Römer 1, 26+27

Darum hat Gott sie dahingegeben in entehrende Leidenschaften, denn ihre Weiber haben verwandelt den natürlichen Gebrauch in den widernatürlichen und ebenso auch 1) die Männer, verlassend den natürlichen Gebrauch des Weibes, sind in ihrem heißen Verlangen gegen einander entbrannt, indem sie Mann an Mann Schande trieben, und haben den verdienten Lohn ihrer Verirrung an ihnen selbst 2) empfangen.
(Römer 1, 26+27)

Dαs διὰ τοῦτο, darum, bezieht sich zugleich auf den 25. und den in diesem wiederaufgefaßten 23. Vers und wiederholt einfach die Idee von διό, darum, in V. 24; diese Wiederholung der Verbindungspartikel entspricht der des Verbums παρέδωκεν, hat dahingegeben, V. 24 und 26. ─ ̓Ατιμίας, Unehre, ist ein Genitiv der Eigenschaft (entehrend). Dieses Wort erinnert an den Schluß von V. 24: um ihre Leiber zu schänden an ihnen selbst. Der Ausdruck πάθη, Leidenschaften, hat noch etwas Schimpflicheres als ἐπιθυμίαι, Lüste, V. 24; er schließt einen ausgesprochenen Begriff sittlicher Passivität, schmählicher Knechtschaft in sich. ─ Die folgende Schilderung der damals in der heidnischen Gesellschaft herrschenden widernatürlichen Laster wird in allen ihren Teilen durch empörende Beschreibungen der römischen und griechischen Schriftsteller bestätigt. Man mag fragen, wie Paulus sich einer solchen Schilderung wie mit einer Art von Wohlgefallen hingeben könne.  Die Antwort liegt in der Absicht der ganzen Stelle, den göttlichen Zorn darzustellen, der sich über die Heidenwelt entfaltet; vergl. den Ausdruck ἀντιμισθία, verdienter Lohn, V. 27. Es schwebt ein Gesetz über dem menschlichen Dasein, welches zugleich ein göttlicher Akt ist: Was du aus deinem Gott machst, das wirst du in Bälde aus dir selbst machen. Die Ausdrücke ἄρρενες θήλειαι, männliche, weibliche, sind absichtlich gesetzt, um das bloß Physische hervorzuheben, statt der edleren ἄνδρες, γυναῖκες, Männer, Frauen, welche sich auf das eheliche Verhältnis beziehen. ─ Alle Ausdrücke sind darauf berechnet nachzuweisen, daß hier ein gerechtes [An]Heimgeben von seiten Gottes vorliegt. Das μετήλλαξαν, sie haben verkehrt, verwandelt, entspricht demselben Verbum, V. 25, und das παρὰ φύσιν, gegen die Natur dem παρὰ τὸν κτίσαντα in demselben Verse. Man geht an seiner eigenen Natur vorüber, ohne sie zu achten, wie man am Schöpfer vorübergegangen ist, ohne ihn zu preisen. ─  Die Lesart ὁμοίως τε, und ebenso, drückt eine Idee der Gleichheit aus während die Lesart ὁμοίως δέ von 4 Mjj. eine Idee des Fortschritts in sich schließt, als ob die Erniedrigung des Mannes durch den Mann noch weiter ginge als die des Weibes. ─ In dem ἣν ἔδει, das wir übersetzt haben mit: der verdiente Lohn (wörtlich: der Lohn, der nötig war), fühlt man etwas wie das Rauschen des heiligen Zorns nicht bloß des Apostels, sondern Gottes. Die Gerechtigkeit ließ nichts anderes zu. Die Verirrung, πλάνη, ist nicht der Irrtum, daß sie in solchen Schändlichkeiten ihre Befriedigung gesucht haben (Hofmann, Oltramare u. a.), sondern die freiwillige Lüge des Götzendienstes (V. 21-23), die Unterdrückung der Wahrheit (V. 18); so Weiß, Lipsius u. a.  Denn das ist ja der Grund der ἀντιμισθία, der soeben beschriebenen schimpflichen Vergeltung. Auch hier wieder wird durch die Bestimmung an ihnen selbst das Tiefgreifende, innerlich Bleibende dieser Schmach hervorgehoben.

Das sittliche Gefühl im Menschen hat zur Grundlage die Idee des heiligen Gottes. Gibt man diese auf, so ist jenes lahmgelegt. Wer Gott ehrt, adelt sich selbst, wer ihn verwirft, kommt unausbleiblich sittlich herunter. Das ist nach des Apostels Ansicht das Verhältnis zwischen dem Heidentum und der Sittenverderbnis der alten Welt. Die unabhängige Moral ist nicht die des Apostels.

Quelle:

Kommentar zu dem Brief an die Römer, von F.[rédéric Louis] Godet, Dr. und Professor der Theologie in Neuchâtel. Deutsch bearbeitet von E.R. Wunderlich, weil. Pfarrer in Bondorf, und K. Wunderlich, Stadtpfarrer in Markgröningen. Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. Vom Verfasser autorisierte deutsche Ausgabe. Erster Teil. Kapitel 1-5. Hannover, Verlag von Carl Meyer. (Gustav Prior.), 1892.

[S. 125f.; Digitalisat]

Greek Text Analysis (bibeltext.com)

Weblinks und Verweise

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Eingestellt am 13. August 2025