Lukas 16, 23

Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. (Lukas 16, 23)

Es ist sehr wahrscheinlich, daß dasjenige, was der HErr Christus von dem armen Lazarus und dem reichen Mann erzählt hat, eine wirkliche Geschichte gewesen sei, weil Er den Namen des Armen ausgedrückt hat, welches Er in keinem Gleichnis zu tun pflegte, und weil der Evangelist nicht sagt, daß Er ein Gleichnis vorgetragen habe. Es gibt freilich in dieser Erzählung auch verblümte Redensarten vom Finger, vom Wasser, von der Zunge u.s.w., welche Christus darum hat brauchen müssen, weil die Dinge, die in der Geisterwelt vorgehen, sich (wenigstens bei Seinen damaligen Zuhörern) mit eigentlichen Worten nicht lebhaft genug haben ausdrücken lassen. Der reiche Mann war also nach seinem Tod in der Hölle (Hades), welche am jüngsten Tag in den feurigen Pfuhl geworfen wird (Offenbarung Johannis 20, 14.), und alsdann ohne Zweifel ihren Namen verliert: folglich ging Alles, was Christus hier erzählt, noch vor dem jüngsten Tag her.

Er war bald nach seinem Tod in der Hölle, alldieweil seine fünf Brüder auf der Erde noch lebten. Er dachte an sie, und sie an ihn: aber seinen kläglichen Zustand stellten sie sich vermutlich nicht vor. Indem er in der Hölle war, war er in der Qual, und litt Pein, und seiner Empfindung nach war er in einer peinigenden Flamme. Hier darf man nun freilich an keine erleuchtende Flamme gedenken, denn bei den unseligen Toten ist’s finster: auch darf man jene Flamme nicht derjenigen gleich achten, die das Holz auf Erden verzehrt, und wenn es verzehrt ist, verlöscht; denn in der Hölle ist Alles anders, als auf Erden. Doch sah der reiche Mann den Lazarus, wie denn ein Jeder, der in der Finsternis sitzt, denjenigen sieht, der im Licht ist, und Abraham sah den reichen Mann, obschon dieser in der Finsternis war, weil jener Licht in sich selber hatte. Der reiche Mann war also einer von denjenigen Toten, die sich verlassen hatten auf ihr Gut, und getrotzt hatten auf ihren großen Reichtum, da man denn an seinem Beispiel sah, daß solche Weisen doch sterben, sowohl als die Toren und Narren umkommen, und müssen ihr Gut Andern lassen.

Das war ihr Herz oder höchster Wunsch bei Leibesleben, daß ihre Häuser immerdar währen, ihre Wohnungen für und für bleiben, und sie immer große Herrlichkeit auf Erden genießen möchten: aber sie konnten nicht bleiben in solcher Würde, sondern mußten davon wie ein Vieh, das ungern und ohne Hoffnung stirbt. Nun liegen sie in der Hölle wie Schafe, der Tod naget sie, ihr Trotz ist vergangen, in der Hölle müssen sie bleiben. Im Sterben konnten sie nichts mitnehmen, und ihre Herrlichkeit ist ihnen nicht nachgefahren: sie fuhren aber ihren ungläubigen Vätern nach, und sehen das Licht nimmermehr, Ps. 49, 20.

Wenn man nun heut zu Tag Jemand fragen wollte, ob er sich in den damaligen Zustand des reichen Mannes hinein wünsche, so würde Niemand so töricht sein, daß er’s bejahe. Wenn man aber vielen eiteln Menschen den reichen Mann zeigen könnte, wie er bei Leibesleben sich hoffärtig gekleidet, und alle Tage herrlich und in Freuden gelebt hat, so würden sie töricht genug sein, sein Tun zu loben und sich in seine Stelle hinein zu wünschen. Und fürwahr, es gibt noch immer Leute, von denen man sagen muß, was Psalm 49, 19.14 steht: sie preisen’s, wenn einer nach guten Tagen trachtet, sie loben das Tun der Weisen dieser Welt, die jetzt in der Hölle liegen; welches doch lauter Torheit war. Wenn ein Weltmensch klug sein will, muß er seinen Sinn ändern, und anders denken, sagen und tun lernen als vorher. Was Moses und die Propheten, Christus und die Apostel gelehrt haben, ist wahr, und dieses glauben ist Weisheit. Bei dieser Weisheit wandelt man im Licht, und entgeht der finstern Hölle, wo man durch’s Feuer gepeinigt wird, und wird in das himmlische Licht versetzt, und da über allem ausgestandenen Leid getröstet.

(Magnus Friedrich Roos)

Gott! Gedenk ich ans Verdammen,
An die Pein in jenen Flammen,
An den Zorn von deinem Stuhle,
An die Qual im Schwefelpfuhle,
An das Feuer, das man fühlet,
Das kein Tröpflein Wasser kühlet,
O so schrei ich auf der Stelle:
Ach, bewahr mich vor der Hölle!

(Liedvers: Philipp Friedrich Hiller)

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Vom Wiedersehen sprechen die Menschen oft, wenn der Tod sie trennt, und es geht mir nicht anders als den anderen, ich denke auch oft ans Wiedersehen. Auch Jesus spricht hier von einem Wiedersehen, freilich nicht nur vom Wiedersehen alter Bekannter. Der Reiche sieht auch Neues. Jetzt sieht er Abraham, von dem er nur gehört hat, daß er sein Vater sei und daß er seinen Anteil an Gott von Abraham her besitze. Nun wird, was er gehört hat, Wahrnehmung. Denn er sieht, daß Abraham die von seinen Söhnen zu sich nimmt, die die Engel zu ihm tragen. Er sieht aber auch Lazarus, den er oft gesehen hat, solange er am Torbau seines Hauses lag. Denn es ist zwischen ihm und Lazarus eine Verbundenheit entstanden, die der Tod nicht löst. Beim Reichen entstand diese Verbindung durch seine Schuld, und Schuld weckt Erinnerung und führt zum Wiedersehen.

Ich will auch jetzt, lieber Herr, ernstlich auf dich hören, obwohl ich vor den Gedanken erschrecke, daß das Verschulden uns Menschen mit einem Band aneinander bindet, das nicht einmal der Tod zersprengen kann. Schuld kann zwischen uns nur dann entstehen, wenn du uns in der irdischen Zeit zusammenführtest. Deine Gnade hat uns zusammengebracht, damit wir aneinander deinen guten Willen tun. Wer ihn nicht tut, den bindet nun die Schuld mit dem anderen zusammen und das ist ein Band, das durch Gottes Gesetz unzerreißbare Festigkeit bekommt. Nun darf ich aber fortfahren und sagen: auch die Liebe bindet uns zusammen nach deinem festen und wirksamen Gesetz. Schafft nicht auch sie die unvergängliche Berührung? Bringt nicht auch sie uns das Wiedersehen? Dann aber ist das Wiedersehen selig, wenn du, Herr Christus, dabei bist und wir uns an deinem Tisch und Fest begegnen. Wir haben nicht Abraham zum Vater. Für uns bist du der Anfänger und Vollender des Lebens. Darum verlangt unser Hoffen für uns und für alle unsere Lieben nach deiner Versichtbarung.

Ich kann mit meinen Gedanken und Wünschen nicht nur im Gegenwärtigen verweilen. So hast Du es uns verordnet, heiliger Gott, daß wir vorwärts schauen, nicht in das Grab hinein, sondern in das Leben hinauf, und es ist Dein Wille, daß das, was Du uns jetzt gibst, unser ewiges Leben und unser ewiges Eigentum werde. Wir empfangen von Dir kein größeres Eigentum als die Menschen, die Du uns anvertraust. Mache uns füreinander zum ewigen Segen.

Amen.

Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter

Übersicht Lukas 16

Eingestellt am 13. Oktober 2021 – Letzte Überarbeitung am 9. Juli 2023