Römer 6, 12

Lasset die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten in seinen Lüsten! (Röm. 6, 12)

Zunächst müssen wir hier beachten, wie es sich mit den Heiligen verhält. Der Apostel hat ausdrücklich gelehrt, daß diejenigen, die durch den Glauben gerecht gemacht sind, auch in ihrem Geist geheiligt sind, in einer innigen Vereinigung mit Christus stehen und „der Sünde gestorben“ sind. Und doch hält er solche Ermahnungen wie diese für sie für notwendig: „Lasset die Sünde nicht herrschen, ihr Gehorsam zu leisten in den Lüsten“. Denn so steht es um die Heiligen: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“, und „der Teufel hat einen großen Zorn“. Da Gott darum Sein Heiligungswerk in uns nicht mit unwiderstehlicher Allmacht ausführt, sondern auf geistige Weise mit dem Worte und den Mahnungen des Geistes wirkt, so möge niemand sicher sein, die Ermahnung verachten und sich vor aller Gefahr geschützt halten. Wir stehen noch auf der Probe, solange wir auf Erden sind. Wir sollen die Stimme des Herrn hören, sie beachten, ihr folgen und dann errettet werden. Ob wir auch schwach sind oder ob wir auch aus der Tiefe schreien, daß wir umkommen und den Willen Gottes nicht meinen erfüllen zu können – dafür wird Er selbst sorgen, wenn wir nur gehorsam Seine Stimme hören. Andernfalls werden wir „bezaubert“, verblendet und leichtsinnig die Ermahnung verachten und in die Schlingen der Sünde und des Teufels fallen.

Diese Ermahnung stimmt vollkommen mit dem überein, was der Apostel von unserem geheiligten Geist und von unserer Vereinigung mit Christus erklärt: Sie muß zu den äußeren Mitteln gezählt werden, die Gott zur Vollendung der Heiligung anwendet. Wie klar, erleuchtend und heilsam ist sie! Wenn der Apostel sagt: „Laßt die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten“, so merken wir folgende Gedanken: Könnt ihr nun leider nicht ganz frei von der Sünde sein, so laßt sie doch nicht über euch herrschen, so daß ihr derselben auch mit Tat und Werk dient. Daß die Sünde noch in euch wohnt und ihr noch böse Lüste fühlt, ist schon eine Verletzung des heiligen Gesetzes Gottes, und wenn Gott euch danach richtete, so würdet ihr schon wegen der Sündenlüste verdammt werden. Da wir nun aber in diesem Leben nicht ganz frei von der Sünde sein können, sondern die völlige Reinheit dem neuen Himmel und der neuen Erde angehört, in denen lauter Gerechtigkeit wohnt, so wendet doch die euch gegebene Gnade dazu an, der Sünde Widerstand zu leisten, daß sie nicht in eurem sterblichen Leibe herrscht und ihr auch in der Tat ihren bösen Willen nicht ausführt, sondern daß ihr dennoch nach dem Geist wandelt, wenn ihr auch Versuchungen vom Fleische fühlt.

Sieh hier ein Beispiel: Jemand hat dich mit Wort und Tat beleidigt, und der Zorn will sich in deinem Herzen regen. Gib ihm dann nicht deinen Beifall, laß ihm nicht die Freiheit, in böse Worte und Gebärden auszubrechen, sondern folge dem guten Rat Davids: „Zürnet ihr, so sündigt nicht; redet mit eurem Herzen auf eurem Lager und harret!“ – Harret unter Gebet zum Herrn um Seine Gnade und Kraft, harret, während ihr ein Vaterunser und dabei vor allem die Bitte sprecht: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben“. „Harret“ also, bis das Böse vorübergeht. – Ein anderes Beispiel: Wenn dich die Lüste des Geizes zur Unehrlichkeit in der Arbeit betrügen wollen, die Lüste der Unkeuschheit dich zu bedenklichen Worten, Gebärden oder Werken bringen wollen, oder wenn die Lüste der Hoffart dich verleiten wollen, deinen Stand oder deine Verhältnisse zu überschreiten – kurz, gegen alle möglichen Lüste und Versuchungen der Sünde wache und bete und wende alle Mittel der Gnade an, die Sünde zu töten, auf daß du ihr nicht Gehorsam leistest und ihr nicht folgst. Schon die erste sündliche Lust ist von Gott verboten und verdammt, weshalb die Sünde auch bei ihrer ersten Regung getötet werden muß.

Solange wir in diesem Leibe der Sünde und des Todes leben, hört die Sünde nicht auf. Aber sie muß doch gehemmt, immer mehr unterdrückt und getötet werden, so daß sie nicht herrschen darf. „Die Sünde,“ sagt Luther, „ist uns nicht darum vergeben, daß wir hernach in Sicherheit schlafen oder tun sollten, was dem Fleisch gelüstet, sondern im Gegenteil, daß sie auch gedämpft und getötet werde und nicht mehr Herr, sondern Knecht sein soll und nicht schaden könne, sondern daß du Herr seiest und darum auch zum Leibe sagst: Du bist voller Unflat und Bösem, voll Neid, Haß, Rachgier und böser Lust; darum sollst und mußt du eine Weile an der Kette liegen und gegen deinen Willen dem Geist gehorsam sein. Du darfst hier nichts schaffen, hier ist der Geist Herr im Hause, der soll auch die Oberhand haben und dich mit deinen Lüsten im Zaum halten, ja kreuzigen und dämpfen“. Eine so mutige Sprache können wir zwar nicht immer führen. Wenn der Streit recht hart wird, müssen wir wohl eher mit Tränen und Gebeten den Herrn anrufen, weil wir wissen, daß wir verloren sind, wenn Er Seine Hand von uns abzieht, ja, daß wir durchaus nichts mehr haben noch vermögen als das, was Er uns gibt. Durch Ihn aber sollen wir der Sünde doch Herr werden, so daß wir ihr nicht zu dienen brauchen, sondern immer mehr nach dem Geiste wandeln dürfen.

Wenn Teufel, Hölle, Tod und Welt
Und Sünde, eh‘ ich’s merke,
Mir tausendfache Netze stellt,
So gib mir Sieg und Stärke!
Lehr mich, mein Heiland, Jesus Christ,
Du kannst’s, weil Du allmächtig bist,
Den Satan überwinden!

(Carl Olof Rosenius)

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Vor dem Auge Gottes wird erst in vollem Umfang sichtbar, was die Wirkungen eines Lebens sind. Wir sehen heute von unseren Gedanken, Worten und Taten, das heißt von unseren „Werken“, meist nur den ersten Anfang, nicht aber den Umfang ihrer Wirkung.

Ahnen wir etwas von dem Schaden, den unsere Gedanken anrichten, wie sie die Luft um uns vergiften? Vielleicht stoßen wir eines Tages auf die Früchte, die ein verbotener Gedanke in unserer eigenen Seele getragen hat, mit dem wir vorübergehend spielten und der seine Wurzel in die Tiefe unseres Trieblebens hinabsenkte und es vergiftete, so daß wir Jahre ringen mußten, um von unserer Vergiftung freizukommen. Was wissen wir aber davon, wie unsere Gedanken sich auf andere übertragen und was sie in ihnen entzünden?

Auch von unseren Worten beobachten wir meist nur, wie sie ausgehen, und hin und wieder den ersten Widerhall, den sie wecken, nicht aber die im Stillen weiterwirkenden Kräfte, die sie entfesseln, wie ein Schneeball, der auf seiner Fahrt zur Lawine wird. Wir sehen nicht die Unterhöhlung von Glaube und Zuversicht, die unsere glaubenslosen Worte anrichten, die Vergiftung, die unsere leichtfertigen und schlüpfrigen Worte weitertragen, den allmählichen Mord, den unsere plötzlichen, nervösen und lieblosen Worte wirken, die Saat der Frechheit, die unsere großen und stolzen Worte säen.

Und was sehen wir von unseren Taten? In den seltensten Fällen können wir die Folgen auch nur unseres Beispiels überblicken, die – wie Wellenkreise um einen fallenden Stein sich ausdehnend – den Umkreis unseres Lebensweges und damit den ganzen Lebensbereich unserer Umgebung durchzittern. Oder weiß jener Schriftsteller, der mit unheiliger Feder sein Buch schrieb, etwas von dem jungen Menschen, vielleicht in einem anderen Erdteil, der durch sein Buch die Reinheit seines Herzens verlor? Wissen Mütter und Väter etws davon, wie ihre verborgenen Sünden in ihren Kindern sich fortsetzen und wiederholen, ihr sichtbares Beispiel die heranwchsenden jungen Menschen formt? Wissen Männer und Frauen auf führenden Posten oder an unbeachteter Stelle, wie ihre innerste Haltung ihre ganze Umgebung prägt?

(zit. aus Hellmuth Frey: Das Ziel aller Dinge)

Eingestellt am 23. Dezember 2022