1. Korinther 1, 30 (George Whitefield)

„Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.“
(1. Korinther 1, 30)

Ich denke, von allen Versen in der Bibel ist dieser, eben vorgelesene Vers einer der inhaltsreichsten: Welch frohe Botschaft bringt er doch den Gläubigen! Welch hohe Vorrechte werden ihnen hierin verliehen! Wie werden sie hier doch an die Quelle all dessen herangeführt: Ich meine die Liebe, die ewige Liebe Gottes des Vaters!

„Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.“

Ich werde euch von den Worten her, ohne auf den Textzusammenhang einzugehen,

(1) die Quelle zeigen, aus der all diese Gnadengaben entspringen, an denen die Auserwählten Gottes in Jesus Christus teilhaben: „Der uns von Gott gemacht ist …“.

Und (2) werde ich Betrachtungen darüber anstellen, um was für Gnadengaben es sich handelt: „Weisheit“, „Gerechtigkeit“, „Heiligung“ und „Erlösung“.

Erstens möchte ich euch die Quelle zeigen, aus der all diese Gnadengaben, an denen die Auserwählten Gottes in Jesus teilhaben, entspringen: „Der uns von Gott gemacht ist …“ – Es ist der Vater, von dem hier gesprochen wird. Nicht, als ob Jesus nicht auch Gott wäre, aber Gott der Vater ist der Ursprung der Gottheit. Und wenn wir Jesus Christus als den Fürsprecher ansehen, dann ist Gott der Vater größer als er. Zwischen dem Vater und dem Sohn bestand ein ewig gültiges Bündnis: „Ich habe einen Bund geschlossen mit meinem Auserwählten, ich habe David, meinem Knechte, geschworen:…“ (Psalm 89, 4). Nun war David ein Sinnbild für Christus, mit dem der Vater einen Bund schloß, daß, wenn er gehorcht und leidet und sich selbst zum Schuldopfer macht, „… er Nachkommen haben (wird) und in die Länge leben, und des Herrn Plan wird durch seine Hand gelingen“ (Jesaja 53, 10).

Auf diese Vereinbarung bezieht sich der Herr in jenem wunderbaren Gebet, das im 17. Kapitel des Johannesevangeliums geschrieben steht. Und daher bittet er um alle, ja beansprucht vielmehr mit aller Gewißheit diejenigen, die ihm vom Vater übergeben worden sind: „Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast,…“ (Johannes 17, 24). Aus diesem selben Grund stimmt auch der Apostel in das Lob Gottes ein, eben des Vaters unseres Herrn Jesus Christus. Denn er liebte die Auserwählten mit unvergänglicher Liebe oder, wie es unser Herr ausdrückt: „…ehe der Welt Grund gelegt war,…“ (Epheser 1, 4). Und deshalb, um ihnen zu zeigen, wem sie ihre Rettung zu verdanken hätten, stellt sich ihnen der Herr im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums selbst dar, indem er sagt: „…Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!“ (Matthäus 25, 34). Und dementsprechend antwortet er auch der Mutter der Kinder des Zebedäus, indem er sagt: „…das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben, steht mir nicht zu. Das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist von meinem Vater“ (Matthäus 20, 23). Der Apostel erinnert sie folglich, wenn er hier von den Vorrechten der Christen spricht, an die ewige Liebe Gottes des Vaters, auf die sie zurückblicken sollen, damit sie nicht ihrem eigenen Einfluß huldigen oder meinen, sie hätten ihre Errettung ihrer eigenen Treue oder der Fortschritte ihres eigenen freien Willens zu verdanken: „Der uns von Gott gemacht ist…“

Gott gebe, daß man mehr an diesen Teil der Lehre dächte, und die Menschen wüßten besser über den Bund der Erlösung zwischen dem Vater und dem Sohn Bescheid! Dann hätten wir bestimmt nicht so viel Streit gegen die Lehre von der Erwählung oder müssen erfahren, wie sie (sogar von guten Männern) als eine Teufelslehre verdammt wird. Was mich selbst betrifft, so kann ich nicht erkennen, wie man zu einem wahrhaft demütigen Herzen kommen kann, ohne etwas darüber (über die Erwählungslehre) zu wissen. Und obwohl ich nicht sagen möchte, daß jeder, der die Erwählung bestreitet, ein schlechter Mensch ist, möchte ich doch mit jenem feinen Dichter Mr. Trail sagen, daß es ein sehr schlechtes Zeichen ist: Ich denke, so einer, wer immer er auch ist, kann sich selbst nicht wirklich kennen. Denn, wenn wir die Erwählung als falsch ablehnen, müssen wir uns, zumindest teilweise, selbst rühmen. Aber unsere Erlösung ist so geregelt, daß sich keine menschliche Natur in der Gegenwart Gottes rühmen darf. Und deswegen ist es halt so, daß sich der Stolz des Menschen gegen diese Lehre stellt, denn nach dieser Lehre und nach keiner anderen gilt: „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“ (1. Korinther 1, 31, nach Jeremia 9, 22.23; s.a. 2. Korinther 10, 17).

Aber was soll ich sagen? Die Erwählung ist ein Geheimnis, das mit einer solch strahlenden Helligkeit leuchtet, daß es – um mit den Worten eines Menschen zu sprechen, der schon viel von der erwählenden Liebe begierig in sich aufgenommen hat – sogar die schwachen Augen einiger wert geachteter Kinder Gottes blendet. Jedoch, obwohl sie es nicht wissen, kommt alle Gnade, die sie empfangen, alle Rechte, die sie durch Jesus Christus ausüben oder an denen sie sich erfreuen, aus der ewigen Liebe Gottes des Vaters: „Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung“.

Zweitens werde ich nun Betrachtungen darüber anstellen, um was für Gnadengaben es sich handelt, die hier durch Christus den Erwählten übereignet werden. Nun,

1. Weisheit

Als erstes ist Christus ihnen zur Weisheit gemacht worden; aber worin besteht wahre Weisheit? Fragte ich einige von euch, würdet ihr vielleicht sagen, darin, den sinnlichen Begierden zu frönen und euren Seelen zu sagen: „… iß, trink und habe guten Mut!“ (Lukas 12,19). Aber das ist nur die Weisheit des Viehs. Es genießt die Sinneslust und hat praktisch den gleichen Gefallen daran wie der größte Genußmensch der Welt. Andere würden mir sagen, wahre Weisheit bestehe darin, sich Häuser und Felder anzuhäufen Ländern den eigenen Namen zu geben. Aber das kann nicht wahre Weisheit sein, denn Reichtümer bekommen oft Flügel und fliegen wie ein Adler zum Himmel empor und davon. Sogar die Weisheit selbst versichert uns: „… niemand lebt davon, daß er viele Güter hat.“ (Luk. 12,15). Eitel, eitel, all das ist eitel (Anspielung auf Prediger 1,2). Denn, selbst wenn die Reichtümer nicht den Eigentümer verlassen, so müssen doch die Eigentümer sie bald aufgeben, denn: „Reiche Menschen müssen auch sterben und ihren Reichtum anderen überlassen.“ (Quelle des Zitats unbekannt) Ihre Reichtümer können sie nicht vor dem Grab bewahren, dem wir alle rasch entgegeneilen.

Aber vielleicht verachtet ihr ja Reichtümer und Sinneslust und siedelt die Weisheit folglich auf dem Gebiet des Bücherwissens an. Doch ist es möglich, daß ihr die Anzahl der Sterne angeben und sie alle beim Namen nennen könnt, und trotzdem nur Dummköpfe seid: Gebildete Menschen sind nicht immer auch weise. Nein, vielmehr macht unsere Allgemeinbildung, derer wir uns so sehr rühmen, aus Menschen nur lauter kultivierte Narren. Um euch daher nicht länger in Spannung zu halten und euch dazu noch bescheiden zu machen, werde ich euch nun zu einem Heiden in die Schule schicken, damit ihr lernt, was wahre Weisheit ist: „Erkenne dich selbst“ war das Sprichwort eines der weisen Männer Griechenlands. Das ist gewiß wahre Weisheit, und das ist jene Weisheit, von der in dem Text gesprochen wird und zu welcher Jesus allen erwählten Sündern gemacht wird. Sie werden dazu gebracht, sich selbst zu erkennen, so daß sie nicht höher von sich denken als es ihnen zusteht. Früher waren sie Finsternis; nun sind sie Licht in dem Herrn (Anspielung auf Epheser 5,8). Und in diesem Licht erkennen sie ihre eigene Dunkelheit. Jetzt beweinen sie sich selbst als von Natur aus gefallene Kreaturen, tot in Schuld und Sünden, Söhne und Erben der Hölle und Kinder des Zorns. Sie erkennen jetzt, daß all ihre Gerechtigkeit nicht als schmutziges Gelump ist, daß es in ihren Seelen nichts Gesundes gibt, daß sie arm und elend, nackt und blind sind und daß es unter dem Himmel keinen Namen gibt, durch den sie gerettet werden können, als durch den Namen Jesu Christi. Sie sehen die Notwendigkeit ein, sich mit einem Erlöser zusammen zu tun, und erblicken die Weisheit Gottes, wie Er ihn zum Erlöser macht. Sie werden auch dazu gebracht, daß sie bereit sind, die Erlösung zu den Bedingungen unseres Herrn anzunehmen und ihn als ihr vollkommenes Ganzes aufzunehmen. So wird Christus ihnen zur Weisheit gemacht.

2. Gerechtigkeit

„Der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit.“ Die ganze persönliche Gerechtigkeit Christi wird auf sie übertragen und als ihre Gerechtigkeit angesehen. Es wird ihnen ermöglicht, Christus im Glauben zu ergreifen, und Gott der Vater bedeckt ihre Übertretungen wie mit einer dichten Wolke: An ihre Sünden und ihre Schandtaten gedenkt er nicht mehr; sie werden in Christus Jesus zur Gerechtigkeit Gottes gemacht, der „… des Gesetzes Ende [ist]; wer an den glaubt, der ist gerecht.“ (Römer 10,4). In einer Hinsicht sieht Gott sie nun ohne Sünde; der gesamte Bund der Werke ist in ihnen erfüllt: Sie sind wirklich gerechtfertigt, freigesprochen und werden vor Gott als gerechtfertigt angesehen. Sie sind in dem Geliebten völlig angenommen; in ihm sind sie vollendet. Das flammende Schwert des Zornes Gottes, das vorher überallhin fuhr, ist nicht beseitigt und zum Baum des Lebens ist noch kein freier Zugang gewährt worden. Ihnen wurde es ermöglicht, den Arm des Glaubens auszustrecken und zu pflücken und ewig zu leben. Daher fällt der Apostel unter dem Eindruck dieses seligen Vorrechts in diese triumphierende Ausdrucksweise ein: „Christus ist es, der gerecht macht. Wer will verdammen?“ (Anspielung auf Römer 8,33+34). Verdammt (euch) die Sünde? Die Gerechtigkeit Christi erlöst die Gläubigen von der Missetat der Sünde: Christus ist ihr Erretter und hat ihre Sünden gesühnt: Wer soll daher den Erwählten Gottes noch irgend etwas anlasten? Verdammt (euch) das Gesetz? Weil ihnen Christi Gerechtigkeit zugerechnet worden ist, sind sie dem Gesetz als einem Bund der Werke gestorben. Christus hat es für sie und an ihrer Stelle erfüllt. Bedroht sie der Tod? Sie brauchen sich nicht zu fürchten: Der Stachel des Todes ist die Sünde; die Macht der Sünde ist das Gesetz (Anspielung auf 1. Korinther 15,56). Aber Gott hat ihnen den Sieg gegeben, indem er ihnen die Gerechtigkeit des Herrn Jesus stellvertretend zugerechnet hat.

Und was für ein Vorrecht ist hier! Zu Recht können die Engel bei der Geburt Christi den einfachen Hirten sagen: „… Siehe, ich verkündige euch große Freude,…“ (Lukas 2,10); euch, die ihr an Christus glaubt, „ist … der Heiland geboren,…“ (Lukas 2,11). Und mit gutem Grund dürfen sich die Engel bei der Bekehrung armer Sünder freuen, denn der Herr ist ihre Gerechtigkeit. Sie haben mit Gott durch den Glauben an das Blut Christi Frieden und werden niemals in die Verdammnis kommen. Oh ihr Gläubigen! (Denn diese Abhandlung ist in besonderer Weise für euch bestimmt.) Erhebt eure Häupter. „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!“ (Philipper 4,4). Christus ist euch von Gott zur Gerechtigkeit gemacht worden, wovor solltet ihr euch denn dann noch fürchten? Ihr seid in ihm zur Gerechtigkeit Gottes gemacht worden. Man darf euch nennen: „Der Herr unsere Gerechtigkeit“ (Jeremia 23, 6). Wovor solltet ihr denn Angst haben? Was soll euch von nun an von der Liebe Christi trennen? „Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?“ (Römer 8,35). Nein, „… ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn“ (Römer 8,38-39), der uns von Gott gemacht ist zur Gerechtigkeit.

Dies ist ein wunderbares Vorrecht, aber dies ist nur der Anfang des Glücks der Gläubigen, denn:

3. Heiligung

Drittens ist Christus ihnen nicht nur zur Gerechtigkeit gemacht worden, sondern auch zur Heiligung. Mit Heiligung meine ich nicht bloße scheinheilige Teilnahme an den sichtbaren Sakramenten, obwohl in rechter Weise unterrichtete Christen es immer als ihre Pflicht und als Ehre ansehen dürften, an allen sichtbaren Sakramenten teilzunehmen. Ich meine mit Heiligung auch nicht allein eine äußerliche Besserung und ein paar kurzlebige Überzeugungen oder ein bißchen gesetzliche Reue; denn das alles kann auch ein ungeheiligter Mensch haben. Sondern ich meine mit Heiligung eine totale Erneuerung des ganzen Menschen: Durch die Gerechtigkeit Christi werden die Gläubigen nach dem Gesetz lebendig, durch die Heiligung geistlich lebendig gemacht. Das eine gibt ihnen das Recht auf die Herrlichkeit, das andere macht sie dafür tauglich. Sie sind daher durch und durch an Geist, Seele und Leib geheiligt.

Ihr Verständnis, das vorher dunkel war, wird jetzt in dem Herrn hell und ihr Wille, der vorher dem Willen Gottes entgegen stand, wird jetzt mit dem Willen Gottes eins. Ihr Begehren richtet sich jetzt nach den oberen Dingen aus; ihr Denkvermögen ist nun voll mit geistlichen Dingen; ihr natürliches Gewissen ist jetzt erhellt; ihre Glieder, die vorher Werkzeuge der Unreinheit und schreiender Ungerechtigkeit waren, sind jetzt neue Kreaturen. In ihren Herzen ist „das Alte … vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (2. Korinther 5,17): Die Sünde hat nicht mehr die Herrschaft über sie. Sie sind von ihrer Macht befreit, jedoch nicht davon, daß sie ihrem Wesen innewohnt. Sie sind sowohl im Herzen als auch im Leben in jeder Art des Umgangs heilig: Sie werden zu Teilhabern einer göttlichen Natur gemacht, und sie empfangen von Jesus Christus Gnade. Und jede gute Eigenschaft, die in Christus wohnt, ist in ihre Seelen übertragen und dort nachgebildet worden. Sie sind in sein Bild verwandelt; er hat in ihnen Gestalt angenommen. Sie wohnen in ihm und er in ihnen. Sie werden durch den Heiligen Geist geführt und tragen dessen Früchte. Sie wissen, daß Christus ihr Immanuel, ihr Gott mit ihnen und in ihnen ist. Sie sind lebendige Tempel des Heiligen Geistes. Und deshalb, weil sie eine heilige Wohnstatt des Herrn sind, wohnt und wandelt die ganze Trinität in ihnen. Schon hier sitzen sie zusammen mit Christus an himmlischen Orten und sind durch einen lebendigen Glauben mit ihm, ihrem Haupt, sehr eng verbunden. Ihr Erlöser, ihr Schöpfer, ist ihr Gatte. Sie sind Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein. Sie sprechen, sie gehen mit ihm so wie ein Mann mit seinem Freund geht und spricht. Kurz, sie sind mit Christus eins so wie Christus und der Vater eins sind.

So wird Christus für die Gläubigen zur Heiligung. Und oh, was für ein Vorrecht das doch ist! Von Rohlingen in Heilige verwandelt zu werden und von einer teuflischen Natur zu Teilhabern einer göttlichen Natur; vom Reich des Satans in das Reich des teuren Sohnes Gottes versetzt zu werden! Den alten Menschen, der verdorben ist, abzulegen und den neuen Menschen, der in Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit nach Gott erschaffen ist, anzuziehen! Oh, was für ein unaussprechlicher Segen das ist! Vor Erstaunen stehe ich förmlich still, wenn ich darüber nachdenke. Mit guten Grund kann der Apostel die Gläubigen ermahnen, sich in dem Herrn zu freuen. Sie haben in der Tat Anlaß, stets zu frohlocken, ja, auf dem Sterbebett hocherfreut zu sein, denn das Reich Gottes ist in ihnen. Sie gehen von einer Herrlichkeit zur anderen, nämlich durch den Geist des Herrn. Das mag wohl für den natürlichen Menschen ein Geheimnis sein, denn es ist ja sogar für den geistlichen Menschen selbst ein Geheimnis, ein Geheimnis, das er nicht ergründen kann. Seid ihr denn nicht oft selbst geblendet, oh ihr Kinder Gottes, wenn ihr einen Blick auf euren eigenen Glanz werft, wenn das Licht des Herrn hervorleuchtet und der Erlöser den Schein seines heiligen Antlitzes auf eure Seelen wirft? Erstaunt es euch denn nicht, wenn ihr spürt, daß die Liebe Gottes durch den Heiligen Geist in jeden Winkel eurer Herzen ausgegossen wird und Gott das goldene Zepter seiner Gnade ausstreckt und euch auffordert zu bitten, was ihr wollt und es soll euch gegeben werden? Übersteigt nicht der Friede Gottes, der eure Herzen erhält und regiert, die äußersten Grenzen eures Begreifens? Und ist nicht die Freude, die ihr spürt, unaussprechlich? Ist sie nicht überaus herrlich? Ich bin davon überzeugt, daß es so ist und daß ihr in Eurer innersten Einkehr, wenn die Liebe des Herrn in Eure Seelen einströmt, quasi von der Fülle Gottes verschlungen werdet oder, um den Ausdruck des Apostels zu benutzen, „erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle“ (Epheser 3,19). Seid ihr denn noch nicht soweit, um mit Salomo auszurufen: „Aber sollte Gott wirklich bei den Menschen auf Erden wohnen?“ (2. Chronik 6,18). Wie kommt es, daß wir in diesem Maße Deine Söhne und Töchter sein sollten, oh Herr, allmächtiger Gott!

Wenn ihr nun Gottes Kinder seid und wißt, was es bedeutet, mit dem Vater und dem Sohn Gemeinschaft zu haben; wenn ihr nach dem Glauben und nicht nach dem Schauen wandelt, dann bin ich sicher, daß euer Herz oft so spricht.

Aber sieh doch nach vorne und erkenne, wie dein Blick frei ist auf die ewige Freude, die vor dir liegt, oh du, der du glaubst! Was du schon bekommen hast, sind nur die Erstlinge, wie die Weintrauben, die man aus dem Lande Kanaan holte; nur ein Zeichen dafür und ein Versprechen, daß noch unermeßlich bessere Dinge kommen werden. Denn die Ernte wird folgen. Deine (Gottes?) Gnade/ Dein (unsere?) Gnadenstand wird hernach vollkommen in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen sein. Dein großer Josua und gütiger Hohepriester wird dir reichlich Zutritt in das Land der Verheißung gewähren, zu jener Ruhe, die die Kinder Gottes erwartet. Denn Christus ist den Gläubigen nicht nur zur Weisheit, zur Gerechtigkeit und zur Heiligung gemacht, sondern auch zur Erlösung.

Aber bevor wir mit der Erklärung und der Betrachtung dieses Vorrechts beginnen, sollt ihr hieraus zuerst einmal von dem schweren Irrtum jener Schreiber und Geistlichen hören, die (wie sie es ja manchmal wirklich tun, jedoch in einer sehr ungenauen und oberflächlichen Weise) ungeachtet ihrer Rede von Heiligung und innerer Heiligkeit, diese jedoch meistens als Grund unserer Rechtfertigung hinstellen. Dabei sollten sie diese (die Heiligung und innere Heiligkeit) doch als das Resultat unserer Rechtfertigung ansehen. „Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit (und dann) zur Heiligung.“ Denn die Gerechtigkeit Christi bzw. das, was Christus an unserer Statt ohne uns getan hat, ist der einzige Grund dafür, daß Gott uns annimmt und für alle Heiligung, die in uns geschaffen wird. Danach und nicht nach der inneren Erleuchtung oder nach irgend etwas, das im Innern geschaffen wird, sollten arme Sünder suchen, um vor Gott gerechtfertigt zu werden. Denn um der Gerechtigkeit Christi willen allein und nicht wegen irgend etwas, das in uns geschaffen wird, sieht Gott gnädig auf uns herab. Unsere Heiligung in diesem Leben ist bestenfalls unvollkommen. Obwohl wir von der Macht der Sünde befreit worden sind, sind wir nicht davon frei, daß sie noch in uns wohnt. Das vollkommene Gesetz Gottes verbietet jedoch nicht nur die Herrschaft der Sünde, sondern auch, daß sie überhaupt in uns wohnt, denn es wird nicht gesagt: „Du sollst der Begierde nicht nachgeben“, sondern: „Du sollst nicht begehren.“ (2. Mose 20,17) So daß wir, solange die treibende Kraft der Begierde auch nur im geringsten Maße in unseren Herzen bleibt – im übrigen sind wir aber niemals so heilig – doch deswegen nicht darauf hoffen können, bei Gott angenommen zu werden. Wir müssen daher zuerst nach einer Gerechtigkeit außerhalb von uns suchen, nämlich nach der Gerechtigkeit unseres Herrn Jesus Christus. Aus diesem Grunde nennt sie auch der Apostel und stellt sie in den Worten des Textes vor die Heiligung. Und wer auch immer eine andere Lehre lehrt, predigt nicht die Wahrheit wie sie in Jesus ist.

Zweitens, von daher können also die Antinomisten und scheinheiligen Heuchler widerlegt werden, die von Christus außerhalb von ihnen reden, aber nichts, nicht einmal versuchsweise, von einem Werk der Heiligung wissen, das in ihnen geschaffen wird. Worauf sie auch immer Anspruch erheben mögen, weil Christus nicht in ihnen ist, ist der Herr auch nicht ihre Gerechtigkeit und sie haben keine wohlgegründete Hoffnung auf die Herrlichkeit. Denn wenn die Heiligung auch nicht der Grund unserer Annahme bei Gott ist, so ist sie doch ihr Resultat: „Der uns von Gott gemacht ist zur Gerechtigkeit und zur Heiligung.“ Darum ist derjenige, der wirklich in Christus ist, eine neue Kreatur. Es ist keine Rückkehr zu einem Bund der Werke, wo wir in unsere Herzen schauen und da wir entdecken, daß sie verwandelt und erneuert worden sind, aus dieser Tatsache eine angenehme und wohlgegründete Gewißheit entwickeln, daß unser Stand gesichert ist. Nein, sondern das ist es, wozu wir in der Schrift angewiesen werden: Danach, daß wir wir die Früchte hervorbringen, sollen wir urteilen, ob wir jemals wahrhaftig an Gottes Geist Anteil hatten oder nicht. „Wir wissen“, sagt Johannes, „daß wir aus dem Tod in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder.“ (1. Johannes 3,14). Und wie auch immer wir über die Gerechtigkeit Christi reden und gegen gesetzliche Prediger wettern mögen, wenn wir nicht im Herzen und im Leben heilig sind, wenn unser Verstand nicht durch den Heiligen Geist geheiligt und erneuert worden ist, sind wir doch Selbstbetrüger; sind wir lediglich scheinheilige Heuchler. Denn wir dürfen nicht trennen, was Gott zusammengefügt hat. Wir müssen den Mittelweg zwischen den zwei Extremen halten. Wir dürfen auf der einen Seite nicht so sehr auf den Christus außerhalb von uns pochen, daß wir den Christus in uns als Zeichen, daß wir sein Eigentum sind, und als Vorbereitung auf die zukünftige Herrlichkeit ausschließen. Noch dürfen wir uns auf der anderen Seite so auf die innewohnende Gerechtigkeit bzw. auf die in uns gewirkte Heiligung verlassen, daß wir die Gerechtigkeit Jesu Christi, die außerhalb von uns besteht, ausschließen.

Aber laßt uns viertens damit fortfahren, einen Blick auf ein anderes Glied oder genauer, das Ende der goldenen Kette der Vorrechte der Gläubigen zu werfen, die Erlösung. Wir müssen aber weit nach oben schauen, denn ihre Spitze reicht wie Jakobs Leiter an den Himmel, in den alle Gläubigen auffahren und wo sie auf die rechte Seite Gottes gestellt werden. „Der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.“

Das ist wirklich eine goldene Kette! Und das Beste von allem ist, kein Glied kann jemals von einem anderen getrennt werden. Wenn es im Wort Gottes keinen anderen Text gäbe, würde dieser eine ausreichend beweisen, daß die wahren Gläubigen in der Gnade beharren werden. Beziehungsweise, Gott hat noch nie einen Menschen gerechtfertigt, den er nicht auch geheiligt hat, noch hat er jemanden geheiligt, den er nicht auch vollständig erlöst und verherrlicht hat. Nein! Was Gott betrifft: Seine Wege, seine Werke sind vollkommen; er fuhr immer mit dem Werk, was er begonnen hatte, fort und vollendete es. So war es in der ersten Schöpfung, so ist es auch in der neuen. Wenn Gott sagt: „Es werde Licht“ (1. Mose 1,3), dann ist da Licht, das immer stärker bis zu dem vollkommenen Tag scheint, wo die Gläubigen zu ihrer ewigen Ruhe einkehren, so wie Gott in die seine eingekehrt ist. Diejenigen, die Gott gerechtfertigt hat, hat er praktisch verherrlicht. Denn weil nicht der Verdienst eines Menschen der Grund dafür war, daß Gott ihm die Gerechtigkeit Christi schenkte, so soll auch nicht seine Unwürdigkeit der Grund dafür sein, daß er sie ihm wieder nimmt. Gottes Gaben und Berufungen gereuen ihn nicht, und ich kann mir nicht vorstellen, daß diejenigen eine klare Vorstellung von der Gerechtigkeit Christi haben, die bestreiten, daß die Heiligen in der Gnade beharren werden. Ich fürchte, sie begreifen die Rechtfertigung in dem schwachen Sinn, wie ich sie noch vor ein paar Jahren begriffen habe, nämlich, daß sie nicht mehr bedeutet als die Sündenvergebung. Aber sie bedeutet nicht nur die Vergebung der vergangenen Sünden, sondern auch ein Bundesrecht (des Bundes Gottes mit dem Menschen) auf all das Gute, was noch kommt. Wenn uns Gott schon seinen einzigen Sohn gegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht bereitwillig alles schenken? Daher sagt der Apostel nicht, nachdem er gesagt hat: „Der uns von Gott gemacht ist zur zur Gerechtigkeit“, vielleicht kann er uns zur Heiligung und zur Erlösung gemacht werden, sondern: „Er ist … gemacht“. Denn es besteht eine ewige, unauflösbare Verbindung zwischen diesen seligen Vorrechten. So wie der Gehorsam Christi den Gläubigen stellvertretend zugerechnet wird, so soll ihnen auch sein Beharren in diesem Gehorsam zugerechnet werden. Und es spricht schon für eine große Unwissenheit über den Bund der Gnade und der Erlösung, wenn man dagegen Einwände erhebt.

Unter dem Wort Erlösung haben wir nicht nur eine vollständige Befreiung von allem Übel zu verstehen, sondern auch, daß wir alles Gute an Leib und Seele vollkommen genießen können. Ich sage sowohl an Leib als auch an der Seele, denn der Herr ist auch dem Körper zugeneigt. Die Körper der Heiligen in diesem Leben sind Tempel des Heiligen Geistes. Gott macht einen Bund mit dem Staub der Gläubigen. Nach ihrem Tod werden sie, obwohl sie von den Würmern zersetzt werden, dennoch Gott sehen, sogar in ihrem Leib. Ich fürchte wirklich, daß es in unseren Tagen einige Sadduzäer gibt oder zumindest Ketzer, die entweder sagen, es gäbe keine Auferstehung des Körpers oder die Auferstehung sei schon geschehen, nämlich bei unserer Wiedergeburt. Daher kommt es auch, daß man bestreitet, daß unser Herr am Tag des Jüngsten Gerichts in Person wiederkommen wird, und folglich müßte das Sakrament des Abendmahls unseres Herrn hinfällig werden. Denn warum sollten wir an den Tod des Herrn gedenken, bis daß er zum Gericht kommt, wenn er doch schon gekommen ist, um unsere Herzen zu richten, und nicht zum zweiten Mal wiederkommen wird? Aber all das ist doch nur die Argumentation ungelehrter, wankelmütiger Menschen, die bestimmt nicht wissen, was sie sagen, und auch nicht, worauf sie sich stützen. daß wir unserem Herrn in der Wiedergeburt folgen und Teilhaber einer neuen Geburt sein müssen und daß Christus in unsere Herzen kommen muß, das bekennen wir freimütig. Und wir hoffen, daß wir, wenn wir über diese Dinge reden, nicht mehr reden als das, was wir wissen und was wir fühlen. Aber dann ist es auch klar, daß Jesus Christus hernach zum Gericht wiederkommen wird und daß er mit dem Körper, den er hier auf Erden hatte, in den Himmel aufgefahren ist. Denn er sagt nach seiner Auferstehung: „Faßt mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, daß ich sie habe“ (Lukas 24,39). Und es ist klar, daß Christi Auferstehung ein Vorgeschmack auf die unsere war. Denn der Apostel sagt: „Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind“ (1. Korinther 15,20). „Denn wie sie in Adam alle sterben“ (und sterblich geworden sind), „so werden sie in Christus“ (dem zweiten Adam, der die Gläubigen als ihr Bundeshaupt vertritt, ganz sicher) „alle lebendig gemacht werden“ oder körperlich am Jüngsten Tage wieder auferstehen (Zitate aus 1. Korinther 15,22).

Hier, oh ihr Gläubigen, ist eine Stufe, wenn auch die unterste, derjenigen Auferstehung, die ihr alle einmal erreichen sollt; ich meine die Erlösung eures Leibes. Denn dieses Vergängliche muß ins Unvergängliche verkehrt werden, dieses Sterbliche ins Unsterbliche. Unsere Körper wurden Jesus Christus vom Vater ebenso wie unsere Seelen übergeben. Sie waren bereits im Wachen und im Fasten und im Beten Gefährten. Daher wird auch Christus eure Körper genauso wie eure Seelen am Jüngsten Tage auferwecken. Habt darum keine Angst davor, oh ihr Gläubigen, einmal das Grab zu sehen, denn für euch ist es nichts anderes als eine geweihte Schlafstatt, wo euer Körper bis zum Morgen der Auferstehung ruhig schlafen wird, wenn die Stimme des Erzengels ertönen wird und Gottes Posaunen den allen geltenden Weckruf erschallen lassen: „Steht auf, ihr Toten und kommt zum Gericht.“ Erde, Luft, Feuer und Wasser werden eure verstreuten Überreste herausgeben (siehe Offenbarung 20,13) und ihr werdet sowohl in körperlicher als auch in seelischer Gestalt für immer bei dem Herrn sein. Ich bin sicher, daß viele von euch unter ihrem geschundenen Körper stöhnen und oft darüber klagen, daß der sterbliche Körper die unsterbliche Seele niederdrückt. Zumindest ist das bei mir der Fall. Aber seien wir doch etwas geduldig, wir werden doch noch aus unserem irdischen Gefängnis befreit werden. Bald schon werden diese Hütten aus Lehm zerfallen, und wir werden mit unserem Haus, das vom Himmel ist, überkleidet werden. Nach diesem Leben wird unser Körper zu Geist werden und wird unsere Seelen nicht mehr so durch Schwachheit behindern, daß er zur Fessel wird. Er wird so stark sein, daß er einer gewaltigen und ewigen Macht der Herrlichkeit standhält. Wieder andere haben vielleicht einen entstellten Körper, der auch noch von Krankheit ausgezehrt und im Alter von der schweren Arbeit völlig erschöpft ist. Aber wartet noch etwas, bis der Tod euch die selige Verwandlung bringt, dann werden eure Körper erneuert und herrlich gemacht werden wie der verherrlichte Körper von Christus, von dem wir uns anhand des Berichts über die Verklärung des Herrn auf dem Berge eine schwache Vorstellung machen können, wenn es heißt: „Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne,…“ (Matthäus 17,2) Mit gutem Grund kann ein Gläubiger dann in die jubelnden Worte des Apostels einfallen: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1. Korinther 15,55).

Aber was ist schon die Erlösung des Körpers im Vergleich zu der Erlösung des besseren Teils, nämlich unserer Seelen? Ich muß euch Gläubigen daher sagen, so wie der Engel zu Johannes sagte: „Steig herauf“ (Offenbarung 4,1) und laßt uns einen so klaren Blick, wie es aus dieser Entfernung möglich ist, auf die Erlösung werfen, die Christus für euch erworben hat und in deren tatsächlichen Besitz er euch in Kürze bringen wird. Ihr seid schon gerechtfertigt, ihr seid schon geheiligt und damit von der Schuld und von der Herrschaft der Sünde befreit. Aber, wie ich schon bemerkt habe, die Sünde bleibt dennoch in euch und wohnt in euch. Gott hält es für richtig, ein paar Amalekiter im Lande zu belassen, um Israel aktiv zu halten. Ich bin davon überzeugt, daß auch der vollkommenste Christ gemäß eines unserer (Bekenntnis-)Artikel zustimmen muß, daß „die Vergänglichkeit der Natur auch in den Wiedergeborenen verbleibt, daß das Fleisch sich immer gegen den Geist auflehnt und der Geist sich gegen das Fleisch.“ (Anm. d. Red.: die genaue Fundstelle ist nicht zu bestimmen, ähnliche oder sinngemäße Formulierungen finden sich in reformatorischen Bekenntnissen, z.B. Konkordienformel II,63 oder Westminster Bekenntnis XIII,2). So daß die Gläubigen mit der Vollkommenheit, die sie sich wünschen, nichts für Gott tun können. Das bereitet ihren gerechten Seelen Tag für Tag Kummer und läßt sie mit dem heiligen Apostel ausrufen: „Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?“ (Römer 7,24). Ich danke Gott dafür, daß unser Herr Jesus Christus das tun wird, aber vor dem Tag unseres Todes nicht vollkommen. Dann wird die eigentliche Existenz der Sünde vernichtet und der angeborenen Verderbtheit, die in uns wohnt, für immer ein Ende gemacht werden. Und ist das nicht eine großartige Erlösung? Ich bin sicher, daß die Gläubigen es so sehen. Denn es gibt nichts, was das Herz eines Gotteskindes so sehr betrübt wie die Reste der innewohnenden Sünde. Nochmal, Gläubige werden oft durch vielfältige Versuchungen bedrückt. Gott sieht es für notwendig und gut für sie an, daß das so ist. Und obwohl sie sehr geliebt und in die Gemeinschaft mit Gott eingegliedert sein mögen, sogar bis in den dritten Himmel hinein, wird dennoch oft ein Bote Satans geschickt, um ihnen einen Schlag zu versetzen, damit sie sich nicht aufgrund der vielen Offenbarungen überheben. Aber werdet nicht müde, seid in eurem Geist nicht schwach. Denn die Zeit eurer vollständigen Erlösung ist nahe. Im Himmel wird der Böse damit aufhören, euch zu belästigen, und eure erschöpften Seelen werden sich ewiger Ruhe erfreuen. Seine feurigen Pfeile können jene paradiesischen Regionen nicht erreichen. Satan wird nie mehr kommen, um mit den Söhnen Gottes (vor Gott) zu erscheinen, sie zu beunruhigen oder sie anzuklagen, wenn der Herr Jesus Christus einmal die Tür geschlossen haben wird. Eure gerechten Seelen werden jetzt Tag für Tag durch die gottlosen Reden der Bösen mit Kummer geplagt. Jetzt wächst noch Unkraut unter dem Weizen; Wölfe kommen in Schafskleidern. Aber die Erlösung, von der der Text spricht, wird eure Seelen von allen Sorgen um diese Dinge befreien. Nach diesem Leben werdet ihr eine vollkommene Gemeinschaft der Heiligen genießen. Nichts, was unheilig oder ungeheiligt ist, wird in das Allerheiligste eindringen, was oben (im Himmel) für euch bereitet ist. Ihr sollt von diesem und allem nur möglichen Übel befreit werden, wenn eure Erlösung hernach im Himmel vollendet sein wird. Nicht nur das, sondern ihr werdet auch alles Gute vollkommen mit genießen können. Es stimmt, daß nicht alle Heiligen das gleiche Maß an Glück haben werden, aber alle werden so glücklich sein, wie es ihre Herzen nur wünschen können. Ihr Gläubigen, ihr sollt das Böse richten und mit dem Gutem, mit Engeln, vertrauten Umgang haben. Ihr werdet euch mit Abraham, Isaak, Jakob und allen Geistern der Gerechten, die vollendet worden sind, niederlassen. Und, um euer ganzes Glück in einem Ausdruck zusammen zu fassen, ihr werdet Gott den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist sehen. Und indem ihr Gott seht, werdet ihr mehr und mehr ihm gleich werden und von einer Herrlichkeit zur anderen gehen, ja in alle Ewigkeit.

Aber ich muß damit aufhören, die Herrlichkeiten der Welt dort oben so tief in meine Seele eindringen zu lassen, daß ich mich in der Betrachtung darüber ganz verliere. Brüder, die Erlösung, von der hier gesprochen wird, ist unbeschreiblich; hier können wir das nicht erkennen. Die Vorstellung davon, wie großartig sie ist, hat kein Auge je gesehen, kein Ohr je gehört, noch konnte sie je in die Herzen der meisten sterblichen Heiligen dringen. Selbst wenn ich euch Beschreibungen ohne Ende davon bieten würde, müßtet ihr, wenn ihr in den Himmel kommt, doch mit der Königin von Saba sagen: „… nicht die Hälfte“ (nicht ein Tausendstel) „hat man mir gesagt“ (1. Könige 10,7). Alles, was wir hier tun können ist, auf den Berg Pisga zu steigen und mit dem Auge des Glaubens einen Blick von ferne auf das gelobte Land zu werfen (vgl. 5. Mose 34,1) : Vielleicht sehen wir es in der Ferne, so wie Abraham Christus sah (Anm. d. Red.: vermutlich eine Anspielung auf die drei Männer in 1. Mose 18, besonders den einen Engel, der dann in 1. Mose 19,1 fehlt – eine traditionelle christologische Auslegung dieser Stelle, vgl. z.B. den Kommentar von Calvin zu 1. Mose 19,1), und freuen uns darüber, aber hier ist unser Wissen nur Stückwerk. Gelobt sei Gott, daß eine Zeit kommen wird, wo wir Gott erkennen werden, so wie wir erkannt sind, und Gott alles in allem sein wird. Herr Jesus, vollende die Zahl Deiner Erwählten! Herr Jesus, laß Dein Königreich bald kommen!

Und wo sind nun die Spötter dieser letzten Zeit, die das Leben der Christen für verrückt halten und meinen, ihr Ende sei ohne Lohn? Bedauernswerte Menschen! Ihr wißt nicht, was ihr tut. Wenn ihr offene Augen hättet und einen Verstand, geistliche Dinge zu unterscheiden, dann würdet ihr nicht alle möglichen bösen Dinge gegen Gottes Kinder reden, sondern ihr würdet sie für die Hervorragenden dieser Erde halten und ihr Glück beneiden. Eure Seelen würden danach hungern und dürsten. Ihr würdet ebenfalls um Christi willen zu Narren werden. Ihr rühmt euch, weise zu sein; das taten die Philosophen von Korinth auch. Aber eure Weisheit ist törichte Dummheit vor Gott. Was wird euch eure Weisheit bringen, wenn sie euch nicht so weise macht, um euch zu erretten? Könnt ihr mit all eurer Weisheit ein schlüssigeres Konzept vorlegen, worauf ihr eure Hoffnung auf Rettung bauen könnt als das, was euch jetzt vorgelegt worden ist? Könnt ihr mit aller Kraft der natürlichen Vernunft einen besseren Weg finden, um bei Gott angenommen zu werden, als durch die Gerechtigkeit des Herrn Jesus Christus? Ist es denn richtig zu glauben, eure eigenen Werke könnten das in irgendeinem Maße verdienen oder es euch verschaffen? Wenn nicht, warum wollt ihr denn nicht an ihn glauben? Warum wollt ihr euch nicht seiner Gerechtigkeit unterwerfen? Könnt ihr es abstreiten, daß ihr gefallene Kreaturen seid? Merkt ihr denn nicht, daß in euch nur Durcheinander ist und daß diese Unordnung euch unglücklich macht? Merkt ihr nicht, daß ihr eure eigenen Herzen nicht ändern könnt? Habt ihr nicht schon unzählige Male Vorsätze gefaßt, und beherrscht euch eure Verderbtheit nicht trotzdem? Seid ihr nicht Gebundene eurer Begierden und Gefangene nach Lust und Laune des Teufels? Warum wollt ihr dann nicht zu Christus kommen, um Heiligung zu erlangen? Wünscht ihr euch nicht, den Tod der Gerechten zu sterben und daß euer zukünftiger Stand ihnen gleichgestellt sei? Ich bin davon überzeugt, daß ihr den Gedanken nicht ertragen könnt, vernichtet zu werden, und noch viel weniger, für immer im Elend zu sein. Was ihr auch immer vorgeben mögt; wenn ihr ehrlich seid, dann müßt ihr bekennen, daß euch in nüchterneren Momenten das Gewissen schlägt, ob ihr es wollt oder nicht, und euch sogar dazu zwingt, es zu glauben, daß die Hölle kein aufgemaltes Feuer ist. Und warum wollt ihr nun nicht zu Christus kommen? Er alleine kann euch ewige Rettung verschaffen. Eilt, eilt fort zu ihm, ihr armen, verführten Sünder. Euch fehlt Weisheit: Erbittet sie von Christus. Wer weiß, vielleicht gibt er sie euch? Er ist imstande dazu, denn er ist die Weisheit des Vaters. Er ist jene Weisheit, die von Ewigkeit her gewesen ist. Ihr seid nicht gerecht: Dann fort, hin zu Christus: „Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht“ (Römer 10,4). Ihr seid gottlos: Flieht zu dem Herrn Jesus. Denn er ist voll Gnade und Wahrheit. Und von seiner Fülle können alle haben, die an ihn glauben. Ihr habt Angst vor dem Sterben. Laßt euch das zu Christus treiben: er hat die Schlüssel des Todes und der Hölle. In ihm ist viel Erlösung; er allein kann die Tür öffnen, die zum ewigen Leben führt.

Darum laßt den verleiteten Logiker nicht länger mit seiner angeblichen Vernunft prahlen. Was immer ihr auch denken mögt, es ist das Unvernünftigste überhaupt, nicht an Jesus Christus zu glauben, den Gott gesandt hat. Warum, warum wollt ihr denn sterben? Warum wollt ihr nicht zu ihm kommen, damit ihr das Leben haben möchtet? „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser“ (Jesaja 55, 1) „Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst“ (Offenbarung 22,17) – „Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst…“ (Jesaja 55, 1). Wären diese seligen Vorrechte in dem Text für Geld zu kaufen, könntet ihr wohl sagen: „Wir sind arm und können nicht kaufen“. Oder würden sie nur auf Sünder eines bestimmten Ranges oder Grades übertragen, dann könntet ihr sagen: „Wie können solche Sünder wie wir es erwarten, so sehr begünstigt zu werden?“ – Aber sie sollen dem schlimmsten Sünder umsonst gegeben werden. „Uns“, sagt der Apostel, also mir, einem Verfolger und euch Korinthern, die „Unzüchtige, Trunkenbolde, Lustknaben, Götzendiener“ (aus 1. Korinther 6, 9+10) waren. Darum darf auch jeder arme Sünder dann sagen: „Warum nicht mir?“ Hat denn Christus nur einen Segen? Und wenn er nun schon Millionen gesegnet hat, indem er sie von ihren Missetaten weggebracht hat? Aber er macht doch immer noch dasselbe: Er lebt ewig, um Fürsprache einzulegen, und wird euch deshalb segnen, ja auch dich. Obwohl ihr wie Esau bisher weltlich gewesen seid und bis jetzt das Geburtsrecht eures himmlische Vaters verachtet habt, gilt es auch jetzt, wenn ihr glaubt: „Christus wird euch gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung“.

Aber ich muß mich wieder an die Gläubigen wenden, zu deren Belehrung ja diese Ausführungen insbesondere gedacht waren, wie ich bereits oben erwähnte. Ihr seht, Brüder und Teilhaber der himmlischen Berufung, welch großer Segen für euch in Jesus Christus, eurem Haupt, angehäuft wird und worauf ihr einen Anspruch habt, wenn ihr an seinen Namen glaubt. Daher achtet darauf, daß ihr der Berufung würdig wandelt, mit der ihr berufen seid (Eph. 4, 1; Phil. 1, 27). Denkt oft darüber nach, wie sehr ihr begünstigt seid, und merkt euch, nicht ihr habt Christus erwählt, sondern Christus hat euch erwählt (Joh. 15, 16). Nehmt (als die Erwählten Gottes) einen demütigen Geist an und freut euch, aber laßt es nur in dem Herrn geschehen, denn ihr habt nichts als das, was ihr von Gott empfangen habt. Von Natur aus wart ihr töricht, in einem genauso gesetzlichen, genauso bösen und in einem genauso gräßlichen Zustand wie andere. Darum seid barmherzig, seid liebenswürdig. Und da die Heiligung ein fortschreitendes Werk ist, hütet euch davor zu meinen, ihr hättet sie schon erreicht. Laßt den, der fromm ist, fromm bleiben in dem Wissen, daß der, der im Herzen am reinsten ist, hernach den klarsten Anblick von Gott genießen soll. Eure tägliche Bürde sei die in euch wohnende Sünde. Bejammert und beklagt sie nicht nur, sondern seht zu, daß ihr sie täglich durch die Kraft der göttlichen Gnade niederzwingt. Und seht beständig auf Jesus, der ebenso der Vollender wie der Urheber eures Glaubens ist (Hebr. 12, 2). Baut nicht auf eure eigene Treue, sondern darauf, daß Gott unveränderlich ist. Paßt auf, daß ihr nicht meint, ihr stündet kraft eures eigenen freien Willens. Die ewige Liebe Gottes des Vaters muß eure einzige Hoffnung und euer einziger Trost sein. Das sei euer Beistand in allen Prüfungen. Denkt daran, daß Gottes Gaben und Berufungen ihn nicht gereuen können (Röm. 11, 29), daß Christus, der euch einmal geliebt hat, euch bis zum Ende lieben wird. Das treibe euch unter den Gehorsam und bringe euch dazu, auf jene selige Zeit zu hoffen und euch danach zu sehnen, wenn er nicht nur eure Weisheit und eure Gerechtigkeit und eure Heiligkeit sein wird, sondern auch eure vollständige und ewige Erlösung.

Ehre sei Gott in der Höhe!

Quelle:

Whitefield, George: Christus – die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Heiligung und die Erlösung des Gläubigen, in: Glaubensstimme

(Übersetzung aus dem englischen Original: Elisabeth Simon.)