Jakobus 1, 1-18: Die gläubige Überwindung der Anfechtung (Schlatter)

Jakobus hat bei seinem Briefe nicht an die Gemeinde einer besonderen Stadt gedacht, sondern an das, was der ganzen Judenschaft Not tat. Er redet die zwölf Stämme in der Zerstreuung an. Seit vielen hundert Jahren, zum mindesten seit die assyrischen Könige Samaria verbrannt hatten, war auch die Teilung des Volkes in die zwölf Stämme zerstört. Dennoch nennt Jakobus Israel noch mit diesem Namen, weil dies die ursprüngliche Einrichtung des Volkes war, die Gott ihm gegeben hatte. Er sieht auf das heilige Volk, wie Gott es gebildet hat, in seiner Gesamtheit und Vollständigkeit. Jetzt freilich war Israel in der Zerstreuung, und große Teile waren von ihm getrennt und weithin durch die andern Völker zersprengt. Die Zwölfzahl der Stämme war verschwunden, Israel aus seinem Lande weggeführt und in viele kleine Gemeinden hin und her aufgelöst. Das hatten Gottes Gerichte gemacht, die über das Volk gegangen sind. So erinnert der Name, den Jakobus Israel gibt, sowohl an dessen alte Zeit, an seinen heiligen Ursprung und Beruf, als an die Gegenwart, die von jenem Anfang sehr verschieden ist, und in beidem liegt eine kräftige Mahnung aufzumerken auf das, was der Knecht Gottes jetzt Israel zu sagen hat.

Er teilt Israel nicht schon in der Aufschrift des Briefs in zwei Hälften, sondert die Ungläubigen und die Gläubigen, die Synagoge und die Kirche, nicht voneinander ab und trennt Jesu Gemeinde noch nicht vom heiligen Volk des alten Bunds, sondern er will, so viel an ihm liegt, zum ganzen Israel reden, weil er ein Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi ist. Deswegen soll ihn jedermann in Israel hören.

Er ist Gottes und Jesu Knecht, und das ist nicht ein zwiespältiger, sondern ein einträchtiger Dienst. Er ist Gottes Knecht, darum Jesu Knecht; er ist Jesu Knecht, darum Gottes Knecht. Er dient Jesu, bezeugt Jesu Wort, preist Jesu Namen, fördert Jesu Reich. Dadurch dient er Gott, redet Gottes Wort, verherrlicht Gottes Namen und wirkt mit zu Gottes Reich. Er ist Gott untergeben, kann Gott nicht widersprechen, sondern muß sich Gott dargeben mit seiner ganzen Person und Kraft, damit er ihn als Werkzeug brauche für seinen Willen, darum hat er in Jesus seinen Herrn gefunden, dem er sich mit seiner ganzen Existenz unterwirft, wie ein Knecht seinem Herrn gehört.

Dasselbe gilt auch für Israel: es ist nur dann Gottes Volk und Gemeinde, wenn es Jesu Volk und Gemeinde wird. Auch Israel kann nicht anders Gott dienen als in Jesu Dienst. Gottes Knechte sind Jesu Knechte. Wenn Israel Jesus verwirft und ihn nicht zum Herrn über sich haben will, entläuft es dem Dienste Gottes und ist gegen seinen Herrn abtrünnig und treubrüchig. Aber die Aufschrift des Briefes bedeckt noch den Unglauben und das Widerstreben Israels. Jakobus möchte gern ihnen allen dienen mit seinem Wort. Es ist ja das Volk, das für Christus zuvor bereitet war, die für Jesus geschaffne Gemeinde. Die an Christus gläubigen Männer gehören erst recht zu den zwölf Stämmen, denn sie sind das wahre Israel, wahrhaft und bleibend Gottes Volk. Die Scheidung zwischen ihnen und denen, die ihren Herrn verwerfen, wird der Richter bald vollziehen, welcher vor der Türe steht. Für Jakobus war’s noch Zeit, ganz Israel herbeizurufen, damit es höre, was ein Knecht Gottes und Christi ihm zu sagen hat.

Den Unterschied zwischen sich und Jesus hat er in heller Klarheit ausgedrückt. Ich bin, sagt er, der Knecht, und er ist der Herr. Es redet hier nach aller Wahrscheinlichkeit jener Jakobus, welcher ein Bruder Jesu war, und darum bei der Gemeinde Jerusalems und in der ganzen Kirche in hohem Ansehen stand. Er zeigt aber nicht auf seine Verwandtschaft mit Jesus hin. Jakobus vermischt nicht Fleisch und Geist, stützt sich nicht auf den äußerlichen Vorzug seiner Person, und stellt sich nicht nach seinem natürlichen Menschen der Kirche zur Verehrung dar. Was seinem Wort Macht und Wahrheit gibt, ist nicht dies, daß er mit Jesus verwandt gewesen und mit ihm aufgewachsen ist, sondern dies, daß er ihn zu seinem Herrn hat, und durch ihn Gottes Knecht geworden ist. Darum kann er Israel zeigen, wie es Gottes Wort bewahrt und Gottes Willen tut.

Deswegen, weil Jakobus nicht an die Heiden schrieb, sollen wir uns nicht zu argwöhnischen Gedanken reizen lassen, als hätte er die Heiden verachtet und nicht zur Kirche Christi gezählt. Die Treue, mit der die apostolischen Männer Israel das göttliche Wort trotz aller Verfolgung darboten, gehörte ebenso gut als die Heidenpredigt zu ihrem Apostelberuf und entsprach dem ausdrücklichen Gebote und Beispiel Christi. Hat sich Jakobus in besonderer Weise Jerusalems angenommen, deswegen konnte er sich doch daran freuen, daß das Evangelium auch weithin zu den Heiden kam. Für seine eigene Aufgabe hat er betrachtet, Israel Gottes Wort zu bringen, vgl. Gal. 2, 9 und bei diesem seinem Beruf ist er nicht nur in seinem Brief geblieben, sondern er ist nicht von der heiligen Stadt gewichen, bis ihn die Juden töteten.

Der Brief paßt vielleicht nicht zu unsern Meinungen über das, was eine heilsame und förderliche Predigt an die Juden sei. Warum erzählt er den „Zwölf Stämmen in der Zerstreuung“ nichts von Jesu großen Werken, von seiner Geburt, von seinem Kreuz und seiner Auferstehung? Es mag uns scheinen, das hätte Israel vor allem nötig gehabt und dadurch wäre es zum Glauben an Jesus erweckt worden. Das sind trübe und voreilige Gedanken, und die größere Weisheit wird sich bei Jakobus finden. Jakobus hatte in Jerusalem viele Juden vor sich, welche die Werke und Zeichen Christi kannten und wussten, dass ihn die Apostel als den Auferstandenen predigten, die aber deshalb doch nicht gläubig wurden an ihn. Dem hohen Rat war mächtig verkündigt worden, daß Jesus der Sohn und Gesalbte Gottes sei, von ihm selbst durch seine Auferstehung aus dem Grabe kund gemacht, aber dies hatte den hohen Rat nicht ergriffen. Auch draußen in den zerstreuten jüdischen Gemeinden ist viel über Jesus gesprochen worden. Gerade weil sich an manchen Orten Heidengemeinden bildeten, wurde auch den Juden der Name Jesu bekannt. Allein sie wurden deshalb nicht gläubig. Wo lag das Hindernis?

In seiner eigenen Gemeinde hatte Jakobus unter den gläubigen Juden Leute, die trotz ihres Bekenntnisses zu Jesus von Israels böser Art nicht frei wurden, sondern dieselbe auch in die christliche Gemeinde hineinbrachten, wie es uns die Apostelgeschichte an Anania und Sapphira, und Paulus an den falschen Brüdern in Galatien und Korinth gezeigt haben. Solche glaubten das Evangelium, ohne daß es ihnen half; wo lag hier das Hindernis?

Jakobus wußte, wie Jesus mit Israel geredet hat. Er hat ihm nicht seinen königlichen Namen ausgelegt, und nicht das Himmelreich beschrieben nach seiner wunderbaren Macht und Herrlichkeit, sondern die einfachsten Worte des Gesetzes legte er ihm aus, und mühte sich ab, den Gottesdienst Israels zu reinigen von dem, was ihn verdarb, und es zur Buße anzuleiten, damit aus gottlosen Juden fromme Juden würden. Dann erst konnten sie’s sehen und verstehen, daß er ihnen in Gottes Sendung als ihr Herr das Himmelreich bereitet hat.

Jakobus spricht mit Israel ganz ähnlich, wie es Jesus tat. Auch er reinigt die jüdische Frömmigkeit vom bösen Sauerteig, der sie durchdrang. Mit großer Klarheit zeigt er Israels Schaden, und das, was ihn heilt. So räumt er die Hindernisse weg, welche der Erkenntnis Christi im Wege stehen, und hilft, daß diese in ihnen mit Kraft und Reinheit ihnen zur Errettung und zum Segen erwachsen kann. Wer auf Jakobus hört, wird Jesus nicht kennenlernen, ohne an ihn zu glauben, und nicht an ihn glauben, ohne daß ihm geholfen ist.

Den Gruß, der den Lesern Freude wünscht, nimmt Jakobus aus der gewöhnlichen Sitte, wie man die Briefe zu beginnen pflegte. Er hat aber für ihn seine besondere Bedeutung, da er uns die vollkommene Freude zeigen kann, die unter allem Druck stand hält und durch denselben nicht überwunden wird.

Er beginnt mit der Versuchung, einem ernsten Hauptstück in unser aller Leben. Gottes heilige Güter lassen sich nicht mit einem raschen Griff erwerben: Die Erprobung folgt jedem Anfang nach. Gottes Gaben gehören uns erst dann, wenn die Versuchung überwunden ist. Ob sie uns als Lust oder als Schmerz nahe tritt: Es kann ein starker Stoß mit ihr verbunden sein.

So war’s oft in der ersten Christenheit. Wer sich zu Jesus bekannte, nahm einen harten Kampf auf sich. Es konnten große Opfer von ihm gefordert werden. Das hielt viele zurück und erschütterte auch manchen Glaubenden. Darum hilft Jakobus zuerst denen, welche in der Versuchung stehen: haltet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Versuchungen fallet.

Lauter wäre unsre Freude nicht, wenn sich unser Herz teilte, und sich halb dem Schmerz und Unwillen ergäbe, und nur mühsam bedächte, daß die Versuchung uns heilsam ist. Mit einer solchen Teilung des Herzens ist Jakobus nicht zufrieden. Bringt uns unser Lebenslauf heftige Schmerzen und harten Druck, dann wird der Widerstand, den wir der Versuchung entgegenstellen müssen, freilich mühsam und anstrengend. Gleichwohl will Jakobus, daß wir unser Herz behüten, damit es sich durch diese Empfindungen nicht fangen lasse, sondern sich darüber halte und den Segen der Versuchung in einer Freude ermesse, die hell und kräftig unser ganzes Herz erfüllt.

Wenn ihr in mancherlei Versuchung fallt: das ist gegen unsre Ungeduld gesagt, die es verdrießt, wenn immer wieder in wechselnder Gestalt und unvermutet der Kampf neu anhebt und der gewonnene Sieg gleich wieder zu einer neuen Aufgabe führt, die nochmals ihre Versuchung bei sich hat. Da ficht den verzagten Sinn der Überdrusß an, und er meint, es sei nun endlich genug. Jakobus sagt uns aber gerade von der Mannigfaltigkeit und wachsenden Menge der Versuchungen, daß wir uns ihretwegen freuen sollen. Zugleich wehrt er mit diesem Wort auch dem kecken Trotz, der sich selber die Versuchungen bereitet und sie nicht fürchtet, sondern sucht, und darum in denselben unterliegt. So fallen wir nicht in die Versuchung, sondern laufen in sie hinein.

Wir sollen uns an der Versuchung freuen, weil wir durch sie merken und erfahren, daß das, was dem Glauben die Bewährung bringt, Standhaftigkeit wirkt, V. 3.

Hier hat Jakobus einen zweifachen Segen der Versuchung zusammengefasst. Der eine besteht darin, daß sie unsern Glauben bewährt und kräftig macht. Ob wir uns an Gott mit redlichem und festem Glauben halten, das wird durch den Stoß der Anfechtung erprobt. Sie nötigt uns, daß wir uns mit neuem Glauben Gott ergeben zu neuer Treue, und das macht sie für uns heilsam und notwendig. Damit erlangen wir weiter die geduldige Festigkeit, die beharrliche Unüberwindlichkeit, die von Gott nicht mehr weicht, und Christum nicht mehr fahren lässt, sondern wie es Paulus sagt, „alles duldet, alles trägt“, weil wir ihm fest und für immer verbunden sind. So fällt uns die Verheißung zu: Wer bis ans Ende beharrt, wird erlöst werden. Wie soll uns aber die Kraft der Beharrlichkeit anders kommen als dadurch, daß wir das überwinden, und in uns tilgen, was uns von Gott abziehen will? Darum sollen wir uns herzlich an allem freuen, was uns kräftig macht, bei Gott zu bleiben, und Christum nicht mehr untreu zu werden, sondern ihm so zu gehören, daß auch die Versuchung uns umsonst angreift.

Gleich der erste Spruch unsres Briefs gibt uns einen heldenhaften Sinn. Wer zur Versuchung spricht, ob sie auch peinlich und schmerzlich sei: du sollst mir lauter Freude sein, du treibst mich doch nur zum Glauben und bringst mir die Geduld, der läuft als ein Held seine Bahn. Woher schöpft er diesen hohen Mut? Gleich dieses erste Wort macht sichtbar, wie völlig Jakobus in der Güte Gottes ruht. Er spricht: wenn ich nur dich habe! Ob dem einen Gewinn, daß er Gott mit stetem bleibendem Glauben erfasst, verwandelt sich ihm alle Not in Freude. Er schätzt Gott über alles, so hell leuchtet ihm Gottes Angesicht.

Auch dies wird gleich an diesem ersten Worte sichtbar, wie einig Jakobus und Paulus sind, ob auch beider Wort seine besondre Gestalt und Fassung hat.

Der erste große Hauptteil des Römerbriefes endet: „Ich bin gewiß, daß mich nichts von der Liebe Gottes in Christo scheiden wird; in all dem überwinden wir weit“; Röm. 8, 37-39, und Jakobus fängt damit an, daß alle Versuchung lauter Freude sei, weil sie den Glauben bewährt und die Beharrung wirkt.

Auch der Unterschied, der das Wort beider Apostel verschieden macht, tritt schon hier klar hervor. Bei Paulus bildet das frohlockende Wort des gewissen steten Glaubens das Ende und Ergebnis einer reichen Lehre, die uns zeigt, was Christus für uns getan hat, wie er für uns gestorben und auferstanden ist, und unsrer Sünde und unsrem Fleische das Ende bereitet und uns dafür die Gerechtigkeit und den Geist erworben hat. Darum zeigt er auch, wo er des Glaubens Sieg und Freude beschreibt, ausdrücklich auf Christum hin: von der Liebe Gottes, die in Christo ist, vermag uns nichts zu scheiden, weil wir durch den überwinden, der uns geliebt hat. So macht er den Grund sichtbar, auf dem unser Glaube steht, und zeigt uns die Wurzel, aus der er erwächst. Jakobus dagegen stellt uns durch ein einziges kurzes Wort auf diese Höhe hinauf.

Paulus sprach zu den Heiden, für die der Glaube ein neues Erlebnis war, von dem, ehe sie Christum kannten, keine Ahnung in ihr Herz gekommen war. Jakobus hingegen redet zu Israel, das Gott und seine Güte kennt, und schon längst zum Glauben angewiesen war. Der Bibelvers war ihm wohlbekannt, daß Gott gut ist, weil seine Gnade ewig währt. Nun denn, wer für Gott Glauben hat, der kann sich der Versuchung nicht weigern, sondern muß sie für lauter Freude halten, denn sie macht den Glaubenden fest und bringt die Beharrung hervor.

Wir erlangen durch die Versuchung noch etwas Größeres, was einen neuen Grund für unsre Freude gibt: die Beharrung aber habe ein vollkommenes Werk. V. 4. Ohne die Beharrlichkeit bleibt alles, was wir tun, ein bloßer Anfang und Versuch. Ein ganzes, fertiges Werk, das zu seinem Ende kommt, kann nur aus einem fest und still gewordenen Geist entstehen, der das Ziel nicht mehr aus den Augen läßt und von Gottes Weg nicht schwankt und weicht.

Ein vollkommenes Werk heißt uns aber Jakobus als die höchste Gabe und das größte Glück unsres Lebens schätzen. Er will, daß uns ein frucht- und nutzloses, träges Leben, wobei wir für Gott nichts tun mögen, eine Last sei, die uns quält; er will auch, daß wir das jämmerliche Stückwerk verabscheuen, das nur den Schein und den Namen des Fleißes und der Hingebung hat, aber immer wieder daran verdirbt, daß wir uns nicht ganz in Gottes Dienst ergeben und mit unbefestigtem Sinn in der Menge unserer Anläufe straucheln. Deshalb sollen uns auch die Versuchungen als ein Segen und Gewinn gelten, weil sie uns zum vollkommenen Werk rüsten und tüchtig machen. Wer nichts leiden will, kann auch nicht handeln, und wer sich selbst nicht überwindet, Gott nicht dienen.

Ein vollkommenes Werk kommt nicht ohne unsern Willen und Entschluß zu stand; es wächst nicht von selbst gleichsam als eine natürliche Frucht aus uns heraus. Darum spricht Jakobus nicht bloß in beschreibender Weise: die Beharrung aber hat das vollkommene Werk, sondern er mahnt: sie soll es haben. Es kommt nicht, wenn wir nicht darauf bedacht sind und es suchen.

Erst mit dem ganzen Werke sind wir selber fertig und ganz, ohne Mangel in irgend einem Stück. Jakobus zeigt uns, wie ein ganzer Mensch aus uns wird. Wie denn? Durch Glauben, nämlich durch bewährten Glauben, der die Beharrung bei sich hat und ein Werk, das ganz getan wird. Ohne das vollkommene Werk gelten wir dem Apostel als verkürzte, verstümmelte Leute, denen ein wichtiges, unentbehrliches Stück des Lebens fehlt. Er treibt uns nicht zu einer hastigen Vielgeschäftigkeit, worüber wir uns selbst verlieren, auch nicht zu einem glaubenlosen Werkdienst, der Gottes Güte vergisst und verleugnet. Das alles gibt niemals ein vollkommenes Werk. Wohl aber erlaubt er uns nicht, bloß inwendig in den Gedanken und Empfindungen unsres Herzens fromm zu sein, während das, was wir tun, hiervon nicht ergriffen und gestaltet wird. Ein unverdorbenes Auge sieht auch alsbald, dass Erkenntnis und Tat, Inwendiges und Auswendiges in unserm Leben zusammengehören, daß wir nicht das Herz Gott geben und die Tat ihm versagen können, daß unser Herz, wenn es voll ist von Gottes Erkenntnis, Glaube und Liebe, sich zum Werk hin bewegen muss, wodurch unser inwendiges Gut sichtbar und für die andern fruchtbar wird. Nur das sind die ganzen Menschen, die nach ihrem Glauben tun.

Nur Unverstand kann darüber streiten, was größer und wichtiger sei, der Glaube oder das Werk. Es hat jedes seine Stelle in unserem Leben, und eins ist an seinem Ort so unentbehrlich als das andere. Die Herrlichkeit des Glaubens besteht darin, daß er zu Gottes Gnade emporblickt und seine Gabe dankbar preist. Die Größe und Würde des Werks liegt darin, daß Gott uns Raum gibt, in der Welt ihm zu dienen, daß wir unsere ganze Kraft daran setzen dürfen, daß sein Wille durch uns geschehe. Wer Gott den Glauben versagt, und wer ihm das Werk versagt, beides sind verdorbene, zerrüttete Geister. Es sterben auch stets Glaube und Werk miteinander ab.

Beide haben für uns ihre Schwierigkeiten. Wir haben einen ungläubigen Sinn, verhärten uns gegen Gottes Güte, hegen undankbare und arge Gedanken und sind blind gegen seine Werke. Wir haben aber auch einen trägen Willen und machen aus unserem Leben eine Tändelei, wollen uns selber leben und sträuben uns gegen Gottes Dienst als gegen ein hartes Joch. Dabei suchen wir für jede Bosheit einen schönen Titel und Schein. Wegen unsres vermeintlichen Glaubens versäumen wir das Werk und wegen unsrer angeblichen Werke sind wir hoffärtig und machen uns ungläubig. Deshalb steht bei den Aposteln beides, eine reiche helle Anleitung zum Glauben und ein ernster, dringender Antrieb zum Werk.

In drei Worten hat uns Jakobus den Weg zur Vollkommenheit beschrieben: Glaube, Beharrung, Werk. Aber gibt es Vollkommenheit ohne Weisheit? Vollkommenheit, wenn unsere Seele von törichten Einbildungen und finstern Gedanken voll ist? Kann denn ein törichter Mensch ein vollkommenes Werk vollbringen? Und fallen wir in der Versuchung nicht oft deswegen, weil es uns an Weisheit fehlt? Die Antwort lautet: Wenn es aber jemand unter euch an Weisheit gebricht, so bitte er den gebenden Gott, V. 5.

Deswegen kann uns Jakobus den Sieg in jeder Versuchung verheissen und uns zum vollkommenen Werk und zum fehllosen unverkürzten Christenstand anleiten, weil uns Gott mit seinem Licht nahe ist und uns seine geraden Wege zeigt. Wir wandern nicht im Dunkeln; denn die Weisheit ist Gottes Gabe.

Der allen einfältig gebende Gott – so heisst ihn Jakobus, und er wiederholt damit Jesu Verheissung: bittet, so werdet ihr nehmen, und das andere Wort: ich gebe nicht, wie die Welt gibt. Dass er allen gibt, ist das Merkmal seines unerschöpflichen Reichtums und seiner umschliessenden Gnade. Dazu kommt seine Einfalt, die von versteckten Hintergedanken frei ist, als wollte er mit seiner Gabe zugleich noch einen Vorteil für sich selbst erjagen. So ist es beim menschlichen Geben die Regel; wir kommen schwer dazu, ohne selbstsüchtige Nebenabsichten zu geben, bloss um den andern zu dienen und nicht um zugleich auch für uns noch irgend etwas zu erraffen. Man muss bekanntlich auch gegen die Gaben der Menschen auf der Hut sein; sie fangen uns auch mit ihrer Güte. Gott aber gibt einfältig, einfach dazu, damit uns geholfen sei. So gibt er auch Weisheit, wirklich dazu, damit der, dem sie fehlt, erleuchtet sei und den richtigen Weg erkenne. Auch schmäht und schilt er uns nicht. In der Bitte liegt das Geständnis unseres Mangels und unserer Verirrung. Wenn wir nun Gott wie einen Menschen behandeln, dem wir uns nicht in unserer wahren Gestalt zeigen dürfen, weil er uns schelten würde, so verschliesst uns die Furcht den Mund und macht uns zur Bitte zaghaft. Gott ist aber der einzige, gegen den wir aufrichtig sein können, ohne dass Schmach und Bitterkeit für uns dran hängt, weil Gott der einzige ist, der uns nicht schilt.

Man hat in der Kirche vielerlei Künste erfunden, um den Willen Gottes zu erkennen und Leitung zu finden, wenn es uns an Weisheit gebricht: Beichtväter und Konzilien und Päpste und Zeichen verschiedener Art. Aber nicht geglaubt hat man der Verheissung, dass der, dem es dunkel ist vor seinen Augen, Gott bitten dürfe, und dass Gott mit seiner Leitung ihm nahe sei und dem Licht und Einsicht schenke, dem es an derselben gebricht. Jetzt begreifen wir auch, warum uns Jakobus so eifrig und kräftig zum Werke treibt, er treibt uns auch zum Beten. Wessen Bitte mit fester Zuversicht nach oben geht, der hat die Kraft zum tüchtigen Werk.

Nur an eins erinnert uns Jakobus, damit unser Bitten uns wirklich in die Klarheit führe, die das Gute und Böse, Gerade und Krumme richtig zu unterscheiden weiss: er bitte aber im Glauben ohne zu zweifeln, V. 6. So hat es auch Jesus seinen Jüngern gesagt, Mk. 11, 22 f.

Der Zweifelnde spaltet seine Gedanken und Wünsche, und fasst mit einander in sein Herz, was sich nicht verträgt. Er denkt sich Gott gut und schlecht, zum Geben willig und unwillig. Er hofft auf Weisheit und verzweifelt an ihr. Er bittet und denkt, es sei doch umsonst. Da heisst uns Jakobus aufs Meer hinaus sehen, über das der Wind fährt. Nichts auf dieser weiten Fläche hat festen Stand. Alles ist in Bewegung, auf und ab, hin und wieder, ohne Ziel und ohne Ruh. Hierin hat der Mensch sein Abbild, wenn er’s im Aufblick zu Gott nicht zum Glauben bringt. Dann ist nichts mehr in seinem Herzen fest. Er hat keine Überzeugung, keine Gewissheit, keinen Willen, kein Ziel mehr. Ein Gedanke stösst den andern um, ein Wunsch den andern; Hoffnung und Verzagtheit streiten sich; jetzt ist er guter Dinge und hoffärtig und jetzt trostlos und niedergeschlagen. Er ist in der Tiefe seines Wesens verwundet, eine zerrüttete Gestalt.

Ein solcher Mensch bilde sich nicht ein, dass er etwas vom Herrn empfangen wird, V. 7. Ob er auch in seiner Seele voll von Vorwürfen und Argwohn gegen Gott ist, so wird er dennoch anspruchsvoll beten, uns sich bitter beschweren, wenn er’s umsonst tut. Er meint, er werde etwas vom Herrn empfangen. Jakobus streicht ihm diese Meinung durch. Er findet Gott gerade so, wie er im Grunde seines Herzens von ihm denkt. Er wirft Gott Härte und Ohnmacht vor, und klagt, dass er ihm nichts gebe; so gibt er ihm auch nichts. Er heisst das Beten nutzlos und vergeblich; so ist’s ihm auch vergeblich.

Was ist also Glaube nach der Anleitung unsres Briefs? Dass wir Gottes Macht und Güte mit ungeteiltem Herzen ehren, und seiner Gabe getrost sind ohne Einrede und all unser Denken und Wünschen gebunden halten durch den Blick auf Gott, so dass kein Widersprechen gegen Gottes Wahrheit und Gnade in uns ist. Dann findet auch der Glaube Gott so, wie er ihn erfasst. Er heisst ihn gut; Gott ist ihm gut; er heisst ihn den, der einfältig gibt; Gott gibt ihm auch.

Um uns den Schaden zu zeigen, den wir uns selbst mit unsern Zweifeln antun, heisst Jakobus den Zweifelnden einen Mann mit einer doppelten Seele, V. 8. Hätte er zwei Köpfe, so hiesse ihn jedermann eine Missgeburt und Ungestalt. Nun hat er zwei Seelen und ist dadurch nicht weniger verunstaltet. Dies hat er aber nicht durch natürliches Missgeschick, sondern durch eigene Schuld, weil er dem Namen Gottes nicht alle seine Gedanken und Wünsche unterworfen hat und von der Wahrheit Gottes nicht seine ganze Seele durchglühen liess, sondern seine finstern Gedanken der Erkenntnis Gottes entgegenstellte und seine verkehrten Begierden festhielt gegen den Zug, der ihn nach oben leitete. Gottes Name und Wahrheit ist ihm nicht unbekannt; er ist nicht blind wie einer, der gar nichts sieht; er betet ja, aber er tut es zweifelnd. Es ist ein Stück göttlicher Wahrheit in ihm, aber es erfüllt und regiert ihn nicht ganz und gar.

So hat auch Paulus als die Wurzel unsrer Verirrungen das hervorgehoben, dass wir die Wahrheit in Ungerechtigkeit darniederhalten statt ihr zu gehorchen, Röm. 1, 18, während wir im Glauben mit Abraham Gottes Zusage mit ganzem Ja ergreifen ohne Nein, Röm. 4, 19.

Mit doppelter Seele findet der Mensch in allen seinen Wegen keinen Stand. Von innen her breitet sich das Schwanken über sein Leben aus. Welchen Weg er gehen mag, Ruhe und Festigkeit findet er auf keinem. Er zerstört und durchkreuzt beständig seine eigenen Taten. Neben seine Frömmigkeit stellt er Gottlosigkeit und von der Gottlosigkeit wendet er sich wieder zum Gottesdienst. Er wechselt ab zwischen Sünde und Reue, strebt jetzt nach dem Unsichtbaren und lässt es wieder fahren, und findet doch auch in dem, was vor Augen liegt, keinen Halt. So läuft er ratlos hin und her uns seine Kraft verzehrt sich im fruchtlosen Widerstreit.

Das schreibt Jakobus an Israel, den ruhelosen Wanderer durch alle Lande. Er leuchtet damit tief in das Herz seines Volkes hinein. Wo fehlt’s ihm? Israel kann Gott nicht vergessen und verleugnen, und mag doch nicht im Glauben ihm untergeben sein. Es ehrt und entehrt Gott, preist das Gesetz und übertritt dasselbe, ist fromm und unfromm zugleich und betet eifrig und fleissig, aber glaubenslos. Der Mann mit der doppelten Seele, sagt ihm Jakobus, kommt in allen seinen Wegen nicht zur Ruh.

Jakobus öffnet uns in diesen ersten Sprüchen den Weg in die Höhe und richtet die Gebeugten auf. Er zeigt uns, wie aus der Versuchung die Freude wird und wie die uns fehlende Weisheit uns gegeben wird. Darum spricht er noch von einer andern grossen Schwierigkeit in unserm Leben, die manchen schwer bedrückt. Auch über diese hilft er uns zum Sieg. Der eine ist ein geringer Bruder, der andere ein reicher Mann. An beide tritt dadurch eine Versuchung heran. Beiden gibt Jakobus den heilsamen Rat.

Die Judenschaft war schon damals nach ihrer äusseren Lage durch schroffe Gegensätze zerteilt. Glänzender Reichtum und vollständige Armut standen grell nebeneinander, und das Geld gab der Synagoge grosse Macht.

Soll nun der geringe Bruder, dem der Vorteil und die Ehre des Reichtums fehlt, sich dadurch bedrücken lassen? Er rühme sich seiner Höhe, V. 9. Er soll sich für hochgestellt und reich begabt achten und sein Herz deshalb durchdringen lassen mit warmer Freude und dankbarem Sinn. Nicht zur Klage und zum Murren, sondern zum Dank und zum Ruhm hat er Grund, weil er trotz seiner Niedrigkeit dennoch hoch erhoben ist.

Denn auch über ihm, dem geringen Mann, steht Gottes Gnade, und seine ewigen Gaben sind ihm verliehen. Darum soll er seinen Trost nicht darin suchen, dass er sich unzufrieden seiner Armut schämt und nach Reichtum trachtet, sondern soll das für seine Ehre und seinen Vorzug achten, dass Gott auch ihm, dem armen Mann, seine Gnade offen hält und ewiges Leben gibt.

Und der Reiche? Soll er sich hoffärtig seines Reichtums wegen überheben, oder soll er erschrecken und seinen Reichtum verwünschen als ein verderbliches Geschenk? Auch ihn heisst Jakobus sich rühmen und eines dankbaren und freudigen Sinnes sein, aber nicht deshalb, weil er reich ist und den Glanz und die Macht des Geldes besitzt, sondern: der Reiche rühme sich deswegen, weil er niedrig wird, dass alle diese Güter vergänglich sind und von ihm abfallen und er aus seiner Höhe heruntersinkt zu den niedrigen hinab; das soll ihn nicht ängstigen und bekümmert machen, darin soll er seinen Ruhm suchen, das soll ihn mit Zuversicht erfüllen und mit hohem Sinn.

Jakobus spricht gegen aller Menschen Gedanken. Wie soll ein Reicher sich daran freuen, dass er aus seiner Höhe herunterfällt? Wenn er kein anderes Gut hätte, als das, welches ihm genommen wird, müsste er über seinen Verlust freilich jammern. Aber ob er auch niedrig wird und seine Schätze ihn verlassen, so bleibt ihm das, was Jakobus allein in Ehren hält: Gott verliert er nicht. Was er aber an Gott hat und wie das Ewige grösser ist als das Irdische, und der Geist mehr als das Fleisch, das sieht er gerade dadurch, dass ihm sein Reichtum verloren geht ohne Schaden, ohne dass sein wahrhaftiges Erbe sich dadurch schmälert. Darum soll er nicht mit Grauen an den Tag denken, da er sein Geld nicht mehr hat, sondern soll sich vielmehr freuen, dass er das alles verlieren kann und doch nichts verliert, weil er Gottes Kind und Erbe bleibt.

Jakobus will die Reichen und Armen beide erheben über die Gefangenheit in dem, was vor Augen liegt. Dem Armen sagt er: was trachtest du nach dem, was der Reiche hat? Sieh, wie reich du eben als Armer bist! Dem Reichen sagt er: auch du wirst ein armer Mann; dein Reichtum fällt von dir ab und dass er dahinfallen kann, ohne dass es dir Schaden bringt, das eben ist’s, was dich freuen und mit Zuversicht erfüllen soll. Jakobus macht die Reichen und Armen einträchtig im selben Ruhm, dessen Grund höher liegt, als im äusserlichen Gut.

Weil aber der Reichtum mit seinem Glanz das Auge blendet, so dass es uns scheint, nicht dadurch, dass wir ihn verlieren, sondern dadurch, dass wir ihn haben, seien wir gross, stellt uns Jakobus in einem Gleichnis dar, was aus dem Reichen wird. Wenn der Sommer vergangen und der Regen gekommen ist, dann sprosst im Morgenland ein an glänzenden Blumen reicher Rasen auf. Aber dieser Schmuck des Bodens ist vergänglich. Die Sonne kehrt wieder mit ihrer Hitze, unterstützt von den heissen Ostwinden, und die ganze Pracht verschwindet wieder rasch. In ein ähnliches Bild hat schon der Prophet die Nichtigkeit alles Fleisches auch in seiner höchsten Macht und Kunst gefasst, Jes. 50,3. Der Reiche entzieht sich durch den Schmuck und Glanz, den er seinem Leben zu verleihen vermag, der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des menschlichen Wesens nicht. Er wird verwelken auf seinen Wanderungen, V. 11. Sein Geld gibt ihm die Mittel zu mancherlei Unternehmungen. Er zieht hin und her des Handels oder des Vergnügens wegen, und weil dieses alles mit Gepränge vor sich geht, zieht es die Augen auf sich. Er ist nicht an die Scholle gebunden wie der Arme. Aber er vermag mit all dem sich nicht vor dem Verwelken zu schützen. Er bleibt allen anderen darin gleich, dass er wie sie vergeht.

Jakobus benützt nur die erste nächstliegende Wahrheit, um uns vor der Knechtschaft unter das Geld freizumachen. Er gibt damit den Grund zu jenem Ruhm, zu welchem er reich und arm aufgefordert hat, noch nicht völlig an. Wüsste der Reiche nur das, dass er abdorrt und sich mit seinem Gelde nicht helfen kann, wie wollte er sich dessen rühmen, dass er erniedrigt wird? Und auch der Arme hat damit noch keinen Grund zum Ruhm. Auch er gleicht der Blume des Grases. Der Ruhm entspringt daraus, dass über dieser Nichtigkeit für uns ein Reich höherer Güter steht, wo der „Kranz des Lebens“ empfangen wird, von welchem das folgende Wort redet. Jakobus macht mit diesem ersten Spruch zunächst die Bahn frei zu jenem Ruhm, zu welchem er uns anleitet. Er führt einen Schlag gegen den Aberglauben, der das Geld verehrt, damit der Glaube entstehe, der sich Gottes freut. Diese andeutende Weise, welche verlangt, dass wir mit eigenem Nachdenken die Bahn weiter verfolgen, auf welche der Brief uns stellt, ist den Sprüchen eigen, in welchen Jakobus nach dem Vorbild alttestamentlicher Bücher zu Israel spricht.

Der irdischen Luft mit ihrem traurigen Ende stellt er den andern Weg gegenüber, der sowohl in seinem Anfang als in seinem Ende jener völlig entgegengesetzt ist. Am Anfang steht nicht das Geniessen und Behagen des Reichtums, sondern die Versuchung mit ihrer Gefährlichkeit, ihrem Kampf und ihrer Bitterkeit. Dennoch, wer die Versuchung erträgt, sich derselben unterzieht und in derselben aufrecht bleibt, dem gilt: selig ist er! denn in der Erprobung empfängt er die Bewährung und darauf den Kranz des Lebens, V. 12. Leben, nicht verwelken, ist das Ende dieses Weges. In dieses eine Wort fasst Jakobus Gottes ganze Zusage. So lange wir noch der Blume des Grases gleichen, ist das Leben für uns noch nicht erschienen. Jakobus hat es vor sich als unsere Hoffnung. Als Kranz, als Zeichen und Lohn des Siegs, wird das Leben denen geschenkt, die Gott lieben. Auch das steht wieder in bestimmtem Gegensatz zum vorangehenden Spruch. Wer sich durch das Geld blenden lässt, schätzt und ehrt andere Dinge mehr als Gott. Wer aber Gott wert hält und höher achtet als alles übrige, der hat Gottes Versprechen und Zusage für sich, dass er leben wird. Würden wir Jakobus fragen: wo hat Gott versprochen, dass wir leben werden, dann würde er auf Christi Auferstehung hinzeigen, welche die Zusage Gottes in sich schliesst, dass leben soll, wer ihn in Ehren hält.

Nun ist das erste Gebot des Briefes vollends deutlich geworden, und wir sehen, warum Jakobus jeden Kampf und jedes Opfer für lauter Freude halten kann. Er hat zuerst an die kräftigende Wirkung erinnert, welche die Versuchung auf unsern inwendigen Menschen ausübt. Nun lässt er unsern Blick noch weiter reichen zu dem, was die Zukunft für uns aufbewahrt, und zeigt uns dort den Aufgang des wahrhaftigen Lebens. Dasselbe ist der Kranz, dem Jakobus uns entgegengehen heisst, und um seinetwillen wird unser ganzes irdisches Leben ein Freudentag. Jakobus hat bisher mit gläubigem Mut von der Versuchung gesprochen, als wohl zu ertragen und zu besiegen. Er fügt noch ein Wort bei, das uns vor Versündigungen bei derselben behüten und uns zum Siege helfen soll. Die schweren Zeiten, in denen wir uns erproben müssen, werden uns dann gefährlich, wenn uns der helle, reine Blick zu Gott verloren geht, und Murren und Unwille gegen ihn in uns entsteht. Es scheint uns leicht, Gott sei unser Widersacher, der uns die Steine in der Weg lege, über die wir straucheln, und unsern Gang uns schwer und gefährlich mache, umringt von vielen Reizungen zum Bösen. Ein solcher Vorwurf gegen Gott ist des Glaubens Gegenteil. Wenn er sich im Herzen festsetzt, ist die Versuchung nicht mehr Freude und führt auch nicht zur Bewährung, sondern zur Entheiligung des göttlichen Namens. Jakobus erinnert uns zuerst an Gottes heilige Art, die von allem Bösen völlig geschieden ist. Wer andere zum Bösen reizt, ist selbst demselben zugänglich. Gott wird aber nicht versucht, noch versucht er selbst seine Geschöpfe, V. 13. Wird uns der Blick zu Gott dunkel, dann wird unser Auge auch für das blind, was in uns geschieht. Wir beschuldigen Gott und entschuldigen uns, schelten Gott als unsern Feind, und loben und pflegen den wirklichen Feind, der uns ums Leben bringt. Unser Widersacher, durch den wir fallen und sterben, ist unsere eigene Begier, V. 14.

Sie hebt sich empor vor unserm innern Auge als lockende Macht, die und einen Köder hinhält. Das ist der versuchliche, der entscheidungsreiche Augenblick. Die Lust ist unsre eigne Lust und doch in gewissem Sinne uns noch fremd, noch nicht umschlossen von unserm Willen und aufgenommen in den Kern unsrer Person. Sie steht vor uns als ein Gebilde, das wir selbst hervorgebracht haben, nun aber beschauen, ob wir’s billigen oder verwerfen, ob wir’s an uns ziehen oder wegstossen. Lassen wir uns von der Lust erfassen, dass wir unsern Willen an sie hingeben, dann empfängt sie. Sie wird befruchtet und dadurch kräftig und wirksam gemacht und ihr Erzeugnis ist die Sünde.

Die Begier, die sich erst in unserm Auge spiegelt als lockende Macht, heisst Jakobus hier noch nicht Sünde, obwohl auch sie nicht unschuldig und rein, sondern der böse Ausfluss unsrer verdorbenen Art ist. Aber mit dem Wort Sünde nennt er hier das, was unsre eigene persönliche Tat ist. Die Verfehlungen, welche uns als eigne Schuld zugemessen werden müssen, entspringen daraus, dass wir mit unsrer Begier eins werden und unsern Willen mit ihr verschmelzen, wodurch wir ihr Kraft und Wirksamkeit verleihen. Die Sünde wird nun die Mutter einer neuen Frucht. Aus ihr erwächst, wenn sie vollendet ist, der Tod. V. 15. Begier, Sünde, Tod, das ist die Reihe von Wirkungen, die wir selbst hervorbringen. Das sind nicht Gottes Werke, sondern unsre eignen Schöpfungen.

Anderwärts wird im Neuen Testament, namentlich durch Paulus, betont, dass wir mit unserm Fall und unsern Sünden der Macht Gottes nicht entrinnen, dass seine Hand uns hält und formt auch bei unserm Sündigen, dass sein Gericht unser Herz verhärtet, wenn wir ihm widerstehen und uns dahingibt in die Gewalt unserer Begierden, vgl. Röm. 1, 23; 9, 18.

Beide Sätze der Schrift müssen zusammengefasst werden und zusammen in unserm Herzen leben.

Es ist wichtig, dass wir nichts in unserem Leben von Gottes Regierung und Wirkung ausnehmen, auch unsere Sünde nicht, mit all der Zerrüttung, die sich aus ihr ergibt. Wir haben in Blick auf dieselbe den Ernst Gottes in Furcht und Beugung zu ehren, welcher uns unserer Bosheit anheim gibt, dass wir sie haben müssen. Darum wird auch in der Bibel gesagt, dass Gott den Menschen in die Versuchungen hineinleite, weshalb uns Jesus beten heisst: führe uns nicht in Versuchung! Aber ebenso wichtig ist, dass wir, wenn wir den richterlichen Ernst Gottes anschauen, keine Flecken auf ihn werfen, sondern ihn in Geschiedenheit von allem Bösen heilig halten. Und darauf dringt Jakobus. Mit dem Bösen, welches wir in uns haben, hat Gott nichts gemein. Keine Fügung unsres Lebens wäre für uns versuchlich, wenn nicht unsre eigene Begier sich an derselben entzündete. Immer kommt das Böse aus uns selbst, aus unsrer eigenen Luft, der wir Raum und Macht über uns verstatten, und unsre Anklage und Beschuldigung kann sich nur gegen uns selber kehren und niemals gegen Gott. Geht nicht irre, meine geliebten Brüder, warnt Jakobus. Er legt auf diesen Punkt ein besonderes Gewicht. Es liegt ihm daran, dass wir nicht Gott anklagen und uns rühmen, sondern über uns klagen und Gott preisen.

Israel war sehr bereit, über Gott zu klagen. Es war ein mürrischer Sinn ins Volk gekommen, wozu seine Gesetzeslehrer es verleitet haben. Es achtete sich selbst für fromm, und tat nach seiner Meinung seine Schuldigkeit gegen Gott reichlich; aber Gott tat die seinige nicht. Er machte seinem Volk den Weg schwer, stellte harte Anforderungen an dasselbe, half ihm nicht in seinen Nöten und war schuld, dass es mit Israel nicht besser stand. Geht nicht irre, Brüder, warnt Jakobus, jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, V. 17.

Gottes Gaben zeigen uns, wie er sich zu uns stellt und was wir von ihm erwarten dürfen. Sie sind gut und vollkommen. Gott gibt nichts halbes mit einer verkürzten Güte, die erlahmt, ehe sie ihr Werk zum Ziele bringt. Alles Gute und Vollkommene ist durch ihn uns geschenkt. Wir kehren dagegen die Wahrheit um: am Bösen soll Gott schuld sein, vom Guten legen wir uns selbst die Verdienste bei. Jakobus zeigt uns den wahren Gott, den Geber jeder guten Gabe. Für alles Gute heisst er uns aufwärts blicken und danken, bei allem Bösen einwärts sehen und uns selbst beschuldigen. So teilen wir richtig zwischen dem, was uns zugehört, und dem, was Gottes ist.

Von oben kommt es herab, vom Vater der Lichter. Die Lichter am Himmel braucht er zum Zeichen der Herrlichkeit Gottes, aber auch nur zum Zeichen derselben. Von diesen sichtbaren Lichtern, die den Tag und die Nacht regieren, steigt sein Gedanke zu den unsichtbaren „Lichtern“ empor, die Gottes Thron umgeben, zu den reinen herrlichen Geistern, in denen Gottes Herrlichkeit in ihrer höchsten Fülle erscheint und sein Licht offenbar wird. Darum nennt er ihn den Vater der Lichter, nicht nur ihr Schöpfer. Denn diese Lichter sind voll Leben und Gottes Verhältnis zu ihnen ist väterlich. Sie tun in der Herrlichkeit ihres Wesens kund, was Gott gibt, wie nur Gutes und Vollkommenes von ihm ausgeht und Böses nicht zu seinen Werken zählt. Der Gott, der den Himmel geschaffen hat mit der Fülle seiner Lichter, schafft auch auf Erden nicht Finsternis, Sünde und Tod.

Denn er wandelt sich nicht: bei welchem keine Veränderung ist und kein Schatten, als drehte er sich. Auch dieses Wort schliesst sich an das Himmelsgewölbe mit seinen Lichtern an und hält uns vor, wie der sichtbare Himmel noch weit zurückbleibt hinter Gottes Grösse, und seine Herrlichkeit nur in schwachem Abbild sichtbar macht. Am sichtbaren Himmel ändert es sich: seine Lichter gehen auf und unter, sie wenden sich und treten dadurch in den Schatten. Das alles hat keine Ähnlichkeit in Gott. „Er ist Licht und ist keine Finsternis in ihm“, Joh. 1, 5 und aus diesem ungetrübtem Glanze strömen uns die guten und vollkommenen Gaben ohne Wechsel zu.

Wir haben an uns selbst Gottes Güte erfahren. Denn er ist nicht nur der Vater der himmlischen Lichter, sondern ist auch uns zum Vater geworden, da er uns, weil er wollte, durch das Wort der Wahrheit geboren hat, V. 18. Wir haben das Leben von ihm empfangen; er hat es uns eingepflanzt, hat es gepflegt und geregelt und behütet, bis es Kraft und Bestand in uns gewann, so dass wir seine Kinder sind, die er für seine Gemeinschaft geschaffen hat. Das gab uns noch nicht die natürliche Geburt, sondern eine neue höhere Lebensmacht, das Wort der Wahrheit, das Gott in uns hineinlegte, damit es uns bewege und regiere und die Wurzel unsres Denkens und Wollens sei. Dieses Wort, das in uns lebt, das stammt von oben; das ist etwas Göttliches in uns, und macht uns zu Gottes Bild und ist das lebendige Band der Gemeinschaft, wodurch wir seine Kinder sind. Dieses Wort ist unser Leben; das ist das, was uns vor Gott in Ewigkeit lebendig macht.

Wie kam’s zu uns? Gott wollte es so. Es ist seine eigene Gabe allein, die uns das verliehen hat. Wir haben uns das Wort nicht selbst erworben; es kommt zu uns, fasst uns, geht ein in uns und füllt unser Herz. Gott selbst sendet es nach seinem eigenen gnädigen Willen. Und wir können ihm nur danken und uns anbetend vor seiner Güte beugen, die uns zum Besitz seines Worts bestimmt und bereitet hat.

Oben hat uns Jakobus gesagt: der Kranz des Lebens ist euch verheissen; hier sagt er uns: nicht erst dereinst im Himmelreich werdet ihr das Leben haben; ihr habt es aus Gott empfangen; es ist schon jetzt euer Eigentum. Denn ihr habt das Wort, und wo das Wort ist, ist Leben. Wer das Wort der Wahrheit in sich hat, verdirbt nimmermehr.

Ein Wort der Wahrheit hat schon Israel gehabt, das ihm den wahrhaftigen Gott verkündigte und seinen Willen in Wahrheit auslegte. Wen dieses Wort zur Liebe führte, von dem hat auch Jesus gesagt, dass er ein Kind Gottes geworden sei, Mat. 5, 45. Nun ist aber Israel das göttliche Wort nochmals durch Jesus und seine Boten verkündigt worden, und das echte Israel, welches ein offenes Ohr für Gottes Wort besass, hatte es aufgenommen. Da kann Jakobus vollends mit tiefer Verwunderung über Gottes herrliche Güte ausrufen: durch das Wort der Wahrheit hat er uns geboren nach seinem Willen.

Dadurch sind wir über die ganze Welt erhöht. Gott hat uns zu seinen Kindern gemacht, damit wir etwelche Erstlingsfrucht aus seinen Geschöpfen seien. Auch was nur Geschöpf ist, ist dazu gebildet, damit es ein Zeugnis seiner Güte und ein Spiegel seiner Herrlichkeit sei. Gottes Kinder sind aber unter seinen Geschöpfen die Erstlinge. Wie auf der Feldflur Israels die erste Frucht für Gott reif ward, und auf den Altar gebracht wurde, so hat sich Gott unter allen Werken seiner Schöpfermacht seine Kinder ausgesondert, dass sie ihm gehören, ihm dienen, ihm geheiligt seien als das Volk seines Eigentums. Das ist die Würde und Ehre der Gemeinde Gottes in der Welt; sie ist gleichsam die erste Frucht, die auf Gottes Acker für ihn reif geworden ist.

Es liegt eine weite, reiche Hoffnung in diesem Wort. Jakobus schaut aufs Himmelreich hinaus, wo nicht nur der Kreis derer, die das Wort der Wahrheit kennen, sondern auch die Schöpfung zur Freiheit und Herrlichkeit gelangt. Was für diese noch ein fernes Ziel ist, ist für uns in gewissem Mass schon Gegenwart geworden. Wir kennen Gott, haben ihn zum Vater, haben seine Gabe in uns, und sind zum Leben gekommen. Wir sind nicht mehr nur auf die Hoffnung gestellt, sondern haben im Wort eine vollkommene Gabe von oben bei uns. Wo bleibt da das Murren gegen Gott?

Der Christenweg öffnet sich durch diese Worte hoch und groß vor uns: wir dürfen die Versuchung willkommen heißen, da wir durch sie bewährt werden; Gottes Leitung ist bei uns, wenn wir mit gläubigem Bitten Weisheit suchen; weder die Armut noch der Reichtum kann uns verwirren, denn unser Ruhm entspringt nicht aus seinem Besitz, und wird durch seinen Verlust nicht zerstört; Gott steht als der gute Hirte in Vollkommenheit vor uns; gegen ihn haben wir keine Klage im Herzen; wohl aber kennen und richten wir die Verderblichkeit unsrer eignen Begier; mit dem Wort der Wahrheit kehrt aber Gottes Leben bei uns ein und wir stehn vor dem unausdenklichen Geheimnis, daß wir Gottes Kinder sind. So reich ist das Evangelium von Gottes Gnade in unserm Brief.


(Adolf Schlatter)