Und es geschah, daß er lange Zeit zu Joppe blieb bei einem Simon, der ein Gerber war. (Apg. 9, 43)
Gott meines Lebens, wie schlecht genutzt, wie fruchtlos dahin geschwunden ist die Zeit, welche Du mir gabest, Deinen Willen zu tun! Wie lange Jahre, wie viele Tage und Stunden sind mir verloren gegangen, in denen ich ohne Gewinn vor Dir gelebt habe! Wie werde ich vor Deinem Gerichte bestehen? Wie werde ich meine Augen erheben können zu Deinem Antlitz bei jener großen Prüfung, wo Du mir in’s Gedächtnis zurückrufest alle meine Sünden und Schanden? Gnädigster Vater, erbarme Dich über mich, wie Du Dich über Saulus erbarmt hast, und vergib meine verlorne, ach leider so lange Zeit!
Und nun entbrennet, alle meine Wünsche und lenket euch zum Herrn Jesu hin; laufet, denn ihr habet lange genug gezögert; eilet, wohin ihr gehet; suchet, den ihr suchet! Ihr suchet Jesum von Nazareth den Gekreuzigten; denn um Seinetwillen allein sollt ihr da sein. Er ist aufgefahren gen Himmel, Er ist nicht hier (Matthäus 28, 6). Er ist nicht, wo Er sein edles Haupt nicht betten konnte. Er ist nicht, wo Er stand, um von Pilatus gerichtet zu werden. Er ist nicht, wo Er angespieen und gegeißelt ward, wo Er verwundet mitten unter Verbrechern hing. Er ist nicht, wo Er vom Steine verschlossen und von der Wache verwahrt lag. Hoch über die Himmel, über alle Herrlichkeit der Engel ist Er mächtig emporgestiegen zur Rechten des Vaters. Von da aus ergreift Er jeden Sünder mit seiner Gnade und fragt ihn: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Wer noch klagen will, daß Er ihn nicht geweckt habe, der muß fester schlafen als die Siebenschläfer, der muß die Decke der Sünde und Verblendung bis über die Ohren heraufgezogen haben. Von da aus hast Du auch mich gerufen, Herr Jesu, o wie oft seit meiner Geburt an!
O hilf, daß ich höre und nicht wider den Stachel ausschlage, damit ich auch ein Paulus werde, mit Deiner wahren Gemeinde Frieden habe und Trost des heiligen Geistes, und wie Tabea aus dem Tode erweckt werde, und Deine Herrlichkeit sehe.
Amen.
(Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
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In diesem Kapitel beschreibt uns der Evangelist Lukas ein Exempel der göttlichen Güte und Barmherzigkeit an der Bekehrung des Saulus, welcher bisher ein heftiger Feind und Verfolger der Jünger und des Namens Jesu gewesen, sich über den Tod des frommen Stephanus gefreut – und denen, welche ihn gesteinigt, die Kleider bewahren helfen; auch hatte er die Gemeine, welche in der Stadt Jerusalem von den Aposteln mit so vielem Segen gepflanzt und angerichtet war, zerstört und zerstreut, ja diejenigen, welche die Taufe angenommen – und Jesum für den wahren Messias und Sohn Gottes bekannt, allerorten hervorgesucht, in’s Gefängnis geworfen – und durch allerlei Schmach und Marter gezwungen, den allerheiligsten Namen Jesu zu lästern, war zugegen gewesen, wenn sie um ihres Glaubens willen getötet wurden, und hatte sich in Summa als ein Werkzeug des Satans gebrauchen lassen.
Da dieser Saulus noch schnaubte mit Drohen und Morden wider die Jünger Jesu – und jetzt samt seinen Gefährten auf dem Weg nach der großen Stadt Damaskus begriffen war, des ernstlichen Vorhabens, auch daselbst seinen blinden Eifer durch Gefangennehmung der Jünger Jesu sehen zu lassen – und der Predigt des Evangelii Einhalt zu tun, wirft ihn ein Licht, das heller war, denn der Sonne Glanz, und das ihn auf der Straße am hellen Mittag umleuchtete, plötzlich zu Boden, und da zeigt sich ihm zugleich der Herr Jesus selber, der ihm erstlich zuruft: „Saul, Saul, was verfolgst du Mich?“ und darauf hinzusetzt: „Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken.“
Hiemit wurde ihm zu seinem äußersten Schrecken zu erkennen gegeben, daß er sich in seiner bisherigen Blindheit vergeblich eingebildet habe, als wäre an der Auferstehung Jesu von den Toten nichts, und es könne also Jesus von Nazareth niemand weder schaden noch helfen. Denn hier lehret ihn die Stimme des Heilandes, daß Jesus allerdings lebe – und zur Rechten Gottes erhöhet sei, auch alles wisse, was Saulus bis dahin wider Seine Jünger zu Jerusalem vorgenommen – und noch im Sinn habe; womit er denn Jesum selber in Seinen Gliedern und Untertanen verfolgt.
Allein da muß Saulus für’s andere vernehmen, wie er es nicht mit bloßen schwachen Menschen zu tun habe, die seiner von den Hohenpriestern und der Obrigkeit im Land unterstützten Gewalt nicht widerstehen konnten, sondern mit der der göttlichen Kraft des HErrn Jesu, und wie er ebenso unbesonnen handle, als ein Zugvieh oder ein junges, unbändiges Kalb, welches, wenn es mit einem spitzigen Stab oder Stachel getrieben wird, seinen Weg fortzugehen, hinter sich ausschlägt – und sich selbst am meisten beschädigt.
So nämlich haben je und allewege die Feinde der Kirche nicht verstehen wollen, daß sie in ihrer Grausamkeit und Wut gegen die Rechtgläubigen und Jünger Jesu mit Gott selber streiten – und am Ende ihnen selbst ein schweres Zorngericht verursachen.
Indem aber Saul mit Zittern und Zagen fragt: „HErr, was willst Du, daß ich tun soll?“ und der HErr ihn aufstehen und in die Stadt gehen heißt, lernen wir daraus, was durch die rechtschaffene Bekehrung bei dem Menschen gewirkt werde, welcher nunmehr durch den Schrecken des göttlichen Zorns im Gewissen gerührt, niedergeschlagen und vom heiligen Geist erleuchtet ist, nämlich, daß man sich Gott ganz und gar unterwirft und ergibt, nach dessen Willen zu glauben, zu leben und zu sterben.
Und weil sodann Saulus drei Tage lang blind gelassen worden, bis Ananias zu ihm kommt – und ihn unterrichtet und tauft, so daß er auf einmal leiblich und geistlich wieder sehend, ja durch den heiligen Geist so gestärkt wird, daß er mit großer Freudigkeit, wiewohl nicht ohne große Gefahr und Nachstellung von den ungläubigen Juden und Griechen, Jesum predigt, daß Er Gottes Sohn sei, – daraus sieht man, wie Gott das ordentliche Predigtamt und die Handlung der heiligen Sakramente bestätigt, auch überschwänglich mehr an einem Menschen tun kann, als man bittet oder versteht.
Hier ist nämlich aus einem reißenden Wolf nicht nur ein zahmes Schäflein, sondern sogar ein treuer Hirt der Herde, aus einem abgesagten Lästerer, Schmäher und Verfolger Jesu ein Jünger, ja ein Lehrer und teurer Apostel worden, der durch göttliche Gnade zur Förderung des Christentums und Ausbreitung des Namens Jesu als ein auserwähltes Rüstzeug viel geholfen, Jesu Namen getrost und ohne Scheu vor der ganzen Welt getragen – und um dessen willen unzählig vieles Leiden williglich erduldet hat, um des Namens Jesu willen, dessen Kraft und Macht, wie in diesem Kapitel ferner folgt, sich auch in andern Wundern und Zeichen, in Gesundmachung des kranken Aeneas – und Auferweckung der gutherzigen Tabea zu Joppe, durch Petrus bewiesen hat.
Das soll denn einerseits uns allen einen Mut erwecken, daß wir bei unsern großen und schweren Sünden an Gottes Gnade und Barmherzigkeit nicht verzagen, weil uns der HErr JEsus an diesem Seinen Apostel ein Exempel aller Geduld gezeiget hat, andererseits aber uns auch erwecken, in die Fußtapfen des bekehrten Saulus einzutreten, damit Gottes Name und Ehre, die wir zuvor mit unserm sündlichen Leben verunehret, an unserm Leib und Geist gepriesen und verherrlichet werden möge.
Das gebe der gütige Vater im Himmel – um Jesu willen – durch die Kraft des heiligen Geistes.
Amen.
Quelle:
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