1. Samuel 27, 1-12

So schicksalsschwer das Leben Sauls auch geworden war, am ergreifendsten war doch das letzte Kapitel, das zu seinem tragischen Tode führte. Sein Kampf gegen Gott endete im Gericht. Die väterlichen Worte Samuels, die immerhin lange Zeit seiner Regierung, die nahen Beziehungen zu David, die so weisen Ratschläge seines frommen Sohnes Jonathan — alles war vergeblich gewesen. Wohl kam Saul gelegentlich zu einer gewissen Erkenntnis seiner Schuld, aber nicht zur tiefen Beugung unter seine Schuld. Daher erfolgte auch nicht die Rückkehr zu jener Glaubensstellung, die er einst verlassen hatte.

Zwei Ereignisse führten schließlich zu Sauls Endkatastrophe: die Vertreibung Davids und der Kampf mit den Philistern. Sauls Nachstellungen wurden zuletzt so schwer, daß David sich gezwungen sah, mit seinen zwei Frauen Abigail und Ahinoam und seinen etwa 600 Kriegern zum Philisterkönig Achis in Gath zu fliehen.

Die Philister sahen in diesem Schritt des größten Helden Israels offenbar eine gewisse Annäherung, durch die sie in Zukunft nur gewinnen könnten. Wahrscheinlich auf Grund bestimmter Abmachungen gaben die Philister David mit seinem Gefolge die Burg
Ziklag zum Aufenthalt. Dort wurde hinfort eine kleine Israelitenkolonie gegründet, in der durch Abjathar als Priester mit dem Ephod auch der Gottesdienst gepflegt wurde. So gestaltete sich Ziklag während der sechzehn Monate Aufenthalt der israelitischen Streiterschar zu einer gewissen israelitischen Enklave mitten im Philisterlande. Dieser Schritt Davids, mehr aus Not und Verzweiflung als aus glaubensvollem Vertrauen zu Gott geboren, hätte David leicht zum schwersten Verhängnis werden können.

„Freilich“, so bemerkt sehr treffend hierzu R. Kittel*, „wollte er nicht zum Verräter an seinem Volke werden. Wollte er besser sein, als er sich vor Achis gab, so blieb keine Wahl als Verstellung, Lug und Trug und dazu grausame Mordtat. Es war ein gefährliches Spiel, das er spielte, um so gewagter, da doch David nie sicher war, wie lange Doppelzüngigkeit und Hintergehung ihm vorhalten würden, Achis zu täuschen. Ein Zufall konnte jeden Tag die Entdeckung und dann Davids sicheren und schmählichen Untergang bringen. Nur Befreiung aus dieser unerträgliehen und unwürdigen Lage konnte ihn noch retten. Es war Davids Glück, daß er bald aus ihr erlöst wurde, wenngleich die härteste Probe erst noch seiner wartete.“

* In: Geschichte des Volkes Israel, Band 2, S. 175.

Diese Probe trat ein, als eines Tages der Philisterkönig Achis dem David eröffnete, daß er einen entscheidenden Kriegszug gegen Saul und Israel unternehmen wolle, und David solle während des Unternehmens der Adjutant und Hüter des Königs sein. Nur dank dem Umstand, daß die Philisterfürsten und hohen Offiziere ihrem König von diesem Vorhaben dringend abrieten, gelang es David, sich aus dieser schweren Lage zurückzuziehen. Wenn er es auch vor Achis und dessen Gefolge als eine Beleidigung seiner Mannesehre bezeichnete, daß er nicht mit in den Kampf ziehen dürfe, so ward es für ihn doch eine wunderbare Gottesfügung, daß er sich nicht gezwungen sah, sich mit seinen Freischaren an Israel zu versündigen.

(Jakob Kroeker: Das lebendige Wort)

Literatur

Das lebendige Wort, Band 3: Israel (2.-5. Mose, Josua, Richter, Samuel, Könige)
Ein Wunder der Geschichte – Das Königtum und die Theokratie in Israel
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Kreuzer, Siegfried: Saul, Erster König Israels. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 8, Bautz, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-053-0, Sp. 1423–1429 [Archivfassung vom 10.02.1999 im Web Archive]

Eingestellt am 22. September 2022 – Letzte Überarbeitung am 11. Juni 2023