Karl-Friedr. Harttmann – 2. Leichen-Predigt vom 29. Sept. 1777

Predigttext: Röm 14, 7.8

Ich glaube, daß Jesus Christus sei mein HErr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen und teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf daß ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit.

Das ist ein Glaube wie Davids Glaube, der den Messias seinen Herrn nannte. Dieser Glaube sieht sich als ein Eigentum Jesu Christi an und freut sich, daß er diesem Herrn angehört. Er erkennt aber auch, daß er diesem Herrn zu Ehren leben und wandeln soll.

Dies ist auch der Sinn unseres Textes: Das große Eigentumsrecht Jesu an seine Gläubigen.

II. im Leben.

Wir sind des Herrn – das ist die große Sache, auf welche Paulus die Römer hinführt. Es war ein geringer Umstand und eine unscheinbare Gelegenheit, bei der er den Gläubigen eine so große Wahrheit beibringt. Es waren zweierlei Gattungen unter ihnen: Schwache und Starke. Die einen hatten die Freiheit, alles zu essen, ohne sich einen Skrupel darüber zu machen und alle Tage gleich zu halten; die andern aber hatten noch Bedenklichkeiten, z.B. Fleisch von den heidnischen Opfern zu essen. Da nahmen sich denn die Starken vieles heraus über die Schwachen und ärgerten diese durch den Gebrauch ihrer Freiheit. Bei dieser Gelegenheit sagt ihnen Paulus die große Wahrheit: Unser keiner lebt ihm selber…

Er will damit den Starken zu verstehen geben: Sie sollen sich auf ihre Freiheit nicht so vieles herausnehmen, und die Schwachen damit irre machen; sie sollen denken, sie haben ihre Freiheit von dem Herrn, und diesem zu Ehren sollen sie dieselbe brauchen. Wenn sie aber sich selber darunter gefallen, wenn sie ihre Freiheit nicht einem schwachen Bruder zulieb verleugnen, so gehen sie damit eigenmächtig um, oder wenn sie einen schwachen Bruder deswegen verachten, weil er diese Freiheit noch nicht habe und ihn deswegen richten oder meinen, er soll es auch machen wie sie, so greifen sie dem Herrn Jesu in sein Eigentumsrecht, denn der schwache Bruder hat nicht ihnen zu gefallen, sondern dem Herrn Jesu. Wenn also Gläubige einander als ein Eigentum Jesu ansehen, so werden sie in Frieden und Eintracht bei- einander leben. Diese Wahrheit soll man nie aus dem Herzen lassen. Wir sind des Herrn – das sieht ein Christ als ein Losungswort des Glaubens an. Wenn der Mensch daran denkt, unter was für einer Gewalt er vorher gestanden, wie er von dem Fürsten der Finsternis, von der Welt, von seinem Fleisch beherrscht worden war, wie mächtig ihn diese Feinde gehalten, was es für ein betrübter und mühseliger Dienst gewesen ist, so muß es ihn von Herzen freuen, wenn er sagen darf: Ich bin des Herrn, ich gehöre nun dem Herrn Jesu.

Wir sind des Herrn, und zwar durch ein ganz besonderes Recht, das er sich über uns durch Leiden und Sterben erworben hat. Damit sind wir sein recht versiegeltes Eigentum. Wenn wir daran denken, wie Satan und Welt unsere Herren geworden, so muß es uns zur innersten Beschämung werden, denn wir haben uns selbst ihnen in die Hände geliefert, aber Jesus hat uns wieder unseren alten Herren entrissen und hat sich sein eigenes Leben nicht zu lieb sein lassen, es für uns aufzuopfern. Was muß dies dem Glauben austragen, einen solchen Herrn zu haben, der sich’s um uns so sauer werden ließ. Was kann man sich zum voraus von einem solchen Herrn versprechen! Ist Satan für uns gestorben? Ist die Welt für uns gestorben? Nein, und doch läßt der arme Mensch diese Herren über sich herrschen. Wir sind des Herrn – das ist ein Wort für den Gehorsam. Wenn man einen leiblichen Herrn hat, so bringt es die natürliche Folge mit sich, daß man ihm auch zu dienen hat, man ist schuldig, sich nach seinem Sinn und Willen zu richten, und ihm zu Gefallen zu leben. So ist es auch bei einem Gläubigen: Er erkennt, daß er nun Christo als seinem Herrn zu dienen hat. Mit diesem Wort wird alles eigenmächtige Wesen unserer Natur auf einmal zu Boden geschlagen, und es heißt: Ich bin nun nimmer mein selber. So lange man in seinem eigenen Natursinn dahin lebt, so sieht man sich als unabhängig an und meint, man habe sich von niemandem befehlen zu lassen. Beim natürlichen Menschen heißt es: Unsereiner lebt ihm selber. Er denkt: Mein Leib ist mein, ich kann also damit anfangen, was ich will; ich kann ihn pflegen und ihm gütlich tun wie ich will, meine Glieder sind mein. Ich kann sie also brauchen zu was ich will, und so macht er sie eben zu Sündengliedern und zu Waffen der Ungerechtigkeit. Mein Verstand ist mein; ich kann ihn also anwenden wie ich will. Ich kann damit in dieses sinnliche Leben hineinwirken, ich kann ihn mit der Klugheit dieser Welt schmücken, ich kann damit auf die weltlichen Lüste sinnen, deswegen habe ich ihn ja!

Meine Sinne sind mein, ich kann mir also ein Vergnügen machen, was ich für eines will. Ja, der natürliche Mensch wird endlich auch so unverschämt, daß er sagt: Mein Leben ist mein, ich mag es also mir abkürzen oder sonst verderben, so geht’s niemanden was an.

So denkt der Mensch, so lange er noch nicht glauben lernt. Aber ein Gläubiger braucht dieses Wort als eine Richtschnur seines ganzen Lebens und weiß, daß er nun mit allem was er ist, dem Herrn zu leben hat. Er denkt: Mein Leib ist des Herrn, er hat ihn erkauft; meine Seele ist des Herrn, er hat sie erkauft. Ist ihm etwas damit gedient, kann er sie brauchen, so steht’s zu seinem Dienst; es gilt mir gleich, was ich denke: Er ist der König meiner Gedanken. Ich bin des Herrn, das macht mich furchtlos in allem meinem Wandel. Ist der Welt nicht recht, was ich tue und rede, so habe ich ihr ja nicht zu gefallen, sie ist ja nicht mein Herr, sondern Jesus ist mein Herr. Wenn’s nur diesem gefällt! So ist ein Gläubiger ein Eigentum Jesu in seinem Leben, aber er ist es auch

II. in seinem Tode.

Ich bin des Herrn, das macht einen Gläubigen auch in seinem Tode getrost; da freut es ihn vorzüglich, ein Eigentum Jesu zu sein. Im Tode zeigt sich oft die Macht und Ansprache der Feinde am meisten, da melden sie sich noch als ehmalige alte Herren eines Gläubigen und suchen ihm seinen Schritt in jene Welt sauer zu machen. Da hilft nichts, als das Wort im Glauben ergriffen: „Ich bin des Herrn“. Dies Wort steht als ein Siegespanier bei dem Sterbebette eines Gläubigen aufgerichtet. Dies ist sein Paß, den er mit durch das Todestal und durch alle Mächte der Finsternis hindurch nimmt. Wer diesen Paß bei sich hat, gegen den darf kein Feind weder Hand noch Fuß regen. Im Tode sucht noch Satan sich an Einen zu machen als derjenige, der nach Hebr. 2 des Todes Gewalt hat. Aber wer sagen kann: „Ich bin des Herrn“, der weiß auch, daß der Heiland durch seinen Tod die Macht genommen hat dem, der des Todes Gewalt hat, das ist dem Teufel (Hebr. 2, 14.15). Ficht einen Glaubigen die Bitterkeit des Todes an, so freut ihn dieses Wort „Ich bin des Herrn“ abermal, denn sein Herr hat das Bitterste geschmeckt und kann ihn nun durch des Todes Türen träumend führen und macht ihn auf einmal frei. Er weiß, daß sein Herr auch im Reiche der Toten zu befehlen hat, und daß man auch da Achtung vor ihm haben muß. Will ihn die Verwesung anfechten, will er sorgen, der Tod möchte ihn gefangen halten, so glaubt er wieder: „Ich bin des Herrn“. Diesem Herrn muß auch der Tod seine Beute wieder ausliefern. Nein, die kann der Tod nicht halten, die des Herren Glieder sind:

Muß der Leib im Grab erkalten,
da man nichts als Asche find’t,
wird doch Gott, was vor gewesen,
wieder neu zusammen lesen.

Ich bin des Herrn, mit dem Leib und mit der Seele. O seliges Eigentumsrecht!

Schriftstellen

Nachdem nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist er dessen gleichermaßen teilhaftig geworden, auf daß er durch den Tod die Macht nehme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel, und erlöste die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten. (Hebr. 2, 14.15)

Aus: Karl Friedrich Harttmann’s Casual- u. Passionspredigten.

Herausgegeben von Karl Chr. Eberhard Ehmann, Pfarrer in Unterjesingen

Tübingen, 1864.