere, Gebärende, Kindbetterinnen und Unfruchtbare. Mit dem Lebenslaufe des sel. Verfassers von seinem Sohne M. Johann Jakob Starck, sowie dem Bilde des Verfassers, vier Kunstdruckbeilagen und Familienchronik. Vollständige, dem Originale gleichkommende Ausgabe. Konstanz. Buch- und Kunstverlag Carl Hirsch A.=G.
Eingestellt am 19. Dezember 2020 – Letzte Überarbeitung am 9. Juli 2022