Lateinschulen

Die Erwerbung der Vorkenntnisse, zumal in den alten Sprachen, von deren Erprobung die Erlaubniß zu Beziehung einer Universität abhängt, ist durch die lateinischen Schulen, welche in den meisten Landstädten, ─ und durch die Lyceen und Gymnasien, welche in den größern Städten des Reichs auf öffentliche Kosten eingerichtet sind, sehr erleichtert, und mußten namentlich in den Städten, in welche Canzleien verlegt wurden, zum Besten der bei den Kreisbehörden angestellten Staatsdiener, die Lehranstalten, wo es nöthig war, zweckmäßig verbessert und erweitert werden 1).  Zur Vorbereitung für den Kirchendienst beider Confessionen und für Lehrämter werden überdieß auf Kosten der Kirchen, sowohl niedere Seminare und Convikte, in denen eine gewisse Anzahl von Zöglingen vom 14ten Lebensjahre an, ─ als auch auf der Landes=Universität ein höheres evangelisches Seminar und ein höheres katholisches Convikt, in denen sie vom achtzehnten Lebensjahre an für ihren künftigen Beruf gebildet werden, unterhalten 2).  Es steht zwar jedem Staatsbürger frei, ob er jene und diese Lehranstalten für seinen Sohn benutzen, oder ihm durch Privat=Unterricht die zur Aufnahme in ein niederes oder in das höhere Seminar (Convikt) oder zur Gestattung des akademischen Studiums der Theologie außerhalb desselben erforderlichen Vorkenntnisse verschaffen wolle 3).  Schon im Allgemeinen gewährt jedoch der Unterricht in öffentlichen Lehranstalten, sowohl weil er von geübten in ihren Lehrfächern bewanderten Lehrern ertheilt wird, als auch wegen der Nacheiferung und der strengern Disciplin, die darin herrschen, entschiedene Vortheile vor dem Privat=Unterrichte.  Zudem sind die vaterländischen Lehranstalten zu Erwerbung sowohl formaler als materialer Bildung und zur stufenweisen Vorbereitung auf das akademische Studium so zweckmäßig eingerichtet, daß jeder verständige Vater die nöthigen Opfer gerne bringt, um sie für seinen den Studien gewidmeten Sohn zu benützen, und die Aufnahme in die Seminare bietet so bedeutende Wohlthaten dar, daß alle zum theologischen Studium bestimmten Jünglinge, sich zu derselben fähig zu machen, sich beeifern sollten.

1) K. Verordn. v. 1. Dec. 1817.
2) Höhere und niedere evangelische Seminare (Stipendium und Klosterschulen) wurden schon von Herzog Christoph mit den Mitteln des evangelischen Kirchenguts errichtet (Gr. K.O. Bl. 232 ff. und 267 ff.), wie auch die Universität Tübingen unterhalten (Bl. 191), und lateinische Schulen angeordnet (Bl. 192).
3) K. Verordn v. 15. Nov 1816, durch welche auch den außer den theologischen Seminarien die evangelische Theologie mit Erlaubniß des k. Studienraths Studirenden, nach vollendeten Studien und erstandener Prüfung sich um Kirchenstellen zu bewerben, erlaubt, und die k. Verordn. v. 15. Jul. 1811, nach welcher solches nur denen gestattet war, welche in den niedern Seminarien oder wenigstens Ein Jahr in einem Gymnasium oder dem Seminare in Maulbronn und sofort in dem höhern Seminare zu Tübingen studirt hatten, wieder aufgehoben wurde.

Algemeine wissenschaftliche Lehranstalten.
A. Lateinische (Trivial=) Schulen.

§. _471.

Die lateinischen Schulen sollen der Grund seyn, auf welchen die künftigen Diener der Kirche, so wie die Staatsbürger überhaupt von Stufe zu Stufe ihrer intellectuellen und moralischen Bildung entgegengehen 1).

Da jedoch die künftige Bestimmung zu bürgerlichen Gewerben weder die Kenntniß todter Sprachen, noch überhaupt eine wissenschaftliche Cultur erfordert, so sollen die zu Gewerben bestimmten Knaben, welche die Schule eines Präceptors besuchen, zum Rücktritte in die deutsche Schule, und wenn die Orts=Obrigkeit den Unterricht in dieser für künftige Professionisten nicht für genügend hält, soll dieselbe zu Errichtung von Real= und Gewerbschulen veranlaßt, wenn jedoch beides nicht bewirkt werden kann, sollen solche Knaben vom Präceptor in eine eigene Abtheilung versetzt, und nur in den zur Bildung des Bürgers und Christen erforderlichen allgemeinen Wissenschaften unterrichtet, der übrige Schulunterricht aber auf die den Studien bestimmten Knaben eingeschränkt werden.

In der gewöhnlich minder zahlreichen Klasse des Collaborators (ersten lateinischen Elementarlehrers) können jene Knaben den Unterricht mit den den Studien gewidmeten Schülern theilen, und dürfen von dem Lehrer, falls die Schul=Vorsteher und vorzüglich der Pädagogarch es nicht für nachtheilig halten, auch die Anfangsgründe der deutschen Sprache gelehrt werden, wogegen in die Klasse des Präceptors kein Knabe aufgenommen werden soll, der nicht das Geschriebene und Gedruckte fertig und ohne Fehler lesen und schreiben kann, wofern nicht die lateinischen und deutschen Schüler einen gemeinschaftlichen Lehrer haben 2).

1) Herzogl. Gen.Verordn. v. 11. März 1793.
2) Latein. Schul=Ordn. v. 11. März 1793.  §.  1. 2.  6─8.

Quelle:

Das bestehende Recht der evangelischen Kirche im Königreiche Württemberg, in Auszügen aus den gegenwärtig gültigen Gesetzen und Verordnungen dargestellt, und mit historischen Anmerkungen begleitet von C. C. Gaupp, der Philosophie und der Rechte Doktor, und königl. Württembergischen Consistorial=Assessor. Zweiter Band. Erste Abtheilung. Stuttgart, Verlag der J. B. Metzler’schen Buchhandlung, 1831. [Digitalisat]

Weblinks und Verweise

Alte Lateinschule in Calw

Pforzheimer Lateinschule

Prinz, Ruth: Entwicklung des Schulwesens in Neuenhaus – Die Neuenhauser Lateinschule.
In: Neuenhaus, Ansichten und Einblicke, 2011, S. 338-343.


Eingestellt am 5. Dezember 2024 – Letzte Überarbeitung am 7. Dezember 2024