Jesaja 65, 2

Ich recke meine Hände aus den ganzen Tag zu einem ungehorsamen Volk, das seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist.

Was ist denn gewöhnlich der erste Gedanke, wenn ein Mensch anfängt, sich über sich selbst zu besinnen und seinen elenden Zustand zu fühlen? Ist das der erste Gedanke: Ich will mit meinem ganzen Jammer zum Heiland gehen, ich will ihm meine Not klagen, ich will meine Sache vor seinem Gnadenthron kund werden lassen, er kann, er wird helfen, denn er heißt Jesus; – ist das der erste Gedanke und Entschluß? – Nein!

Das Erste ist gewöhnlich: Wenn ein Mensch sieht, daß er nicht so gewesen ist bisher, wie er hätte sein sollen, so geht er hin und faßt einen Vorsatz: Ich will anders werden, ich will die und die Sünde ablegen, ich will ein anderes, ein frommes, ein christliches Leben anfangen; und so fängt er denn an auf eigene Faust, auf eigene Kraft, nach eigenem Willen, Vorsatz und Gutdünken. Ein anderer denkt: das wird das Beste sein, du hältst dich zu diesen oder jenen frommen Leuten, wo Gutes gesprochen wird, da sprichst du auch mit, da kommst du zum Guten und wirst ein anderer Mensch, du weißt nicht wie. Ein dritter fällt auf die Erkenntnis, und will damit den Schaden seiner Seele heilen und sein Herz stillen. Er setzt sich hinter die Bibel hinum und nimmt einen Ausleger dazu, der auch die Hauptsache in die Erkenntnis gesetzt hat; da kommt er denn auf dunkle Worte und Stellen; darüber fängt er an zu grübeln, oder er macht sich an die Erklärung der prophetischen Bücher, an die Offenbarung Johannis, er fängt an zu prophezeien und auf die Zukunft des HErrn zu warten und schreckliche Zeiten zu weissagen, und siehe, er hat sich doch noch nicht bekehrt, hat keine Vergebung der Sünden, keine Hoffnung des ewigen Lebens.

Das Erbärmlichste aber ist, wenn ein Mensch, der zum Nachdenken über sich selbst gebracht ist, ein Erbauungsbuch nach neuerem Styl und Geschmack in die Hand nimmt, und daraus den Weg zum Leben, den Weg zur Beruhigung seines Herzens lernen will. Denn da liest er gerade das Gegenteil von dem, was ihm der Geist der Wahrheit in seinem Innern gesagt hatte. Er liest, daß Buße tun und seine Sünden erkennen und beweinen lautere Schwärmerei sei; er liest, daß das meiste, was das Wort Gottes als Sünde bezeichnet, keine Sünde sei, daß es z.B. hochnötig sei, sich der Welt, nämlich der ehrbaren und honetten, gleichzustellen; er liest prächtige Worte von einer paradiesischen Welt und von einem liebreichen Allvater, der seine Kinder in dieses Paradies hereingesetzt habe, damit sie desselbigen, soweit es nur immer die Ehrbarkeit erlaubt, genießen; er liest Worte von einem gewissen göttlichen Erlöser, der aber im Grunde nur ein Mensch sei und die Welt durch seine Lehre erlöset habe; er liest Lügen über Lügen. Wenn er nun solches gelesen, so denkt er: Ich habe melancholische Gedanken gehabt, könnte zuletzt ein Schwärmer werden, ich muß mich hüten und mir Zerstreuung machen.

Ach leit und führe mich,
So lang ich leb auf Erden,
Laß mich nicht ohne dich
Durch mich geführet werden!

Führ ich mich ohne dich,
So werd ich bald verführt.
Wenn du mich führest selbst,
Tu ich, was mir gebührt.

(Ludwig Hofacker)

Quelle:

Andacht zum 25. Februar, aus: Ludwig Hofacker: Erbauungs- und Gebetsbuch für alle Tage, nebst einem Anhang von besondern Gebeten. Aus den hinterlassenen Handschriften und aus den Predigten des sel. Verfassers. Herausgegeben von G. Klett, Pfarrer in Barmen., Dritter Abdruck, S 85-87. Druck und Verlag von J.F. Steinkopf, Stuttgart, 1879.