Am Tage der Konfirmation

32. Predigt am Sonntage Misericordias Domini

Am Tage der Konfirmation

Es regen sich in meinem Herzen gemischte Empfindungen, wenn ich an den künftigen Lebensweg dieser Kinder denke, die ihr Glaubensbekenntnis heute abgelegt, und das, was für sie in der heiligen Taufe versprochen worden ist, hier heute vor dem Angesichte Gottes wiederholt haben, nämlich daß sie dem Teufel, der Welt und ihrem eigenen Fleische keinen Raum bei sich geben, sondern Gott und ihrem HErrn JEsu dienen wollen ihr Leben lang. Es regen sich beim Gedanken daran Empfindungen der Freude, aber auch Empfindungen der Wehmut bei mir – der Freude, wenn ich gedenke, daß diese Kinder auf’s Neue in den Friedensbund mit Gott aufgenommen worden sind, wenn ich bedenke, daß sich der Heiland aus diesen Kindern eine Pflanzschule des Reiches Gottes erbauen und bilden will, wenn ich bedenke, daß auch diese Kinder erkauft, erlöset, erworben und gewonnen sind von allen ihren Sünden durch das Blut JEsu; – aber auch Empfindungen der Wehmut, wenn ich bedenke, welcher Welt diese Kinder entgegen gehen, und welche Welt viele unter ihnen bereits in sich tragen, wenn ich bedenke, daß vielleicht viele unter ihnen heute die größte Lüge ihres Lebens auf sich geladen haben.

Man möchte wohl fragen: verstehen sie auch, was sie tun? Ist es ihnen auch ein wahrer Ernst mit ihrem Versprechen, oder lassen sie sich nur deswegen diese Feierlichkeit gefallen, weil es einmal so Sitte und Gewohnheit ist? Ist es dem Heiland auch gelungen, in die eine oder die andere dieser jungen Seelen ein göttliches Saatkorn durch Seinen Geist zu legen, das reifen wird für die Ewigkeit? – Oder sind vielleicht viele noch tot, noch ferne von ihrem Gott und Heilande? Hat vielleicht schon Satan so viel Unkraut in Eines oder des Anderen Herz gesät, daß der gute Samen keinen Grund und Boden mehr finden kann? Und wenn es ihnen wirklich ein Ernst ist mit ihrem öffentlichen Versprechen, werden sie denn auch dem HErrn JEsu getreu bleiben? Werden sie so fest an Den sich anhängen, der sie bis in den Tod geliebt hat, daß nicht die Lüste der Jugend, nicht die Verführungen einer verkehrten, ungöttlichen Welt, nicht die besonderen Reizungen, die in dem Geiste dieser Zeit liegen, nicht das Toben des Teufels, der einen großen Zorn hat, daß das Alles sie nicht von dem Heilande werde abwendig machen können? Das sind lauter gewichtige Fragen, die beim Anblick dieser Kinder mir schwer und wehmütig auf’s Herz fallen. Denn was sieht man gewöhnlich für Früchte von der Konfirmation? Ist sie häufig etwas Anderes als der Eintritt in ein freieres, ungebundeneres, ungöttlicheres, für Zeit und Ewigkeit verderbliches Sündenleben? Die Meisten in unserer Versammlung wurden zu ihrer Zeit auch konfirmiert; aber ich erlaube mir die Frage: Wo sind denn die Früchte dieses heiligen Bundes, den wir damals mit unserem Gott gemacht haben? wo sind denn die Früchte unseres ersten Abendmahls? wo die Früchte der unaussprechlichen Gnade, daß es uns bis daher so oft vergönnt war, an dem Leib und Blut Christi Teil zu haben? Ach, der Augenschein, der Anblick des traurigen Verfalls von Christentum und Gottesfurcht, gibt nur zu klares Zeugnis, daß so viele herrliche Anstalten, die zum Theil vom HErrn selber und von Seinen Aposteln, zum Teil von erleuchteten Männern Gottes zur Erbauung und Förderung der Gemeinde eingesetzt worden sind, bei vielen nichts, man möchte fast sagen weniger als nichts, gewirkt haben und noch wirken. Das macht mich so bedenklich und wehmütig, und deswegen möchte ich ein Wort zärtlicher Liebe den lieben Konfirmanden zurufen, wozu ich die Worte Johannis gewählt habe, welche in seinem ersten Briefe und dessen 2. Kapitel im 28. Vers stehen und also lauten:

„Kindlein, bleibet bei Ihm, auf daß, wann Er geoffenbaret wird, wir Freudigkeit haben und nicht zu Schanden werden in Seiner Zukunft.“

O großer Erzhirte und Bischof Deiner Schafe! Lege einen heiligenden, göttlichen Segen auf unsere heutige Betrachtung. Sieh an diese Seelen in Gnaden, welche sich Dir, dem guten Hirten, geweiht und übergeben haben! Gib ihnen einen Lichtstrahl, einen Friedensstrahl von Deiner Liebe in ihre Herzen, damit sie ewig Dir leben, Dir leiden, Dir sterben können! Amen.

„Kindlein!“ so redet der Apostel seine Gläubigen an. Mit diesem einfachen Ausdruck wollte er ihnen sogleich den ganzen Segen des Evangeliums, ihre Kindschafts- und ihre Erbschafts-Rechte, als Glieder des Neuen Bundes, zu Gemüte führen; damit wollte er ihnen sogleich ihr Verhältnis zu Gott, dem Vater JEsu Christi und also auch ihrem Vater, und zugleich ihr Verhältnis zu ihm selber, dem Apostel ans Herz legen, da sie ja Seine rechtschaffenen Kinder waren, gezeugt durch das Wort der Wahrheit, Sein Werk neu geschaffen in Christo JEsu, unserem HErrn, zum Preis der herrlichen Gnade Gottes. Dieser zärtliche Ausdruck floß heraus aus jener Liebe, welche Christus geboten hat, als Er zum Vater ging, und es den Seinen noch zurief: „Ein neues Gebot gebe Ich euch, daß ihr euch unter einander liebet, gleichwie Ich euch geliebt habe; denn daran wird Jedermann erkennen, daß ihr meine rechten Jünger seid, so ihr Liebe unter einander habt“; er floß heraus aus dem Geist des Neuen Bundes; denn der Apostel führte ja nicht mehr das Amt, das antreibt und befiehlt, und straft und droht, und die Verdammnis predigt, sondern das Amt, das die Versöhnung und Gnade und Frieden verkündigt. Deswegen treibt und befiehlt er nicht, sondern wie ein liebender Vater mit zärtlicher Stimme lockt und reizt er sie, zu bleiben bei Christo, dem HErrn. So will ich’s heute auch machen, liebe Zuhörer, ich will nicht befehlen oder ungebührlich zumuten, sondern bitten, herzlich bitten, und Christus bittet durch mich.

Und so bitte ich euch Alle, besonders aber euch, liebe Konfirmanden, bei dem HErrn JEsu zu bleiben. Ich will euch dies erklären, damit ihr auch wißt, um was ich euch bitte. Wer beim Heiland bleiben soll, der muß zuvor zu Ihm gekommen sein. Was heißt nun aber zu JEsu kommen? So lange der HErr auf Erden wandelte, war es leicht, auf diese Frage zu antworten, denn zu Ihm waren alle Die gekommen, die in Seine Jüngerschaft sich gemeldet, zu Seiner Nachfolge sich eingefunden und verstanden hatten. Ob man nun gleich jetzt Ihn nicht mehr sehen, und mit den Händen betasten kann, wie es die Apostel durften und konnten, so kann man doch noch zu Ihm kommen. Dies ist jedoch nicht bloß so zu verstehen, wenn man Seiner Lehre im Allgemeinen Beifall gibt. Solche Leute gab es auch in Judäa; sie entsetzten sich über Seine gewaltigen Predigten, aber dabei blieb es auch. Und so ist es noch bis auf diese Stunde nicht die Hauptsache, daß man von Seinem Worte denke: es ist Wahrheit, oder: Er ist der Sohn Gottes. Leider wandeln ja in einem solchen toten Glauben die meisten Christen. Auch das heißt nicht zu JEsu kommen, wenn man sich konfirmiren und den Segen erteilen läßt, wie dieß bei euch, liebe Konfirmanden, der Fall ist, oder wenn man zum heiligen Abendmahl geht und die Kirche besucht; alles dies ist ganz gut; aber wenn keine Änderung des Herzens dadurch bezweckt wird, so ist’s umsonst. Ach, der Augenschein lehrt es ja bei Vielen, die konfirmiert wurden, daß sie weit davon entfernt waren, zu JEsu zu kommen und bei Ihm zu bleiben, daß sie bis auf diesen Tag ohne Ihn dahin wandeln, und die Welt lieb haben und das, was in der Welt ist, und nichts wissen von der Liebe Christi, dem sie doch Treue geschworen haben.

O zu dem Heilande kommen, heißt etwas ganz Anderes, es heißt nämlich: von ganzem Herzen an Ihn sich ergeben, sich Ihm weihen, ausgehen von dieser Welt, und dem, was die Welt lieb hat, und sich zu Christo wenden, in Seine Nachfolge treten, in Seiner Liebe und im Glauben an Ihn wandeln; mit andern Worten: Seine Jünger werden in der Tat und Wahrheit. Wer so zu Ihm kommt, der erlangt Gnade, der erlangt in Seinem Blute Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott, der höher ist als alle Vernunft, er erlangt ein neues, göttliches Leben durch Seinen Geist, einen heiligen Trieb der Liebe, dem Heiland allein zur Ehre zu leben, und Ihm wohlzugefallen, Alles das mehr und mehr abzulegen, was Ihm zuwider ist, er erlangt mehr und mehr eine seligmachende Erkenntnis des Sohnes Gottes, da sieht er dann das Lamm mit Augen an, die Gott alleine geben kann, und spricht mit jenem Liede in seinem Herzen:

Meinen JEsum ich erwähle,
Keinen Liebern find’ ich nicht;
Auf Ihn freut sich meine Seele;
JEsus bleibt mein Lebenslicht;
Darum, darum ruf’ ich hier
Mit Begier:
Komm, o JEsu, hole mich,
Meine Seele liebet Dich.

Sollten nun unter unseren Konfirmanden solche sein, die wenigstens einigermaßen Anfänge eines solchen Glaubens in ihrem Herzen erfahren haben, so rufe ich diesen zu: Bleibet bei Ihm! Kindlein! bleibet bei Ihm, lasset nicht von Ihm, haltet euch fest an Ihn, klammert euch an Ihn, bittet Ihn inbrünstig, Er möchte euch selber in Seiner Gemeinschaft erhalten, euch immer tiefer und inniger in Seine Versöhnungs-Gnade, in Seine Lebens- und Todes-Gemeinschaft, in den stillen, verborgenen Umgang mit Ihm hineinziehen; sehnet, wünschet, betet, seufzet, flehet euch immer tiefer und inniger in Seine große JEsus-Liebe hinein!

Liebe Zuhörer! diese Ermahnung an die Konfirmanden, bei dem HErrn JEsu zu bleiben, tut Not, recht Not. Wenn ich an die vielen Tausende denke, die auch schon an jenem Altare dort ihren Taufbund erneuert haben, sei es auch nur mit dem Munde, die aber trotz ihres Versprechens in Lauheit, – doch das wäre noch erträglich, nicht nur in Lauheit, sondern in Kälte gegen Christum hineingeraten sind, die zum Teil in Sünden und Laster versunken sind, die nach eigenem Willen einhergehen, ihr Leben einrichten nach eigenem Gutdünken, oder nach den Lüsten und Gewohnheiten der Welt, oder nach der Religion der Menschen dieser Zeit, die leichter ist als die Spreu, welche der Wind zerstreut, die dahin leben in Gottes-Vergessenheit, in der Eitelkeit dieses Zeitlaufes, die da lieb haben die Augenlust und Fleischeslust und hoffärtiges Wesen, die dahingehen lachend und scherzend, leichtsinnig und sicher, sorgenlos und berauscht vom Zaubertrank der Welt, ohne einen Gedanken daran, was sie ihrem Gott und Heilande schuldig sind, ohne einen Gedanken an die kommende Vergeltung, an das Gericht, da sie ihrem Gott und Schöpfer Rede stehen, und Rechenschaft geben müssen von jeglicher Stunde ihrer kostbaren Gnadenzeit, wenn ich an die Menge Derer denke, die also wandeln und zum Teil in offenbare Feindschaft gegen den Namen unseres hochgelobten Erlösers ausgebrochen sind, zum Teil den Bund Gottes und Christum in den Mund nehmen, aber Zucht hassen und Christum zu einem Sündendiener machen; wenn ich die große bevölkerte und betretene Straße betrachte, auf welcher Tausende zur Hölle wandern, dann drängt es mich, mit erhabener und dreifach verstärkter Stimme, so gut ich’s kann, im Namen des HErrn JEsu den lieben Konfirmanden zuzurufen: „Ach, Kindlein! bleibet bei Ihm.“ O man kommt so bald von Ihm hinweg, denn es kann keine Weltlust und Weltfreude neben Ihm bestehen, es beginnt dann die Weltliebe die Oberhand über Seine Liebe zu haben, und man weicht von Ihm und wandert seine Straße ohne Ihn. So ging es Manchen, die zu Christo gekommen und Ihm nachgefolgt waren; sie stießen sich an Ihm, sie sagten: Seine Lehre ist eine harte, beschwerliche Lehre, wer kann sie tragen? und darum gingen sie hinter sich und verließen Ihn. Wie der HErr JEsus bei solchen schmerzlichen Erfahrungen traurig Seine Jünger fragte: „Wollt ihr auch weggehen?“ – so frage ich nun auch euch, liebe Konfirmanden: wollt ihr auch weggehen, wie so viele Tausende schon von hinnen gegangen sind? O wohl euch, wenn ihr mit Petrus antwortet:

„HErr! wohin sollen wir gehen, Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“

„Kindlein! bleibet bei Ihm!“ und ob Satan, Fleisch und Blut sich mit aller Macht dagegen sträubten, bleibet bei Ihm und widersteht fest im Glauben, und seid stark in dem HErrn und in der Macht Seiner Stärke. O es liegt ja am Tage, Niemand, der Augen hat, zu sehen, kann es leugnen, daß die Welt im Argen liegt. Doch dies war zu allen Zeiten; aber lag sie je im Argen, so ist’s in dieser Zeit, in dieser jämmerlichen, christuslosen, ungöttlichen, entarteten, und doch so hochmütigen, gegen Gottes heiligste Majestäts-Rechte ankämpfenden und empörerischen Zeit. Aberglauben und Unglauben bieten einander gegenseitig die Hand, und suchen Christum auszurotten; Menschenmeinungen und Menschensatzungen werden an die Stelle des Wortes Gottes gesetzt, es ist keine Furcht Gottes vor den Augen der Menschen dieser Zeit. Ja, man kann es ja fühlen; auch wer den Heiland sucht, kann in eigener Erfahrung fühlen, welche höllischen Kräfte und Mächte unter den Menschen dieser Zeit ihr Spiel treiben; man kann es ja fühlen, daß der Gott und Fürst dieser Welt, der sein Wesen hat in den Kindern des Unglaubens, daß die bösen Geister unter dem Himmel auch nicht müßig sind; es liegt ja am Tage, wie dieses Geschlecht der Augenlust und Fleischeslust und dem hoffärtigen Wesen frönt, wie die heiligsten Kleinode der Menschheit, die Gottesfurcht und die Liebe zu Christus an manchen Orten als alte Märchen verspottet, und der Sohn Gottes mit Füßen getreten wird; es liegt ja am Tage, und die, welche es erfahren, werden mir Beifall geben, wie selbst die wackersten und redlichsten Christen Mühe haben, sich gegen den Schlaf, gegen den schweren Schlaf zu erwehren. Was die Zukunft bringen wird, das weiß der HErr allein; sie liegt in Seiner allmächtigen Hand; Er allein kann die Zeit setzen, wann der Abfall von Christo so viel Macht bekommen soll, daß das Bekenntnis des Namens JEsu Christi wieder mit schweren Aufopferungen, ja sogar mit Daranwagen des Blutes und Lebens festgehalten werden müßte. Was noch die Finsternis ankündigt, der Aberglaube, oder sei es die Finsternis, die im Gewande des Lichts auftritt, der Unglaube, und die vielen tausend Gedanken und Begriffe, die in dieser Zeit in Umlauf gesetzt wurden, und als große Aufklärung angepriesen werden, aber vor den Augen des Allwissenden und Allesdurchdringenden nichts taugen, was auch die Finsternis in Zukunft noch ausgebären mag, wie es der HErr der Gemeinde zuläßt; das ist gewißlich wahr, bloß diejenigen werden überwinden, die, gewaschen durch das Blut des Lammes, und gestärkt durch das Wort Seines Zeugnisses, ihr Leben nicht lieb haben bis in den Tod.

Liebe Zuhörer! wie wollen wir da bestehen, wie wollen wir da überwinden, wie werden diese unerfahrenen jungen Seelen, die jetzt der Welt, der lockenden, der reizenden, der unschuldig scheinenden, aber in ihrem innersten Wesen vergifteten, ungöttlichen und zur Verdammnis führenden Welt entgegen gehen, wie werden sie unversehrt und unbefleckt hindurchkommen? wie werden sie überwinden, wie am Ende ihres Lebens getrost sprechen können, was sie heute bekannt haben: „HErr JEsu, Dir leb’ ich, Dir leid’ ich, Dir sterb’ ich, Dein bin ich tot und lebendig!“ O bleibet bei Ihm; dieß ist der einzige Weg, auf dem euch der Arge nicht antasten kann. Ach, bittet Ihn, daß Er Sich mit euch so verbinde, daß „weder Hohes noch Tiefes weder Tod, noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch irgend etwas in der Welt euch scheiden möge von der Liebe Gottes, die in Christo JEsu ist, eurem HErrn“; o bittet Ihn, daß Er euch jenen Sinn schenke, den jenes Lied erfleht:

Ach, es steht ja mein Verlangen,
Liebster JEsu, nur nach Dir;
Laß mich treulich an Dir hangen,
Schenke Dich zu eigen mir;
Ob viel’ auch umkehrten zum größesten Haufen,
So will ich Dir dennoch in Liebe nachlaufen,
Denn Dein Wort, o JEsu, ist Leben und Geist,
Was ist wohl, das man nicht in JEsu geneußt.

„Bleibet bei Ihm!“ O Er ist es ja wohl wert, daß wir bei Ihm bleiben, Er ist ja nicht ein mürrischer, harter Mann, der da ernten will, wo Er nicht gesäet hat; Er ist ja kein bloßer Mensch und Prophet, bei dessen Worten man bleiben, dessen Lehren man halten soll; es ist ja JEsus, bei dem wir bleiben sollen. O welch’ ein teurer, kostbarer, süßer Name. Der JEsus also, in dem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnet, welcher der Schöpfer aller Dinge ist, und die Sterne hinausgestreut hat an das Himmelszelt, wie der Säemann seinen Samen ausstreut auf sein Saatfeld, der JEsus, welcher das ewige Wort und der König ist über Alles im Himmel und auf Erden, der JEsus, der euch selber in’s Dasein gerufen, und bis auf diese Stunde väterlich über euch gewaltet und gewacht hat, ja, der JEsus, den die Liebe zu euch, ihr lieben Konfirmanden, aus dem Schoß des Vaters in dieses Jammertal hereingetrieben hat, der aus Liebe zu euch Sich an’s Kreuz heften ließ, aus Liebe zu euch Sein königliches, dornengekröntes Haupt neigte, und in heißer Läuterung für eure und meine und der ganzen Welt Sünde am Fluchholze verschmachtet ist. Es ist ja JEsus, der gute Hirte, der eure Seelen geliebet, und Sein Leben gelassen hat für Seine Schafe. Kindlein, bleibet bei Ihm! Bei wem wollt ihr es besser finden? Ihr seid voll Sünde von Natur, Er schenkt euch Seine Gerechtigkeit; ihr seid geistlich arm, der HErr ist reich, wer ist unserem König gleich? Ihr seid voll Jammer und Elend, Er schenkt euch Liebe und Freude; euer Herz ist erstorben und erkaltet von Natur, Er schenkt euch ein neues Herz und einen neuen gewissen Geist; ihr seid voll Untreue, Er ist die Treue selbst; so will Er euch hindurch, hinaus, hinein führen in’s rechte Kanaan, wo die Lebensströme fließen, und Er euch weidet und leitet zu den lebendigen Wasserbrunnen.

Wie herrlich ist’s, ein Schäflein Christi werden,
Und in der Huld des treu’sten Hirten steh’n!
Kein höh’rer Stand ist auf der ganzen Erden,
Als unverrückt dem Lamme nachzugeh’n;
Was alle Welt nicht geben kann.
Das trifft ein solches Schaf bei seinem Hirten an.
Hier findet es die angenehmsten Auen;
Hier wird ihm stets ein frischer Quell entdeckt;
Kein Auge kann die Gnade überschauen,
Die es allhier in reichem Maße schmeckt,
Hier wird ein Leben mitgeteilt,
Das unaufhörlich ist und nie vorüber eilt.
Wer leben will und gute Tage sehen,
Der mache sich zu dieses Hirten Stab;
Hier wird sein Fuß auf süßer Weide gehen,
Da ihm die Welt vorhin nur Träber gab.
Hier wird nichts Gutes je vermißt,
Dieweil der Hirt’ ein HErr der Schätze Gottes ist.

O bleibet bei Ihm; es ist dies ja keine harte Zumuthung; sie dient zu eurem Heile; denn bei Ihm strömt ja die rechte Lebensquelle, die tränket euch und erfreuet euch an Geist und Seele; hier ist das Lebensbrot, das Hungersnot vertreibt, ja auch im Tode selbst erhält. Bleibet bei Ihm, der gekreuzigten Liebe!

Es kommt eine Zeit, wo Alles vergeht und in Staub zerfällt, wo die Erde und die Himmel verwandelt werden wie ein altes Gewand, und wenn wir auch diese Zeit nicht mehr erleben sollten, so kommt doch die Zeit für einen Jeden unter uns, wo wir aus dieser Zeit hinaustreten müssen, wo uns die Welt und alle ihre Lust nichtig erscheint, wo wir das Leben ganz anders ansehen, als so lange wir in voller Kraft und ohne den Glauben an Christum dahin leben; es kommt eine Zeit, wo alle die Scheingüter und all’ der Zauber, der über die Dinge dieser Welt hingegossen ist, und all’ der Kot, woran so manches menschliche Herz klebt, wie wenn es ein großer Schatz wäre, in seiner wahren Gestalt als Nichts und als Kot erscheint: ich meine die Zeit, wo man an den Pforten der Ewigkeit steht, und zurückblickt auf sein verflossenes Leben. O wenn mich dann Alles verläßt, und meine irdischen Stützen morsch zusammenbrechen, und ich stehe allein, ohne JEsus, ohne Führer und Heiland, ohne Trost und Hilfe, vor einer finsteren, grausenhaften, richterlichen Ewigkeit, und meine Götzen haben mich verlassen, und ich stehe allein, nackt und bloß, und verwerflich und verdammlich; – o meine Lieben! wie elend, wie schrecklich elend wäre ich dann! Darum, Kindlein, bleibet bei Ihm!

Denn JEsus bleibt euch steh’n,
Wenn aller Trost der Kreatur zerrinnt!
Wenn Himmel, Erd’ wie Rauch und Dampf zergeh’n,
Und alle Welt mit ihrer Lust verschwind’t;
Wenn Gott die leichte Spreu,
Das Götzenvolk, zerstäubt;
So steht euch JEsus bey;
D’rum, Kindlein! bleibt!

Zwar scheint es oft, als ob Niemand besser daran sei als Diejenigen, welche die Welt lieb haben, und von der Nachfolge Christi nichts wissen wollen. Es könnte Mancher denken: wenn ich in die Welt hineinblicke, so sehe ich doch, daß Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Wesen die Menschen froh und vergnügt macht, daß Die, welche in solchen Dingen sich umtreiben, Augen voll Freude und einen Mund voll Lachens haben, und wenn auch hin und wieder ihnen etwas Widerwärtiges begegnet, das sie bekümmern könnte, siehe, sie lassen sich doch dies nicht sehr kümmern; es macht wenig Eindruck auf sie. Aber irret euch nicht, liebe Brüder; unter einem leichtsinnigen Gesicht ist oft ein Wurm verborgen, der am innersten Lebensmark nagt, und über den unruhigen Abgrund ihres gequälten Herzens legen sie oft künstlich täuschende Bretter, und sprechen: lasset uns essen und trinken und lustig sein; ihr innerster Herzensgrund ist oft durchwühlt von Unruhe und einem schrecklichen Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird. Die Gottlosen haben keinen Frieden, spricht mein Gott, ja nicht bloß keinen Frieden, sondern viele und große Plage; denn der Gottlose hat viel Plage, spricht die Schrift, bis er seine Lust befriedigt hat, und oft wird sie erst nicht befriedigt, und wie oft ist die Befriedigung selber verbittert und versalzen, wie oft folgt auf die Befriedigung nichts als Jammer und Reue? Welche Mühe hat der Gottlose nur damit, sein Gewissen einzuschläfern oder zu übertäuben, wiewohl man es auch hierin zu einer großen Kunstfertigkeit bringen kann. Aber auf immer wird ihm das nicht gelingen; denn wer das Kleinod Gottes im Herzen des Menschen antastet, den müssen einmal die Schrecken des Gewissens ereilen und schreckliche Rache üben. O glaubet es mir, doch nicht mir, sondern dem wahrhaftigen und treuen Zeugen: wahren Frieden und wahre Freude findet man nur bei Christo; und dieser Frieden und diese Freude tragen den Keim der Zerstörung nicht in sich selbst; sie sind kein Rauch, der in ein Nichts zerrinnt, sondern sind beständig, und begleiten auch durch des Todes finstere Täler zu den Stufen des Thrones eines richtenden Gottes. Darum setzt der Apostel zu seiner Ermahnung die lockenden Worte hinzu: „auf daß wir Freudigkeit haben und nicht zu Schanden werden vor Ihm in Seiner Zukunft“, einen freudigen Zutritt haben zu Ihm, und den Frieden Gottes im Herzen. O meine Lieben, nur bei Christo könnet ihr euch all’ der Gedanken entladen, welche euch unruhig und verzagt machen; nur bei Christo findet ihr das wahre Heil und das allerbeste Teil; denn

Vor JEsu Augen schweben
Ist wahre Seligkeit,
Ein unverrücktes Leben,
Mit Ihm schon in der Zeit.
Nichts können und nichts wissen,
Nichts wollen und nichts tun,
Als JEsu folgen müssen,
Das heißt im Frieden ruh’n.

„O Kindlein, bleibet bei Ihm!“ Es kommt ein Tag des Gerichts; es kommt ein Tag der Offenbarung JEsu Christi. Der, den die Welt nicht kennet, Der, den die Welt von sich gestoßen, als einen Auswurf der Menschheit, Der, dessen Erscheinung aber die Kinder Gottes lieb haben, wird einst hervorbrechen aus Seiner Verborgenheit; siehe, Er kommt in den Wolken des Himmels, und es werden Ihn sehen alle Augen, und die Ihn gestochen haben, und werden wehklagen alle Geschlechter der Erde. Denn JEsus erscheinet, der Liebevolle und Sanftmütige, aber auch der Schreckliche und Gewaltige, zum Fluch Denen, die Ihn nicht liebten und suchten. O da gilt es, in Ihm erfunden zu werden, und gewurzelt und befestigt zu sein in Seiner Liebe; denn wahrlich, da wird Er worfeln die Spreu mit gewaltiger Worfschaufel, und sie mit ewigem Feuer verbrennen, den Weizen aber in Seine Scheune sammeln. Siehe, die Axt wird den Bäumen an die Wurzel gelegt, und welcher Baum nicht gute Frucht bringet, wird abgehauen und in’s Feuer geworfen und muß brennen. Selig dann der Knecht, den sein HErr wachend findet, der bereit ist, zu stehen vor des Menschen Sohn; wehe aber Denen, die zu Schanden werden, deren Los ist Heulen und Zähneknirschen.

O treuer Heiland! wir legen Dir noch eine Bitte, eine große Bitte an Dein treues, hohepriesterliches Herz; HErr JEsu, laß diese Kinder hier nicht verloren gehen für die Ewigkeit; laß Deinen Schmerz und Todespein doch ja nicht an ihnen verloren sein! O HErr, Menschenaugen können sie nicht bewachen und bewahren; Du bist der treue Hüter, der nicht schlummert und schläft, bewache und behüte Du sie vor dem Argen; laß sie durch Nichts Dir aus Deinen Händen gerissen werden; siehe, sie sind in der Welt, in einer argen, verführerischen Welt; wir bitten nicht, daß Du sie von der Welt nehmest, aber daß Du sie bewahrest vor dem Verderben; rette doch Alle, die sich retten lassen, und die Widerstrebenden züchtige durch den Geist und den Odem Deines Mundes, und lasse deren Keines dahinten, sondern Alle hinankommen zu der Ruhe Deines Volkes, und einst freudiglich einziehen in die ewigen Hütten, als Dein Volk des Eigentums, das Du Dir erkauft hast mit Deinem Blute. O HErr! erhöre uns um Deiner ewigen Hirtenliebe und Hirtentreue willen.

Amen!

Quelle:

Ludwig Hofacker (1798-1828), weiland Pfarrer in Rielingshausen/Württ.