Offenbarung 20, 1-6: Das tausendjährige Reich

Fünfundzwanzigste Bibelstunde

1 Und ich sah einen Engel vom Himmel fahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand. 2 Und er griff den Drachen, die alte Schlange, welche ist der Teufel und Satan, und band ihn tausend Jahre 3 und warf ihn in den Abgrund und verschloß ihn und versiegelte obendarauf, daß er nicht mehr verführen sollte die Heiden, bis daß vollendet würden tausend Jahre; und darnach muß er los werden eine kleine Zeit.

4 Und ich sah Stühle, und sie setzten sich darauf, und ihnen ward gegeben das Gericht; und die Seelen derer, die enthauptet sind um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen, und die nicht angebetet hatten das Tier noch sein Bild und nicht genommen hatten sein Malzeichen an ihre Stirn und auf ihre Hand, diese lebten und regierten mit Christo tausend Jahre. 5 Die andern Toten aber wurden nicht wieder lebendig, bis daß tausend Jahre vollendet wurden. Dies ist die erste Auferstehung. 6 Selig ist der und heilig, der teilhat an der ersten Auferstehung. Über solche hat der andere Tod keine Macht; sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit ihm regieren tausend Jahre.

Das tausendjährige Reich

Weltstadt und Weltreich sind dahingesunken, der Weltherrscher und sein Prophet sind in den Ort der Verdammnis gewandert; jetzt kommt die Reihe an den letzten, den überirdischen Urheber der Sünde, die in der Welt getobt hat, an den Drachen, an den Lügner und Mörder von Anfang (Johannes 8, 44), durch dessen Schlangenlist die Menschheit von Anbeginn verführt worden ist, der Widersacher* der Menschen, der ihre Verbindung mit Gott zerreißt, und den Widersacher Gottes, der seine Wege zum Heil der Menschen zu durchkreuzen trachtet.

*) Das hebräische Substantiv שָׂטָן (śāṭān) wird auch mit „Widersacher“, „Gegner“ übersetzt.

Noch einmal, wie 12, 9, erscheint dieser Fürst der Finsternis hier mit seinem ganzen Titel, der sein furchtbares Wesen und Treiben kennzeichnet. Jetzt wird der Feind, der sich Jahrtausende hindurch zwischen Gott und sein Geschöpf, die Menschheit, gedrängt hat, festgenommen und ins Gefängnis gelegt. Ein wunderbares Gleichnis, dem man in Hoffnung herrlicher Erfüllung auch mitten im Streit jetzt schon zujauchzen darf: ein Engel steigt hernieder vom Himmel auf die Erde, die in der letzten Zeit fast nur noch unbestrittenes Machtgebiet des Satans zu sein schien und nimmt den Fürsten der Welt (Johannes 16, 11) weg, hinab in die grundlose Tiefe, die das Behältnis und Gefängnis der verderbenbringenden Mächte ist (9, 1; Luk. 8, 31). Das letzte Urteil ist ihm damit noch nicht gesprochen (siehe Vers 10): er ist noch nicht im „ewigen Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln“ (Matthäus 25, 41). Im Abgrund liegt er nun gefangen, mit einer großen Kette gebunden, d.h. aller Macht beraubt; über ihm schließt der Engel zu, daß er nicht wieder herauskann und versiegelt über ihm, daß auch kein anderer ihm öffne. Denn er soll die Völker nicht mehr verführen, bis daß 1000 Jahre vollendet sind. Erst wenn diese Frist völlig abgelaufen ist, muß er nach göttlichem Ratschluß für einen kurzen Zeitraum wieder losgelassen werden.

Bamberger Apokalypse: Bindung und Lösung des Tiers

Was wohl die Zahl 1000 in diesem Gesichte bedeutet? Sinnbildlich ist sie, wie auch die Zahl der dreieinhalb Jahre in Kapitel 11 und 12. Aber Zahlen müssen wir, wo nicht angedeutet ist, daß sie nicht anders als sie buchstäblich lauten aufzufassen seien, trotz der sinnbildlichen Bedeutung doch zugleich sagen lassen, was sie offenbar sagen wollen. Bedeuten dreieinhalb Jahre eine kurze Zeitspanne, die abgebrochen wird, wenn sich die in ihr sich auswirkenden Kräfte erst halb ausgelebt haben, so bedeuten 1000 Jahre sicherlich einen langen, sich ungestört abrundenden Zeitraum, innerhalb dessen zur Vollendung kommt, was darin sich entfalten soll. Wie wir aber keinen Grund haben, an den dreieinhalb Jahren herum zu markten, als sei die Zeitangabe nicht sachlich zu treffen, sondern bloß bildlich gemeint, so werden wir auch im Sinn des Apostels die 1000 Jahre nehmen sollen, wie sie lauten: als ein Jahrtausend Erdenzeit.  Für dieses Ganze hier verheißene Jahrtausend ist der Satan nicht mehr vorhanden: er ist in machtlose Untätigkeit gebannt , und die Welt hat Ruhe vor ihm.  Nicht daß damit die Sünde auf Erden verschwunden wäre.  Nein, die Menschheit ist verderbt und bleibt verderbt, und was Paulus schreibt (Röm. 5, 12), gilt auch in der Zeit der 1000 Jahre noch: „Durch einen Menschen ist die Sünde gekommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben“.

Aber die Macht der Sünde wird eingedämmt sein, weil der Teufel nicht mehr umhergehen darf wie ein brüllender Löwe und suchen, welchen er verschlinge“ (1. Petri 5, 8).  Und man wird, ohne unberechtigte Folgerungen zu ziehen, wohl hinzufügen dürfen: auch die Macht des Todes wird eben damit eingedämmt sein; nicht daß kein Tod oder Verwesung mehr wäre, aber in dem Sinn von Jes. 65, 20.22: „Nicht wird es mehr geben ein Kind von wenigen Tagen oder einen Greis, der nicht voll auslebte seine Tage … Denn wie das Alter der Bäume wird das Alter meines Volkes sein“.

„Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch“, d.h. mit Sünde behaftet und dem Tod verfallen: so wird es bleiben, aber die Menschheit steht nicht mehr unter der Macht eines Fürsten der Welt; es gibt also sündige Menschen, aber kein Reich der Sünde, keine organisierte Macht der Bosheit mehr. Daß äußerlich und innerlich durch den Antichrist und den falschen Propheten das Böse zu einer einheitlich die Welt beherrschenden Macht geworden ist, wird das Kennzeichen der letzten Zeit vor der Bindung des Fürsten der Bosheit noch deutlicher sein als wir es jetzt schon erleben; und diese Organisation, welche die einzelnen Menschen und die Volksgemeinschaften blind und willenlos der satanischen Führung und Verführung ausliefert, wird mit der Wegnahme des Oberhauptes, des Drachen und seiner Werkzeuge, des Weltherrschers und des Weltpropheten, gründlich zerfallen und vernichtet sein. Was das bedeuten wird, wenn Lüge, Haß, Mordgier nicht mehr Millionen Einzelne und ganze Völker blenden und zu teuflischem Wüten verführen darf, das ahnen wir in unseren bösen Tagen mit sehnlichem Verlangen.  Kein sündiges Reich mehr, sondern eine Herrschaft des Christus auf Erden!  Wer sollte nicht einstimmen in das Halleluja, das im Voraus durch das 19. Kapitel hindurch erklungen ist!

Nun ist Freiheit und Friede auf Erden!  Aber ein Meer der Trübsal ist, ehe es soweit kam, über die Gemeinde Christi während der antichristlichen Zeit hingeflutet, Ströme unschuldigen Blutes (17, 6) sind vergossen.  Soll bei dem Triumph der Gemeinde auf Erden nun der Erschlagenen nicht gedacht werden?  Sollen nicht auch sie jetzt zu ihrem Rechte kommen?  Johannes sieht eine von Gott bestellte Gerichtsversammlung, V. 4.  Wer die Richtenden seien, deutet er nicht an. Man hat schon gesagt: die 12 Apostel; aber wenn Johannes wollte, daß wir an sie denken, hätte er wohl von 12 Stühlen geschrieben (vergleiche Matthäus 19, 28). Ihm liegt, wie es scheint, nur daran, uns zu sagen: ein Rechtsspruch im Namen Gottes ergeht.  Und inkraft dieses Rechtsspruchs bekommen die das Leben zurück, die unter der Herrschaft des Tieres treu geblieben sind und um Jesu willen „ihr Leben nicht geliebt hatten bis in den Tod“.

Es sind die, welche hingerichtet worden sind, weil sie das, was Jesus bezeugt und was Gott durchs Wort geoffenbart hat, festgehalten und bekannt haben,  und weil sie eben in dieser Treue gegen Gott und den Heiland sich nicht vor dem Beherrscher der Welt und vor seinem Bild gebeugt, noch das Zeichen seiner Herrschaft sich haben aufdrücken lassen. Diese „lebten“, so wie es 2, 8 von ihrem Herrn heißt:  „er war tot und wurde lebendig“.  Sie stehen also leiblich vom Tode auf, wie solches kurz zuvor die beiden Männer erlebt haben, welche in hervorragendem Sinn Christi Zeugen in der antichristlichen Zeit gewesen sind (11, 3ff.), und welche ihr Herr zu seiner Zeit der Macht des Weltherrschers preisgegeben hatte, um sich um so herrlicher an ihnen zu bezeugen.

Wo werden die Wiedererweckten fortan leben?  Gewiß nicht auf Erden, sondern dort, wo auch die wiedererweckten zwei Zeugen (11, 12) entrückt worden sind, im Himmel. Sie werden so wenig auf dieser Erde unherwandeln als die Matth. 27, 53 Genannten, denn sie sind nicht in Fleisch und Blut zum Wiedersterben auferstanden., wie der Jüngling von Nain oder Lazarus, sondern zu verklärtem Leben wie Christus.  Das „Wie“ auszudenken, ist uns Erdenbewohnern versagt.  Nur das vernehmen wir, und zuallermeist sollen die es hören, welche die antichristliche Zeit erleben werden: es ist der Mühe wert, sogar in der höchsten Qual auszuhalten, die wir Heutigen noch gar nicht kennen; denn die, welche dem „Tier“ werden widerstanden und also vor andern Schweres werden erduldet haben, die sind auch vor andern selig zu preisen und sind, wenn sie aus dem Tod erwachen, Gottes völliges Eigentum, d.h. „heilig“ für ewig. Sie sind dem entflohen, was der großen Zahl derer bevorsteht, welche in der antichristlichen Drangsal untreu geworden sind; kein Gericht noch Urteil kann sie mehr vom Gott des Lebens trennen,  „der andere Tod hat keine Macht über sie“.

Vielmehr haben sie allezeit freien Zutritt in den himmlischen Tempel, vollkommene Gemeinschaft mit Gott und mit Christus. Und mit ihrem Herrn werden Sie teilhaben an seinem Friedensregiment über die von Satan befreite Erde die tausendjährige Zeit hindurch. Freilich wird dann Satan diese Friedensherrschaft wieder stören, aber wenn ihr Herr einst alle Feinde für ewig unterworfen haben wird und selbst seine Königsherrschaft dem Vater übergibt (1. Kor. 15, 24ff.), dann wird ihr Herrschen ja auch eine andere, aber gewiß nur eine herrlichere Gestalt gewinnen.

Man gibt sich in bibelgläubigen Kreisen vielfach Mühe, das, was hier ausdrücklich gerade den Blutzeugen der antichristlichen Zeit verheißen ist, auf alle Blutzeugen der christlichen Kirche, ja sogar auf alle „Auserwählten“ auszudehnen. Aber das Schweigen des Textes zeugt allzu stark gegen diese Annahme, die vielen ein Lieblingsgedanke geworden ist, ohne dadurch ein Wahrheitsgedanke geworden zu sein. Es wäre doch kaum zu begreifen, daß die Offenbarung so genau den Kreis derer, die auferstehen sollen, umgrenze und dennoch die Auserwählten und Blutzeugen aller Zeiten mit einschließen wolle, die diese letzte Zeit gar nicht erlebt, das Tier und sein Bild nicht zu Gesicht bekommen haben und für die es sich niemals darum handeln konnte, mit seinem Malzeichen ihre Stirn oder Hand zu bezeichnen. Freilich beruft man sich auf andere Weissagungen des Neuen Testaments, aus welchen hervorgehen soll, daß diese „erste Auferstehung“ allen Christusgläubigen zugänglich sei.  Dabei wird aber übersehen, daß nirgends die Auferstehung beginnen soll, ehe der Herr Christus zum jüngsten Gericht erscheint, das dem Tausendjährigen Reich nicht vorausgehen, sondern nachfolgen soll (Vers 11ff). Johannes weiß nicht von zwei durch ein Jahrtausend getrennten verschiedenen Stunden, sondern nur von einer Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, von Christus hervorgerufen werden sollen zum „Leben“ oder zum „Gericht“ (Joh. 5, 28f.), und Jesu größte Verheißung ist nach diesem Apostel, daß er die Seinigen, die sein Fleisch und Blut in sich aufnehmen, also aufs innigste und wunderbarste mit ihm vereinigt sind, auferwecke am jüngsten Tag. (Joh. 6, 39.40, 54).  Das wird „seine Stunde“ sein. Sie wird beginnen damit, daß er in den Wolken des Himmels sichtbar erscheint und zuvörderst seine Auserwählten sammeln wird (Matth. 24, 31); und zwar werden, wie Paulus die besorgten Thessalonicher versichert, hiebei die, welche gestorben sind, keineswegs verkürzt sein, vielmehr „zuerst auferstehen“, und dann erst wird diese Versammlung sowohl der Verstorbenen als der Lebenden dem vom Himmel kommenden Jesus entgegen sich vollziehen (1. Thess. 4, 13ff.).

Weil sie ihm entgegenziehen dürfen, wird sein Einzug in die Welt vom Himmel her erfolgen in Begleitung „seiner Heiligen und wunderbar mit allen Gläubigen“ (2. Thess. 1, 10). Damit klingt auch zusammen, was Paulus 1. Kor. 15, 23 schreibt: Wenn Christus kommen wird, werden zuerst auferstehen, welche Christus angehören, dann wird „das Ende“ folgen. von dem, was dieses Ende in sich schließe, zu reden, hat Paulus in jenem Zusammenhang keinen Anlaß: es ist gewiß das, was in unserem Kapitel von V. 11 an folgt:  Auferweckung der Toten, die nicht „Christo angehörten“, Weltgericht, Untergang der alten Schöpfung.  Auch Phil. 3, 11 führt ganz auf dieselbe Hoffnung wie 1. Kor. 15 und 1. Thess. 4.

Wenn manche Erklärer das Wort „Auferstehung der Gerechten“ mit der „ersten Auferstehung“ unsrer Stelle, also mit der Auferstehung zum tausendjährigen Reiche gleichsetzen, so hieße das, daß alle uneigennützige Taten der Nächstenliebe zum tausendjährigen Reich berechtigen; in Wahrheit aber redet Christus dort nicht von zwei der Zeit nach, sondern von zwei der Art und dem Ergebnis nach verschiedenen Auferstehungen ganz wie Joh. 5, 29.

Wir Heutigen, die wir noch nicht in der antichristlichen* Zeit und in der furchtbarsten aller Drangsale leben, wollen zu unserer Zeit uns üben, dem Lamm zu folgen, wie und wohin es uns führt.  Wir freuen uns für die Erde und für die Menschheit, daß sie noch eine Zeit sehen soll, da kein Fürst der Finsternis mehr sein Wesen treiben wird; für uns selber aber und für alle entschlafenen, die jene Zukunft der Erde nicht erleben werden, freuen wir uns, das wird so Auferstehung für jene Welt sollen bereitet werden, wohl nichts mehr an die unvollkommene Vergängliche und Befleckte dieses irdischen Lebens erinnern wird.

Gott mache uns inkraft der Auferstehung unsres Erlösers zu solchen „Kindern der Auferstehung“, die in der Neuschöpfung aller Dinge  „den Engeln gleich und Gottes Kinder sind“ (Luk. 20, 35f.), bis dorthin aber  „in des Vaters Haus, wo viele Wohnungen sind“ (Joh. 14, 2) warten auf die Auferweckung des Leibs am Jüngsten Tag.

* Der große Widerchrist, den Daniel Kap. 11, 36. u. ff. einen König, und Johannes Offenb. 17, 11. den Achten an dem siebenköpfigen Tiere nennt, war zur Zeit der Apostel noch nicht gekommen, und ist noch jetzt nicht vorhanden, obwohl seine Ankunft nahe ist, und der überhandnehmende Abfall von der christlichen Religion und die sehr gemeine Geringschätzung der Wahrheit ihm den Weg hurtig bahnen; es sind aber doch schon zur Zeit der Apostel viele, und indessen noch mehrere Widerchristen geworden. (Magnus Friedrich Roos)

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Quelle:

Christian Römer, weil. Prälat und Stiftsprediger zu Stuttgart: Die Offenbarung des Johannes, in Bibelstunden erläutert, S. 202-209 (Verlag von D. Gundert, Stuttgart 1916)


Eingestellt am 20. August 2024 – Letzte Überarbeitung am 21. August 2024