Das Volk Gottes. Nach Epheser 2, 18-22.

Denn durch ihn [Christus] haben wir den Zugang alle beide in einem Geiste zum Vater. So seid ihr [Juden und Heiden] nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem HERRN, auf welchem auch ihr mit erbaut werdet zu einer Behausung Gottes im Geist. (Epheser 2, 18-22)

Unter den 10 Aussätzigen war nur einer, der dankbar zu Jesu umkehrte; aber unter 10 Getauften findet sich kaum einer, der sich daran erinnert, daß ihn der Heiland in diesem Sakrament gereinigt hat von dem Aussatz der Sünde, und der nun dankbar zu Ihm umkehrt und sich zu Ihm hält.

Von den Hunderttausenden, die der Herr aus Ägypten führte, kamen nur ganz wenige in das Land Kanaan. Nicht alle, die zum Volk Gottes berufen sind, erlangen auch die Ruhe, welche dem Volk Gottes verheißen ist. Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Gehöre ich zu den Auserwählten? Bin ich einer, von denen welchen das Wort gilt: „Der Herr kennt die Seinen“? Durch die Taufe bin ich auf das Ackerfeld Gottes verpflanzt worden. Aber neben dem Weizen ist auch viel Unkraut. Zu welcher Klasse gehöre ich – zum Weizen oder zum Unkraut? Es gibt an dem Weinstock, den sich der Herr nennt, auch dürre Reben. Bin ich vielleicht eine solche? Wie wichtig ist die Prüfung, zu der uns der Apostel mit den Worten anweist: „Versuchet euch selbst, ob ihr im Glauben seid“; prüfet euch selbst (2. Korinther 13, 5a)!

Ja, prüfen wir uns, ob wir wirkliche Glieder des Volkes Gottes sind, oder nur Scheinglieder. Die wahren Glieder des Volkes Gottes stehen in einer innigen Einheit miteinander. Der Herr Jesus zerschmelzt die getrennten Herzen. Er hat das große Meisterstück vollbracht, die größten Gegensätze in der damaligen Menschheit, die Heiden und Juden mit einander zu vereinigen. Er hat aus den beiden, die wider einander waren, Eins gemacht. Die Juden verachteten, ja verabscheuten die Heiden wie unreine Tiere, und die Heiden verabscheuten die Juden. Keine Macht in der Welt hätte die Scheidewand zwischen den beiden beseitigen können als nur Christus. Er hat die Feindschaft abgetan durch das Kreuz. Er hat beiden einen Geist gegeben, hat sie zu einem Gott und Vater geführt und ihnen eine große Hoffnung geschenkt. Wiederum in der Heidenwelt war ein großer Gegensatz zwischen den fein gebildeten Griechen und den Barbaren. Die Röhesten unter den Barbaren waren die Scythen. Aber wo Christus ins Mittel tritt, da ist nicht Grieche, Jude, Ungrieche, Scythe, Knecht, Freier, sondern alles und in allen Christus (Kol. 3, 11): Er verbindet auch die Stände desselben Volkes, die am weitesten voneinander abstehen, miteinander. Ein armer Sklave war von einem Freien himmelweit geschieden; in Christo wurden sie eins. Nachdem der entlaufene Sklave Onesimus Christ geworden, ist er dem Philemon mehr als ein Knecht, er ist ihm ein lieber Bruder (Philemon 1, 16).

Auch zwischen arm und reich schlägt Er eine Brücke, oder vielmehr: Er ist selbst die Brücke, die sie miteinander verbindet. Nun, meine Lieben, ist der Standeshochmut, der Geldstolz, der Bildungsdünkel bei Euch schon geschwunden? Es gibt einen Adelsstolz, einen Gelehrtenstolz und einen Bauernstolz. Alle diese Arten des Stolzes richten Schranken auf, die nur Jesus niederlegen kann. Bist du ein Glied Seines Volkes, dann rühmst du dich nicht mehr deines Besitzes, deiner Geburt, deines Titels, deines Wissens, deines Verstandes, sondern allein des Herrn Jesu und Seines Kreuzes. Du fühlst dich mit allen brüderlich verbunden, die denselben Herrn, denselben Glauben, denselben Gott und Vater und dasselbe herrliche Ziel haben. Vor dem Herrn der Herrlichkeit schrumpft alles in nichts zusammen, was sonst groß und rühmenswert in deinen Augen war; vor Ihm fallen alle Schranken nieder, die vordem andern Halt geboten haben, daß sie dir nicht mehr nahe kommen durften. Bist du nun mit allen, die Ihn kennen und lieben Ein Herz und Eine Seele? Willst du nur ein Baustein in Seinem herrlichen Tempel neben vielen sein, oder begehrst du etwas Apartes für dich? Dann siehe zu, daß du nicht von dem großen Baumeister verworfen wirst. Vor den Augen der Welt gleichst du vielleicht einem stattlichen Felsblock. Aber der Herr Jesus muß dich erst in Stücke schlagen und kann dich zu Seinem Bau vielleicht nur in Gestalt eines kleinen Steines verwenden, der nur zum Flickwerk oder zur Ausfüllung dient. Bist du damit zufrieden?

Zur rechten Einheit gehört Kleinheit. Vor dem Heiland wirst du klein, ganz klein, und das ist notwendig zur Eintracht mit andern – welches Wunder der Gnadenkraft Jesu! Er hat aus den 3000 in Jerusalem ein Herz und eine Seele gemacht, aber ohne Ihn können nicht einmal zwei so recht ein Herz und eine Seele sein. Nimm nur den Ehestand. Diese Vereinigung ist nach Gottes Spruch die allerinnigste auf dem natürlichen Gebiet. Es werden die zwei Ein Fleisch sein, aber wie selten sind sie auch ein Geist. Wie oft herrscht in der Ehe Zwietracht oder doch Kälte und Gleichgültigkeit. Man geht nicht mit einander, sondern wider einander. Das wird erst anders, wenn Jesus ins Mittel tritt und beide Ehegatten unter Sein Joch beugt. Meldet sich Uneinigkeit, so kann sie sich nicht einnisten, sobald beide vereint vor dem Gnadenthron erscheinen. Gehen die Eheleute miteinander zum Vater, beugen sie miteinander die Kniee, wie können sie dann Groll gegen einander hegen?

Der Feind, der so gern die Eheleute gegen einander hetzt, verliert sein Spiel. Ihr Ehegatten, seid auf der Hut! Und wenn der Zank losbrechen will, geschwind sprecht: Wir wollen mit einander zum Herrn, und siehe – die finstern Wolken mit Donner und Blitz weichen, und die Sonne scheint wieder still und friedlich auf euch nieder. Aber wie, wenn Einer der Ehegatten den Heiland noch nicht kennt und darum auch den Zugang zum Vater noch nicht besitzt? Können dann die beiden ein Herz und eine Seele sein. Nicht wohl. Denn wenn sie auch natürlich eins sind, so sind sie doch geistlich geschieden wie Licht und Finsternis. Aber Zank braucht deswegen nicht zu sein. Der eine Teil, der den Vater kennt und Zutritt zu Ihm hat, muß glauben, hoffen, bitten, dulden und schweigen, bis auch der andere Teil den Herrn erkennt, dann ist Friede und Eintracht da.

Zwischen den Kindern des Lichts und den Kindern dieser Welt kann und soll keine Einheit sein. Vielmehr gilt: Gehet aus von ihnen und rühret kein Unreines an. Christus eint nicht nur, er trennt auch. Er hat auch das Schwert gebracht und erregt den Sohn wider den Vater, die Tochter wider die Mutter, er richtet zwischen den Genossen desselben Hauses eine hohe Mauer auf. Aber die Jesusjünger können dafür nichts, sie seufzen unter solcher Uneinigkeit, doch sie dürfen unmöglich einigen, was Gott geschieden hat; sie können nur bitten, daß sie alle eins werden im Herrn, eine Herde und ein Hirte.

Quelle:

Philadelphia. Organ für evangelische Gemeinschaftspflege. Im Auftrag des Deutschen Komitees für evangelische Gemeinschaftspflege herausgegeben von Chr. Dietrich. Fünfter Jahrgang. 1895. (Als Manuskript gedruckt.)
[S. 18-22; Digitalisat]


Eingestellt am 19. April 2024