Von den Trübsalen überhaupt.
1. Daß das menschliche Leben nicht allein kurz, sondern auch mit vielen Leiden und Widerwärtigkeiten beschwert sei, lehrt die heilige Schrift und die tägliche Erfahrung. Es ist auch kein Mensch, der auf dem Erdboden lebt, von dem Leiden befreit. Zwar meinen oft arme und geringe Leute, die Reichen und Vornehmen haben nichts zu leiden: wenn man aber dieser ihren Zustand recht erkennen lernt, so findet man, daß bei ihnen auch ein jeglicher Tag seine Plage habe: ja daß zwischen ihnen und andern in diesem Stück kein sonderlicher Unterschied sei; weil GOtt gemeiniglich den armen und geringen Leuten dasjenige, was ihnen am Vermögen und an der Ehre abgeht, durch Gesundheit und andere Umstände ersetzt; weswegen kein Mensch den andern beneiden oder mit seinem eigenen Stand unzufrieden sein soll.
2. Fürnehmlich [d.h. Vor allem] ist aber zu bedenken, daß alle Trübsale von GOtt kommen. Alsbald nach dem Sündenfall hat nämlich der große GOtt zu der Eva gesagt: „Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollt mit Schmerzen Kinder gebären, und dein Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein“. Und zu Adam sprach er: „Dieweil du gehorchet hast der Stimme des Weibes und gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot und sprach: du sollst nicht davon essen; verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dorn und Distel soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zur Erden werdest, davon du genommen bist; denn du bist Erde und sollst zur Erde werden. (1. Mose 3, 16-19). Dieser Ausspruch GOttes wird bis an’s Ende der Welt an allen Menschen, als die von Adam und der Eva herkommen, erfüllet, sie seien vornehm oder gering, reich oder arm; und zwar an einem jeden in gewissem Maße; denn obschon nicht alle im Ehestand leben, oder den Acker bauen, so müssen doch alle Schmerzen und Kummer ausstehen, mühselige Arbeiten verrichten und zuletzt sterben und dem Leibe nach zur Erde werden.
GOtt selbst hat es so verordnet, weswegen kein Mensch diesem Schicksal entrinnen kann. Neben dieser allgemeinen Mühseligkeit und Plage aber schickt GOtt dem Menschen auch besondere Leiden zu, je nachdem es ihm gefällt, und diese sind entweder Landplagen, welche weit um sich greifen, als [da sind] Krieg, Teuerung, Hungersnot, Pestilenz und andere tödtliche Seuchen, von welchen Ezech. 14, 13-23. und in vielen andern Sprüchen der heiligen Schrift die Rede ist; teils sind es besondere Nöte und Unglücksfälle, die GOtt einzelnen Menschen und Häusern zuschickt, wie dann ein Mensch vor dem andern mit Armut oder einem siechen Leib, oder natürlicher Schwermut, oder satanischen Anfechtungen, oder mannigfaltiger Schmach, die ihm Andere antun, oder auch mit frühzeitigen Sterbensfällen in seinem Geschlecht, mit bösen Nachbarn, mit Unglück am Vieh und an Gütern, und mit andern dergleichen Zufällen heimgesucht wird, wobei dann ein jeder Mensch glauben soll, was GOtt Jesaja 45, 6+7 sagt: „Ich bin der HErr, der solches alles tut, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Friede gebe und schaffe das Übel. Ich bin der HErr, der solches alles tut. Und was Amos 3, 6b steht: „Ist auch ein Unglück in der Stadt, das der HErr nicht tue?“
3. Es ist ferner hierbei zu bedenken, wie der wohlgefällige und der zulassende Wille GOttes fast bei einem jeden Leiden zusammen kommen. So war es GOttes wohlgefälliger Wille, daß Christus für die Sünden der Menschen leiden und sterben sollte; daß aber Judas JEsum verraten, Caiphas und der hohe Rat zu Jerusalem ihn zum Tod verdammen und Pilatus ihn kreuzigen lassen sollte, war nur der zulassende Wille GOttes. Christus aber faßte sowohl den wohlgefälligen als auch den zulassenden Willen GOttes in Eines zusammen und sagte, da er von seinem Leiden redete, zu seinem himmlischen Vater: Nicht mein Wille, in so fern er nämlich ein menschlicher Wille ist, sondern dein göttlicher Wille geschehe. Auch sagte er zu Petro: „Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat“; das ist: Soll ich nicht nach meines Vaters Willen leiden und sterben?
Bei Hiob war es GOttes wohlgefälliger Wille, daß er zu seiner Bewährung und Läuterung vieles leiden sollte; daß ihm aber Räuber seine Rinder und Kamele nahmen und seine Knechte töteten, war dabei GOttes Zulassung. Hiob aber faßte auch alles zusammen, und sah steif auf den Willen GOttes, da er sagte: „Der HErr hat’s gegeben, der HErr hat’s genommen, der Name des HErrn sei gelobet (Hiob 1, 21). Hieraus sollen wir lernen, wie wir uns nicht ärgern und erzürnen sollen, wenn wir sehen, daß böse Menschen Andern viele Plagen antun und sie beleidigen, denn auch diese böse Menschen stehen unter der Gewalt GOttes, der ihnen zuläßt, so viel Er will, und dabei ist es sein wohlgefälliger Wille, daß Andere diese Plagen geduldig leiden sollen. GOtt ist und bleibt heilig, und sein Name soll hoch gelobt werden, sowohl wenn er etwas Gutes mit Wohlgefallen wirkt und schafft, als auch wenn er etwas Böses zuläßt. Auch seine Zulassung gereicht zu seiner Ehre und zum Heil desjenigen, der sich derselben mit gläubiger Geduld unterwirft.
4. Eine ganz besondere Bewandtnis hat es mit dem Leiden, welches der Mensch sich selber zuzieht, wie denn freilich viele Leute sich selber in die Armut stürzen, oder sich selber um ihren guten Namen und um ihre Gesundheit bringen, oder gar als Übeltäter in die Hände der Obrigkeit fallen. Hierbei ist nun freilich auch die Zulassung GOttes zu erkennen; der Mensch aber, der sich selber unglücklich macht, soll wissen daß er sich hoch versündigt habe, weil er ein ungetreuer Haushalter über die Gaben GOttes oder auch ein böser Untertan der Obrigkeit gewesen, und deswegen, wenn er sein Unglück empfindet, sagen: „Ich will des HErrn Zorn ertragen, denn ich habe wider ihn gesündigt“ (Micha 7, 9), oder mit dem bußfertigen Schächer: „Ich empfange, was meine Taten wert sind“ (Lukas 23, 41).
Wenn auch das zeitliche Unglück oder die leibliche Strafe nicht mehr ersetzt oder abgewendet werden könnte, so soll er desto mehr nach der Errettung und dem Heil seiner Seele begierig sein und GOtt um Gnade und die Aufnahme in sein himmlisches Reich bitten. Wer aber noch nicht in ein solches selbstgemachtes Unglück oder in eine solche zeitliche Strafe verfallen ist, hüte sich sorgfältig davor und wandle in der Furcht GOttes, damit an ihm erfüllet werden könne, was Ps. 25, 12f. steht: „Wer ist der, der den HERRN fürchtet? Er wird ihn unterweisen den besten Weg. Seine Seele wird im Guten wohnen, und sein Same wird das Land besitzen“.
5. Weil nun alles Leiden von GOttes Ratschluß oder Zulassung herkommt, so soll man daraus erstlich seine große Macht erkennen. „Sehet ihr“, sagt er 5. Mose 32, 39., „daß ich’s allein bin und ist kein GOtt neben mir. Ich kann töten und lebendig machen; Ich kann schlagen und kann heilen; und ist niemand; der aus meiner Hand errette„. Niemand ist so reich, den Er nicht arm machen könnte, niemand so stark und mächtig, den Er nicht bis in den Staub, ja bis in die Hölle hinabstürzen könnte. Auch kann keine menschliche Arglist und Klugheit etwas wider ihn ausrichten; denn er kann machen, „daß die Weisheit der Weisen untergehe und der Verstand der Klugen verblendet werde“ (Jesaja 29, 14b). Wie dann solches aus alten und neuen Geschichten leicht zu erweisen wäre. Deswegen spricht auch der HErr (Jeremia 9, 23f.): „Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums, sondern wer sich rühmen will, der rühme sich des, daß er mich wisse und kenne, daß ich der HErr sei der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden, denn solches gefällt mir, spricht der HErr“.
6. Es ist auch ferner aus dem Leiden der Menschen GOttes Gerechtigkeit zu erkennen. Es ist nämlich recht bei GOtt, daß er alle Menschen fühlen läßt, was der Sündenfall Adams, ihres Stammvaters, für ein großes Unheil angerichtet habe, und was ferner die Sünden eines jeden Menschen für bittere Folgen haben.
Die Sünde ist nämlich die bittere Quelle, woraus alles Unglück fließt. Wäre keine Sünde in der Welt, so wäre auch keine Not und kein Tod in der Welt. Weil nun die Menschen insgemein die Sünde wenig achten, und sich dabei noch entschuldigen und rechtfertigen, so läßt sie GOtt oft durch allerlei Plagen inne werden und erfahren, was es für Jammer und Herzleid bringe, den HErrn seinen GOtt verlassen und ihn nicht fürchten (Jeremia 2, 19b) Er züchtigt sie, und zwar mit Maßen, damit sie sich nicht für unschuldig halten (Jeremia 30, 11). Wollen sie sich auch unter solchen Plagen und Züchtigungen nicht bekehren, so bricht sein gerechter Zorn endlich völlig aus und stürzet die Menschen in die Hölle, wo sie Pein leiden müssen, das ewige Verderben von dem Angesicht des HErrn und von seiner herrlichen Macht (2. Thess. 1, 9)
7. Es ist ferner aus den Leiden der Menschen GOttes unermeßliche Weisheit zu erkennen, welche weiß und bestimmt, was und wie viel ein jeder Mensch leiden soll. Am jüngsten Tag wird offenbar werden, und ist auch jetzt schon zum Teil offenbar, wie keines Menschen Lebenslauf und Leiden den Schicksalen der übrigen Menschen völlig gleich sei. O welch eine Tiefe der Weisheit GOttes, die für einen jeden Menschen in dem unzählbaren menschlichen Geschlecht einen eigenen Lebenslauf, und also auch einen eigenen und besonderen Leidensweg ausgedacht und verordnet hat. Und zwar bestimmt die Weisheit GOttes einem jeden Menschen dasjenige Leiden, das ihm angemessen ist oder für ihn taugt. Darum hat schon ein Heide gesagt, daß wenn alle Menschen ihre Leiden auf einen Haufen zusammen trügen, so würde ein jeder das seinige wieder nehmen, weil er nämlich merkte, daß ihm dasselbe und kein anderes angemessen sei. Es ist also töricht und sündlich, wenn ein Mensch den andern beneidet oder sagt: es geht keinem so übel als mir. Ach nein. Ein anderer hat auch sein angemessenes Leiden: vielleicht ein heimliches, das ihn härter drückt als ein öffentliches. Vielleicht hat er seinen schwersten Tag noch nicht gehabt, sondern noch zu gewarten: da alsdann du es besser haben wirst als er. Und gesetzt, GOtt lege dir mehr Leiden auf als einem andern, so glaube, daß es so für dich tauge, und er’s weislich so verordnet habe. Wer bist du, daß du mit GOtt rechten willst?
8. Endlich kann man auch aus einem jeden Leiden GOttes Güte herausleuchten sehen. Zwar gibt es auch schwere und empfindliche Leiden, unter welchen man klagen und heulen muß (Psalm 55, 18), ja schier verzagen möchte (Psalm 83, 16). Doch darf man nicht verzagen, wenn man sich an das Wort GOttes hält. Wer in die Verzweiflung versinkt wie Judas Ischarioth, ist selbst schuld daran, weil er dem Teufel so viel Raum und Eingang bei sich gelassen, daß er alles Wort GOttes von und aus dem Herzen wegnehmen konnte. Wer aber seinen Trost im Wort GOttes sucht, wird ihn finden, ja er wird erfahren, daß ihm GOtt durch sein Wort Kraft darreichen werde, das aufgelegte Leiden zu ertragen. GOtt züchtigt die Menschen mit Maßen. Die heftigsten Leiden währen gemeiniglich nicht lang, und werden wenigstens durch Erquickungen, die GOtt dazwischen hineinschickt, unterbrochen. Auch macht der Tod allem zeitlichen Leiden bald ein Ende. Bitte also GOtt, daß er dich zu einem seligen Tod bereite, so darfst du, wenn deine Bitte erhört und gewährt wird, nicht lang leiden und siehest das Ende deiner Not nahe vor dir. Überhaupt ist es ein Beweis der göttlichen Güte, daß er die Menschen nicht sicher und ungeahndet dahin gehen läßt, sondern Trübsale über sie verhängt, die ihnen heilsam werden können.
Quelle: Roos, M. Magnus Friedrich: Kreuzschule; oder Anweisung zu einem christlichen Verhalten unter dem Leiden. Mit einem Anhang von Gebeten für besondere Fälle.
Fünfte Auflage. Stuttgart, Verlag der Evangelischen Bücherstiftung (Christophsstraße Nr. 6), 1857 (S. 1-11; Digitalisat in der Google Buchsuche)