Eine erfolgreiche Anrufung der Garanten des westphälischen Friedens war in Deutschland also unmöglich. Die Gründe, welche der preußische Bundestagsgesandte dagegen anführte, waren durchschlagend.
„Wir wollen nicht aufhören“ – schrieb das Ober=Kirchencollegium unterm 24. Juni von Breslau – „den obersten Garanten der Rechte unserer Kirche anzurufen.“ – Und es forderte amtlich die ihnen unterstellten Pastoren auf, sonntäglich im allgemeinen Kirchengebet der Noth in Baden fürbittend zu gedenken, „und die allmächtige Durchhülfe Gottes anzuflehen in dem Namen, von welchem allein uns Hülfe kommt.“
Im August erschien die „Aktenmäßige Darstellung der Angelegenheit des Pfarrers Eichhorn im Großherzogthum Baden betreffend“ von Oberkirchenrath Dr. Bähr. Sie war durch die Eisenacher Conferenz veranlaßt. Dr. Harleß hatte dort ernst geredet. Die badischen Abgesandten hatten eine aktenmäßige Erklärung der ganzen Sache versprochen. Dr Bähr gab sie. Im September stand Eichhorn auf der Kanzel zu Erfurt, dann auf der der St. Katharinen=Kirche in Breslau. „Mein Herz ist freudig bewegt“ – sagte er hier – „daß es mir vergönnt ist, nach beinahe zwei Jahren, in welchen ich im Verborgenen in entlegenen Stuben, in Wäldern und auf den Bergen die Glieder der lutherischen Gemeinde bediente, auf lutherischen Kanzeln auftreten zu dürfen.“
Ein Synodal=Schreiben ging dann aus, die Gemeinden in Baden und Nassau zu stärken. Vielleicht war die Eingabe Eichhorn’s an den König von Preußen etwas wirksamer, als jene nach Frankfurt. Superintendent Lasius reichte sie, wie er am 6 September berichtet, durch Vermittlung des Generals von Gerlach ein. Der König habe sich in der That der Sache angenommen – sagt man. Vorerst dann allerdings nicht wirksam.
Im Spätherbst saß Eichhorn friedlich bei den Seinen, als die Thür aufging, und doch lassen wir uns erzählen:
„Als vorgestern mein lieber Mann seine Briefe beendigt hatte“ – so schreibt die treue Hausfrau am 30. November von Durlach nach Berlin an A. von M….. – „erschien plötzlich Morgens neun Uhr, es war der Geburtstag unserer Marie, ein Gensdarm, dem mein lieber Mann auf’s Amtshaus folgen mußte. Er behandelte meinen Mann auf die verletzendste Weise, wie einen gemeinen Verbrecher, und eröffnete ihm, daß er unverweilt durch einen Transporteur nach Kembach gebracht werden sollte; doch durfte er in Begleitung des Gensdarmen noch einmal nach Hause, und Gottes Güte fügte es, daß eben ein Bahnzug nach Heidelberg abgegangen war, und es bis zum nächsten noch vier Stunden dauerte, so daß wir uns doch recht innerlich fassen und auch äußerlich noch vorbereiten konnten. Es waren wohl schwere Stunden, das Zimmer von Gensdarmen bewacht, die Kinder öfters laut weinend und uns das Herz blutend, doch gab uns Gott Frieden und Ruhe in Seinem Willen, der 27. Psalm war der letzte, den mein lieber Mann uns las. Es schnitt mir tief in’s Fleisch, meinen armen gequälten Mann so ziehen zu sehen in Begleitung von Gensdarmen und des Transporteurs, der den ganzen Weg mit ihm machen sollte. Ihm selbst war das Herz besonders beschwert um meinetwillen, denn der Beamte hatte ihm mündlich gesagt, daß auch ich mit den Kindern in wenig Tagen die Stadt verlassen müßte, und wirklich kam mir auch schon gestern früh die amtliche Nachricht zu, daß auch gegen mich Zwangsmaßregeln würden angewendet werden, wenn ich nicht binnen acht Tagen Stadt und Amtsbezirk verlasse und künftig meide. Ach, und ich weiß Niemand, der für mich redet. – Aber Gott wird uns helfen und Alles wohl hinausführen. Er hat mir und meinen Kindern schon den Ort bereitet, wo wir in Frieden wohnen werden, und wird auch meinen lieben Mann stärken.“ –
Das Jahr 1853 brach an und Eichhorn saß immer noch in seinem Geburtsort Kembach fest und überwacht. Ringsum allgemeine Theilnahme der Lutheraner. Im Januar beschloß die Pastoralconferenz in Fürth, wie Löhe schreibt, eine Bittschrift an den Regenten von Baden für Eichhorn und seine Sache abgehen zu lassen. Die Pfarrer Stirner und Kraußold über nahmen die Abfassung.
Aber Kembach war nicht sicher genug. Es folgte die Gefangenschaft in Wertheim im Februar. Keine Luft am Tage, kein Licht an den langen Abenden. „Den Frieden kann mir Niemand nehmen“ – schrieb der Gefangene – „er gründet in den Wunden Christi, der hier im finstern Kerker bei mir ist, dessen Gnadennähe ich spüre.“
Am 10. Februar schrieb er A. von M…..: „In Kembach hatte sich ein kleiner Kreis um mich gesammelt. Da wurde dem Polizeidiener des Orts vor etlichen Wochen mit Amtsentsetzung gedroht, wenn er denselben nicht auseinander triebe. Nun, hier im einsamen düstern Gefängnisse, an einem Ort, der mir fremd ist, hat man keine Proselytenmacherei von mir zu fürchten; aber der Herr der Kirche hat auch dies Gefängniß mit in seinen Reichsplan aufgenommen, und das Ende dieses Plans ist: Sieg Seiner Kirche!“
Genau an demselben Tage schrieb das Ober=Kirchencollegium: „Seien Sie getrost, wenn Sie nun auch schon durch eine vierte Gefängnißstrafe Seinen Namen preisen. Es ist der enge Ort, in dem auch Petrus und Paulus und alle anderen Apostel des Herrn festgebannt werden mußten zu keinem andern Zweck, als daß das Evangelium recht weit ausgebreitet würde.“
Vergeblich war Eichhorn wiederholt zum Minister gegangen, um die Erlaubniß zu erbitten, seine Gemeinde Ihringen in Freiheit bedienen zu dürfen. „Nimmermehr“ – antwortete der Minister – „werden wir die lutherische Kirche genehmigen. Sie müssen alle Hoffnung aufgeben.“ –
Ebenso vergeblich verwendeten sich denn auch die Vertreter lutherischer Landeskirchen bei der Eisenacher Conferenz Kliefoth und Harleß für Eichhorn. Gleichfalls vergeblich waren zwei Deputirte der armen kleinen Gemeinden beim Prinzen und Regenten gewesen.
Geheimrath Göschel in Berlin schrieb einen Artikel und fandte ihn an die Kreuzzeitung. Die Redaction aber lehnte die Aufnahme ab. Der badische Gesandte, so meinte sie, würde sofort die Beschlagnahme der betreffenden Nummer beantragen. Herr von Thadden ging zum badischen Gesandten Herrn von Meysenburg. Dieser war in einiger Verlegenheit. Man wisse in Baden nicht, sagte er, was mit Pfarrer Eichhorn und dieser Bewegung anzufangen sei. Er gab den Rath, bei der badischen Regierung eine Art General=Concession nachzusuchen; von Thadden ging zum Kirchenrath Lasius und schrieb’s an dessen Schreibtisch nach Breslau.
Also nirgends auf Erden Hülfe. Eichhorn war auf freiem Fuß, blieb aber unter polizeilicher Aufsicht. „In den letzten Tagen“ – heißt’s in einem Briefe Eichhorn’s an A. v. M. vom 19. Juli – „ließ die strenge polizeiliche Ueberwachung dieses Ab= und Zugehen von Gensdarmen und Polizeidienern – meinen Kindern ein stets neuer Schrecken – die mir jede Bequemlichkeit unmöglich machte, auffallend nach, und seit wenigen Tagen scheint sie ganz aufzuhören. – Eine Deputation aus den drei Gemeinden Nußloch, Jhringen und Bretten hat vor Kurzem bei unserem Fürsten eine freundliche Aufnahme gefunden, und manche Zusage erhalten.“
Eine immer größere Gemeinde Fürbittender umstand in Deutschland in weitem Kreise, in Württemberg und Baiern, Preußen und Sachsen, Mecklenburg und Hannover den unerschrockenen Kämpfer.
„Als Superintendent Nagel vorgestern“ – so schrieb Geheimrath Dr. Huschke am 29. November an Eichhorn – „Ihre und unserer Nassauer Brüder Lage auf der Kanzel schilderte, ist manches Gebet, von heißen Thränen begleitet, zum Thron der Barmherzigkeit für Sie aufgestiegen. Doch sind wir auch der Zuversicht, daß der Herr unsere Gebete erhört, und Sie nicht blos vor schwerer Anfechtung im Gefängniß bewahrt, sondern Ihnen auch den Trost des Spruchs in’s Herz gegeben hat: Wenn sie noch mehr wüthen, bist du auch noch gerüstet. Psalm 76.“
Eichhorn saß schon wieder im Gefängniß, als er den Brief erhielt. Er saß zu Durlach. Er hatte vierzehn Tage Zeit, bezüglich des Wüthens und der Rüstung Erwägungen anzustellen.
Im November erschien eine Art Concession. Die Anhänger des „gewesenen Pfarrers Eichhorn“ sollten sich auf ihre Kosten kirchlich versorgen lassen. Nur nicht durch den „gewesenen Pfarrer“ Eichhorn.
Es war eine Concession zum Tode. Es wurde kein Gebrauch davon gemacht. Das Jahr 1854 war für Hirt und Herde ein verhältnißmäßig ruhiges. Auch das folgende Jahr 1855 verlief zur Hälfte ohne große Störungen. Im Juli aber hatte die Stadt Bretten die Ehre. Die Haft dauerte indes nur zwei Tage. Der Sommer verging ruhig.
Die Orte, wo den sonderlichen Missetäter die Polizei etwa erwarten zu können meinte, waren gut besetzt. Es half nur nicht immer. Um Mitternacht ging’s einst nach Ihringen, auf unwegsamen Gebirgspfaden in strömendem Regen durch breite Wasser in den Bergtälern. Dann wurde das Kind in aller Ruhe getauft. Die Wöchnerin wird eingesegnet. Alles ohne jedes Hindernis. Denn: der Wache dicht neben dem Hause war etwas Menschliches passiert. Sie war diesmal gerade ein wenig – eingeschlafen.
Am dritten Adventssonntag gestaltete sich die Sache anders. Eichhorn hielt Gottesdienst zu Nußloch. Gensdarm und Polizeidiener drangen ein. Durch den tiefen Schnee wurde der Gefangene nach der Stadt Leimen in ein eiskaltes, finsteres, abgelegenes Gefängnis geführt. Er lag die lange Winternacht ohne Bett auf dem harten Boden. Der Bürgermeister erwiderte, Eichhorn müsse überall, „wo er betreten werde, arretiert und gefangen gesetzt werden“. Und nun wanderte unser Arrestant zum drittenmal in Gensdarmenbegleitung durch die Straßen von Heidelberg. Der Stadtdirector Wilhelmi setzte ihn in Freiheit. Die Gemeindeglieder empfingen ihn hoch erfreut auf der Straße.
Und desselben Abends spendete er ihnen in einer kleinen, stillen Stube des Herrn Leib und Blut. Es war gerade der Kirche gegenüber, in welcher einst Heshusius das hochwürdige Sakrament gegen den Calvinisten Klebiß verteidigt hatte. –
Um Einleitung einer gerichtlichen Untersuchung petitionierte in solchen Fällen der Gefangene vergebens. Dagegen fand sich’s, daß der Transport mit dem Schub für ihn teurer war, als für andere Menschen. Er mußte die Transportkosten für sich – und auch für die ihn begleitende Polizei bezahlen.
Es kam das Jahr 1856. Es war ein wehmütiger Zug, als Eichhorn im Februar gefangen von Weil nach Lörrach geführt wurde. Es war ein dunkler Abend. An der Seite des Gefangenen ging der Polizeidiener, aber um und hinter ihm die treuen Lörracher Gemeindeglieder, Alte und Junge und Kinder.
Quelle: Karl Eichhorn, Akten zur neuesten Kirchengeschichte, hrsg. v. Rudolph Rocholl. Leipzig, Verlag von Justus Naumann, 1890. [Digitalisat]