Johannes 8, 45

Ich aber, weil ich die Wahrheit sage, so glaubet ihr mir nicht. (Joh. 8, 45)

Dies Stück des achten Kapitels Johannis begreift drei verschiedene Handlungen und Reden, welche Christus der HErr im Tempel den Juden gehalten, und darinnen Er sie von Seinem Amt, von der Sünde, von der Gefahr des Unglaubens und von der rechten Freiheit, wie auch von den Kennzeichen und Eigenschaften der Kinder Gottes unterrichtet hat, wiewohl Er in dem allen von den gottlosen und verstockten Juden viel Widerspruch hat erdulden müssen.

Erstens nämlich bezeugt er von Sich: Er sei das Licht der Welt; wer Ihm nachfolge, das ist, auf Seine Lehre und Predigt Achtung gebe – und darnach Sein Leben anstelle, der wandele nicht in Finsternis, sondern werde das Licht des Lebens haben, das ist, zum ewigen Leben geführt und erleuchtet werden. Dies Zeugnis legen Ihm aber die Pharisäer als einen Hochmut aus – und wollen es für keine Wahrheit annehmen, weil Er damit von Sich selber gezeugt – oder, was dasselbe ist, zu viel aus Sich selber gemacht habe. Doch da bezieht Sich Jesus nicht nur auf Seinen göttlichen Ursprung und Beruf, dem man Glauben beimessen müsse, so lange Sein Gericht und Vortrag recht – und Gottes heiligem Willen gemäß sei, sondern auch auf das Zeugnis Seines Vaters, welcher Ihn durch eine Stimme vom Himmel für Seinen Sohn erkannt – und solche Stimme bisher durch so viele Zeichen und Wunder bekräftigt habe. Wiewohl nun dies bei den ungläubigen Juden eine schwere Gotteslästerung zu sein schien, daß Jesus Sich zu Gottes Sohn machte, (wie Er denn auch bei Seiner Anklage vor Pilatus eben dessen mit beschuldiget wurde,) so merkt der Evangelist doch an, dieses Mal habe Ihn niemand gegriffen oder angetastet, weil Seine Stunde noch nicht gekommen war. Denn es steht nicht in unserer Feinde Macht und Gewalt, daß sie uns Schaden und Leid tun können, wann sie wollen, so lange es Gott nicht verhängt und zuläßt.

Hernach droht und weissagt der Heiland den Juden, sie werden in ihren Sünden sterben müssen, wenn sie nicht an Ihn glauben – noch Ihn für den Messias und Sohn Gottes annehmen. Da sich nun aber dieselben anstellen, als wenn sie Ihn nicht recht kennten – und von Ihm eine deutlichere Erklärung erwarteten, wer Er sei, der solche Dinge ihnen in das Gesicht sagen dürfte, so wiederholt Christus teils, was Er schon gesagt hatte, nämlich, daß Ihn Gott, Sein Vater, gesandt habe, und Er rede, was Er von demselben gehört habe; teils aber verkündigt Er ihnen: was sie jetzt nicht erkennen wollten, würden sie hinfort inne werden, wann Er von Ihnen würde erhöhet, das ist, gekreuzigt, darnach aber von den Toten wieder auferstanden – und gen Himmel gefahren seIn. Wie denn auch geschehen ist.

Denn gleichwie bei dieser Predigt des Heilandes viele an Ihn geglaubt – und gute Gedanken von Ihm in ihre Herzen gefaßt haben, so sind nach der Hand ihrer viel mehreren die Augen geöffnet worden, wie aus der Apostel Geschichten zu ersehen ist.
Endlich, weil unser Jesus wohl wußte, was den Juden im Weg stand, daß sie Ihn nicht für den wahren Messias und verheißenen Zionskönig halten wollten, sintemal sie nämlich eines solchen Erlösers gewärtig waren, der ihr Land von der Römer Oberherrschaft frei machen würde, so zeigt Er ihnen an, wie sie zu einer viel seligern Freiheit gelangen könnten, wenn sie nämlich Seine Jünger werden – und an Seiner Rede bleiben wollten. Da würde sie die Wahrheit recht frei und zu Gottes Kindern machen; woran weit mehr gelegen sei, als wenn sie Herren der Welt wären – und dennoch der Sünde Knechte und Kinder des Satans blieben, deren Teil und Erbe die ewige Verdammnis ist. Wie denn der Spruch wohl zu merken ist, wenn Christus sagt: „Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht,“ ja vom Vater, dem Teufel, nach dessen Art er tut und handelt. Wenn nun aber die Juden dawider einwenden, sie seien schon frei – und niemandes Knechte gewesen, sie seien Abrahams Kinder, ja, sie haben Einen Vater, Gott, so überführt sie Jesus der offenbaren Unwahrheit; wie ihnen denn ihre leibliche Freiheit eben durch die Römer schon gewaltig beschnitten war, und sie sich Abrahams und Gottes vergeblich rühmten, sintemal sie weder Abrahams Werke taten – noch Gottes Wort und Wahrheit achteten.

Daraus ersehen wir, wie fleischlich gesinnte Menschen in ihrem Unglauben und unbußfertigen Wesen sich selber immer mehr und mehr verstocken, wie sie ferner für gute Christen und Kinder Gottes geachtet sein wollen, wenn sie gleich nichts Christliches und Göttliches an sich haben – und der Wahrheit mit ihrem ganzen Leben und Verhalten widerstreben, wie sie aber endlich darüber, wo keine Buße erfolgt, in ihren Sünden gleich den Juden verloren gehen.

Gott gebe, daß wir, an der Juden Exempel klug und der Wahrheit des Evangelii von Jesu Christo kräftiglich überzeugt, Kinder Gottes und Erben des ewigen Lebens werden und bleiben mögen. Amen.

(Veit Dietrich)

Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter

Veit Dietrich (auch Vitus Theodorus oder Vitus Diterichus; * 8. Dezember 1506 in Nürnberg; † 25. März 1549 ebenda) war ein deutscher Theologe, Schriftsteller und Reformator.

Eingestellt am 9. Oktober 2021