Offenbarung 22, 17

„Und der Geist und die Braut sprechen: Komm. Und wer es höret, der spreche: Komm. Und wen dürstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ (Offenbarung 22, 17)

Der beständige Zuruf der christlichen Religion ist das einfache Wort: „Komm!“

Das jüdische Gesetz sprach: „Gehe hin, und bewahre deine Tritte, daß du wandelst in den Wegen, die dir befohlen sind. Gehe hin, und übertritt die Gebote, so wirst du gar umkommen; gehe hin und halte sie, so wirst du leben.“ Das Gesetz war eine Zuchtruthe, die den Menschen vor sich her trieb; das Evangelium ist das gerade Gegentheil davon. Es ist eine Hirtenstimme, Der gute Hirte gehet den Schafen voraus und heißt sie ihm nachfolgen; denn er spricht: „Komm!“ Das Gesetz treibt hinaus, das Evangelium lockt an. Das Gesetz zeigt die Kluft zwischen Gott und dem Menschen; das Evangelium überbrückt diese Kluft, und trägt den Sünder sicher über jenen großen Abgrund, über den Moses nie eine Brücke führen konnte. Es verhält sich eben so, wie wir nun heute sehen wollen, daß vom ersten Augenblick unsers geistlichen Lebens an bis zu unserm Eingang in die Herrlichkeit Christi Ruf beständig an uns ergeht: „Komm, komm zu mir“. Wenn ihr je etwas von der Gnadenführung an euch erfahren habt, so seid ihr auch inne geworden, wie er allezeit vor euch hergeht und euch ihm nachfolgen heißt, wie ein Krieger seinem Feldherrn. Er geht euch immer voran, um euch Bahn zu machen und den Weg zu bereiten, und er heißt euch ihm nachfolgen in eurem ganzen Leben und in der ernsten Todesstunde, wo ihr regungslos auf eurem Bette liegt; und dann wird das süße Wort, womit er euch in das himmlische Leben hinübergeleitet, das Wort sein: „Komm, komm zu mir. Breite deine Flügel aus und fliege stracks her in dieses Reich der Seligkeit und Wonne, da ich wohne. Komm, und sei bei mir und mit mir.“

Ja, noch mehr, das ist nicht bloß Christi Ruf an euch; sondern so ihr seid gläubig geworden, so ist’s auch euer Ruf an Christum: „Komm! komm!“ Ihr sehnet euch dann nach seiner zweiten Zukunft und sprechet: „Komme bald, ja komm, Herr Jesu.“ Und ihr werdet euch stets nach einem nähern und innigern Umgang mit ihm sehnen. Gleichwie seine Stimme zu euch ausgeht: „Komm,“ so wird euer Gebet zu ihm sein: „Komm, Herr, und bleibe bei mir. Komm, und heilige mich völliger zu deinem Dienst; komm und herrsche unumschränkt; komm, nimm du allein Raum in meinem Herzen.“

„Komm,“ ist darum der eigentliche Grundton des Evangeliums. Ich hoffe, heute dies Wort auszubreiten, das goldene Korn in ein Goldblatt auszuschlagen, und möge nun Gott der heil. Geist durch seinen Diener reden, auf daß Etliche, die bisher nie zu Jesu kommen wollten, nun zu ihm kommen.

Gehen wir sogleich zu unserm Schriftwort über: „Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Dreierlei geht klar aus unserm Text hervor, nämlich erstens: Es gibt ein „Wasser des Lebens“; zweitens: Die Einladung ist sehr umfassend: „Wer da will“; und endlich drittens: Die einzige Bedingung, welche dort geschrieben ist; heißt: der nehme „umsonst“. Das ist der einzige Preis, der verlangt wird, die einzige Bedingung, welche eigentlich keine Bedingung, sondern ein Todesstreich auf alle Bedingungen ist. „Wer da will, der komme und nehme das Wasser des Lebens umsonst“.

I.

Vor Allem bedenket, daß ich euch heute ein sehr einfaches Wort zu sagen habe, denn ich habe es mit einfachen Seelen zu thun. Mich verlanget, Christo Seelen zugeführt zu sehen; mein Herz seufzet und sehnet sich noch nach der großen Schaar von Menschen, die keine Gestalt noch Schöne an ihm erkennen, die ihn sehen, aber da ist kein Ansehen, daß sie seiner begehrt hätten (Jes. 53, 2.). Gott hat schon Manchen durch das Wort seines schwachen Dieners errettet; möchte es ihm auch heute gefallen, irgend einen Verirrten in’s Vaterhaus zurückzuführen, durch das Verdienst des gekreuzigten Sohnes in Kraft des heil. Geistes. Nun denn, es gibt ein „Wasser des Lebens.“ Der Mensch ist sehr tief gesunken und übel zugerichtet. Er ist verlassen in einer weiten, wilden Wüste. Das Trinkgefäß seiner Gerechtigkeit ist ganz ausgetrocknet und auch kein einziger Tropfen mehr darin. Der Himmel verhält ihm den Regen und die Erde vermag ihn nicht zu erquicken mit Thau. Soll er denn verschmachten? Er schaut über sich, unter sich, rings um sich her keine Zuflucht, keine Hülfe! Soll er gar umkommen? Muß ihn der Durst verzehren? Muß er hinfallen in der Wüste und sein Gebein lassen bleichen unter der Gluth der Sonne?

Nein; denn unser Gotteswort bezeugt, daß es einen Brunnen des Lebens gibt. Von Gott von aller Ewigkeit her in feierlichem Rathschluß verordnet, nimmt dieser Brunnen, dieser göttliche Quell, seinen Ursprung in den tiefen Gründen der Verheißungen Gottes. Er rauscht auf aus der Tiefe, die unergründet und unergründlich ist, er entspringt an dem Ort, den des Adlers Blick nicht erkannt hat, und über den des Löwen Fuß nie geschritten ist. Die Unergründlichkeit der göttlichen Allmacht und Weisheit, die tiefen Abgründe seiner vollkommenen, unwandelbaren Güte und seines göttlichen Wesens, das sind die geheimnißvollen Quellen, aus welchen jener Brunn des „Wassers des Lebens“ hervorsprudelt, das dem Menschen Heil schaffen soll. Der Sohn hat diesen Brunnen gegraben und gewaltige Felsen durchbohrt, die dies lebendige Wasser hervorzubrechen verhinderten. Mit seinem Kreuz, diesem seinem gewaltigen Werkzeug, ist er durch Felsen hindurchgedrungen; er hat sich hinabgewagt in die dunkelsten Schlünde, und hat einen Durchgang eröffnet, aus welchem die Liebe und Gnade Gottes, das lebendige Wasser, das die Seelen selig machen kann, emporsteigen und überfließen kann, um den Durst Verschmachtender zu stillen. Der Sohn hat befohlen, daß dieser Brunnen frei strömen soll, und hat den Stein abgewälzt, der seine Mündung verschloß, und nun, da er aufgefahren ist in die Höhe, siehet er von dort herab, und wacht, daß der lebenspendende Strom des Brunnens nimmermehr versiege noch aufhöre zu fließen, daß seine Fluthen nie vertrocknen, seine Tiefen nie sich erschöpfen. Dieser heilige Brunnen, durch Gottes Wohlwollen und Wohlgefallen im Testament errichtet, durch Christi Tod am Kreuz eröffnet, strömt heute, zu geben Leben und Gesundheit und Freude und Frieden den armen Sündern, die in Sünden todt, und durch den Sündenfall elend geworden sind. Es gibt ein „Wasser des Lebens.“

Stehet still und schauet an seine Fluthen, wie sie sprudelnd aufwallen, wie sie ringsum überfließen und des Menschen Durst lindern. Schauet an mit entzückten Augen. Das wird „Wasser des Lebens“ genannt, und es verdient seinen Namen reichlich. Gottes Gnade ist Leben, und in seiner Gegenwart ist Wonne und Freude ewiglich; aber dies Wasser ist Gottes Gnade, und darum ist es Leben. Unter diesem Wasser des Lebens wird dargestellt Gottes freie Gnade, Gottes Liebe zu den Menschen, so daß, wenn ihr kommet und trinket, ihr finden werdet, daß es wahrhaftig sei das Leben für eure Seelen, denn mit dem Aufnehmen und Trinken der göttlichen Gnade ererbet ihr Gottes Liebe, werdet ihr versöhnet mit Gott, steht Gott in einem väterlichen Verhältniß zu euch, liebet er euch, und brennet sein großes, unendliches Herz gegen euch.

Es ist aber Wasser des Lebens nicht allein, weil es Liebe ist, und die Liebe das Leben; sondern es errettet von dem drohenden Tode. Der Sünder weiß, daß er sterben muß, weil er von der Sündenpest angesteckt ist. Er hat solch‘ furchtbare Sünden begangen, daß ihn Gott strafen muß. Gott muß aufhören, gerecht zu sein, wenn er des Menschen Sünden nicht straft. Wenn sich der Mensch seiner großen Schuld bewußt geworden ist, so steht er zitternd vor seinem Schöpfer, und fühlt in seinem Innersten, daß sein Schicksal bestimmt ist und versiegelt, und daß er von aller Hoffnung, Liebe und Freude des ewigen Lebens ausgestoßen sei. So kommt denn hieher, ihr Sündenverdammten; dies Wasser kann eure Sünden abwaschen, und wenn ihr abgewaschen seid von euren Sünden, dann werdet ihr leben; denn der Schuldlose darf nicht mehr gestraft werden. Hier ist Wasser, welches euch weißer machen kann als frischgefallenen Schnee. Und wäret ihr schwarz, wie Kedars rauchgeschwärzte Zelte, hier ist Wasser, welches euch reinigen und waschen kann. Bis zur Weiße der Vollkommenheit, welches euch hell macht wie die weißseidenen Teppiche Salomo’s. Dieses Wasser verdient wohl den Namen des lebendigen und lebenbringenden, denn Vergebung ist eine Lebensbedingung. So wir unversöhnt sterben, so kommen wir um und versinken in die Tiefen der Hölle; ist uns aber vergeben, so erheben wir uns zu den Höhen des Himmels. So siehe denn hier diesen ewig – sprudelnden Born, der gibt Allen, die daraus schöpfen, Leben, das sie aus dem Fluch des Todes reißt durch die Vergebung ihrer Sünden.

„Aber,“ spricht die arme, schuldbewußte Seele, „das ist noch nicht Alles, was mir fehlt, denn wenn auch alle meine Sünden, die ich je begangen, rein ausgetilgt würden, so würde ich zehn Minuten nachher schon wieder eine Menge Sünden auf mich geladen haben. Wenn ich in diesem Augenblick die vollkommenste Vergebung empfinge, so ginge es nur wieder wenige Sekunden, und ich würde meine Seele auf’s Neue in’s Verderben stürzen, und hilflos zu Grunde gehen.“ Ja! aber siehe, das ist lebendiges Wasser, es kann auch deinen Sündentrieb auslöschen; wenn es in deine Seele einströmt, so überwindet es und überdeckt mit seinen Fluthen deine sündlichen Neigungen. Erst bedeckt es sie, dann ersäuft und ertödtet es sie, und zuletzt schafft es sie ganz und gar hinweg und zieht sie hinunter in die tiefen Wirbel seines Grundes, wo sie nimmermehr sollen gefunden werden. O, ihr Sünder! Dieser Born der evangelischen Gnade kann eure Herzen so abwaschen, daß ihr die Sünde nicht mehr liebt, ja dies Wasser kann die Seele so völlig reinigen, daß es euch eines Tages so rein darstellen wird wie die Engel, die vor dem Throne Gottes stehen, und auch ihr werdet dann, wie sie, den Winken Gottes gehorchen, auf seine Befehle achten, und euch freuen, seine Diener zu sein. Das ist wahrlich Leben, denn hier ist Gnade, ist Vergebung, hier ist Heiligkeit, die Erneuerung der Seele in der Abwaschung des Wassers durch das Wort.

„Aber,“ spricht Einer, „ich verspüre eine Sehnsucht, die ich nicht stillen kann. Ich fühle bestimmt, daß wenn mir Vergebung zu Theil geworden ist, mir noch etwas mangelt – was nichts, wovon ich noch je hörte, was ich je sah oder that, auszufüllen vermag. Ich vernehme in meinem Innern ein seufzendes Rufen, das die Welt nicht zu stillen vermag.“ „Es gab eine Zeit,“ spricht Einer, „wo mich das Theater, die Freuden und Lustbarkeiten der Weltmenschen anzog, und mich sehr befriedigte. Aber siehe! ich habe diese Olive so stark ausgepreßt, daß sie das stärkende und erquickende Oel nicht mehr fließen läßt; es bleibt mir davon nichts mehr in der Hand, als das kraft- und saftlose, dürre Fasergewebe der verbrauchten Frucht. Meine Freuden haben einen faden Geschmack bekommen; die Schönheit meiner blühenden, duftenden Trift ist zum Brachacker geworden. Ich kann mich nicht mehr ergötzen an dem Jubelschall dieser Welt.“

Ach! liebe Seele, wie freue ich mich, daß dein Brunnen vertrocknet ist, denn bevor nicht die Menschen dieser Welt überdrüssig geworden sind, bekümmern sie sich um die andere nichts; ehe sie der Gott dieser Welt nicht aufs Völligste betrogen hat, blicken sie nicht nach Dem, der der einzig lebendige und wahre Gott ist. Aber höre! Du, der du elend und jämmerlich bist, hier ist lebendiges Wasser, das deinen Durst stillen kann. Komm hieher und trinke, so wirst du volle Genüge finden; denn wer an Christum glaubt, findet in Christo die Fülle und Genüge ewiglich. Wer glaubt, ist nicht ein Mensch, der im Zimmer mißmuthig auf- und abgeht und spricht: „Ich finde keine Freude, noch Lust.“ Er ist nicht ein Mensch, dessen Tage trübe sind und dessen Nächte lang, denn er findet in der Gottesfurcht eine solche Freudenquelle, solch einen Born des Trostes, daß er fröhlich und selig ist. Werfet ihn in den Kerker, so fehlt’s ihm nicht an gutem Umgang; verbannt ihn in eine dürre Wüste, dennoch ist er himmlisches Manna; treibt ihn aus von seiner Freundschaft, so findet er den Freund, der „fester an ihm hängt, denn ein Bruder“ (Spr. 18,24.). Versengt alle seine Kürbisse, so findet er Schatten unter dem uralten Fels; untergrabt die Grundfesten seiner irdischen Hoffnungen, aber weil der Grund seines Gottes fest steht, so ist auch sein Herz fest und vertrauet auf den Herrn. Es liegt eine solche Fülle in der Gottesfurcht, daß ich von ganzem Herzen aus Erfahrung bezeugen kann::

„Ich möchte nimmermehr mein Heil vertauschen
Um Alles, was die Erde herrlich nennt.“

Ich wußte nie, was Glückseligkeit sei, bis ich Christum erkannte. Ja, ich meinte wohl, ich wüßte es; ich wärmte meine Hände am Feuer der Sünde, aber es war nur ein gemaltes Feuer. Aber siehe, als ich einmal des Heilandes Liebe schmeckte, und abgewaschen ward in seinem Blut, das war für mich der Anfang des Himmels hienieden.

„O, selig ists auf Erden, im Himmel selig,
Zu schau’n sein Angesicht, zu schmecken seine Lieb‘!“

Ach, wenn ihr nur die Freuden der Gottesfurcht kenntet, wenn ihr nur ahnetet die Süßigkeit der Liebe Christi, gewiß, ihr könntet nicht müßig stehen. Wenn ihr nur einen Funken von dem Glauben erhaschen könntet, der vor Freude tanzt, ihr würdet absagen eurer wildesten Lust, euren größten Freuden, um das geringste Kind in der göttlichen Familie zu werden. Darum ist’s das lebendige Wasser, das Wasser des Lebens, weil es unsern Durst löscht, weil es uns den wahren Kern des Lebens bietet, den wir in nichts sonst unter der Sonne finden können.

Und nun will ich hier in aller Kürze beifügen: Wer von diesem Wasser des Lebens trinkt, trinkt etwas, was seinen Durst auf ewig stillt. Ihr werdet nimmermehr dürsten, sondern ihr werdet höchstens ein noch tieferes Verlangen nach diesem lebendigen Brunnen empfinden.

Solch süßer Art wird euer Durst sein. Es wird kein Durst mit Unbehagen sein, sondern ein Durst voll seliger Liebe, ein wonniger Durst; ihr werdet es lieblich finden, zu dürsten nach immer mehr Liebesgenuß in Christo. Werde ein lebendiger Christ, so wirst du in deinem Leben eine unvergleichliche Befriedigung haben; dann wirst du sagen können: „Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der Herr thut dir Gutes“ (Ps. 116,7.). Du wirst einen unsterblichen Baum finden, auf welchem du dein Nest bauest; und keine Axt wird ihn fällen, keine Winde werden je deine stille Ruhestätte erschüttern, sondern du wirst ewiglich ausruhen an der theuren Brust des Heilandes, wo du ewige Ruhe findest, ewige Freude und Frieden. O, komm und nimm von ihm und trinke das Wasser des Lebens umsonst.

Und überdies wird, wer von diesem Wasser trinkt, ewiglich nicht sterben. Sein Leib wird die Verwesung einen kurzen Augenblick sehen, aber seine Seele wird auffahren und ewig bei Jesu sein. Ja, und auch sein Leib wird, wenn die läuternde Veränderung mit ihm vorgegangen ist, wieder auferstehen, herrlicher, denn da er gesäet wird in Schwachheit. Er wird auferstehen in Herrlichkeit, in Ehre, in Macht, in Majestät, und, vereint mit der Seele, wird er ewiglich ererben die Freuden, welche Christus denen bereitet hat, die ihn lieben. Das ist das lebendige Wasser; ich sehe den Brunnen jetzt fließen, frei strömen, funkelnd von all diesen unvergleichlichen Vorzügen. Wer möchte nicht darnach verlangen, zu kommen und daraus zu trinken?

II.

Wir sehen aus unsern Textesworten zweitens, daß die Einladung sehr umfassend ist: „Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst“. Wie allumfassend ist diese Einladung! Es gibt Prediger, die sich fürchten, Sünder einzuladen. Wozu sind sie denn da? Sie schrecken ja vor dem wichtigsten Auftrag ihres heiligen Amtes zurück! Ich muß gestehen, daß es eine Zeit gab, wo ich, gehemmt durch meine Lehranschauungen, schwankte, wenn ich eine freie Einladung verkündigen sollte. Ich gebe unumwunden zu, daß ich jetzt und von jeher den Trieb in mir verspürte, recht angelegentlich die Sünder zu Christo einzuladen. Ich fühle aber auch, daß dies sich mit der gesundesten Lehre ganz wohl verträgt, während das Gegentheil ganz etwas Krankhaftes ist, und durchaus keinen Anspruch auf Berufung an die heil. Schrift machen darf. Ich muß oft dagegen ankämpfen, daß nicht die empfänglichen Sünder allein dürfen eingeladen werden, sondern gerade auch die abgestumpften und verhärteten Sünder, um so mehr, da diese bei Weitem die Mehrzahl ausmachen unter den Gottlosen. Ich rühme mich aber dessen, daß ich Christum gerade den unempfänglichen Sündern verkündige, daß ich, wie einst Ezechiel, zu den verdorreten Gebeinen im Thal sagen möchte: „Ihr verdorreten Gebeine, lebet!“ Und das als eine That des Glaubens, nicht des Glaubens an die Kraft derer, welche den Befehl zu hören berufen sind, sondern des Glaubens an die Kraft Gottes, der da Befehl thut, daß er auch Kraft geben werde denen, an die der Ruf ergeht, auf daß sie im Stande seien, Gehorsam zu leisten. Nun aber höret auf unser Schriftwort, denn hier wenigstens ist keine Beschränkung. Ob empfänglich oder nicht, – unser Text lautet einfach: „Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst“.

Das Einzige, wonach ich euch heute zu fragen habe, ist: Seid ihr dazu willig? Wenn ihr’s seid, so befiehlt euch Christus, das Wasser des Lebens zu nehmen. Bist du dazu willig? Wenn du’s bist, so sei versöhnt, geheiligt, gesund. Denn wenn du willig bist, so ist’s Christus auch, und du bist eingeladen, umsonst zu kommen, und bist willkommen am Brunnen des Lebens und der Gnade.

Nun seht, die Frage hat’s zu thun mit dem Wollen. „Ach,“ spricht Einer, „ich bin ein solcher Thor, daß ich den Heilsplan gar nicht zu fassen vermag, darum mag ich nicht kommen und trinken.“ Aber meine Frage hat ja gar nichts zu schaffen mit deinem Verständniß, sondern mit deinem Willen. Und wäret ihr noch so unverständig, so geht’s nur euern Willen an; und wenn ihr nur zu Christo kommen wollt, so seid ihr umsonst geladen. Wenn ihr auch nicht einen einzigen Buchstaben lesen könntet, keine einzige Silbe zu buchstabieren verständet, so kann dennoch euer Mund, wie unweise er auch sei, dies Wasser des Lebens trinken. Es hat nichts zu thun mit eurer Fassungskraft; es spricht nicht: „Wer da Verstand hat, der komme;“ sondern: „wer da will,“ und ich zweifle nicht, daß es viele Seelen gibt, die das erste Mal, wo sie zu Christo kommen, gar wenig Einsicht in den Heilsweg haben und gar wenig Erkenntniß von des Weilands erlösender Führung; aber sie kommen zu Christo, der heil. Geist macht sie willig zu kommen, und so werden sie selig. Ach ihr, die ihr seit Jahren die Bürde der Armuth traget, ihr, die ihr aus der Werkstatt hieher kommt, ihr, die ihr unwissend seid, ihr Verachteten unter den Menschen, – seid ihr willig, zu kommen, seid ihr willig, euch selig machen zu lassen? Könnet ihr aufrichtig sagen: „Herr, du weißt, daß mich nach der Erlösung von meinen Sünden verlangt?“ Dann kommt, und seid willkommen. Der Herr Jesus heißt euch kommen. Deine Unwissenheit darf dich nicht abhalten. Er beruft sich ja nicht auf deinen Verstand, sondern auf deinen Willen.

„O,“ spricht Einer, „ich kann den Heilsplan begreifen, aber ich kann nicht Leid tragen, wie ich gern möchte. Ach, mein Herz ist so hart, ich kann’s zu keiner Bußthräne bringen. Ich kann meine Sünden nicht empfinden, wie ich gern möchte.“

„Wie ist mein Herz so schrecklich hart,
Wie lastet’s hier so schwer;
So kalt und todt und ganz erstarrt,
Wie Eis im Gletschermeer.“

Ja, aber dies Wort unsers Textes hat nichts mit deinem Herzen zu schaffen, sondern allein mit deinem Willen. Willst du? Dann sei dein Herz so hart wie ein unterer Mühlstein – wenn du nur willst dich erretten lassen, so bin ich dazu da und berufen, dich einzuladen. „Wer da will“, nicht „wer da fühlt,“ sondern „wer da will, der komme, und nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ „Ja,“ spricht Einer, „ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß ich willig bin, aber mein Herz will sich damit nicht zufrieden geben. Ich wünsche sehnlich, daß mich die Gnade umwandle. Ich darf sagen, ich wünsche, Christus wolle mein Herz erweichen. Ich verlange darnach, daß er möge ein lebendiges Feuer in meiner eiskalten Brust anzünden, und mir Reue und Liebe und Glauben in’s Herz geben. Ich bin willig.“ Wohlan denn, dann ist unser Text für dich: „Wer da will, der komme.“ Wenn du nur willst, so bist du frei eingeladen zu Christo. „Ja,“ spricht Einer, „aber ich bin ein gar so großer Sünder. Ich war ein Säufer; ich war ein Wollüstling; ich bin weit abgewichen vom Pfad der Rechtschaffenheit. Ich möchte nicht, daß eines meiner Mitgeschöpfe alle meine Sünden kennete. Wie kann Gott solch einen Elenden und Verruchten, wie mich, noch annehmen, solch ein verworfenes Wesen, wie ich eines war?“ Merke dir’s, Mensch! Es ist hier von keiner Beziehung auf dein vergangenes Leben die Rede. Es heißt einfach: „Wer da will.“ Willst du? Willst du selig werden? Kannst du sagen: „Nun, Herr, möchte ich gern selig werden, gib mir ein neues Herz; ich möchte meinen Sünden den Abschied geben; ich möchte ein Christ sein; ich möchte glauben und gehorsam sein; aber ach, mir fehlt’s an Kraft dazu; Herr, ich habe den Willen, gib mir nun auch die Kraft dazu.“ Dann bist du frei und umsonst eingeladen, zu kommen, wenn du nur willig bist. Es ist keine Schranke zwischen dir und Christo, es wäre denn dein unbeugsamer Wille. Wenn dein Wille unterthan gemacht ist, und du sprichst: „Ja, Herr, ich will,“ dann bist du herzlich eingeladen. Ach, verwirf die Einladung nicht, sondern komm; ja, komm, Sünder, komm!

Spricht aber Einer: „Ich kann nicht kommen; ich kann nicht glauben; ich kann nicht thun, was ich möchte.“ Nun gut; es heißt ja nicht: „Wer da kann, der komme,“ sondern: „wer da will, der komme“. Willst du? Ihr wißt, es gibt manchen Menschen, der mehr Willen als Kraft hat; doch Gott handelt nicht mit uns nach unserer Kraft, sondern nach unserm Willen. Ihr seht einen Knecht auf einem Pferde, er eilt fort, um für einen Sterbenden einen Arzt zu holen; das Pferd ist aber ein elender Klepper, der nicht so schnell zu laufen vermag, als sein Reiter gern möchte, aber ihr könnt ihn nicht schelten, weil ihr seht, wie er spornt und peitscht, und damit zeigt, daß es ihm ernst ist, vorwärts zu kommen; und so nimmt sein Herr den guten Willen für die That. So ist’s auch bei euch; euer armes Herz kommt nicht vorwärts, es ist ein lahmes, untüchtiges Pferd, aber es ginge, wenn’s in seinen Kräften stände. So ladet auch nun der Herr Jesus ein, nicht um eures Vermögens willen, sondern eures guten Willens halben. „Wer da will, der komme, und nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Die einzige Bedingung ist: Bist du willig, aufrichtig willig? Wenn dem also, so bist du ganz willkommen. Du bist herzlich eingeladen, von dem Wasser des Lebens zu nehmen, und zwar umsonst.

Ja, wenn ihr das jetzt in diesem versammelten Kreise vernehmet, so ist gewiß mancher unter euch, der’s beherzigt und spricht: „Ich will, ja ich will.“ Ach kommt, und laßt euch die Frage jedem einzeln recht nahe legen. Nicht zu euch als einer gesammten Zahl, sondern zu jedem Einzelnen persönlich möchte ich mit dem Pfeil meiner Rede dringen. Du silberhaariger Greis, gib mir Antwort, und du, schönlockiger Knabe dort, gib auch du mir Antwort. Wollet ihr euch lassen selig machen – wollet ihr der Sünde Abschied geben – wollet ihr heute und fortan allezeit Christum als euren Herrn und Meister anerkennen? Wollet ihr abgewaschen werden in seinem Blut? Wollet ihr euch kleiden lassen mit Gerechtigkeit? Wollet ihr glücklich werden – wollet ihr der Hölle entfliehen, und wollet ihr eingehen zum ewigen Leben? Sonderbar, daß man das Alles noch fragen sollte, und doch muß es geschehen. Wollet ihr? Dann bedenket, was euch auch widerstreben möge, was euch möge verführt haben, wie schwarz, schmutzig und unwerth ihr seid, so seid ihr eingeladen, heute zu nehmen das Wasser vom Brunnen des Lebens umsonst, denn ihr seid dazu willig, und es heißt: „Wer da will, der komme.“

„Ach!“ spricht Einer, „Gott weiß, daß ich möchte, aber ich fürchte, ich sei es nicht würdig.“ Nun ja, ich weiß, daß du’s nicht würdig bist; was hat aber das damit zu schaffen? Es heißt nicht: „Wer da würdig ist,“ sondern: „wer da will, der komme.“ „Gut,“ sagt wieder Einer, „ich glaube, daß, wer will, kommen darf, nur ich nicht, denn ich bin der gräßlichste Sünder aus der Hölle.“ Aber so vernimm denn, o Sünder, es heißt: „Wer da will.“ Welch‘ ein kühnes Wort ist das! Wer da will! Es reicht zu jeder Höhe hinan, und hinab in jede Tiefe. Kleine Sünder, freche Sünder, schwarze Sünder, schöne Sünder, Sünder, zweimal erstorben, alte Sünder, schwerbeladene. Sünder, Sünder, die alle erdenklichen Sünden und Verbrechen begangen haben: wer da will. Ist hier Einer ausgenommen? Wer darf von diesem „Wer da will“ ausgenommen werden? Es thut nichts, wer du sein magst, noch was du magst begangen haben, wenn du nur willst errettet werden; umsonst wie die Luft, die du athmest, ist Gottes Gnade und Liebe. „Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“

So habe ich denn versucht, euch zu zeigen, wie umfassend die Einladung ist.

III.

Und nun will ich euch zeigen, wie offen, wie frei von jeder Bedingung der Zugang ist. Wer da will, der nehme das Waser des Lebens umsonst. Umsonst. Mir ist’s, als höre ich Einen sagen: „Ich möchte gerne selig werden, und ich will thun, was in meinen Kräften steht, um dessen würdig zu sein.“ Aber der Born ist ja frei, unentgeldlich! Und da kommt Einer mit seinem halben Groschen in der Hand, und das noch mit einem falschen, und spricht: „Hier, Herr, gib mir einen Becher voll Lebenswasser zu trinken; ich bin’s wohl werth, denn siehe, ich kann’s bezahlen.“ Wie, Mensch, wenn du alle Kostbarkeiten Potosi’s herzubrächtest, und alle Diamanten Golkonda’s, und alle Perlen Indiens, so könntet ihr diesen allerkostbarsten Schatz nicht erkaufen. Steckt euer Geld ein, ihr könnt hier nicht mit Gold und Silber handeln. Der Mensch bringt sein Verdienst, aber der Himmel läßt sich nicht mit Verdiensten erwerben. Aber vielleicht sprichst du: „Ich will fleißig zur Kirche gehen, ich will Almosen geben, ich will die Versammlungen besuchen, ich will dies und das thun, und dann fehlt’s mir nicht, ich bekomme das Wasser des Lebens.“ Zurück! elender Feilscher, bringe deinen Bettel und Plunder nicht vor Gott, er bedarf seiner nicht. Zurück! du schmähest den Allmächtigen, wenn du etwas als Bezahlung bietest. Zurück mit dir! Er ladet keinen solchen Wicht ein. Er spricht: Nehmet umsonst. er verlangt nicht, daß ihr euch ihm mit etwas empfehlet. Er braucht keine Empfehlung. Ihr braucht keine guten Werke. Bringt sie nicht. Aber ihr habt keine guten Empfindungen. Dennoch seid ihr willig; nun, so kommt. Er verlangt keine guten Gefühle von euch. Ihr habt keinen Glauben und keine Reue, aber ihr seid willig.

„Wahrer Glaub‘ und wahre Reue,
Jede Gnade, die uns hält –
Kommt zu JEsu!
Kommt, und kaufet ohne Geld.“

Versuchet nicht, sie eigenmächtig zu erlangen – kommet zu ihm, und er schenkt sie euch. Kommet gerade so, wie ihr seid; es ist „umsonst,“ „ohne Geld und umsonst“ (Jes. 55,1.). Die Brunnen auf unsern Straßen und Märkten sind für Jedermann frei. Gehen durstige Arbeiter vorbei und mögen sich an dem frisch sprudelnden Labsal erquicken, wer mag’s ihnen vergönnen. Auch wird keiner zuerst seinen Beutet ziehen und darin suchen, und verlegen sagen: „Ich kann jetzt nicht trinken, ich habe keinen Groschen bei mir.“ Er kommt und trinkt – umsonst. Wer einzig etwa durstig durch die Straße muß, sind unsre feinen Herren und Damen, die in ihren prächtigen Wagen vorbeifahren, und sich schämen würden, wie gemeine Leute den Becher am Brunnenstrahl zu füllen und die brennenden Lippen zu laben. Ach, so gibt’s eben auch viele Reiche, reich an guten Werken, die nicht zu Christo zu kommen vermögen. „Ich habe nicht nöthig, mit den Wollüstlingen und Fluchern mich gemein zu machen; mit denen mag ich nicht selig werden. Wie! neben einem Kaminfeger in den Himmel eingehen? Gibt’s keinen andern Pfad zum Himmel, als mit der tiefgefallenen und verabscheuten Magdalena? Der Weg geht mir wider die Natur.“ Dann mögt ihr superfeinen Leute wohl draußen bleiben. Euch geht die Einladung gar nichts an, denn ihr seid nicht willig. Bedenket aber:

„Es wird hier Niemand ausgeschlossen,
als wer sich selber schließet aus;
Gelehrt und vornehm, arm, verstoßen,
Kommt alle heim in’s Vaterhaus.“

„Wer da will, der komme.“ Er bringe nichts zur Empfehlung mit. Er bilde sich nicht ein, er vermöge Gott eine Bezahlung zu bieten; denn die Eine Bedingung, die alle Bedingungen ausschließt, ist die: „Der komme und nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Es ist ein Gottesmann hier, der schon lange getrunken hat vom Strome des Wassers des Lebens; aber er spricht: „Ich möchte noch mehr von Christo wissen, ich möchte noch nähere Bekanntschaft mit ihm haben; ich möchte noch näher mit ihm verbunden sein und eingeweiht in das Geheimniß seines Opfertodes. Ich möchte mehr und mehr Erkenntniß von der Gemeinschaft seines Leidens haben und ihm im Tode ähnlich werden. O du Glaubender, komm, trinke umsonst. Du hast einst deinen Glaubenskelch gefüllt, trinke wieder und höre nimmer auf. Oeffne deinen Mund an der Quelle und trinke rechtschaffen. Wie der theure Rutherford in einem seiner köstlichen Briefe schreibt: Ich habe meinen Becher gar oft in den Brunnen untergetaucht, jetzt ist aber mein Durst nach Christo so unersättlich geworden, daß ich den Brunnen selber mit meinem Munde fassen und ihn ganz, ganz austrinken möchte. Ja, trinkt, so viel ihr nur immer trinken könnt. Ihr seid nun auf den Acker Boas gekommen und dürft jede Aehre auflesen, die ihr erblickt; ja noch mehr, ihr dürft ganze Garben forttragen, ja ihr dürft des Feldes ganze Erndte ansprechen, wenn ihr nur wollt. Das Essen und Trinken an dem Tische des Herrn Jesu gleicht dem Gastmahl des Ahasverus, nur in anderer Weise. Es heißt von diesem Gastmahl: es war beim Trinken gesetzt, daß Niemand nöthigte (Esther 1, 8.); dort heißt’s: Niemand darf wehren. Wenn ein mächtiges, herrliches Gefäß mit diesem heiligen Wasser gefüllt ist: trinkts aus, ganz aus! Dennoch wirst du finden, daß es immer wieder sich füllt, und ist kein Mangel da: trinke, ja trinke nur zu! In Christo ist genug für Alle, genug für Jeden, übergenug für immer; und nie wird Einer sagen dürfen, in Christo wäre keine volle Genüge für ihn. Trinke umsonst. So siehest du, daß der Sinn ein doppelter ist – trinke ohne Geld und trinke ohne Maaß – umsonst.

Wiederum haben wir ein altes Sprüchwort: Ungeladener Gast bringt mehr Lust als Last. Noch viel mehr ist das der Fall mit denen, die zum Brunnen des Lebens kommen.

Freilich gibt’s keine Ungeladenen, denn die Einladung ist allumfassend; aber Mancher kommt sich doch vor, wie ungeladen, und als ob sein Kommen Frechheit wäre; aber er ist ganz und gar willkommen, und Christus siehet ihn so freundlich an. Er, der beim Brunnen stehet, sieht nicht scheel, wenn ihr so gierig trinket, daß ihr nicht aufhören wollt; es verdrießt ihn nicht, daß ein so schmutziger und schwarzer Sünder, wie ihr, sich in dem reinen, klaren Strom des Lebens wäscht; je durstiger ihr seid, um so inniger freut sich seine Seele, daß ihr die Fülle trinkt und euch sättiget. Er wird nicht reicher, wenn er wehrt, sondern reicher, wenn er gibt. Es ist dem Heiland eine eben so große Wonne, euch selig zu machen, als euch, selig zu werden. Es freut ihn eben so sehr, die Armen, Blinden, Tauben, Lahmen und Krüppel an seinem Tische zu sehen, als diese, beim Gastmahl zu sitzen. Es entzückt ihn eben so sehr, Menschen in den Himmel zu führen, als sie selber entzückt sein können darüber, daß sie trinken dürfen am Freudenstrom des ewigen Borns. „Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“

Und was soll ich weiter sagen? Unser Text ist so köstlich, daß ich nicht eingehen kann in alle seine Fülle und Lieblichkeit und Innigkeit. Bedenket, theure Freunde, wenn ihr wollt selig werden, so verlangt Gott nichts von euch, als daß ihr euch Christo hingebt und überlasset. Wenn ihr euch wollt lassen selig machen, so kann’s Niemand hindern; es gibt kein Hinderniß. „Wer da will, der komme; wer da will, der nehme.“ Gott heißt kommen und nehmen. Wer darf dazwischen treten, wer euch wehren? Es ist etwa ein Prediger, ein lieber, ernster Mann; aber er meint, die Nähe Christi sei so etwas Heiliges, daß er die Unheiligen, die Sünder, nicht zu ihm einladen dürfe. Die Leichtsinnigen? die Rohen? die Spötter? die Frechen? der Abschaum der Gottlosen? Der liebe Mann ist im Irrthum. Christus verlangt keine Gefühle, keine Einsicht, keine sittliche Kraft. Dem Stumpfen, dem Schwachen, dem Verblendeten darf Niemand wehren, Wenn Gott spricht: „Komm, nimm!“ da muß Alles weichen und Bahn machen dem, der auf den Ruf seines Namens willig ist zu kommen. Christus spricht: „Wehret ihnen nicht, denn dieser ist das Himmelreich.“ Ja, Sünder, gehe nur voran, entgegen dem, der dich ruft.

„Ich will zum Gnadenkönige,
Deß Scepter Gnade gibt.“

„Ich will hin zum Brunnen, und das Wasser des Lebens umsonst nehmen.“ Ihr gehet nicht, wie die Töchter Jethro (2. Mos. 2,17ff.) zu einem Brunnen, von welchem ihr durch die Rohheit und Unfreundlichkeit der Hirten verdrängt werdet. Ihr kommt dahin, wo Jesus wartet, wartet mit offenen Armen, mit geöffnetem Munde, und euch heute zuruft: „Wen da dürstet, der komme und trinke; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“

Wollet ihr nun die Einladung ausschlagen? Habt Acht, daß ihr den nicht zurückweist, der euch ruft und mit euch spricht. Wollet ihr heute hingehen und der freien Gnade Gottes mißbrauchen? Sollte gerade diese Gnade euch noch mehr der Sünde zutreiben? Wäret ihr unverständig, nein, wäret ihr boshaft genug, zu sagen: Weil die Gnade frei ist, so wollen wir noch ein Jahr sündigen?

Ach, thut doch das nicht! Betrübet den heil. Geist nicht! Heut ist der Tag des Heils! Heut ist der Tag des Heils! So ihr euren Willen nicht wandelt, gut, dann wetzet das Schwert seines Zorns! Er hat seinen Bogen gespannt und ihn bereit gemacht. Ihr wurdet gewarnt; euer Gewissen hat euch oft genug geschlagen, und heute werdet ihr liebevoll eingeladen.

Aber die Zeit der Warnungen und Einladungen bleibet nicht ewiglich: bald geht sie vorbei, und wenn eure Begräbnißglocke tönt, werdet ihr im Feuerpfuhl sein, im Lande des Elendes und der Plagen, wo kein Tropfen Wassers eure brennende Zunge kühlt. Wenn ihr wolltet der Hölle Flammen entrinnen, wenn ihr wolltet entrinnen den ewigen Qualen, welche Gott gewißlich wie einen Hagel über euch herabschleudern wird, so beschwöre ich euch heute, achtet auf eure Wege, und so ihr heute wollet, so seid ihr eingeladen, und Niemand kann euch von seiner Gnade zurückweisen. „Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst“. Sollte ich vergeblich reden? Wollet ihr Alle hinausgehen, ohne anzunehmen das Wasser des Lebens? Komm, liebe Seele – es ist doch Einer da, den mir heute Gott zum Raube gibt um meine Mühe und Arbeit. Einen von euch will ich an der Hand nehmen, einen armen, sündigen, verirrten Bruder. Komm, theurer Bruder, laß uns gehen und mit einander trinken. Ach, daß doch Gott der heil. Geist dich willig mache. Hier, nimm dies Wasser, mein theurer Bruder, theure Schwester. Sieh, dort an jenem blut’gen Stamm hängt Jesus; sieh, er gibt sein Leben hin zu einem Lösegeld für deine und meine Sünde. Glaube an ihn, vertrau‘ auf ihn, befiehl ihm deine Seele und sei selig. Willst du nicht in deinem Herzen sprechen:

„So, wie ich bin, ohn‘ alle Zier,
Nur weil du’s hast befohlen mir
Und batest: Komm!
O Gottes Lamm, komm ich zu dir.“

Und wie mein Herr treu und wahrhaftig ist, so kann er keine Seele verwerfen, welche kommt, denn „wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen“ (Joh. 6, 37). O du heiliger Geist, ziehe nun furchtsame Seelen, und gib Muth den zagenden Gemüthern, daß sie glauben, um Jesu willen.

Amen.

(Charles Haddon Spurgeon)

Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter

Eingestellt am 16. Oktober 2021