Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, so ihn fürchten. (Psalm 103, 13)
Indem sich Gott in Seinem Wort mit einem Vater vergleicht, ja den Namen Vater Sich selber beilegt, so hat Er uns auch dadurch einen Weg zur Erkenntnis Seiner bahnen wollen, weil doch bekannt genug ist, was ein Vater und ein väterliches Herz unter den Menschen sei. Nun ist zwar ein Vater, dergleichen einer Eli war, kein echtes Bild des himmlischen Vaters, auch ist ein tyrannischer Vater, der seine Kinder erbittert und mutlos macht, kein solches Bild: aber ein treuer Vater, der mit Weisheit, Treue und Geduld, mit Gelindigkeit und heilsamer Strenge für seiner Kinder Heil besorgt ist, kann ein solches Bild heißen; wiewohl wir doch an die Rede Christi Matth. 7, 11 und Luk. 11, 13 gedenken sollen, in welcher Er alle irdischen Väter arge Menschen heißt, und ihnen den Vater im Himmel unendlich weit vorzieht.
Was ist aber die vornehmste Eigenschaft eines väterlichen Herzens? Dieses ist’s, daß sich ein Vater über seine Kinder erbarmet; da denn David sagt: eben so erbarmt sich der HErr über die, so Ihn fürchten. Diese Erbarmung wird Ps. 103. ausführlich erklärt. Der HErr siehet bei denselben die Sünden als Sünden an, und liebt die Missetaten nicht; wenn aber der Mensch zur Gottesfurcht umkehrt, so vergibt Er, so heilet Er die Gebrechen. Er züchtiget zwar, hingegen handelt Er nicht mit uns nach unsern Sünden, und vergilt uns nicht nach unserer Missetat.
Versuchungen und Kreuz verhängt Er so über uns, daß Er dabei unsere Schwachheit in die Rechnung nimmt. Er kennt, was für ein Gemächte wir sind, Er gedenkt daran, daß wir Staub sind (Psalm 103, 14). Seine Gnade währt länger als unser Leben, sie währt auf Kindeskinder hinaus, sie währt ewig. Dieses heißt väterlich gehandelt. Wer sollte nicht einer solchen Behandlung froh sein? Fürchten muß man aber den HErrn, wenn man eine solche Behandlung genießen will; denn wer freventlich sündigt, wer Seine Güte mißbraucht, wer Seine Worte hinter sich wirft, wird nach den strengen Rechten des Gesetzes, worin sich Gott als ein starker eifriger Gott, und als der allerhöchste HErr über Alles offenbaret, gerichtet und gestraft. Hier gibt’s einen Zorn, hier gibt’s Feuerflammen, hier gibt’s ein ewiges Verderben. Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes fallen (Hebräer 10, 31).
So wollen wir denn in der Furcht Gottes wandeln, und heute nichts reden oder tun, welches unserm Nächsten den Anlaß geben könnte, zu uns zu sagen: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott (Lukas 23, 40). Die Furcht des HErrn ist der Weisheit Anfang. Die Furcht des HErrn hasset das Arge, die Hoffart, den Hochmuth, und bösen Weg, (Spr. Sal. 8, 13). Gleichwie der Vatername Gottes ein kindliches Vertrauen bei uns erwecken soll, also soll der Name HErr (Jehovah) uns in eine tiefe Ehrfurcht setzen. Gott ist allein derjenige, der ist, und der war, und der sein wird. Wir aber haben unser schwaches Wesen Seinem Willen zu danken. Er bleibet wie Er ist, wir vergehen. Auch Seine Gerechtigkeit ist unveränderlich. Weil wir nun denjenigen als Vater anrufen, der als der Ewige und Unveränderliche ohne Ansehen der Person richtet nach eines Jeglichen Werk, so sollen wir unsern Wandel, so lange wir hier wallen, mit Furcht führen, 1. Petr. 1, 17.
Wie betrübt ist es doch, im Elend und Jammer mit harten und unfreundlichen Leuten zu thun haben. Allein ein betrübtes Kind Gottes soll versichert seyn:
1) daß sein getreuer Gott im Himmel wisse all sein Leiden, Elend und Kreuz, wie groß und schwer es sey, wie lange es daure, und wie empfindlich es der Seele sey; nicht allein aber weiß es Gott, sondern
2) er erbarmet sich auch des Elenden. In Betrachtung dessen, daß Gott also barmherzig ist, soll
3) ein Betrübter nicht verzagen, sondern zu dem barmherzigen Gott seine Zuflucht nehmen; denn die Betrübten sollen getröstet werden.
4) Gott erweiset aber seine Barmherzigkeit gegen die Elenden, theils, wenn er ihnen giebt Freudigkeit und getrosten Muth, theils wenn er in ihrem Leiden ihnen Stärke giebt, daß sie es ausstehen und tragen können, theils aber auch, wenn er es gar von ihnen nimmt.
Erbarmet sich ein Vater über sein Kind, so wird Gott den Betrübten in seinem Elend nicht verderben lassen.
Quelle: Glaubensstimme – Psalm 103