Gewohnheiten, Zerstörende Macht der

Der Chirurg eines Regiments in Indien erzählt folgenden Vorfall: «Ein Soldat stürzte in das Zelt und sagte mir, daß einer seiner Kameraden in einem nahen Teich ertränke und niemand versuchen wolle, ihn zu retten, wegen der dichten Pflanzen, welche die Oberfläche des Wassers bedeckten. Als wir dorthin kamen, fanden wir den armen Menschen in seinem letzten Kampfe, tapfer versuchend, sich aus den Maschen des strickartigen Grases zu ziehen, das sich um seinen Körper gewunden hatte; aber allem Anschein nach schlang es sich nur desto fester um seine Glieder, je mehr er sich bemühte frei zu werden. Endlich sank er, und die schwimmenden Pflanzen schlossen sich wieder zusammen und ließen keine Spur des Unglücksfalles zurück. Es wurde ein Floß gemacht und wir ruderten nach der Stelle hin, senkten eine Stange von ungefähr zwölf Fuß hinab, ein Eingeborner hielt sich an dieser fest, tauchte unter und brachte die Leiche herauf. Ich werde nie den Gesichtsausdruck dieses Toten vergessen – die zusammengebissenen Zähne und die furchtbare Verzerrung des Gesichtes, die Gewinde von langem, nachschleppendem Gras, die sich um seinen Leib und seine Glieder geschlungen hatten, deren Muskeln steif und starr waren, während seine Hände dicke Massen hielten, die zeigten, wie tapfer er um sein Leben gekämpft hatte.»

Dieses herzzerreißende Bild ist eine erschreckend genaue Darstellung eines Menschen mit einem erweckten Gewissen, der mit seinen sündigen Gewohnheiten kämpft, aber sie zu stark für seine Kraft findet. Die göttliche Gnade kann den Unglücklichen aus seiner elenden Lage erretten, aber wenn er diese nicht hat, so wird seine Gewissensangst ihn nur noch hoffnungsloser zum Sklaven seiner Leidenschaften machen. Laokoon in seinem vergeblichen Bemühen, die Schlangen, die sich um ihn und seine Söhne gewunden, abzureißen, ist ein passendes Bild eines Menschen, der lange ein Sklave der Sünde gewesen ist und nun in seiner eignen Kraft mit ihr kämpft.

«Kann auch ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Parder seine Flecken? Dann würdet auch ihr gut zu handeln vermögen, die ihr gewohnt seid, Böses zu tun.» (Jeremia 13, 23, Textbibel)

Quelle:
Charles Haddon Spurgeon: Federn für Pfeile, oder Illustrationen für Prediger und Lehrer. Aus meinem Notizbuch. Autorisierte Übersetzung von E. Spliedt. Verlag von Max Kielmann, Heilbronn 1897.