(1857)
Indem es mir vergönnt ist, die vorliegende Schrift zum zweiten Mal hinausgehen zu lassen, bin ich auf’s Neue von der Verantwortlichkeit durchdrungen, welche mit dem öffentlichen Reden über eine so schwierige und ernste Sache, wie das prophetische Wort, verbunden ist. Was mich dabei ermuthigt, sind die mancherlei zustimmenden Zeugnisse, welche, zum Theil recht aus den Kampfesmühen der Christen in dieser Welt heraus vernommen, mich in der Ueberzeugung befestigt haben, es sei etwas von oben Geschenktes in dem Buche, wodurch dasselbe der Gemeinde des Herrn in der Gegenwart einen Dienst leisten könne. Dabei habe ich aber die Stimmen der Critik, auch wo sie von entgegengesetzten Standpunkten aus und in schneidendem oder gar wegwerfendem Tone gehandhabt wurde, nicht un beachtet gelassen und mich redlich bemüht zu lernen, was daraus zu lernen war. Ebenso sind, wie sich von selbst versteht, die unterdeß erschienenen, selbständigen Werke, die in dies Gebiet einschlagen, so wie etliche frühere Schriften über die Off. Joh. verglichen und benützt worden; wozu noch eigene ausführliche Beschäftigung mit der alttestamentlichen Prophetie und einige neue Einsichten in die Apokalypse kamen. Für die critische Frage wurden die wichtigsten historischen Schwierigkeiten bei Daniel neu untersucht und dabei die assyrischen, babylonischen und persischen Forschungen der letzten Jahre nach Kräften zu Rathe gezogen. Ich habe in dieser Beziehung Herrn Dr. Brandis in Bonn für die eingehende und freundliche Weise, in welcher er mir meine Fragen beantwortete, warmen Dank zu sagen. Dieß alles hat dem Buche, wie zu hoffen steh,t da und dort Gewinn gebracht, den Grundanschauungen desselben aber zu neuer Bestätigung gedient. So sehr mir daher wieder die mancherlei Schwierigkeiten
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vor die Seele getreten sind, welche in den beiden Apokalypsen, z.B. Dan. 9 u. Off. 12, sich finden, so ernstlich ich mich vor dem Fehler mancher Apokalyptiker und sonstiger Bibelforscher hüten möchte, die eigene Auslegung als die über jeden Zweifel erhabene zu betrachten, und so gewiß es ist, daß wir alle noch lange nicht an die ganze Höhe und Fülle des Wortes der Weissagung hinanreichen, sondern auch im besten Falle nur Fingerzeige für das Verständniß nach dem Maaße unserer Zeit zu geben vermögen: so habe ich mich doch in keinem wesentlichen Punkt veranlaßt gefunden, von der in der ersten Auflage vertretenen Deutung abzugehen, wohl aber konnten im Einzelnen manche Verbesserungen, Bereicherungen, präcisere Fassungen gegeben werden.
Auch jetzt ist es mir nicht um einen eigentlichen Commentar über die beiden Apokalypsen zu thun, namentlich über die Off. Joh. würde ich einen solchen noch nicht zu geben wagen, sondern es handelt sich in den nachfolgenden Blättern um die Deutung der symbolischen Hauptgestalten nach der Schriftanalogie und auf Grund hievon um die Hauptzüge des göttlichen Reichsganges oder der biblischen Geschichtsphilosophie. Daß die Prophetie alle Dinge im Lichte des Endes anschaut, d. h. im Lichte derjenigen Epoche, wo der jetzige Welt= und Kirchenbestand dem Gericht anheimfällt, um einer neuen Ordnung der Dinge Platz zu machen, welche der wiederkommende Herr gründen wird, ─ dieser Grundsatz ist mir dabei von immer tieferer Bedeutung geworden; ebenso aber auch die Aufgabe, aus dem Worte der Weissagung gleichwohl das herauszustellen, was schon jetzt der Gemeinde zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit dient. Wenn unsere Theologen im Allgemeinen es noch immer erst lernen müssen, dem eschatologischen Lehrgehalte der Schrift die rechte Aufmerksamkeit zu schenken 1), so darf man wohl auch denen, die hiemit einen guten wissenschaftlichen Anfang gemacht haben, wünschen, daß sie den praktischen Ernst dieser Lehren und das Licht, das uns durch dieselben für unser ganzes christliches und kirchliches Thun angezündet wird, immer mehr möch=
1) Vgl. darüber D o r n e r ’s Bemerkungen in seiner Abhandlung: die deutsche Theologie und ihre Aufgaben in der Gegenwart, Jahrbb. für deutsche Theol. I, S. 15 ff.
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ten durchwirken lassen. Umgekehrt wird die christliche Betrachtung der Zeit und ihrer Zeichen die Weihe der Kraft und der Wahrheit erst dann erhalten, wenn sie sich nicht schäm,t eine demüthige Jüngerin des prophetischen Wortes zu sein, das man denn doch weder mit Herausgreifung einiger allgemeinen Sätze verstanden, noch mit etlichen geringschätzigen Kategorieen wie Chiliasmus u. dgl., beseitigt hat, und das freilich manche sich groß dünkenden Anschauungen, manche wohlgemeinten, aber ohne die rechte Erkenntniß der Wege Gottes entworfenen Zukunftsbilder und Rettungspläne einer ernsten Geistescritik unterwirft. Die Prophetie nicht ohne Beurtheilung der Zeichen der Zeit, aber auch die Beurtheilung der Zeichen der Zeit nicht ohne die Prophetie! ─
_ Allerdings ist bei Daniel die critische und bei der Off. Joh. die exegetische Frage der Art, daß es, wenigstens bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft, Manchem schwer werden kann, eine Ansicht wie die in den nachfolgenden Blättern vertretene sich anzueignen. Und in der jetzigen Zeit, wo so Viele mit einer schreckenerregenden Geschwindigkeit rechtgläubig werden, muß es ja Allen, denen das Christenthum Geist und Leben, Evangelium und nicht Gesetz ist, doppelte Pflicht sein, darauf hinzuweisen, daß redliche Zweifler besser sind als unbekehrte Orthodoxe. Einem Thomas erscheint der Herr, den Pharisäern aber thut er so wenig ein Wunder als den Sadducäern. Ich schäme mich auch nicht, zu bekennen, daß bei allem Bestreben, die Wahrheit in Liebe zu sagen, doch an einigen polemischen Stellen der ersten Auflage unnöthig harte Ausdrücke gebraucht worden sind, und habe dies namentlich dem verewigten Lücke gegenüber, der sich ve letzt gefühlt hatte, gerne zugestanden, so daß mir die Beruhigung geworden ist, mit ihm vor seinem Tode noch persönlich ausgesöhnt zu sein.
Auf der andern Seite bin ich Angesichts derer, welche meine „strenggläubige“ Schrift wissenschaftlich mundtodt erklären wollten, der getrosten Zuversicht, die Anforderungen gesunder, ernster Wissenschaft keineswegs vernachlässigt zu haben, und freue mich um der Sache willen, daß das von competenten Stimmen anerkannt worden ist. Eine Erinnerung hieran mag um so mehr gestattet sein, da es nicht blos auf naturwissenschaftlichem und philosophischem, sondern auch auf theologischem, zumal alttestamentlichem Gebiete noch weitverbreitete
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Richtungen giebt, welche Glauben und Wissenschaft einander entgegensetzen. Daß ich aber von meinem Bibelglauben, auch wenn derselbe theologischer Hochmuth oder noch ärger gescholten wird, Nichts abgebe und mich vor Gottes Wort mehr fürchte als vor großen wissen chaftlichen Autoritäten, darüber will ich mich nicht vertheidigen.
_ Beugung unter das Wort ist nicht Knechtschaft unter den Buchstaben. Die wahre Stellung in dieser Hinsicht ist von dem Herrn selbst als die des Freundes bezeichnet, dem er Alles, was er von seinem Vater gehört hat, kund thut, d. h. frei zu innigem Geistesverständniß ausschließt. Von hier aus erscheint dann allerdings Vieles, was jetzt eine Behandlung der Bibel in freierem Geiste heißt, nicht als vom Odem der wirklichen Freiheit, die von dem Sohne kommt, durchhaucht, sondern als eine Knechtesarbeit, welche gewiß in ihrer Sphäre ehrenwerth ist, aber nur nicht eingeweiht in den Geist und die Geheimnisse des Hauses, in die großen Gedanken des Hausvaters. Als Gefreite Christi aber, als evangelisch Freie werden wir ja in höherem Sinne wieder Knechte Gottes, die sich von seinem Worte gerne weisen lassen, weil sie es als das Licht auf ihrem Wege erkennen, und deren Sache es auch in der Wissenschaft nicht ist, Gesetz und Propheten aufzulösen. Da liebt und ehrt man dann die Bibel nicht aus befangenem, ängstlichem Halten am Hergebrachten, auch nicht blos aus Bedürfniß nach einer äußeren Autorität, sondern man liebt sie, weil man in ihr lebt. Sie ist uns Kanon nicht im Sinne eines Gesetzbuches, dessen Joch uns schwer würde, sondern im Sinne eines gottmenschlichen Zeugnisses von gottmenschlichen Thaten. Sie ist uns eine frohe Botschaft aus der verlorenen Heimath, der Adelsbrief unseres Geschlechtes, den die Menschen nicht zerreißen können, ohne sich selbst die Krone vom Haupte zu nehmen. Wo man sich von ihr „frei“ macht oder ihre Wahrheiten abschwächt, da kann man nur Einbuße erleiden, weil man von der lichten Höhe des Leben,s zu dem unser Geschlecht erschaffen und erlöst ist, zu dem es in den kommenden Aeonen erneuert werden soll, herabsteigt in die dumpfen Thäler der Sünderwelt und das hier Wirkliche immer irgendwie schon für das Vernünftige und Vollkommene nimmt. Jene lichte Höhe liegt noch weit über uns; aber eben darum ist es uns um’s Emporsteigen zu thun, wir wollen nicht herunterkommen.
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