Matthäus 17, 21: Ueber die Heilung der Dämonischen (Blumhardt)

Aber diese Art fährt nicht aus denn durch Beten und Fasten. (Matth. 17, 21)

4. Ueber die Heilung der Dämonischen

Herr Dr. de Valenti macht es mir, um hiemit den Uebergang zum Weiteren zu machen, zum Vorwurf, daß ich auf eine unverantwortliche Weise bei jener so gefährlichen Kranken den ordentlichen Weg der Heilung durch einen verständigen Arzt verlassen und den außerordentlichen Weg der Wunderheilung, wie er sagt, eingeschlagen habe.

Ich aber frage nun alles Ernstes, welches ist bei Besessenen der ordentliche Weg der Heilung: Ist es der durch den Arzt, oder der Weg, den ich eingeschlagen habe? Ich lege die Frage gleich dem rechten Arzte vor, dessen Antwort in der heiligen Schrift zu finden ist. Gehen wir hauptsächlich von dem oben schon angeführten Worte JEsu aus, da Er sagt: „Diese Art kann mitnichten ausfahren denn durch Beten und Fasten“. Will nun Jemand dem HErrn Einwendungen machen und sagen: Nein, lieber HErr, eine sorgfältige ärztliche diätetische Pflege verbunden mit einer echt christlichen Seelsorge erweist sich auch bei dämonisch Wahnsinnigen als vollkommen genügend und heilkräftig, darum ist es nicht nötig und ganz überflüssig, würde auch zu einem falschen Wunderglauben führen, daß du uns den Weg der Wunderheilung durch Gebet und Fasten anweisest.

Wird das Jemand im Ernst wagen wollen zu sagen, wenn der HErr einmal bestimmt erklärt: „Es gibt eine Art Dämonen, die nur durch Beten und Fasten ausfährt“? Wenn es aber so steht, welches ist der ordentliche Weg? Ist es nicht der des Gehorsams gegen Christum, und ist nicht der Weg der außerordentliche zu nennen, da man medizinisch Allerlei versucht und probiert, und auf entsetzliche Art mitunter die Unglücklichen plagt, um dennoch das zu bewerkstelligen, wovon doch der HErr selbst sagt, daß es unmöglich sei?

„Aber“, möchte Einer sagen, „in obigem Spruche ist nur von einer gewissen Art die Rede, bei der zur Heilung Beten und Fasten notwendig ist. Gibt es doch unzählig viele andere Arten, bei denen es auch auf medizinischem Wege möglich ist, und bei welchen es also unverantwortlich ist, diesen medizinischen Weg nicht einzuschlagen.“

Wie kommt es aber doch, daß unser Heiland selbst, der doch gewiß ein Freund der Ordnung war von Anfang an, den sogenannten ordentlichen Weg verlassen und in ein Amt eingegriffen hat, das nicht das Seinige war? Denn Besessene jeder Art waren es vorzüglich, denen Er zu Hilfe kam, wiewohl Er oft unangenehme Szenen mit ihnen hatte, wie z. B. einmal in der Schule mitten in der Versammlung, da ein Mensch mit einem unsauberen Dämon laut schrie: „Halt, was haben wir mit Dir zu schaffen, JEsu von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu verderben; ich weiß, wer Du bist: nämlich der Heilige Gottes.“

Als Jesus den Geist bedrohte und verstummen hieß, warf derselbe den Menschen mitten unter die Leute und fuhr aus, jedoch ohne ihm einen Schaden zu tun, was bei einem solchen Auftritt Jedermann befürchten mußte, Luk 4, 33-36. Warum hat sich doch der HErr mit diesen häßlichen Menschen einlassen mögen und sie nicht zu den ordentlichen Aerzten verwiesen, während Er’s oft wie im Verborgenen tun mußte, um derer willen, die nicht gut dazu sahen? Warum hat Er sich der Gefahr aussetzen mögen, als ein Gaukler und Teufelsbeschwörer, als ein Beelzebub, der nur durch den Obersten der Teufel Seine Gaukeleien treibe, verschrieen zu werden? Warum hat er auch seinen Jüngern vor Allem „Macht gegeben über die unsaubern Geister“, Mark. 6, 13, ja, „über alle Teufel“, Luk. 9,1. Warum unterläßt Er’s nicht, selbst in Seinen letzten Testamentsworten auf eine Weise, daß es als gültig auf alle kommenden Zeiten erscheinen konnte, der Verheißung zu erwähnen, daß die, die glauben würden, in Seinem Namen würden Teufel austreiben.

Hat Er das wohl getan, um damit für Sich eine gaukelhafte Bravour zu zeigen, und Seinen Jüngern einen Weg anzudeuten, wie auch sie sich könnten einen Namen erwerben unter den Menschen? Warum hat Er denn nicht Künste getrieben und gelehrt, die andere Leute nicht verstanden, wodurch Er Sich ja noch viel nützlicher um die menschliche Gesellschaft gemacht hätte? Offenbar gebietet schon die Würde des HErrn anzunehmen, daß er mit diesen Heilungen etwas tat, was sonst Niemand vermochte. Er heilte Menschen, die zu den unglücklichsten gehörten, über die sich jeder Stein hätte erbarmen mögen, und für welche doch nirgends eine Hilfe zu finden war. Eine verzweifelte Sache nahm Er in die Hand, zum Besten der Gesellschaft. Darum weil Er tat, was Niemand vermochte, waren die Leute so erstaunt und so dankbar, daß sie lobpreisend ihre Hände zu Gott erhoben, der solche Macht den Menschen gegeben habe.

Welches wird also zur Heilung der Dämonischen auch in unserer Zeit der ordentliche Weg sein?

Daß es um die Heilung der Dämonischen eine ganz besonders schwierige Sache schon damals war, geht auch daraus hervor, daß es so viele jüdische Zauberer und Gaukler gab, Goeten genannt, die ihr Wesen ungefähr auf dieselbe Art getrieben haben mochten, wie die berüchtigten Männer und Weiber bei uns, und diese Sitte scheint allgemein geworden zu sein, weil ein gewöhnlicher Arzt mit solchen Kranken nicht zurecht zu kommen wußte.

Darauf spielt auch der HErr an, wenn Er Matth. 12, 27 sagt: „So Ich aber die Teufel durch Beelzebub austreibe, durch wen treiben eure Kinder dieselben aus?“ D. h. die Beschwörer aus eurer Mitte. Darum waren die Pharisäer so geneigt, den HErrn mit diesen Beschwörern zu verwechseln, die in keinem guten Rufe auch bei ihnen standen und, wie sie von diesen glaubten, daß sie durch teuflische Kraft ihr Wesen trieben, so glaubten sie von JEsu, daß Er’s durch den Obersten der Teufel tue, weil Er sich so vorzüglich zur Sache verstehe. Daß aber jene Zauberer, die mit verkehrten Künsten umgingen, doch auch nur scheinbar nicht wirklich Teufel austrieben, beweist der HErr klar in jener Stelle.

Denn Teufel austreiben, heißt den Satan seines Hausrats berauben. Wie kann aber Jemand, sagt Er, „in eines Starken Haus gehen und ihm seinen Hausrat rauben, es sei denn, daß er zuvor den Starken binde und alsdann ihm sein Haus beraube“. Jene Gaukler mochten also wohl, wie dies bei uns der Fall ist, mit jenen Unglücklichen es dahin bringen, daß sie ihre Tobsucht verloren und still wurden, aber was war für die Elenden selbst dadurch gewonnen, daß sie ihr Leben lang halbsinnige, stumpfe, unbrauchbare Leute blieben, was dann Andere, wie es auch bei uns geschieht, eine Heilung nannten? Wenn also Jemand will Teufel austreiben, so kann es nur in der Gemeinschaft, in der Kraft und in dem Namen jenes Stärkeren geschehen, unsers hochgelobten Heilandes Jesu, Der den Starken, den Satan überwunden hat. Darum sagt auch der HErr so bedeutsam: „So ich aber die Teufel durch den Geist (den Finger) Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen“, Matth. 12, 28; d.h. so ist es eine Anzeige, daß große Dinge zur Beschleunigung des Reiches Gottes geschehen und geschehen sind.

Beiläufig möchte ich hier noch erwähnen, daß es den Anschein hat, als ob hauptsächlich nur im Anfange der Wirksamkeit JEsu so viele Besessene zu Ihm gebracht wurden, während in der Folge sie immer seltener wurden, was sicherlich darin seinen Grund hätte, daß die Heilungen selbst geschichtliche Tatsachen waren, die in der dämonischen Welt große Veränderungen hervorbrachten. Auch später ist nur wenig mehr davon die Rede. In der Apostelgeschichte ist nur an zwei Stellen umständlich etwas berichtet, und nur außerhalb Judäa’s einmal aus Samaria, wo sich’s aus dem Treiben des großen Zauberers Simon erklären läßt (8, 6ff), sodann aus Ephesus (19, 12). In letzterer Stelle ist angedeutet, daß die sonstigen Beschwörer in Verlegenheit waren und mit ihrer gewöhnlichen Weise nichts mehr ausrichteten, weswegen sie über den bösen Geistern sagten: Wir beschwören euch bei JEsu, den Paulus predigt, was ihnen aber übel bekam (Apostg. 19, 13-17). Dort war aber auch die Zauberei am höchsten getrieben worden, wie gleich darauf erzählt wird, daß viele Gläubiggewordene zu Paulus gekommen seien, die bekannten, was sie bisher mit ihren ephesinischen Geheimkünsten ausgerichtet hätten. Viele aber, die da fürwitzige Kunst getrieben hatten, brachten die Bücher zusammen und verbrannten sie öffentlich und überrechneten, was sie wert waren und fanden des Geldes 50,000 Groschen, V. 18, 19. In den Briefen ist fast gar nicht mehr von Dämonischen und deren Heilungen die Rede. Man fragt also billig, wie konnte diese Krankheit wieder einreißen wie konnte sie in unseren Tagen so außerordentlich häufig werden, daß man gar nicht Irrenhäuser genug aufbauen kann? Die Antwort liegt nahe: die fürwitzigen Künste haben wieder überhand genommen, und durch die sind dem Satan seine Flügel wieder gewachsen, ist seine tötliche Wunde wieder heil geworden (Off. 13,3). Wenn aber dieser unsrer großen Zeitnot wieder soll gesteuert werden, wie soll das geschehen? Gewiß auf keinem anderen Wege ist eine eigentliche Abhilfe möglich, als auf dem ordentlidhen, den der HErr JEsus anzeigt.

„Aber“, fragt man etwa, „die heutige Arzneikunde ist doch außerordentlich vervollkommnet; es stehen ihr doch unzählig viele Mittel zu Gebot, von denen man früher nichts wußte.“ Hier muß es mir, einem Laien in der Arzneikunde, der übrigens auch in ihr schon auf der Universität einige Studien gemacht hat, erlaubt sein, ohne jedoch dem immerhin ehrwürdigen Stande zu nahe treten zu wollen, eine kleine Bemerkung zu machen: Wie kommt es denn, daß man so selten einen Arzt die dämonischen Krankheiten auch nur anerkennen sieht? Wie kommt es, daß man die Geisteskrankheiten immer nur auf eine materialistische Weise behandeln will, auch in Fällen, da klar zu sehen ist, daß gar keine leibliche Krankheit zu Grunde liegt? Ich will nicht weiter fragen, auch keine weitere Klagen über den Stand oder die Praxis der heutigen Arzneiwissenschaft führen, damit es nicht den Anschein hat, als ob ich in dieser Schrift wider einen ganzen Stand zu Felde ziehen wollte, was ich um so weniger darf, da ich mir unter den Aerzten doch in der Regel gewissenhafte und rücksichtlich ihrer Praxis, nachdem diese nun einmal besteht, redliche Männer denken muß, welche irgend wie kränken zu wollen mir nicht entfernt in den Sinn kommt. Aber das steht mir fest, – und die Schrift hat mich nachdenken lehren, – daß nicht nur bei eigentlich Dämonischen, sondern auch bei Geisteskranken (über die Verwandtschaft beider hier zu reden fühle ich mich nicht verpflichtet) Naturmittel zu nichts führen, vielmehr, je nachdem sie sind, unendlichen Schaden bringen können. Gewöhnlich nimmt man an, daß gewisse leibliche Krankheiten auf den Geist zerstörend wirken. Ich will das nicht ganz wegwerfen. Aber schon eine nüchterne Philosophie lehrt auch umgekehrt, daß Störungen des Geistes leibliche Uebel wecken können, und daß letzteres bei Weitem häufiger der Fall ist, glaube ich daraus schließen zu können, daß z. B. Kopfschmerzen,  Nervenzuckungen, Brustbeengungen, Rückenmarks- und Unterleibsschmerzen, letztere in den verschiedensten Nuancen, ohne alles Weitere sich von selbst verlieren, wenn die Zerrüttung des Geistes aufhört, während letztere gewöhnlich zunimmt, wenn man auf die leiblichen Uebel stark wirkt. Auch die Erfahrung glaube ich mit Sicherheit gemacht zu haben, daß bei Weitem in den meisten Fällen gewisse Sünden der Unreinigkeit nicht sowohl Ursache als vielmehr Folge des dämonisch zerrütteten Seelenzustandes sind. Hieraus ergibt sich klar, daß unter allen Umständen zuerst auf den Geist gewirkt werden muß. Herr Dr. de Valenti meint das freilich gewissermaßen auch, wenn er die Seelsorge nicht ausschließt, darunter er (S. 99) „die Belehrung, Bestrafung und Tröstung“ versteht. Ihm kann es aber nicht unbekannt sein, daß eben diese drei Stücke am allerwenigsten sich anbringen lassen, indem solch geistliches Zureden oder Zusetzen in der Regel die Kranken aufregt und oft bis zur Raserei steigert. Wenn ich daber rücksichtlich der Behandlung um Rat gefragt werde, so sind es gerade diese drei Dinge, die ich den Angehörigen gewissermaßen verbiet,  und die ich selbst in meiner Praxis nur sehr mäßig und vorsichtig anwende, so daß ich selbst in der Predigt, zu welcher ich die Unglücklichen schicke, nichts auf sie besonders Bezügliches vorbringe. Von Oben her muß etwas kommen, wie es klar der HErr andeutet, und wenn dieses nicht kommt, so kann nicht geholfen oder nur eine oben angedeutete Scheinhilfe erzielt werden, mit welcher mehr verderbt als gut gemacht ist.

Johann Christoph Blumhardt (1805-1880)

Quelle: Verteidigungsschrift gegen Herrn Dr. de Valenti, [Landgut] zur Hoffnung bei Bern, von [Johann] Christoph Blumhardt, Pfarrer in Möttlingen, S. 58f. Druck und Verlag der B. G. Kurtz’schen Buchhandlung, Reutlingen 1850. [Digitalisat]