Eine wahre Geschichte vom »Oberlicht« (Samuel Keller)

Ein höherer Beamter macht eine Amtsreise, bei der er gerade auf Karfreitag in einem abgelegenen Örtchen im Gebirge Rasttag hält. Es regnet in Strömen und er ist auf das kleine Bauernwirtshaus angewiesen, wo er logiert. Eine evangelische Kirche gab es nicht am Ort. Was wird das für ein Karfreitag werden, seufzt der Herr innerlich. Da tritt nach dem Frühstück die Wirtin auf ihn zu, legt ein kleines Buch vor ihn hin und sagt:

»Damit Sie heute auf Karfreitag etwas rechtes zu lesen haben, borge ich Ihnen dieses Büchlein, das mir viel Segen gebracht hat!«

Es war mein »Oberlicht.«

Nach Jahr und Tag lernt mich der Beamte erst persönlich kennen, erzählt mir von dem Segen, den er an jenem verregneten Karfreitag von dem Büchlein gehabt und schließt mit den Worten:

»Es ist Ihr bestes; wenigstens für mich!«

(Samuel Keller)

Quelle: Projekt Gutenberg

  • Oberlicht, Erzählungen für jung und alt. Kassel 1899

Eingestellt am 24. September 2024