P a s t o r L u d w i g J o h a n n e s T s c h i s c h k o
g e b o r e n i n K o m m o d e r n i m K o w n o s c h e n 1 8. J u n i 1 8 5 8
e r m o r d e t b e i S t a c k e l n , 2 1. F e b r u a r 1 9 1 8
Als Pastor der lettischen Gemeinde in Pleskau, wohin Tschischko 1890 mit dem Auftrage berufen wurde, die im Pleskauschen zerstreut lebenden Letten zu Gemeinden zusammenzuschließen, hatte er schwere Diasporaarbeit zu leisten. Anfangs wollte es ihm gar nicht gelingen, weil schlechte Elemente ihm in allem entgegenarbeiteten. In achtzehnjähriger treuer, geduldiger Arbeit schenkte Gott ihm die Freude, es zu erleben, daß, wo er einst Rodungsarbeit im Urwalde getan, nun ein Stück guten Ackers zu finden war, der seine Frucht hergab.
Doch diese schwere Arbeit, die an Geist und Körper die größte Anforderung stellte, hatte seine Gesundheit untergraben. So konnte er nicht weiter arbeiten. Er folgte daher mit Freuden 1909 dem Ruf, Hirte der kleinen Gemeinde in St. Matthiae in Livland zu werden. Die lettische Gemeinde zu Pleskau ließ ihn ungern ziehen. Die Matthiaesche Gemeinde nahm ihn, den Volksgenossen, mit Freuden auf, aber auch die deutsche Gemeinde gewann er bald durch sein freundliches, allzeit hilfsbereites Wesen. Sechs Jahre stillen Wirkens waren ihm beschieden, dann ward es anders durch den Krieg. Das russische Militär wirkte je länger, je mehr demoralisierend. Die sozialistisch-atheistischen Ideen gewannen an Boden. Es trat eine Spaltung in der Gemeinde ein. Die Alten hielten zu Gott und der Kirche, die Jugend, von den roten Lehrern geführt und verführt, leugnete Gott — verachtete die Kirche.
Als 1917 die erste Bolschewikenwelle über Livland ging, sah Tschischko zu seinem großen Schmerz unter den Bolschewiken auch etliche seiner Konfirmanden, und er hatte doch gerade an seinen Konfirmanden mit der größten Hingabe gearbeitet. Nun mußte er dieses erleben!
Das beugte ihn tief. Still und kampflos gab er alles hin, was von seinem Hab und Gut requiriert wurde, nur die Kirche öffnete er den Bolschewiken unter keiner Bedingung. Am 18. Februar lief der Waffenstillstand, den die Deutschen mit den Russen geschlossen, ab; da die Russen die gestellten Bedingungen nicht erfüllt hatten, rückten die Deutschen vor. Die Russen flohen, mit ihnen die lettischen Schützenregimenter. Die Herren der roten Latvija erkannten, daß ihre Macht dahinschmolz, so wollten sie noch Rache an ihren Widersachern nehmen.
Am Bußtag, den 20. Februar, als Tschischko sich eben den Talar anzog, um zur Kirche zu fahren, verhafteten ihn zwei Milizleute, um ihn nach Wolmar vor das Tribunal zu bringen. Mit zehn anderen Verhafteten kam er des Abends in Wolmar an, sie wurden dem
Kommando des 7. lettischen Schützenregiments übergeben, das sperrte sie in ein kleines Zimmer, wo schon zehn andere Verhaftete interniert waren. Geld wurde ihnen abgenommen, auf dcr schmutzigen Diele durften sie sich zum Schlafen hinlegen.
Tschischko hat hier unter den Mitgefangenen seines Seelsorgeramtes walten können. Um halb zwei Uhr nachts wurden sie geweckt: sie sollen nach Walk marschiercn. In der Stube war es erstickend heiß, draußen eisige Wintcrkälte. Der traurige Zug setzte sich in Bewegung. Unterwegs traten Mitgefangene, jüngere kräftige Männer, an Tschischko heimlich heran und teilten ihm mit, sie würden die sechs sie begleitenden Schützen überfallen und erwürgen, er solle sich auf Flucht gefaßt machen. Tschijchko bittet
sie dringend, von einem Mord abzusehen, den Gefangenen würde doch nichts geschehen. So gaben sie den Plan auf. Nach einer Wanderung von vier Kilometer gibt die Wache den Befehl, von der Chaussee in einen Walddurchhau einzubiegen. Was soll das bedeuten? Der Verdacht wächst. Kaum waren sie einige hundert Schritt in den Wald gegangen, so teilten ihnen die Führer mit, daß sie auf Beschluß des Jskolat (Abkürzung für Ausführendes Komitee Latvijas) erschossen werden sollen. Tschischko tritt an seine Wärter heran, sie von dieser bösen Tat abzuhalten, da — mitten in seiner Rede kracht ein Schuß, Tschischko fällt leblos zu Boden. Das Schießen hebt an, noch fallen fünf andere den Mördern zum Opfer, den übrigen gelingt es, in dem dichten dunklen Wald zu entkommen.
Auf dem Kirchhof zu St. Matthiae hat man alle sechs bestattet. Der Lette Tschischko, der sein Leben im Dienste seines Volkes verzehrt, fällt durch die Hand eines Kindes dieses seines Volkes. Dieses Sterben kündet uns die alte Wahrheit:
Der letzte Entscheidungskampf wird nicht auf nationaler oder sozialer Grundlage ausgefochten, sondern Glaube oder Unglaube werden einander die letzte Entscheidungsschlacht liefern.
Quelle: Oskar Schabert, Pastor zu St. Gertrud in Riga: Baltisches Märtyrerbuch. Furche-Verlag. Berlin 1926. S. 66-68 [Digitalisat, pdf]