Wache auf der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten. (Epheser 5, 14)
In meiner Rede über diese Worte will ich mit der Hilfe Gottes
I. die Schläfer beschreiben, zu denen sie gesprochen sind;
II. die Ermahnung einschärfen: „Wache auf der du schläfst, und stehe auf von den Toten;“ und
III. die Verheißung erklären, welche solchen, die aufwachen und aufstehen, gemacht ist: „Christus wird dich erleuchten.“
I.
Wollen wir die Schläfer, zu denen hier gesprochen wird, betrachten. – Unter diesem Schlaf verstehen wir den natürlichen Zustand des Menschen, den tiefen Schlaf der Seele in welchen die Sünde Adams alle seine Nachkommen versenkt hat; die Trägheit, Nachlässigkeit und Stumpfheit, die Gefühllosigkeit betreffs des wahren Zustandes, in welchem jeder Mensch in die Welt kommt, und in welchem er verharrt, bis er durch Gottes Stimme erweckt wird.
„Die da schlafen, die schlafen des Nachts“; 1. Thess. 5, 7 – Der Zustand unserer Natur ist ein Zustand gänzlicher Finsternis, ein Zustand, von dem es heißt: „Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker“; Jes. 60, 2. Der arme unerweckte Sünder, wie viel Erkenntniß er auch in andern Dingen haben mag, hat keine Erkenntnis seines Selbst; in dieser Hinsicht „weiß er noch nichts, wie er es wissen soll“. Er weiß nicht, daß er tief gefallen ist, und daß es sein Hauptbestreben in dieser Welt sein soll, sich wieder zu erholen von seinem Fall, um das Ebenbild Gottes wieder zu erlangen, worinnen er erschaffen war. Er sieht nicht ein, daß e i n e s not thut: die innere, völlige Umwandlung, die Geburt von oben, von welcher die Taufe ein Vorbild, und welche der Anfang ist von der gänzlichen Erneuerung und Heiligung des Geistes, der Seele und des Leibes, „ohne welche Niemand den Herrn sehen wird“; Hebr. 12, 14.
Voller Krankheit, wie er ist, glaubt er sich in völliger Gesundheit; festgebunden mit Ketten des Elends, träumt er, glücklich und in Freiheit zu sein. Er sagt: „Friede, Friede!“, während der Teufel, als ein starker Gewappneter (Lukas 11, 21), im vollen Besitz seiner Seele ist. Er schläft dennoch fort und pflegt der Ruhe, obgleich die Hölle gegen ihn im Anzug ist, obschon der Abgrund, dem er nicht mehr ausweichen kann, gähnt, um ihn zu verschlingen. Ein Feuer ist um ihn her angezündet, doch er weiß es nicht; ja es brennt ihn, doch nimmt er’s nicht zu Herzen.
Unter einem Schlafenden haben wir daher zu verstehen (und wollte Gott; daß wir Alle es recht verstehen!) einen Sünder, völlig zufrieden in seinen Sünden, der sich begnügt, in seinem verlornen Zustand zu bleiben; zu leben und zu sterben ohne das Ebenbild Gottes; einen Menschen, dem seine Krankheit ebensowohl als das einzige Heilmittel unbekannt ist. Einen, der noch niemals wirksam gewarnt wurde, oder noch nie der warnenden Stimme Gottes achtete, „dem zukünftigen Zorn zu entfliehen“; Matth. 3, 7. Einen, der noch niemals einsah, daß er in Gefahr des höllischen Feuers ist, oder noch nie im Ernste ausgerufen hat: „Was muß ich thun, um selig zu werden?“ (Apg. 16, 30).
Ist dieser Schläfer nicht äußerlich lasterhaft, so ist gewöhnlich sein Schlaf am tiefsten. Mag er laodicäisch gesinnt sein, „weder kalt noch warm“ (Offb. 3, 14-16); ein ruhiger, verständiger, argloser, gutmütiger Bekenner der Religion seiner Väter, oder mag er eifrig und rechtgläubig sein, „nach der strengsten Sekte ein Pharisäer“, und sich bemühen seine eigene Gerechtigkeit zum Grund seiner Annahme bei Gott aufzurichten.
Solch ein Schläfer besitzt einen Schein der Gottseligkeit und verleugnet ihre Kraft, ja er verlästert sie vielleicht sogar, wo er sie findet, als eine bloße Schwärmerei und Selbsttäuschung. Dabei dankt der elende Selbstbetrogene Gott, daß er nicht ist wie andere Leute, Hurer, Ungerechte oder Zöllner. Nein, er thut niemand unrecht. Er fastet zweimal in der Woche, gebraucht alle Gnadenmittel; geht regelmäßig in die Kirche und zum heiligen Abendmahl; er giebt den Zehnten von allem, was er hat; er thut so viel Gutes, als er thun kann und ist „nach der Gerechtigkeit im Gesetz unsträflich“, Phil. 3, 6. Ihm mangelt von der Gottseligkeit nichts als die Kraft; von der Religion nichts als der Geist; vom Christentum nichts als die Wahrheit und das Leben.
Aber wisset ihr nicht, daß, wie hoch auch immer ein solcher Christ von den Menschen geachtet sein mag, er dennoch ein Greuel in den Augen Gottes und ein Erbe von jenem Wehe ist, welches der Sohn Gottes gestern, heute und in Ewigkeit wider die Schriftgelehrten, Pharisäer und Heuchler ausgesprochen hat? Er „hält die Becher und Schüsseln auswendig rein“, Matthäus 23, 25, aber inwendig sind sie voller Unflat. Eine böse Krankheit klebt ihm an, so daß sein Inneres voll Bosheit ist. Unser Herr vergleicht ihn höchst passend mit einem „übertünchten Grabe, das von außen hübsch scheint, inwendig aber voller Totenbeine und alles Unflats ist“. Die Gebeine sind freilich nicht mehr verdorrt, das Fleisch ist wieder über sie gewachsen, und sie sind mit Haut überzogen, aber es ist kein Odem in ihnen; kein Geist des lebendigen Gottes. Und „wer den Geist Christi nicht hat, der ist nicht sein“, Röm. 8, 9. Du bist Christi, sobald Gottes Geist in dir wohnt; wo nicht, so bleibst du wahrlich im Tode.
Dies ist eine andere Eigenschaft des Schläfers, zu dem hier gesprochen wird. Er bleibt im Tode, obgleich er es nicht weiß. Er ist Gott abgestorben, „tot in Uebertretungen und Sünden, denn fleischlich gesinnt sein, ist der Tod“. Wie es geschrieben steht: „Gleichwie durch einen Menschen die Sünde gekommen ist in die Welt, und der Tod durch die Sünde, und ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen“, Röm. 5, 12; nicht nur der zeitliche Tod, sondern auch der geistliche und ewige. „Welches Tages du davon issest (sprach Gott zu Adam), wirst du des Todes sterben“; nicht leiblich (ausgenommen, insofern er damals sterblich wurde), sondern geistlich. Du wirst das Leben deiner Seele verlieren, du wirst Gott absterben; wirst getrennt sein von Ihm, von deinem eigentlichen Leben und deiner Glückseligkeit.
Damals wurde unsere lebendige Vereinigung mit Gott in soweit aufgelöst, daß wir nun mitten in unserem natürlichen Leben uns im geistlichen Tode befinden. Hierin verbleiben wir, bis der zweite Adam uns zum geistlichen Leben wird, bis Er die Toten auferweckt, die tot sind in Sünden, verstrickt in Vergnügungen, Reichtum oder Ehre. Aber, ehe eine tote Seele zum Leben kommt, hört sie die Stimme des Sohnes Gottes; empfindet ihren verlorenen Zustand und empfängt das Urteil des Todes in sich selbst . Der Mensch weiß dann, daß er schon tot ist, während er leiblich noch lebt, Gott und allem Göttlichen abgestorben. Er hat nicht mehr Kraft, die Pflichten eines lebendigen Christen zu erfüllen, als ein Leichnam hat, die Handlungen eines lebendigen Menschen zu verrichten.
Und es ist ebenso wahr, daß Jemand, der in Sünden tot ist, keine geübten Sinne besitzt, um in geistlicher Hinsicht Gutes vom Bösen zu unterscheiden; „mit sehenden Augen sieht er nicht, mit hörenden Ohren hört er nichthttps://bibeltext.com/1_john/1-1.htm. Er „schmeckt und sieht noch nicht, wie freundlich der Herr ist“, er hat Gott noch niemals erkannt, noch Seine Stimme gehört , noch das Wort des Lebens betastet, 1. Joh. 1 , 1. Der Name Jesus ist ihm nicht wie „eine ausgeschüttete Salbe, und Seine Kleider haben für ihn nicht den Geruch von Myrrhen, Aloe und Kezia“, Hohel. 1 , 2; Ps. 45 , 9. Die Seele , die im Todesschlafe liegt , hat keinen Begriff von Gegenständen dieser Art. Das Herz ist ohne Gefühl und vernimmt nichts davon.
Und weil der natürliche Mensch keine geistlichen Sinne, keine Organe zur geistlichen Erkenntnis hat, so nimmt er auch das, was des Geistes Gottes ist, nicht an, nein, er ist so weit entfernt, es anzunehmen, daß alles Geistliche ihm als eine bare Torheit erscheint. Er ist nicht bloß zufrieden mit seiner gänzlichen Unwissenheit in geistlichen Dingen, sondern er leugnet sogar das Dasein dieser Dinge, und die geistliche Empfindung solcher erscheint ihm als die größte Narrheit. „Wie (sagt er) ist das möglich? Wie kann Jemand wissen, daß er in Gott lebt?“ Gerade wie du weißt, daß dein Körper lebendig ist. Glauben ist das Leben der Seele, und wohnt dieses Leben in dir, so brauchst du keine andern Gründe, um es dir zu beweisen. Das göttliche Bewußtsein, das Zeugnis von Gott ist mehr und größer als zehntausend menschliche Zeugnisse.
Wenn Gott deinem Geiste noch nicht das Zeugnis giebt, daß du ein Kind Gottes bist, so bitte Ihn, daß Er dich jetzt davon überzeugen möchte, du armer unerweckter Sünder, durch Beweisung Seines Geistes und Seiner Kraft, daß du ein Kind des Teufels bist! O, daß, während ich weissage, es rauschen und sich regen möchte, und die Gebeine zusammen kämen, ein jeglich zu seinem Gebein! ─ „Wind, komm herzu aus den vier Winden, und blase diese Getöteten an, daß sie wieder lebendig werden“; Hes. 37, 9. Und nun verhärtet eure Herzen nicht, und widerstrebet nicht dem heiligen Geist, der gerade jetzt gekommen ist, euch zu überzeugen von der Sünde, „dieweil ihr nicht glaubet an den eingebornen Sohn Gottes.“
II.
„Darum, wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten“. Gott ruft dich nun durch meinen Mund und befiehlt dir, du gefallener Geist, dich selbst, deinen wahren Zustand und dein einziges Geschäft hienieden zu erkennen. Was schläfst du? Stehe auf, rufe deinen Gott an! ob vielleicht Gott deiner gedenken wollte, daß du nicht verdirbst, Jonas 1, 6. Ein mächtiger Sturm hat sich um dich erhoben, und du sinkst in die Tiefe des Verderbens, in den Abgrund der Gerichte Gottes; willst du ihnen entrinnen, so wirf dich selbst in sie hinein. Richte dich selbst, so wirst du von dem Herrn nicht gerichtet werden!
Wache auf , wache auf! Stehe auf diesen Augenblick, du könntest sonst von der Hand des Herrn den Becher Seines Zorns trinken. Raffe dich auf und ergreife den Herrn — den Herrn, deine Gerechtigkeit, die mächtig ist zu erretten. Schüttle den Staub ab; wenigstens laß das Beben vor Gottes Drohungen dich erschüttern. Wache auf und rufe mit dem zitternden Gefängniswärter: „Was soll ich tun, daß ich selig werde?“, Apostelg. 1 , 30., und ruhe nicht eher, als bis du glaubest an den Herrn Jesum mit einem Glauben, welcher Sein Werk ist und gewirkt wird durch den heiligen Geist, Johannes 6, 29.
Wenn ich zu Einem von euch mehr spreche als zum Andern, so ist es zu dir, der du dir einbildest, dich gehe diese Ermahnung nichts an. Ich habe eine Botschaft von Gott an dich. In Seinem Namen warne ich dich: Entfliehe dem zukünftigen Zorn. Du unheilige Seele, beschaue dein Bild in dem verurteilten Petrus, der in dem finstern Kerker daliegt zwischen den Soldaten, mit Ketten gebunden und bewacht von den Türhütern des Gefängnisses. Die Nacht ist beinahe vorüber, der Morgen bricht an, wo du hinausgeführt werden sollst zur Hinrichtung (Apostelg. 12 , 6–8). Und in diesem schrecklichen Zustand bist du fest eingeschlafen; du schläfst sicher in den Armen des Teufels, an dem Rande des Abgrunds und dem Rachen des ewigen Verderbens.
O möchte der Engel des Herrn über dich kommen und das Licht in dein Gefängnis scheinen, und möchtest du fühlen den Schlag Seiner allmächtigen Hand! Möchte Er dich aufrichten mit den Worten: „Stehe behende auf, gürte dich und thue deine Schuhe an, wirf deinen Mantel um dich und folge mir nach“.
Erwache, du unsterbliche Seele, aus deinen Träumen von weltlicher Glückseligkeit! – Hat dich Gott für Sich erschaffen? Dann kannst du nicht ruhen, bis du in Ihm ruhst. Kehre um, du Verirrter, fliehe zurück zu deiner Arche! Hier ist deine Heimat nicht. Gedenke nicht, hienieden Hütten zu bauen. Du bist bloß ein Fremdling, ein Gast auf Erden; ein Geschöpf von einem Tag, das im Begriff steht, in einen unveränderlichen Zustand überzugehen. Eile, die Ewigkeit ist vor der Thür! Deine Ewigkeit hängt ab von diesem Augenblick. Eine Ewigkeit voll Seligkeit, oder eine Ewigkeit voll Elend.
In welchem Zustand befindet sich deine Seele? Sollte sie Gott, während ich spreche, von dir fordern, bist du dann vorbereitet, dem Tod und der Ewigkeit zu begegnen ? – Kannst du bestehen vor dem Angesicht Dessen, dessen Augen zu rein sind, um Ungerechtigkeit anzusehen? Bist du geschickt, teil zu nehmen an dem Erbe der Heiligen im Licht? Hast du den guten Kampf gekämpft, und Glauben gehalten ? Hast du dich des Einen, das not thut, versichert? Hast du das Bild Gottes wieder erlangt, nämlich Gerechtigkeit und wahre Heiligkeit? Hast du den alten Menschen abgelegt und den neuen angezogen? Hast du Christum angezogen?
Hast du Oel in deiner Lampe? Gnade in deinem Herzen? Liebst den Herrn, deinen Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und aus allen Kräften? Bist du gesinnt , wie Jesus Christus auch war? Bist du wirklich ein Christ; das ist, eine nene Kreatur? Ist alles Alte vergangen und alles neu geworden? (2. Kor. 5 , 17).
Bist du teilhaftig geworden der göttlichen Natur? Weißt du nicht , daß „Christus in dir ist, es sei denn, daß du untüchtig bist ?“ (2. Kor. 13, 5). Weißt du, „daß Gott in dir wohnt und du in Ihm“, durch den Geist, den Er dir gegeben hat? Bist du dir bewußt, daß dein Leib, welchen dir Gott gab, ein Tempel des Heiligen Geistes ist? Hast du das Zeugnis in dir, das Unterpfand deines Erbes? Bist du durch den Geist der Verheißung versiegelt auf den Tag der Erlösung? Hast du den Heiligen Geist empfangen? oder stutzest du bei der Frage und weißt nicht, ob ein Heiliger Geist ist?
Wenn dieses dich beleidigt, so sei versichert, daß du noch kein Christ bist, noch einer zu sein wünschest. Nein, selbst dein Gebet ist zur Sünde geworden, und du hast heute deines Gottes feierlich gespottet bei deinem Gebet um die Ausgießung Seines heiligen Geistes, wenn du nicht glaubtest, daß etwas der Art erlangt werden kann.
Gemäß dem Worte Gottes muß ich die Frage wiederholen: „Hast du den heiligen Geist empfangen?“ Wenn nicht — so bist du noch kein Christ. Denn ein Christ ist ein Mensch, „gesalbt mit dem heiligen Geist und mit Kraft“. Du hast noch nicht den reinen und unbefleckten Gottesdienst verrichtet. Weißt du, was Religion ist? Nichts anderes, als: Teilnahme an der göttlichen Natur, das Leben Gottes in der Seele des Menschen; Christus geboren im Herzen, „Christus in dir, die Hoffnung der Herrlichkeit;“ – Glückseligkeit und Heiligung, ein auf Erden begonnener Himmel; – das Reich Gottes in dir, nicht Essen und Trinken, nichts Aeußerliches , sondern „Gerechtigkeit , Friede und Freude in dem Heiligen Geist“, Röm. 14, 17. Sie ist ein ewig währendes Königreich in deiner Seele; ein Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft; – eine Freude , unaussprechlich und voller Herrlichkeit.
Weißt du, daß in Jesu Christo weder Beschneidung noch Vorhaut etwas gilt , sondern ein Glaube, der in der Liebe thätig ist? – Gal. 5, 6. Ja nichts als eine neue Kreatur? Begreifst du die Notwendigkeit von der innern Veränderung; von der geistlichen Geburt; dem Aufstehen von den Toten, von der Heiligung? Bist du ganz davon überzeugt, daß ohne sie Niemand den Herrn sehen wird? Bemühest du dich um sie? Wendest du allen Fleiß an, um deinen Beruf und Erwählung fest zu machen? (2. Petri 1, 10). Schaffst du mit Furcht und Zittern, daß du selig werdest? Ringest du darnach, um einzugehen durch die enge Pforte? Bist du im Ernst deiner Seele wegen besorgt? und kannst du zu dem Herzenskündiger sprechen: Du, o Gott, bist das Ziel meines Verlangens! Herr, du weißt alle Dinge; Du weißt auch, daß ich Dich lieben möchte.
Du hoffst selig zu werden; aber was für einen Grund kannst du angeben von der Hoffnung, die in dir ist? Ist es, weil du kein Unrecht gethan? oder weil du viel Gutes gestiftet hast? —- oder weil du nicht bist, wie andere Leute, sondern weise, gelehrt, ehrlich und moralisch gut, – geachtet von Menschen und von gutem Ruf? Aber ach! Alles dieses kann dich niemals zu Gott bringen; es gilt nichts vor Ihm. Kennst du Jesum Christum, welchen Er sandte? Hat Er dich belehrt, daß wir aus Gnaden selig werden durch den Glauben, „und das nicht aus uns, (Gottes Gabe ist es;) nicht aus den Werken, auf daß sich nicht Jemand rühme“, Eph. 2, 8.9. Hast du das teuer werthe Wort als den Grund deiner ganzen Hoffnung dir angeeignet, daß Jesus Christus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen?“ (1. Tim. 1, 15). Hast du die Worte verstehen gelernt: „Ich bin nicht gekommen, die Gerechten, sondern die Sünder zur Buße zu rufen“? – „Ich bin nicht gesandt denn zu den verlornen Schafen“?
Fühlst du dich (wer es hört, merke darauf!) schon verloren, tot und verdammt? Weißt du, was du verdient hast? Fühlst du deine Bedürfnisse? Bist du geistlich arm, traurig vor Gott und untröstlich? Ist der verlorne Sohn in sich gegangen und damit zufrieden, deshalb von Denen für verrückt gehalten zu werden, die noch ihren Bauch mit den Trebern füllen, welche er verlassen hat? Bist du willig, gottselig zu leben in Jesu Christo, und deswegen Verfolgung zu leiden? Reden die Menschen fälschlich allerlei Übles von dir, um des Menschen Sohns willen? O, daß ihr bei jeder dieser Fragen die Stimme, die die Toten aufweckt, hören, und den Hammer des Gesetzes, der die Felsen zerschmettert, fühlen möchtet! Wenn ihr heute Seine Stimme hören wollt, weil es noch heute heißt, so verhärtet eure Herzen nicht. Wache jetzt auf, wer da im geistlichen Tode schläfet, auf daß er nicht bleibe im ewigen Tode! Fühle deinen verlornen Zustand und stehe auf von den Toten. Verlaß deine alten Gefährten in der Sünde und im Tod. Folge du Jesu, und laß die Toten ihre Toten begraben… „Rette dich von diesem verkehrten Geschlecht.“ – „Gehe aus von ihnen, und rühre nichts Unreines an, und der Herr wird dich annehmen.“ – „Christus wird dich erleuchten.“
III.
Diese Verheißung will ich nun noch zum Schluß erklären. Welch eine ermunternde Betrachtung ist es, daß, wer du auch sein magst, so du Seinem Rufe folgest, du Sein Angesicht nicht vergeblich suchen sollst. Wenn du auch jetzt noch aufwachst und aufstehst von den Toten, so hat Er Sich verpflichtet, dich zu erleuchten. Der Herr wird dir Gnade und Herrlichkeit geben; Sein Gnadenlicht hier und das Licht Seiner Herrlich- keit dort, wenn du empfangen wirst die unverwelkliche Krone. „Dein Licht wird anbrechen wie der Morgen, und deine Finsternis wird sein wie der Mittag.“ – „Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten, wird einen hellen Schein in dein Herz geben, und dich erleuchten mit der Klarheit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.“ – „Denen, die den Herrn fürchten, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen, mit Heil unter ihren Flügeln“ – Und an dem Tage wird man zu dir sagen: „Mache dich auf, werde Licht! denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir“, Jes. 60, 1.
Christus wird sich in dir offenbaren, und Er ist das wahre Licht. Gott ist das Licht und will jeden erweckten Sünder erleuchten, der Seiner harret. Du wirst dann „ein Tempel des lebendigen Gottes sein, und Christus wird in deinem Herzen wohnen durch den Glauben“. Und „durch die Liebe eingewurzelt und gegründet“, wirst du im Stande sein, „mit allen Heiligen zu begreifen, welches da sei die Breite und die Länge und die Tiefe und die Höhe der Liebe Christi, und wirst erfüllt werden mit allerlei Gottesfülle“, Eph. 3, 17-19. Ihr sehet euren Beruf, meine Brüder! Wir sind berufen, „eine Behausung Gottes zu sein im Geist“; und durch die Inwohnung Seines Geistes hienieden geheiligt und des Erbteils der Heiligen im Licht teilhaftig zu werden. Die teuern und allergrößesten Verheißungen sind uns, die wir glauben, geschenkt, 2. Petri 1, 4.
Denn durch den Glauben „empfangen wir wir nicht den Geist dieser Welt, sondern den Geist Gottes“, und die Summe aller Verheißungen: „daß wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist“. Dieser Geist Christi ist das große Geschenk Gottes, welches Er manchmal und auf mancherlei Weise den Menschen verheißen und in seiner ganzen Fülle verliehen hat, seitdem Christus verherrlicht ist. Jene Verheißungen, welche Er in früherer Zeit unseren Vätern machte, hat Er nun erfüllt. „Ich will meinen Geist in euch geben, und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln, meine Rechte halten und darnach tun“, Hes. 36, 27. „Denn ich will Wasser gießen auf die Durstigen und Ströme auf die Dürren; ich will meinen Geist auf deinen Samen gießen und meinen Segen auf deine Nachkommen“, Jes. 44, 3. Ihr möget alle Zeugen werden von diesen Dingen, von der Vergebung der Sünde und der Gabe des heiligen Geistes: so ihr glauben könnt – „denn alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt“ – „Wer ist unter euch, der den Herrn fürchtet, und wandelt dennoch im Finstern und hat kein Licht?“
Ich frage dich im Namen Jesu: Glaubst du, daß Sein Arm noch nicht verkürzt ist? daß Er noch Macht hat, zu erlösen? daß Er derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit? daß Er Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben? „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“ Gott hat dir vergeben um Christi willen. Nimm dies an nicht als Menschen Wort, sondern wie es wahrhaftig ist, als Gottes Wort; so bist du gerechtfertiget allein durch den Glauben. Du sollst auch geheiligt werden durch den Glauben an Jesum, und auch du sollst das Zeugniß haben, daß „Gott uns das ewige Leben gegeben hat, und solches Leben ist in seinem Sohn“, 1. Joh. 5, 11.
Männer und Brüder, laßt mich frei zu euch reden und nehmt das Wort der Ermahnung an, wenn auch von einem der Geringsten in der Kirche Christi. Euer Gewissen gibt euch Zeugnis durch den heiligen Geiſt, daß dem also iſt, so ihr anders geschmeckt habt, wie freundlich der Herr ist. „Das ist aber das ewige Leben, daß wir den allein wahren Gott und den Er gesandt hat, Jesum Christum, erkennen“, Joh. 17, 3. Diese durch Erfahrung erworbene Erkenntnis allein ist wahres Christentum. Derjenige ist ein Christ, der den Geist Christi empfangen hat: und wer Ihn nicht empfangen hat, ist kein Christ. Es ist auch nicht möglich, Ihn empfangen zu haben, ohne es zu wissen.
„An dem Tage“, (wann Er kommen wird, sagt unser Herr) „sollt ihr wissen, daß ich im Vater, und ihr in mir, und ich in euch bin. Dies ist der Geist der Wahrheit, welchen die Welt nicht kann empfangen, denn sie siehet Ihn nicht und kennet Ihn nicht; ihr aber kennet Ihn, denn Er bleibt bei euch und wird in euch sein“, Joh. 14, 17. Die Welt kann Ihn nicht empfangen, sondern sie verwirft die Verheißung vom Vater durchaus, widerspricht und lästert. Aber ein jeder Geist, der dies nicht bekennt, ist nicht von Gott. Ja, es ist „der Geist des Antichrists, von welchem ihr gehört habt, daß er in die Welt kommen soll, und er auch jetzt schon in der Welt ist“, 1. Joh. 4, 3. Derjenige ist Antichrist, welcher leugnet die Eingebung des heiligen Geistes, oder daß dieser inwoh- nende Geist Gottes das gemeinschaftliche Vorrecht aller Gläubigen, der Segen des Evangeliums, die unaussprechliche Gabe, die allgemeine Verheißung und das Kennzeichen eines wahren Christen ist. Es kann ihnen nichts helfen zu sagen: „Wir leugnen nicht den Beistand des heiligen Geistes, sondern nur diese Eingebung, diese Aufnahme desselben und das Bewußtsein davon. Es ist nur die Empfindung vom Geiste, dieses Treiben des Geistes, oder die Erfüllung mit demselben, was wir verwerfen“.
Wohl und eben mit der Verwerfung dieses Punkts leugnet ihr die ganze heilige Schrift, alle Wahrheiten, Verheißungen und Zeugnisse Gottes. Die Kirche von England weiß nichts von diesem teuflischen Unterschied, sondern spricht deutlich über die Empfindung vom Geiste Christi, von dem Treiben des heiligen Geistes, und vom Wissen und Fühlen, daß uns kein anderer Name gegeben ist, als der Name Jesus, wodurch wir Leben und Seligkeit erlangen können. Sie lehrt uns Alle, die Ausgießung des heiligen Geistes zu erflehen. Darum dies leugnen, heißt wirklich der Kirche von England sowohl, als der ganzen christlichen Offenbarung entsagen.
Aber „die Weisheit Gottes war von jeher bei den Menschen eine Torheit“. Kein Wunder denn, daß das große Geheimnis des Evangeliums auch jetzt noch „vor den Weisen und Klugen verborgen ist“, wie vor Alters; daß es noch jetzt beinahe allgemein verleugnet, lächerlich gemacht und als ein bloßer Wahnsinn verworfen wird. Und daß Alle, die es noch zu glauben wagen, gebrandmarkt werden mit dem Namen Narren und Schwärmer. Dies ist der Abfall, welcher kommen sollte; diese allgemeine Entartung unter allen Klassen und Ständen der Menschen, von welcher wir jetzt die ganze Erde überschwemmt sehen. Laufe hin und her in den Straßen Jerusalems und siehe, ob du einen Menschen finden kannst, einen Menschen, der Gott, seinen Herrn, von ganzem Herzen liebt und Ihm dient aus allen Kräften. Wie trauert nicht England (um nicht weiter zu blicken) unter den Strömen der Gottlosigkeit! Was für Schändlichkeiten jeder Art werden nicht täglich vollbracht! Ja nur zu oft ganz ungestraft von Denen, die mit einem ausgereckten Arm sündigen und sich ihrer Schande rühmen. Wer kann zählen alle die Flüche, Verwünschungen, Ruchlosigkeiten, Gotteslästerungen, die Lügen, Verleumdungen, böse Nachreden, die Sabbathschänderei, Schwelgerei, Sauferei, Rachsucht, die Hurerei, Ehebrecherei und verschiedene Unreinigkeiten, die Betrügereien, Ungerechtigkeiten, Grausamkeiten, Unterdrückungen, welche das Land wie eine Flut bedecken! – — Und selbst unter Denen, die sich rein erhalten haben von diesen groben Greueln – wie viel Zorn und Stolz, wie viel Trägheit und Müßiggang, wie viel Weichlichkeit und Ueppigkeit, wie viel Habsucht und Ehrgeiz, wie viel Durst nach Ruhm, wie viel Weltliebe und wie viel Menschenfurcht ist da zu finden! Daneben – wie wenig von wahrer Frömmigkeit! Denn wo ist Der, welcher Gott und seinen Nächsten so liebet, wie Er es uns befohlen hat? Auf der einen Seite sind Diejenigen, welche nicht einmal den Schein der Gottseligkeit haben; auf der andern Jene, die bloß den Schein haben; dort steht das offene, hier das übertünchte Grab: so daß in Wirklichkeit, wenn Jemand mit Aufmerksamkeit eine öffentliche Versammlung übersähe, er leicht zu dem Schluß kommen könnte: „daß der eine Teil Sadduzäer und der andere Pharisäer“ sei. Der Eine bekümmert sich so wenig um die Religion, als ob keine Auferstehung, weder Engel noch Geist wäre; und der andere macht es zu einer bloßen toten Form, zu einem langweiligen Ceremoniendienst, ohne wahren Glauben, ohne die Liebe Gottes und ohne die Freude im heiligen Geist. Wollte Gott, ich könnte mit uns hier eine Ausnahme machen!
Brüder, mein herzlichstes Verlangen und Gebet zu Gott für euch ist, daß ihr möchtet errettet werden von dieser alles überflutenden Gottlosigkeit, und daß hier ihre stolzen Wellen sich legen möchten! Aber ist dem wirklich so? Gott weiß es, und unser eigenes Gewisssen sagt es uns, es ist nicht so. Ihr habt euch nicht rein erhalten. Verdorben sind auch wir und verabscheuungswürdig. Es gibt Wenige, die verständig sind; Wenige, die Gott anbeten im Geist und in der Wahrheit. Auch wir sind „ein Geschlecht mit verkehrtem Herzen“, dessen Geist nicht immer an Gott hängt. Er hat uns wohl bestimmt, „das Salz der Erde zu sein; wenn aber das Salz dumm wird, so ist es weiter nichts nütze, als daß man es hinauswirft und läßt es die Leute zertreten“. „Und soll ich solche Dinge nicht heimsuchen?“ spricht der Herr. „Soll sich nicht meine Seele rächen an solch einem Volk?“ Ja, wir wissen nicht, wie bald Er zu dem Schwert sagen wird: „Schwert, gehe durch dieses Land“. Er hat uns lange Zeit gegeben zur Buße. Er warnt und erweckt uns noch durch Seine Donnerstimme. Seine Gerichte sind überall umher auf Erden und wir haben Ursache, das Allerärgste zu erwarten, nämlich: daß Er „bald kommen wird, um unsern Leuchter hinwegzustoßen, wofern wir nicht Buße und unsere ersten Werke tun“, Offenb. 2, 5.
„O Gott, wenn Trübsal da ist, gedenke der Barmherzigkeit!“ – Verherrliche Dich in der Bekehrung unserer Nation, und nicht in ihrem Verderben! Laß sie Acht geben auf die Rute und auf Den, der sie verordnete! Nun, „da Deine Gerichte umhergehen auf Erden, laß die Völker der Erde Gerechtigkeit lernen“ (Jesaja 26, 9).
Meine Brüder, es ist hohe Zeit auch für uns, aufzuwachen aus dem Schlafe, ehe die große Posaune des Herrn geblasen und unser Land ein Blutfeld wird. O, möchten wir doch eiligst erkennen, was zu unserm Frieden dient, ehe es vor unsern Augen verborgen wird! Bekehre Du uns, o guter Herr, und wende Deinen Zorn von uns! O Herr, schaue hernieder vom Himmel und „besuche diesen Weinstock, und lasse uns wissen die Zeit unserer Heimsuchung.“
Hilf uns, o Gott unseres Heils, um Deines herrlichen Namens willen! Befreie uns und erbarme Dich über unsere Sünden, um Deines Namens willen! Wir wollen nicht wieder von Dir weichen! O laß uns leben, und wir wollen Deinen Namen anrufen! Kehre uns wieder zu Dir, o Herr, Gott der Heerschaaren! Zeige uns das Licht Deines Angesichts, so wird uns geholfen!
Dem aber, der überschwenglich tun kann über Alles, was wir bitten und verstehen, nach der Kraft, die da in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde, die in Christo Jesu ist zu allen Zeiten, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen.
Quelle: Sammlung auserlesener Predigten, von Johannes Wesley. Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Wilhelm Nast. Erster und Zweiter Band, Vierte Auflage, S. 141-149. Verlag des Tractathauses, J. Staiger, Bremen 1899.
Verweis: Digitalisat der Ausgabe von 1861, bei bsb-muenchen.de