Offenbarung 2 (Emil Dönges)

„Das, was ist“

Die sieben Versammlungen oder Gemeinden

(Kap. 2 und 3)

Die gegenwärtige Zeit, in welcher Schreiber und Leser leben, bezeichnet der Herr also mit den Worten  „D a s,  w a s  i s t“. Es ist die Zeit der Geschichte der Kirche.

Und alles, was von Kapitel 4 ab zu lesen ist, ist noch zukünftig. Es ist also unrichtig, zu meinen, die Gerichte, welche von Kapitel 6 ab erzählt werden, seien schon zum Teil im Mittelalter oder sonst in der Vergangenheit über die Erde gekommen. Es ist noch nichts von denselben in Erfüllung gegangen.

Die sieben Sterne, die wir in der Rechten des Herrn sehen, sind, wie wir in [Offb. 1,] Vers 20 lesen, die Engel der sieben Versammlungen, und die sieben Leuchter sind sieben Versammlungen. Diese Engel sind nicht Menschen, die diesen Titel getragen hätten, sondern sind die sinnbildlichen Vertreter der verantwortlichen Personen inmitten der örtlichen Versammlungen.Die Verantwortlichkeit für den Zustand innerhalb einer Versammlung oder Gemeinde liegt ja nach Gottes Wort auf den Schultern aller Glieder, jedoch nach Maßnahme der Berufung, Erkenntnis und Begabung der Einzelnen. Die Ältesten und die Brüder, welche der Herr als Hirten und Lehrer usw. begabte, trugen oder tragen ein besonderes Maß von Verantwortlichkeit [vgl. Jakobus 3, 1]. Diese Verantwortlichkeit aller wird repräsentiert in dem Engel.

Daß aber ein Engel wiederholt in der H. Schrift als ein geheimnisvoller Vertreter einer Person, sei es, daß diese sichtbar oder unsichtbar war, gebraucht wird, ist bekannt; für Jehova wird oft „der Engel Jehovas“ genannt, und von Petrus heißt es einmal: „Es ist sein Engel.“ (Richter 6, 11. 14. 20; Apostg. 12, 15.)

Zuweilen werden die  E n g e l  in den sieben Sendschreiben angeredet, als wären es die Versammlungen selbst, anderswo aber werden die Engel und die Versammlungen in gewissen Dingen unterschieden. Immer aber wird das, was dem Engel gesagt wird, an die  g a n z e  Versammlung gerichtet. Darum heißt es am Schlusse eines jeden Sendschreibens:

„Wer ein Ohr hat, der höre, was der Geist den Versammlungen sagt.“ –

Obwohl der Herr die Mitteilungen eines jedenSendschreibens immer durch den Geist an die ganze Versammlung ichtet, so wendet Er sich doch nicht an die Versammlung oder Gemeinde persönlich, wie Er das in den Episteln tut, wo wir Seinen Gruß lesen, „an die Heiligen und Treuen, die in Ephesus sind“, „an die Versamlung der Thessalonicher in Gott“ usw., sondern  n u r  an den Engel, weil der Verfall der Kirche bereits begonnen und Er hier, als der Richter in ihrer Mitte, nicht in der früheren Weise vertraulich und persönlich mit der ganzen Gemeinde zu reden vermag.

Wenden wir uns denn nun zu den Versammlungen oder Gemeinden! Es sind ihrer sieben. Die Zahl sieben ist die Zahl der Vollkommenheit oder auch Vollständigkeit., obwohl sie sich in Mannigfaltigkeit kundtut. Aus den vielen Versammlungen, die in Kleinasien bestanden, wählte der Herr diese sieben aus, weil in ihnen Zustände vorhanden waren, wie sie sich, wie Er wußte, in den kommenden Zeitperioden der Christenheit nach und nach einstellen würden. Die sieben Versammlungen also mit ihren verschiedenen Zuständen sind ein Abbild der einzelnen Perioden der Geschichte der Christenheit oder der gesamten Kirche, soweit diese unter der Verantwortlichkeit des Menschen steht. *)

Aber es wäre verkehrt, die sieben Sendschreiben nur prophetisch betrachten zu wollen. Es gibt vielmehr eine drei- oder mehrfache Betrachtungsweise derselben. Zunächst enthält jedes Sendschreiben die Schilderung einer Gemeinde, die zu jener Zeit tatsächlich bestand. Zweitens bieten die Sendschreiben, wie wir soeben bemerkten, prophetische Enthüllungen von den einzelnen, aufeinanderfolgenden Perioden in der Geschichte der christlichen Kirche. Und drittens soll sich jede einzelne örtliche christliche Versammlung und jeder einzelne Christ noch heute in jedem der sieben Sendschreiben bespiegeln und das, „was der Geist den Versammlungen sagt“, auf das eigene Herz und Gewissen anwenden.

Die Anordnung der Gedanken in jedem Sendschreiben ist klar und ernst. Es ist die folgende:

  1. A n e r k e n n u n g  u n d  L o b.   Wie schön, daß der Herr stets zuerst freudig anerkennt und lobt, was irgend Er nur loben kann, ehe Er tadelt. Es ist dies Seine Freude und entspricht ganz Seiner Huld und Gnade.
  2. T a d e l.   Wenn der Herr auch lieber lobt als tadelt, so kann Er doch das Böse niemals übersehen. Er bleibt bei aller Liebe treu Seiner Gerechtigkeit und ist stets „der Heilige und Wahrhaftige“.  Er muß nach Seiner Heiligkeit stets das Böse und alle Schäden aufdecken, und Sein Gericht fängt gerade am Haus Gottes an. Später erst kommt die welt ins Gericht. Und ach, was muß nach Seiner vollkommenen Gerechtigkeit ihr ewiges Teil sein! –
  3.  W a r n u n g  u n d  D r o h u n g.  Wenn der Herr dann das Böse aufgedeckt hat, warnt Er treu vor dessen Folgen, vor Seiner gerechten Strafe und Vergeltung.
  4.  E r m u n t e r u n g  u n d  V e r h e i ß u n g  der Belohnung für den Überwinder. – Wie schön, daß der Herr in Seiner Liebe, die stets langmütig ist und stets von den Seinigen das Beste hofft, in allen Sendschreiben von Überwindern redet. Er rechnet also in allen „Versammlungen“ und zu allen Zeiten  auf Herzen, welche Seinen liebevollen, ernsten Worten folgen und inmitten des Verfalls der Christenheit zu Ihm sich wenden und in Seiner Kraft über das Böse siegen. –

Am Schluß oder gegen Ende der Sendschreiben sagt der Herr dann jedesmal:

„Wer ein Ohr hat zu hören, der höre, was der Geist den Versammlungen (Gemeinden) sagt.“ –

Wir sehen daraus, was wir früher schon sagten , daß die sieben Engel, an welche die sendschreiben gerichtet sind, doch nur als sinnbildliche Verteter der ganzen Versammlungen anzusehen sind, und zwar in ihrer Verantwortlichkeit, auf Erden ein Zeugnis für Christum zu sein. Auch sehen wir ferner daraus, daß die sieben Versammlungen ein ganzes bilden; und dieses ganze ist, wie schon bemerkt, im Bilde die Geschichte der gesamten Christenheit, und zwar von ihrem Anfang bis zu ihrem Schluß. „Der Geist“ spricht in den Sendschreiben also immer zu der ganzen Versammlung; und zugleich soll jede einzelne Versammlung hören, was Er allen Versammlungen sagt.

Noch sei die  A n r e d e  des Herrn an jede einzelne „Versammlung“ erwähnt, bzw. der name und Chrakter, unter welchem der Herr die einzelnen Versammlungen anspricht. Dieser name oder Titel des Herrn ist jedesmal verschieden und entspricht immer dem Zustande, welcher die betreffende Versammlung kennzeichnet. Auch ist die Bedeutung der  O r t s n a m e n  der einzelnen Versammlungen nicht zufällig, wie wir finden werden, sondern für den dortigen Zustand jedesmal bezeichnend.

[….]

Quelle:

Dönges, Dr. Emil: „Was bald geschehen muß“: Betrachtung über die Offenbarung. Erschienen bei: Verlag Geschw. Dönges, Dillenburg (2. Auflage, 1921) [Download im pdf-Format bei Martin Arhelger und im Christian Writings Archive], S. 26-30.


Eingestellt am 1. April 2024