Römer 13, 11-14

Predigttext:

Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, daß die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf (sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wir gläubig wurden; die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen): So lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes. Lasset uns ehrbar wandeln als am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern [Ehebruch] und Unzucht, nicht in Hader und Neid; sondern ziehet an den HERRN Jesus Christus und wartet des Leibes, doch also, daß er nicht geil werde. (Römer 13, 11-14)

Wachet auf, der Himmel ist hell!

I. Weichet von den Werken der Nacht!
II. Wandelt in den Waffen des Lichts!

I.

Die Zeit vor Christo ist die Zeit der Nacht, schwarzer Nacht über dem Heidentum; nur Israel hatte einen Monden- und Sternenschein göttlicher Offenbarung. Jejaia stand auf einem Wartturm Jerusalems und rief traurig aus: „Hüter, ist die Nacht schier hin?“ – Aber „Finsternis deckte das Erdreich und Dunkel die Völker“. Und Habakuk klagte: „Ich stehe auf meiner Hut und trete auf meine Feste und schaue und sehe zu, was mir gesagt werde“. Aber der Herr vermahnt ihn: „Harre!“

So taten und standen, sagten und klagten alle Propheten. Sie schauten aber nicht nach einem Lichte für ihren Leib, sondern für ihre Seele, nach einem Lichte des Heils für ihr Volk, für die ganze Welt. Sie selber Warttürme, Leuchttürme, in denen Gott, der Schöpfer und Vater des Lichtes und aller Geister das Licht der Hoffnung und Weissagung angezündet hatte, Kerzen, die das Licht verzehrte. Sie erlebten den Morgen nicht wie Mose seinen Fuß nicht in den Jordan tauchen durfte, sie sahen ihn nur von ferne, wie auch Bileam sagt: „Ich sehe ihn, aber jetzt nicht, ich schaue ihn, aber nicht nahe, den Stern aus Jakob, das Scepter aus Israel“.

Ganz unbezeugt ließ sich der Herr auch den Heiden nicht, er gab ihnen die Erkenntnis der Sünde, das Opfer und Träume von Götterkindern. Aber die Prophetenstimmen in Israel, die Engel fanden den Weg nicht mehr auf die Erde, das Allerheiligste des Tempels stand leer, die Heiden glaubten nichts mehr, es war rabenschwarze Nacht, nur zwei steinalte Leute tasteten noch mit dem Stabe der Hoffnung und gingen mit zitternden Füßen auf dem schier verschwundenen Wege der Weissagung: Simeon und Hanna.

Da sprach Gott: „Das ist meine Zeit!“, und er befahl dem Engel Gabriel: „Schürze dich und geh hinunter gen Nazareth zu einer Jungfrau aus Davids Geschlecht und grüße sie!“ Und er befahl der Ritterschaft der himmlischen Heerscharen: „Umringet die kleinste Stadt Judas und saget den Aermsten das erste Wort der Erfüllung überschwenglicher Gnade und Freude!“ –  Und sie fuhren hinab und verkündigten den Hirten: „Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen! Siehe, wir verkündigen euch große Freude! Ehre sei Gott in der Höhe!

Und in der Krippe lag der Tag, da war sein Morgenrot, und Simeon und Hanna wiegten auf ihren Armen das Licht. –  E s  i s t  d a s  H e i l,  sagt Paulus oder der Heiland. Es ist die Erkenntnis der Geheimnisse Gottes, es ist die Tilgung der Schuld, es ist die Versöhnung der Seele, es ist die Ausrüstung zur Heiligung, es ist die Hoffnung des ewigen Lebens; in Summa: die Kindschaft, verloren durch ben ersten Adam am Baume der Schuld, wiedergewonnen durch den zweiten Adam am Baume der Liebe. „Wir Christen wissen das“, schreibt Paulus seinen Römischen Kindern, und ist verkündigt die Zeit und die Stunde der Erfüllung aller Verheißungen aller Jahrtausende.

Der helle Tag scheint in die Fenster. Ist da noch Zeit zum Schlafen? Nein! Schüttelt den Alp schwerer Träume von den Gliedern und grüßet mit Freuden das goldene Licht! Aber die Trompete meines Mundes ruft euch noch mehr zu: „Leget ab die Werke der Finsternis, Fressen und Saufen, Kammern (Ehebruch) und Unzucht, Hader und Neid!“ – Sünden des Fleisches, die es einnimmt und die es ausgibt, und Sünden des Geistes. Wer tritt im Nachtrock auf die Straße? Die Juden und Heiden mögen es tun, denn sie wissen nicht, daß es Tag ist, wir Christen aber wissen es. Wie sah es in Rom aus? Unersättliche Ländergier und Unterdrückung aller Völker, beständige Fehde der Stände untereinander, blutiges Regiment übermütiger Gewalthaber, grausame Hände über die armen Sklaven. Das Fest der Frühlingsgöttin Flora ward mit ausgelassener Lust gefeiert, ehrbare Frauen zogen in den bunten Kleidern der feilen Dirnen umher, in den Theatern führten die Tänzerinnen die schamlosesten Tänze auf. Der strenge Sittenrichter Cato verbot sie nicht, sondern verließ das Theater, die Lust nicht zu stören. Solcher Gestalt waren auch die Feste des Faun, der Isis, der bona Dea und des Bacchus. Da war genug von Hader und Neid, Fressen und Saufen, Kammern und Unzucht.

Christen, weichet davon, denn unser Heil ist uns jetzt näher, als da wir gläubig wurden. Und das gehoffte Heil kam bald, freundlich den frommen, fürchterlich den frechen und faulen wie die Herzogswolke zwischen Israel und den Aegyptern. Christus kam wieder als Richter und brach dem nächsten Feinde seiner Kinder, den Juden, das Genick. Derselben Verdammnis mußten auch alle Christen gewärtig sein, die im Fleische lebten. Die Worte: Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen, versteht Saulus vielleicht auch von der Wiederkunft Christi, denn es ist streng zu übersetzen:

Die Nacht ist  v o r g e r ü c k t  – auf den Tag der Wiederkunft zu. Und heute ist die Nacht um 18 Jahrhunderte vorgerückt, und einer neuen Wiederkunft Christi müssen wir immer gewärtig sein. Aber wie sieht es in der Christenheit aus?  – als wäre Christus gekommen, das sündliche Fleisch zu erlösen von der Herrschaft des Geistes und der Furcht des Gerichtes. Herr, erbarme dich deiner Kirche und gieße aus den Geist der Zucht!

II.

Christen, wandelt in den Waffen des Lichts! Warum sagt Paulus nicht „Werken des Lichts“? – Weil leider ein Christ hienieden immer ein Streithahn sein muß! Ja, unsere Missionare unter Juden, Türken und Heiden. Aber wir in Christenlanden? Paulus zählt in das Register seiner Gefahren auch die falschen Brüder (2. Cor. 11, 26) und die bösen Geister in Engelsgestalten (V. 14). Adam fiel nicht durch den Satan, sondern durch seine Frau. Es wird manch einem und manchmal leichter, seinen Feinden Stand zu halten, als seinen Freunden! Und hätten wir keinen Feind rundum, so haben wir einen da drin, und der heißt Eigenherz! Kein Kampf ist so schwer, als wo die Pfeile alle nach innen geschossen werden müssen, in die Festung selbst hinein, die sich doch gegen eine ganze Welt wehren soll. Unter allen Wunden brannte wohl den Herrn Christus die vom Judaskuß am schärfsten. Die Kirche Christi ist noch immer wie Israel auf dem Zuge oder beim Bau des zweiten Tempels, sie muß stehn, in der Linken Kelle oder Stab und in der Rechten das Schwert. Aber Stahl und Eisen nutzen in diesem Kampfe so wenig als Heu und Stroh. Licht müssen die Waffen sein. Wir brauchen nicht viel Sinnens. Wir kennen die Waffenbanner, Paulus, der alte Hildebrandt und Waffenmeister, weist uns die nötigsten Stücke Eph. 6, 13-17 vor: „Um des willen so ergreifet den Harnisch Gottes!“ – Und unser Herzog in der Wüstenschlacht zeigt uns, wie man das Schwert zu führen hat und seine Kräfte beweisen läßt. In unserem Texte nennt uns Paulus die ganze Christenrüstung mit einem Worte: „Ziehet an den Herrn Jesum Christum!“ 

Was heißt das? Das dolmetscht er Col. 3, 12: „So ziehet nun an als die Auserwählten Gottes, Heilige und Geliebte, herzliches Erbarmen“ u.s.w. Das ist Christus. Was ist Gott? Gott ist die Liebe. Was ist Christus, Gottes Sohn? Er ist die Liebe, die heilige Liebe zu alle dem, was wahrhaft, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob. Das kann man nicht anziehen, nur einziehen, denn es sind Feierkleider des inwendigen Menschen. Wie zieht man sie ein? In drei Gnadenzügen: im Wort, im Gebet und im Sacrament. Eine Ritterschar, also gerüstet, ist unüberwindlich!

Der hl. Dionysius trägt seinen Kopf im Arme, viele andere auch. Die Köpfe hat man den Christen abschlagen können, aber nicht den Glauben; das Leben hat man ihnen rauben können, aber nicht den Sieg. Man hat’s seitdem noch anders versucht und hat eine Wolke von Pfeilen, von Witz und Wissenschaft gegen sie abgeschossen. Wir brauchen uns nicht davor zu fürchten, nicht einmal darauf zu antworten, sorgen wir nur, daß wir die Kleider und Waffen christlicher Tugenden tragen, Christi lebendiges Bild, schweigend siegt das. Halten wir nur unsern nächsten Feind in straffer Zucht des Geistes: „Wartet des Leibes doch also, daß er nicht geil werde!“ – richtiger: „Und wartet des Leibes nicht also, daß er geil werde!“ – Dann werden wir mit dem Feinde in zweiter Reihe wohl fertig. Und geht es heiß her, einen Blick nach oben! Ist uns unser Heil doch jetzt näher, denn da wir es glaubten! Und sind doch derer, die bei uns sind mehr, als derer die bei jenen sind und einer wiegt alle auf.

Fragst du, wer er ist? Er heißet Jesus Christ. Amen.

L a n g e.
Domprediger in Halberstadt

Hüter, wird die Nacht der Sünden
nicht verschwinden?
Hüter, ist die Nacht schier hin?
Wird die Finsternis der Sinnen
bald zerrinnen,
darein ich verhüllet bin?

Das Vernunftlicht kann das Leben
mir nicht geben;
Jesus und sein heller Schein,
Jesus muß das Herz anblicken
und erquicken,
Jesus muß die Sonne sein!

(Christian Friedrich Richter)

Quellen:

Predigt: Mancherlei Gaben und Ein Geist. Eine homiletische Vierteljahrsschrift für das evangelische Deutschland. Unter Besonderer Mitwirkung vieler namhafter Prediger herausgegeben von Emil Qhly, evang. Pfarrer in Sinsheim, Prov. Starkenburg (Hessen). Zwanzigster Jahrgang.
Wiesbaden, Julius Niedner Verlagshandlung, 1881.
Philadelphia, bei Schäfer & Koradi
2) Epistel, Erster Entwurf (S. 40-43) [Digitalisat]

Liedverse: Chr. Fr. Richter, Hüter, wird die Nacht der Sünden

Eingestellt am 12. August 2022 – Letzte Überarbeitung am 18. Juni 2023