Offenbarung 3, 14-22: Das Sendschreiben an Laodikeia (von Brunn)

Offenbarung 3, 14-22:

14  Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes:
15  Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest!
16  Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
17  Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.
18  Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.
19  Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße!
20  Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.
21  Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.
22  Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Laodikeia, eine Stadt in Phrygien, an dem Flusse Lykus, von ansehnlicher Größe, mit einer beträchtlichen Christengemeinde, welcher schon Paulus (Kol. 2, 1. und 4, 13.15.16.) ehrenvolle Meldung tut, kann, wenn sich aus dem Namen etwas schließen läßt, der ein Volks-Gericht, und also eine Gemeinde bezeichnet, wo das Volk sich das Recht anmaßt, sich über Regierung, Gesetzgebung und Religionslehren abzusprechen, und seine Bildungsmethode selbst zu bestimmen*), mit Recht für ein Sinnbild des Christenvereins angesehen werden , der sich aus allen christlichen Kirchenparteien zu entwickeln scheint.

*) oder nach der im Jahr 1830 erfundenen Benennung »Volkssouveränität«.

Denn es ist der Volksgeist unserer Tage, nicht bloß das Bestehende zu beurteilen, sondern niederzureißen, zu verwerfen, umzugestalten und unter dem Vorwand der Verbesserung zu verändern — was nicht den Ansichten eines jeden einzelnen entspricht. Das Göttliche wird dabei mit dem Menschlichen in eine Klasse geworfen, ja Gottes Wort in der Berichtigung seiner Aussprüche mit weniger Hochachtung behandelt, als das schriftstellerische Werk eines verwegenen Schwätzers, den der allgemeine Ruf zum Gelehrten gestempelt hat. Die Führer der Volksbildung scheinen auch alles darauf angelegt zu haben, diesen kritisch-skeptischen Volksgeist zum Manne zu erziehen. Denn er wird nicht nur von den Kathedern der Hochschulen den künftigen Ärzten, Richtern, Religionslehrern, und Regenten eingehaucht, sondern auch in Schullehrerseminarien den künftigen Bildnern der Dorfjugend eingepflanzt , damit jedem Halbwisser der Mut gesteigert werde, auch den Weisen einen Toren zu schelten. Diesem wachsenden Volksgeist tritt unser Heiland gerade gegenüber in dem Charakter, den er in dem Sendschreiben an die Gemeinde Laodikeia annimmt. Dem Engel der Gemeinde zu Laodikeia — spricht ER — schreibe : Dies spricht der Amen , der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes.

Wie der Herr alle seine Briefe angefangen hat, so fängt Er auch hier an, mit den Worten: Dies spricht. Aber bei keinem Brief machten diese zwei Worte den Eindruck auf mein Gemüt, wie in dem Anfang dieses Schreibens. Denn in den andern Schreiben hatte Er es immer mit Leuten zu tun , denen seine Worte ohnehin Ja und Amen sind. Er hat’s gesagt, ist für sie genug. Aber hier tritt Er Leuten gegenüber, die, wie die Machtworte anzeigen, die darauf folgen, Ihn bisher nach dem Maßstab beurteilten, der ihren Eigenschaften und Verhältnissen angemessen ist, und Ihn als einen Lehrer betrachten, der wie sie sein ganzes Lehrgebäude auf Hypothesen baut, die aus Träumen der Einbildungskraft hervorgegangen sind. Mit solchen Staubweisen, und vorübergehenden Schattenbildern muß von dem Sohne Gottes in einer Sprache gesprochen werden, die sie nötigt, wie die Schnecke ihre Hörner einzuziehen, vor dem, der da sprechen kann: Dies spricht der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes. Der Amen — nennt sich Jesus. Er bedient sich also hier des gleichen Ausdrucks, den Er in den Evangelien gebrauchte, wenn Er ein Zeugnis von solchen Wahrheiten ablegte, die weder mit den Sinnen aufgefaßt, noch von der Vernunft erreicht werden können, weil sie göttlichen Ursprungs sind, in den Schätzen der göttlichen Weisheit verborgen lagen, und nur von dem Sohne, der in des Vaters Schoß war, verkündigt werden können. Wenn Er sich also nach dem Gebrauch des Wortes Amen, selbst den Amen nennt, so bezeichnet Er sich als den Abglanz der Herrlichkeit Gottes, den Charakter seines Wesens, das ewige unveränderliche Wort, den Ausspruch der Gottheit, in welchem sie sich selbst der Menschenwelt zu erkennen gibt. Wenn Amen eben so viel ist als wahrlich — Wahrheit, und Wahrheit das wirkliche Sein einer Sache bezeichnet, so ist Er Kraft, Ursache und Endzweck aller Offenbarungen Gottes. Was vor Zeiten manchmal und auf mancherlei Weise von Gott geredet worden ist zu den Vätern durch die Propheten, das wurde in der Person Jesu selbst in seinem ganzen Umfang ausgesprochen (Hebr. 1). Er war ein Licht der Welt (Joh. 1.), das nicht nur mit Worten zeugte, sondern durch sein ganzes Sein. Sein ganzes Leben war Lehre für die Menschheit. Er sprach nicht nur Gebote aus, Er war selbst das reinste , zweckmäßigste — und für Jedermann in der ganzen Welt lesbare — Gesetz Gottes nach seinem eigenen Zeugnis, daß Er nicht gekommen sei das Gesetz aufzuheben, sondern zu erfüllen (Matth. 6). Jedes Wort, das aus seinem Munde ging, war eine schöpferische Kraft, die, was nicht war, ins Leben rief. Wie der Kranke genas, und der Tote auferstand, in den die Lebenskraft, die Ihm der Vater gegeben hatte, in sich selbst zu haben, eindrang, so wurde auch der Sünder zum Gerechten, dem Er die Sünden vergab, und der Lasterhafte zum Heiligen. In Ihm stand wirklich ein Hüne Gottes da unter den Menschen. Wer sein Wort hörte, und glaubte, fühlte eine Gotteskraft in sich, die der Herr ewiges Leben nannte (Joh. 6, 40. ), weil die Kindschaft Gottes in ihm Kraft gewann. Allen göttlichen Verheißungen drückte Er das Siegel auf, so wie alle Anordnungen Gottes als Typen und Vorbilder der durch Ihn zu vollbringenden Versöhnung der Menschheit in Ihm bewährt wurden. Jn Ihm erhielten sogar die göttlichen Drohungen das furchtbarste Amen, da Er selbst ein Fluch für uns war, wie Er das Amen aller Gottesverheissungen ist, weil seine Gerechtigkeit dem, der an Ihn glaubt, zugerechnet wird. Der zum ewigen Leben erschaffene Mensch , der durch seinen Abfall von Gott eine Beute abgefallener Geister geworden ist, wird durch Jesu Auferstehung aus dem Tode, worin er versunken ist, wieder in das Leben zurückgeführt. Denn wie wir in Adam alle sterben, so »werden wir in Christo Alle lebendig gemacht werden« (1. Kor. 16.). Alle Anstalten Gottes finden also in Jesu ihr Amen, ihr Ziel, ihre Vollendung; dahingegen alles menschliche Machwerk, es mag so glänzend sein, als es will, vor dem Alleinheiligen nur Träumerei und Täuschung ist. Eine Gemeinde, welcher sich der Herr als Amen gegenüberstellt, muß notwendig einen Charakter haben, der Ihn dazu auffordert.

Ihn, der sich sonst, und besonders den sich selbst Erniedrigenden und sich schwach fühlenden, so gern als der Sanftmütige und von Herzen Demütige zu erkennen gibt. Er muß es also mit Leuten zu tun haben, die in Ihm lieben nur den frommen Sohn der Maria, und einen Schüler der Rabbinen vor sich sehen, der seine Lehre auf Hypothesen gründet, die er seiner Auferziehung zu verdanken hatte, und nur einige jüdische Vorurteile angreift, um sich einen Namen zu machen, als den Amen, in dessen Gottes- und Versöhnerkraft die Menschen allein Heil finden können. Und solche müssen Ihn in seiner ganzen Größe kennenzulernen veranlaßt werden durch einen ernsten Wink, der, wenn sie noch ein Ohr haben zu hören, sie belehren kann, wie sehr sie sich durch lügenhafte Kräfte berauschen lassen von dem Vater der Lügen, in dessen Bild sie auch Ihn gern möchten wandeln sehen, um sich über Ihn erheben, und die Anbetung, die Ihm gebührendermaßen von vielen Tausenden bewiesen wird, auf sich übertragen zu können. Aber bei diesem ersten Wink läßt Er es noch nicht bewenden; Er verstärkt denselben durch die Benennung des treuen und wahrhaftigen Zeugen, die Er sich zueignet. Ein treuer Zeuge tut kund, was er zu bezeugen hat, und zwar gewissenhaft, wie es sich wirklich zugetragen, und läßt sich weder durch Schein noch Ehre bei den Menschen, noch irgendeine Art von Bestechungen blenden. Da Er sich nun als einen treuen Zeugen feierlich erklärt, so erklärt Er eben so feierlich alle die für boshafte Verleumder seiner Person, welche seinen Aussagen unreine Deutungen geben, die Erzählung seiner Taten verstümmeln und ihnen den wahren Wert als Zeichen seiner Gottheit zu nehmen suchen. Er erklärt damit feierlich, daß Er wirklich Teufel ausgetrieben, und seine Aussprüche nicht dem jüdischen, in der babylonischen Gefangenschaft eingesogenen Aberglauben angepaßt habe; daß Er keine Scheintote , sondern wirkliche Tote auferweckt, und durch seinen Tod nicht nur sich als Märtyrer zur Bestätigung seiner Lehre darzustellen gesucht, sondern wirklich, nach seinen und seiner Abgeordneten Zeugnissen, die Welt mit Gott versöhnt habe. Um diesem Allem aber noch einen besondern Nachdruck zu geben, nennt Er sich auch den wahrhaftigen Zeugen, der nicht nur angenommene Grundsätze aufstellt, und seine Meinungen der Welt aufdringen will, sondern dasjenige mitteilt, was ewig unumstößliche Wahrheit ist, sodaß, wenn auch die Welt vergeht, seine Worte doch nicht vergehen werden (Matth. 6.). Wie sehr verschieden ist dieses Zeugniß von den Zeugnissen derjenigen , die immer von einem Zeitgeist sprechen, dem man sich akkommodieren [angleichen, anpassen] müsse, und diesem zufolge sehr oft den Schein für Wahrheit, ihre eigenen Träumereien für Wirklichkeit, und die Trugschlüsse ihrer von mancherlei Leidenschaften geblendeten und gefangenen Vernunft als untrügliche Grundsätze aufstellen. Da nun die Schriftgelehrten, deren wir erst gedacht, unter sich übereingekommen sind, wenn sie das von Jesu verkündigte Evangelium werden gereinigt haben, ein neues Evangelium aufzustellen, das der vortrefflich zugestutzten menschlichen Vernunft besser passe, so findet es der Herr nötig, sie auf das Zwecklose einer solchen neuen Schöpfung aufmerksam zu machen, die sie ohne Ihn unternehmen, und nennt sich daher selbst den Anfang der Schöpfung Gottes, wie Paulus, von Ihm selbst belehrt, sein Wesen beschreibt (Kol. 1, 15. etc.): Er ist das Bild — das Sichtbare — des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborne der ganzen Schöpfung; denn in Ihm ist geschaffen Alles, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare ; es mögen Thronen — hohe himmlische Mächte – oder Herrschaften — Vorgesetzte von Weltkörpern — oder Regierungen — Geister denen die Leitung ganzer Völker übergeben ist — oder Gewalten — wirksame geistige Kräfte — sein.

Alles ist durch Ihn und in Ihm geschaffen. Er ist vor Allem, und Alles bestehet in Ihm. Wenn nun Alles in Ihm geschaffen ist , und in Ihm bestehet , so ist Er der Urstoff aller Dinge in der Geister- und Körperwelt, und folglich der Anfang der ganzen Schöpfung. Ist alles in Ihm geschaffen, so muß auch alles von Ihm Getrennte, wieder in Ihn zurückkehren, und seine Feinde müssen sich noch zum Schemel seiner Füße legen. Als Anfang der Schöpfung ist Er das Urbild des nach dem Bilde Gottes geschaffenen, folglich auch das Urbild des zu erneuernden Menschen, und die Urkraft seiner Er neuerung. Ist Er der Anfang der ersten Schöpfung Gottes, so muß Er auch der Anfang der neuen Schöpfung werden durch die Auferweckung der Menschen, und die Erneuerung und Veredlung der Erde, die sich auch nach der Freiheit der Kinder Gottes sehnt ( Röm. 8. ).

Wenn nun dieses, aus der Schatzkammer der göttlichen Weisheit geschöpfte Zeugnis , das der Herr in manchen Hindeutungen ausgesprochen, und seinen Zeugen in das Ohr gesagt, damit es zu seiner Zeit auf den Dächern gepredigt würde , und der wahrhaftige Zeuge in diesem Brief nochmals bekräftigt, Wahrheit ist, wie bestehet ihr, ihr neuen Weltschöpfer, die ihr das Licht, das Jesus auf den Leuchter gesteckt hatte, für unzureichend haltet, und der Welt die blendenden Gaslichter eurer Aufklärung aufstecken wollet, welche endlich eure ganze Schaubühne in Flammen setzen werden, und eurer ganzen Zuhörerschaft Erstickung bereiten ?! Läßt sich wohl reine Erleuchtung der menschlichen Vernunft denken, die nicht von demjenigen ausgeht, der, weil Er alle Menschen erleuchtet, die in die Welt kommen (Joh. 1, 9.) den ersten Funken derselben hervor gebracht hat? Läßt sich eine Verbesserung der Kirche erwarten, wenn ihr die Führung dessen verschmähet, der den Grund derselben gelegt hat? Ist sie nicht eine Schöpfung Gottes, der in Christo war, und die Welt mit sich selber versöhnte? (2. Kor. 6, 19) Wer soll, wer darf es nun unternehmen , eine Verbesserung derselben beginnen zu wollen, die nicht ganz von dem Grunde ausgeht, den Er selbst bereitet hat?

Doch lasset uns Ihn, den Herrn selbst, vernehmen, wie Er die menschlichen Pläne zu Kirchenverbesserungen, Menschenveredlung , Aufklärung und Volksbildung ansieht. Er spricht es in den Worten aus :

„Ich weiß deine Werke , daß du weder kalt noch warm bist. O daß du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist, und weder kalt noch warm, so will ich dich ausspeien aus meinem Munde. Du sprichst nämlich : Ich bin reich und habe mich bereichert, und habe nichts vonnöten; und weißt nicht, daß du bist elend , bejammernswürdig, und arm und blind und nackend.“

Wie steht es nun mit deinen Werken, hochgepriesene Aufklärung, vor der Kritik dessen, der Augen hat wie Feuerflammen , wenn Er sie seiner Prüfung unterwirft? Du arbeitest Tag und Nacht, nach Wahrheit zu forschen. Die Religion — ey behüt Gott — die willst du nicht verwerfen. Nur sehen, selbst prüfen willst du, was wirkliches Wort Gottes ist; selbst prüfen, ob das der wahre Sinn ist, was die Schriftsteller der Bibel von Jesu und seinen Werken gesagt haben. Du willst glauben, aber wenn Zweifel kommen, so kannst du sie nicht beseitigen, und darum mußt du prüfen. Einen Jesus Christus magst du wohl leiden, du ehrst ihn sogar, du nennst Ihn einen weisen Lehrer, einen Mann, dessen sein Zeitalter nicht wert war. Gegen Ihn auftreten , das willst du nicht, aber von Ihm sprechen wie das Volk, das Ihn für gar Alles hält, das kann ein gelehrter und gebildeter Mann auch nicht tun. Schön schreiben, schön reden, Tugend empfehlen, dem Laster Einhalt tun, in die Nachfolge Jesu treten, das heißt Ihn nachahmen, das ist Christentum. Ja, das ist das Christentum, das der Herr an der Gemeinde Laodikeia findet, und das Er weder kalt noch warm nennt. Bei deinem reinen Stil, deiner schönen Diktion, deiner Folgerichtigkeit im Schließen, deiner Nüchternheit im Blicke, deinem ästhetischen Gefühl, bei deinen vielen Arbeiten für Jugendbildung, und deinem kritischen Scharfsinn, hochgebildetes Christenvolk, findet dich dein Herr doch weder kalt noch warm, und wünschte sogar daß du kalt oder warm wärest. Warum aber dies ? Der kalt-orthodoxe Lehrer, der nur, weil es sein Amt mit sich bringt, die Lehren der Religion vorträgt, oder die Wahrheit polemisch verteidigt, und die christliche Moral seicht behandelt; und der feurige Schwärmer, der, weil es ihm am gewöhnlichen Glauben lange nicht genug ist, auf Abwege gerät, oder Anstoß gibt: sind dem Christentum weniger schädlich, als diejenigen, welche zwar Christum stehen lassen, und sehr schön von  Ihm reden, aber Ihn nur als einen weisen Lehrer wollen gelten machen, der den Grund zu einer feinern Bildung der Menschen legte, hingegen die Lehre von der Versöhnung, der Rechtfertigung und der Bekehrung gar nicht mehr kennen wollen. Beide andere weisen doch dem Sünder, der sich nicht mehr selbst zu helfen weiß, seinen Arzt und Retter an; der Weise dieser Zeit aber verdammt ihn, wenn er seine Zweifel nicht mehr zu lösen weiß, die er in ihm erzeugt hat, befiehlt ihm Fröhlichkeit, wenn sich die finstern Wolken seines Gemütes bei seinem Geschwätz nicht zerstreuen wollen, gibt ihn endlich der Verzweiflung preis, und schreibt, wenn er derselben unterliegt, es entweder natürlichen Umständen, oder finstern Religionsbegriffen zu, die ihm beigebracht worden. Jesu wird also durch ihn die Kraft, unmittelbar zu helfen ganz abgesprochen, und das Gebet um Hilfe für unnütz erklärt. Die kalten und warmen Verehrer des Herrn halten die Bibel wirklich für Gottes Wort, der Laodikeer aber benützt sie nur, wo sie sich drehen und wenden läßt, um sein System zu empfehlen, und sie dann nach und nach dem Volk aus den Augen zu rücken. Er hat also nur einen Schein der Religion, und ihre Kraft verleugnet er.

Wozu dient er nun seinem Herrn? Müssen daher nicht also denkende Christen Ihm, dem treuen, wahrhaftigen Zeugen, ein Ekel sein, da sie seine Kraft ganz verleugnen, und das in sein Wort gelegte Salz entweder nicht benützen, oder seiner Kraft berauben und zur Würze unnütz machen? Dies zeigt Er aber auch an in den Worten: Weil du lau bist und weder kalt noch warm, so will ich dich ausspeien aus meinem Munde. O welch ein ernstes Wort! Heißt das nicht: „solche Lehrer, und Alle, die sich von ihnen leiten lassen, will ich aus meiner Gemeinschaft ausstoßen, ihnen meine Gnade entziehen, und ihnen zu fühlen geben, daß, wer mich verwirft, auch von mir verworfen werde. Ja ein jedes Land oder Volk, wo diese Denkungsart allgemein wird, will ich mit solchen Gerichten heimsuchen, daß sie sich selig preisen würden, wenn sie nur meinen Namen aussprechen dürften“. Zum Beweise, wie gerecht ein solches Gericht sei, wie sehr der Herr aber wünschte, daß diese Gemeinde zu dieser ihrer Zeit noch bedenken möchte, was zu ihrem Frieden dient, redet Er sie noch also an:

Du sprichst nämlich: Ich bin reich, und habe mich bereichert, und habe nichts vonnöten. Und weißt nicht, daß du bist elend, bejammernswürdig, arm, blind und nackend.

Diese Sprache, die der Herr dieser Gemeinde vorwirft, ist zu keiner Zeit und unter keinem Volke, so oft und so laut gehört worden, als in unsern Tagen, und besonders in der europäischen Christenheit. Alle Arten von Fertigkeiten, Künsten, Wissenschaften, Bildungs- und Erweiterungsmitteln des menschlichen Geistes sind in solcher Fülle vorhanden, und größtenteils durch die Anstrengung des Verstandes errungen worden, daß er wirklich sehr bereichert wurde. Würde er sie nun dankbar als eine Ausbeute ansehen, die er der Gnadenleitung des Herrn zu verdanken hat, so würden sie ihm zu noch größerem Segen gereichen. Da er aber bei dem Reichtum von menschlicher Weisheit sich für berechtiget hält, sich selbst eine Religion nach seinem Wohlgefallen zu bilden, und die Zeugnisse, Ermahnungen und Warnungen des Herrn nicht mehr achtet, so muß er wohl sich selbst für mündig halten, und so sehr durch sich selbst bereichert wähnen, daß er sich von dem Geiste Gottes nicht mehr dürfe strafen lassen. Denn woher kommt wohl nach den Zeugnissen derjenigen, die davon schreiben oder sprechen, der Reichtum an Kenntnissen und Einsichten, womit sich unser Zeitalter brüstet, als von der auf den Hochschulen gereinigten und ausgebildeten menschlichen Vernunft? Jetzt weiß man dem Menschen in allen Umständen zu helfen. Nicht Jesus und sein Wort, heißt es jetzt, bringt Frieden in das Herz; sorgfältigere Bildung des Geistes und Herzens durch Philosophie, schöne Literatur, mehrere Angewöhnung der Jugend an das Selbstdenken, und Glauben an die eigene Kraft, das macht den Geist heiter, und erhöhet und veredelt den Genuß des Lebens; die Lehre des Christentums bringt nur verfinsternde Bilder in die menschliche Seele, verengert das Herz und drückt den Geist nieder? Hinweg also mit dieser, wir haben uns reich gemacht! Ja, ihr habet euch reich gemacht, aber nur für dieses Leben; welches Los wartet dann euer, wenn euere Stunde kommt, und das Wort an euch in Erfüllung gehet! Wer dem Sohn nicht glaubet, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihm. Dann werdet ihr erst inne werden, wie treu der Herr euch warnte, da Er euere Prahlerei also beantwortete: Du weißt nicht, daß du bist elend, und bejammernswürdig, und arm, und blind, und nackend. Er will damit den also Bereicherten aufmerksam machen, daß, so glänzend auch seine Vorzüge seien, deren er sich rühmte, so befinde er sich doch in einem sehr drückenden Zustande. Er wisse nicht, wie elend er sei, daß er so mühsam die Gegenstände des Wissens zusammengetragen, die zwar seinen Verstand und Gedächtniß mit vielen Schätzen angefüllt, aber das Herz leer gelassen, und dem göttlichen Frieden in dem Innern und der Erkenntnis des Heils in Christo keinen Zugang gestatten. Er sei ebenso bedauernswürdig wie ein Kranker in einem hitzigen Fieber, der sein eigner Arzt sein will, und in der Meinung, daß er heilbringende Arznei ergreife, köstliches Gift zu sich nimmt. Bei allem Reichtum an geistigen Vorzügen sei er doch arm, sehr arm, weil er die Versicherung von der göttlichen Gnade ganz entbehre, und weil er an den Belehrungen und Tröstungen des Heiligen Geistes Mangel leide, keine Belebung und Stärkung des Glaubens finde, so daß er in den ernstesten Augenblicken des Lebens, wo der Herr seine Seele vor sein Gericht zieht, und er von seiner Vernunft dann nicht belehrt werden kann, weil sie von dem Richterblicke berührt selbst verfinstert ist, keinen Trost findet. Für deine Armut und deinen Jammer würde zwar noch Hilfe zu finden sein, weil der Herr denen, welche sich mühselig und beladen fühlen, Erquickung anbietet, aber dein Zustand wird um so bejammernswürdiger, weil deine Blindheit, die du dir durch Verachtung des göttlichen Wortes zugezogen hast, es dir unmöglich macht deine Gefahr einzusehen, deinen Heiland kennen zu lernen, oder den Richter zu bemerken, der bereit ist, den Stab über dich zu brechen. Endlich stehst du doch nackend da, wenn du dir schon einen Schleier von Scheintugenden umgehängt hast, vor dem Flammenauge dessen, vor dem das Spinnengewebe deiner selbst verfertigten Sittenlehre deine Blöße nicht bedecken kann, weil du das Hochzeitskleid der Gerechtigkeit Christi nicht annehmen wolltest, das er dir, wenn du hättest glauben wollen, so gern umsonst gegeben hätte, und in deiner Taufe schon liebreich angeboten hatte.

Will aber der Herr den Laodikeer sogleich verwerfen, weil er sich für reich hält, ohne auf seine Blindheit Rücksicht zu nehmen, die ihn sein Elend nicht einsehen läßt? Nein, nicht sogleich. Er beweist vielmehr noch große Schonung gegen ihn. Ich rate dir, spricht Er zu ihm; im Feuer geläutertes Gold von mir zu kaufen, daß du reich werdest, und weiße KIeider, daß du sie anziehest, und nicht aufgedeckt werde die Schande deiner Blöße, und Augensalbe, um deine Augen zu bestreichen, daß du sehen mögest. Hier führt der Herr ganz die Sprache eines weisen Arztes mit einem Fieberkranken, der mit großer Schonung behandelt werden muß, wenn er willig werden soll, die Arzneien einzunehmen, weil er sich nicht für krank hält, oder wenigstens seine Krankheit nicht für gefährlich ansieht. Er rät ihm bloß, er nötigt ihn nicht. Es ist auch der einzige Weg, wie man einem Menschen beikommen kann, der auf seine Kenntnisse und Erfahrungen stolz ist, und auch das einzige Mittel, ihn auf die Unzulänglichkeit seiner Meinungen aufmerksam zu machen, um ihm den Weg zum Glauben zu bahnen, weil ihm sein Stolz nicht erlaubt, wenn man ihm etwas zu glauben aufdringen will, das seine Vernunft noch nicht ergriffen hat, einem gegebenen Befehle unbedingten Gehorsam zu leisten. Worin besteht aber dieser Rat? Gold soll er von Ihm kaufen, das mit Feuer durchläutert ist. Wie kann aber ein Armer kaufen? Dieser Arme hat Reichtümer, von diesen kann er wohl etwas hingeben, um einen Schatz von durchläuertem Gold zu erheben. Welche Ruhe bringt es denn deiner Seele, wenn die Schätze deines Wissens deine Zweifel vermehren, wirf sie hin und ergreife den Glauben an deinen Seelenfreund, der im Feuer seiner Leiden dir den Zugang zu seiner Gnade erworben hat! Durch Nachforschungen deiner Vernunft wirst du zwar den Glauben dir nicht einprägen können, aber durch den kindlichen Blick in dein Bedürfniß, Ruhe zu finden für deine Seele, wirst du dir dieses köstliche Kleinod erkaufen können, ja — je mehr Beugung und Demütigung du beweisest, desto herrlicher wird die Gnade Gottes dir entgegen strahlen. Du wirst zwar die unseligen Folgen des Unglaubens wie brennende Flammen in dir fühlen, aber desto glänzender wird das Gold des Glaubens, wenn deiner Seele der Friede Gottes zuteil wird.

Das zweite, was der Herr anrät, ist: Weiße Kleider zu kaufen, um sie anzuziehen, daß nicht aufgedeckt werde die Schande der Blöße, anstatt des löcherichten Gewandes der eigenen Gerechtigkeit, das die Schande der Blöße nicht verhüllen kann, weil bei allen schönen Handlungen des Selbstgerechten doch die sündlichen Neigungen des Herzens Teil daran haben, ratet ihm der Herr an, eine Gerechtigkeit zukaufen, die ganz weiß und rein, und allein hinlänglich ist, das anklebende Verderben ganz zu überdecken. Dieses weiße Gewand ist die Gerechtigkeit Jesu, die Er gern jedem zueignen will, der seine befleckte Gerechtigkeit dagegen hingibt. Sie hat vorzüglich die Eigenschaft in sich, dem Sünder, der durch die Gnade des Herrn damit bekleidet wird, Kraft zu erteilen, daß er willig in den Wegen des Herrn wandeln lernt. Endlich rät der Herr an, mit einem augenstärkenden Mittel die Augen zu bestreichen, damit man sehen möge. Das stärkendste Mittel für unsere Augen — und zwar nicht nur für blödsichtige und kurzsichtige, sondern auch ganz geblendete Augen unsers Geistes ist der H. Geist, wenn Er im Wort und Gewissen uns nicht nur unsere Sünden aufdeckt, sondern auch die Sünderliebe Jesu verklärt; wenn Er uns die Ermahnungen, Warnungen, Belehrungen und Tröstungen, welche die H. Schrift enthält, klar und eindrücklich macht. Das Salben mit dieser Augensalbe geschieht vorzüglich durch ein herzliches und inbrünstiges Gebet um den H. Geist, und durch fortwährende Aufmerksamkeit auf seine Winke in unserm Innern; was vorzüglich denjenigen von dem Herrn empfohlen wird, welche so kurzsichtig geworden sind, daß sie die innere Kraft der GlaubenswahrheIten nicht mehr einsehen, sich bloß an den Buchstaben halten, und auch diesen oft zweifach sehen.

Weil aber ein solcher Rat von Menschen, welche im Wahne stehen, daß sie durch eigene Kraft zur höchsten Vollkommenheit gelangen können, nicht gern befolgt wird, und nicht befolgt werden kann, so lang sie in dieser Verblendung bleiben, so zeigt der Herr das Mittel an, dessen Er sich bedienen will, um sie aus dieser Verblendung herauszureißen: Welche ich lieb habe , die strafe und züchtige ich. Er verspricht zwar nicht, daß Er Alle aus dieser Verblendung reißen wolle, denn Er nennt nur die, welche Er lieb habe, und scheint durch diesen Ausdruck den einen vor den andern einen Vorzug zu geben. Wem aber der Gerechte einen Vorzug gibt, besonders der Gerechte, der Augen hat wie Feuerflammen, bei dem muß Er eine Ursache finden ihn zu lieben, und also wahrnehmen , daß sein Herz empfänglich ist, seine Warnungen und Bestrafungen zu seinem Heile zu benützen. Wo Er aber dies nicht findet, hingegen einen überdachten Haß gegen seine Person, und eine beharrliche Neigung, Unglauben und Zweifelsucht zu befördern, und also den Tempel Gottes zu verderben, den läßt Er seinen Gang gehen bis das Maß voll ist, und wird ihn dann auch wieder verderben, wenn seine Stunde kommt, und ihn hinausstoßen in die äußerste Finsternis, wo wird sein Heulen und Zähneklappen. Wohl also denen, welche der Herr würdig findet, durch Anfechtungen, Gemütsunruhen, Vorwürfe im Gewissen, äußerliche Demütigungen, mißlungene Versuche, Verleumdungen, Mangel, Krankheiten, Hingabe in Versündigungen und darauf erfolgte Strafen, zur Erkenntniß ihres Verderbens, zum ernstlichen Suchen der Gnade Gottes und des Heils in seinem Versöhnungstode anzutreiben; denn der Weg zur Rettung ihrer Seelen ist ihnen dann geöffnet.

Weil es der Herr hier mit einer Gemeinde zu tun hat, welcher es besonders angelegen ist, sich Kenntnisse zu sammeln, Bildung des Geistes zu befördern, und sich durch regsame Tätigkeit für das gemeine Wohl auszuzeichnen, so spricht Er sie sehr ernstlich an, ihren Fleiß an etwas zu wenden, das nötiger ist, als die so gefeierte Aufklärung, weil es dazu dient, wahre Heiterkeit zu bringen. Er spricht nämlich: Eifere also und ändere deinen Sinn. Dieses Eifern oder Befleißen (ebenso viel als Studieren) fordert eigentlich die Lehrer auf, redlich zu forschen in der Schrift und im menschlichen Herzen, um nicht nur oberflächlich von Jesu zeugen, sondern das in Ihm zu findende Heil kräftig verkündigen zu können; und die Übrigen aufmerksam zu machen, daß die wahre Bildung für die Ewigkeit in einer aufrichtigen Buße und Sinnesänderung bestehe, welche sich nicht nur in einzelnen Regungen, oder teilweisem Gehorsam gegen den Geist Gottes zu erkennen gibt, sondern in einem rechten Ernst, den stolzen Sinn zu beugen, und sich ganz der Leitung des H. Geistes hinzugeben.

Zum Beweise, wie gern der Herr solchen frühern Verächtern mit seiner Heilands-Gnade zu Hilfe komme, sobald sie sich bereit zeigen, seine ihnen angebotene Hilfe anzunehmen, spricht Er weiter: Siehe, ich stehe vor der Türe, und klopfe an, so jemand meine Stimme hören, und die Türe öffnen wird, so werde ich zu ihm eingehen, und mit ihm speisen, und er mit mir. Alle Erschütterungen, Rührungen, und besondere Führungen solcher Menschen, die weder kalt noch warm sind, werden von dem Herrn selbst angewandt, um in ihnen das Bedürfnis hervorzubringen, ihr Heil in Christo zu suchen, und sich also ohne sich aufzudringen, bloß anzumelden, damit sie wissen, daß sie von dem Herrn nicht vergessen seien. Es sind zwar bloße Winke, die Er ihnen gibt, aber doch solche, die es fühlbar machen, daß Er nahe sei, und nur darauf warte, bis sie auf seine Stimme achten, und sich bereit finden lassen. Ihn bei sich aufzunehmen. Wer aber von solchen Angegriffenen aufmerksam darauf wird, daß sein Heiland da ist, um ihm zu helfen, und Ihm die Türe, d. i. sein Herz in wahrer Zerknirschung über seinen Unglauben und andere Sünden, die er bisher entschuldigt hat, öffnet und ein Verlangen zeigt, aus seinem verwerflichen Zustand gerettet zu werden, zu dem will der Herr selbst hineingehen, mit andern Worten: ihm Vergebung der Sünden erteilen, und ihn durch seinen Geist überzeugen, daß ihm seine Gerechtigkeit zu eigen geschenkt sei; ja Er will sogar mit ihm speisen, und ihn mit sich speisen lassen, womit Er sagen will: Er wolle ihn mit seiner Liebe speisen, daß er von Gegenliebe gegen Ihn ganz durchdrungen werde, und in derselben sich selig fühlen könne. Und dies ist besonders der Fall bei solchen Seelen, die zuvor von Zweifeln herumgetrieben, von einem Buch zum andern schlichen, von einem Freund zum andern flohen, und nirgends Ruhe fanden; wenn sie in ihrer großen Not zu dem bisher verschmähten Jesu ihre Zuflucht nehmen und nun in seinen Wunden Heil, und im Gebetsumgang mit Ihm täglich neue Beweise seiner Gnade erfahren. O wohl allen Seelen, die von Jhm gewürdigt werden mit seiner Liebe gespeist zu werden, denn alsdann ergreifen sie erst diejenigen Empfindungen, welche sie treiben von ganzem Herzen auszurufen:

Lobe den Herrn meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn meine Seele, und vergiß nicht, was Er dir Gutes getan hat. Der dir alle deine Sünden vergibt, und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben errettet, und dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit!

(Ps. 103, 1—4.)

So groß die Verheißungen alle sind, die der Herr den Siegern der vorhergehenden Gemeinden gibt, so erhalten die Überwinder der Gemeinde zu Laodikeia doch die größten, und zwar aus dem wichtigen Grund, wie es zu vermuten ist, weil es in einer solchen Riesenzeit, wo es der Himmelsstürmer so viele gibt, kein Kleines ist, ein Prediger der Gerechtigkeit Jesu Christi, die da kommt aus Glauben in Glauben, zu sein und zu bleiben, und in der Geistesarmut zu beharren bis an das Ende. Darum spricht Er: „Dem Sieger will ich geben zu sitzen mit mir auf meinem Thron, wie ich gesiegt und mich gesetzt habe, mit meinem Vater auf seinen Thron.“ – Der Herr vergleicht den Sieg des Gläubigen in einem solchen skeptisch-kritischen Zeitraume, wo man es für Weisheit hält, immer neue Zweifel hervorzusuchen, um den Glauben zu untergraben, Jesu Gottheit ganz auszuziehen, und Ihn bis zum Tod am Kreuze von neuem zu erniedrigen, mit dem Siege, den Er in den Tagen seines Fleisches durch seine tiefe Erniedrigung errungen hat. Denn auch dieser Kämpfer wird, wie sein Herr, mit Schmach, Schimpf, Verachtung und innern und äußern Anfechtungen beladen, und kann in diesem Kampfe keine andern Waffen gebrauchen als Geduld und Glauben, wenn er nicht aus der Armut des Geistes herausgerissen werden, und das Kreuz nicht wegwerfen will, das der Herr ihm nachzutragen befohlen hat, was nur in der geduldigen Annahme geschehen kann. Und dieses gläubige Dulden kostet viel mehrere Selbstüberwindung und Verleugnung des eigenen Ichs zur Verherrlichung Jesu Christi, als die gelehrtesten Widerlegungen, und die Demütigungen Anderer durch menschlichen Witz, welche man auf die Gegner Christi zurückwälzt. Nicht vergebens hat der Herr das Wort mehreremal wiederholt: Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Wer sich selbst nicht schämt, wenn er auch noch so sehr behohnlächelt wird, zu bezeugen, daß er als armer Sünder in Jesu Christo Heil gefunden habe, erhebt seinen Herrn mehr, als der, welcher in den künstlichsten Redensarten seinen Namen zu erheben sucht. Darum ist es nun kein Wunder, wenn ihm der Herr verheißt: Daß er sitzen werde mit Ihm auf seinem Throne.

Die Redensart, die der Herr hier braucht — der Sieger wird mit mir sitzen auf meinem Throne — um die Erhebung des Demütigen zu bezeichnen, hat einer Gemeinde Laodikeia gegenüber gewiß ihre besondere Beziehung. Es ist da von einem Volk die Rede, das sich die Souveränität zueignet, sich auf Fürstenthronen und Richterstühle ans eigener Vollmacht setzt, und sogar den Stuhl des Papstes, so spöttisch es sonst darauf hinblickt, selbst zu besteigen nicht verschmäht, weil er ihm das Recht gibt, dem göttlichen Worte eine ihm beliebige Richtung zu geben. Und diesem Volke zur Beschämung sagt Er, „der Weg, den ihr auserwählt habet zum Throne zu gelangen, führt euch nicht dahin; der Bußfertige — Gedemütigte — der sich durch meine Züchtigungen zu mir ziehen läßt, die selbst errungenen Schätze und seine durchlöcherten Kleider wegwirft, um bei mir reines Gold, und das weiße Gewand reiner Unschuld sich zu erwerben, meine Belehrung annimmt und die Verachtung, die ihr ihm beweiset, willig trägt, der findet den Weg zu meinem Thron, trotz eueres Geschreis: Hinweg mit diesem! kreuziget ihn! Den ihr jetzt verworfen habt in eurem Gericht, der wird einst euer Richter sein, wie „der Stein, den die alten Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden ist“.

Wenn wir nun am Schluß dieses Briefes das Wort noch einmal hören: Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“ – so verdient es hier eine besondere Beherzigung. Obschon dieser Brief der letzten Gemeinde der Christenheit gewidmet ist— einer Gemeinde, wo der Indifferentismus, der Unglaube, die Verleugnung Jesu, und die frechste Beurteilung seiner Lehre immer allgemeiner wird — so enthält er doch Fingerzeige an die Glieder aller Gemeinden, welche etwas von dem beschriebenen Charakter an sich tragen. Alle arianisch und socinianisch Denkenden aller Zeiten konnten hier ihr Bild entworfen sehen. Wenn also in den vormaligen Zeiten öfters gegen das laue Laodikeia geeifert wurde, so ist es nie als ein Mißgriff der Diener der Kirche zu betrachten, weil dieser einreißende Geist damals schon als der Vorläufer des Antichrist, der in unsern Tagen sein Haupt erhebt, angesehen werden konnte, und der Herr sich solcher Eiferstimmen bediente an den Herzen, die er lieb hatte, anzuklopfen. Nie aber forderte dieser Brief aufmerksamere Ohren als in unsern Tagen, nie war er ansprechender an die Diener der Kirche, die ein Ohr dafür haben, ihre Stimmen zu erheben, auf das Anklopfen des Herrn aufmerksam zu machen, und auf sein wiederholtes Rufen hinzudeuten, und zwar um so mehr, da wir seine Gerichte immer näher rücken sehen.

Ja, jeder, dessen Herz gebeugt oder gerührt von Jesu Worten oder Führungen, Winke erhält, seiner wehmütig einladenden Stimme Gehör zu geben, öffne Ihm dasselbe ganz, damit Er einziehen und den Lichtglanz seiner Gnade und seines Friedens darin verbreiten kann.

Hier schließt sich nun die erste Vision des H. Sehers. Sie enthält in unsern verhängnisvollen Zeiten zur Stärkung des Glaubens manche belehrende Winke. Wir nehmen daher keinen Anstand, diesen ersten Drittheil des ersten Bandes in einem abgeschlossenen Hefte voran zu schicken, um denselben dem Publikum vorzulegen und die darin enthaltenen Winke noch in dessen Hände zu bringen, ehe uns selbst die Hände gebunden sind. Das zweite Heft, das die zweite Vision des Apostels, die Eröffnung der sieben Siegel in sich enthält, und die Schicksale der christlichen Kirche bis in unsere Tage bezeichnet, wird diesem ersten Heft, so schnell als möglich nachfolgen, und einige nicht unbedeutende Beleuchtungen der Zeichen dieser Zeit enthalten.

Gehe hin Büchlein, und sage denen, die dich hören wollen: Der Herr ist nahe, sorget nichts! Vergeblich ist das Treiben und Wirken, das Zanken und Streiten, das Pochen und Zagen der Kinder des Unglaubens; der Richter ist vor der Türe, und wird einem Jeglichen geben nach seinem Tun.

Suchet IHN noch, weil ER zu finden ist! Rufet Ihn an, weil ER nahe ist!

Quelle:

Blicke eines alten Knechts, der auf seinen Herrn wartet, in die Offenbarung des HErrn Jesus Christus, die Er gegeben dem Jünger, den ER lieb hatte, dem Apostel Johannes, nebst Hindeutungen auf die Kirchengeschichte – Nikolaus von Brunn, J.G. Neukirch, 1832

Eingestellt am 4. März 2019 – Letzte Überarbeitung am 13. Februar 2023