Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre; denn die Zeit seines Gerichts ist gekommen! Und betet an den, der gemacht hat Himmel und Erde und Meer und Wasserbrunnen. Und ein anderer Engel folgte nach, der sprach: Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon, die große Stadt; denn sie hat mit dem Wein der Hurerei getränkt alle Heiden. (Offenbarung 14, 7+8)
Das Gericht der Kirche und Weltmacht
Der Lichtgestalt der Brautgemeinde, welche das positive Resultat der Kirchen= und Weltgeschichte ist, stellen sich also düstere Gestalten der Finsterniß zur Seite: die Hauptpotenzen des Menschheitslebens sind auf’s Aeußerste entartet, die Kirche ist zur Hure, die politische Weltmacht zum antichristlichen Thier, die Weltweisheit und Weltbildung zum falschen Propheten geworden. In dreifacher Gestalt, in der Verkehrung der drei Aemter Christi stellt sich das Antichristenthum dar; denn unschwer erkennt man wie im zweiten Thier das falsche Prophetenthum, so im ersten das falsche Königthum und in der Hure das falsche Priesterthum._ Das Thier, können wir auch sagen, ist die leibliche, der falsche Prophet die seelische oder die sogenannte geistige, die Hure die geistliche Macht des Widerchristenthums. So ist nichts Zufälliges in der Weissagung, sondern es sind die wesentlichen und nothwendigen Grundformen des Abfalls, welche uns die Apokalypse vorführt, und eben hierin erweist sie sich in ihrer göttlichen Wahrheit. Auch für die Geschichtsbetrachtung bietet dieß Wort der Offenbarung immer neue Ausschlüsse und Gesichtspunkte dar. Das Vorherrschen je einer antichristlichen Macht charakterisirt die verschiedenen Hauptperioden der Kirchengeschichte. Die alte Kirche steht noch unter der Herrschaft des Thieres, der heidnischen Weltmacht, die mittlere Zeit ist von der Hure, die neuere vom falschen Propheten beherrscht. Aber das Wesen der letzten Zeit ist es, daß alle diese gottwidrigen Mächte zusammenwirken und sich gegenseitig zur höchsten Entfaltung ihres Wesens steigern: der falsche Prophet bewirkt die Anbetung des Thieres, und das Thier trägt die Hure.
Tritt also das Antichristenthum in dreifacher Gestalt hervor: so ist es auf der andern Seite ein ebenso lichtreicher Blick in das Wesen der die Geschichte bewegenden Mächte, daß die drei Grundformen des Abfalls auch wieder auf zwei reducirt sind._ Denn der falsche Prophet ist ja auch ein Thier, und die beiden Thiere stehen gemeinsam der Hure gegenüber. Beide gehören so wesentlich zusammen, wie Leib und Seele, wie physische und geistige Macht; beide werden daher auch immer mit einander genannt und schließlich mit einander gerichtet, während über die Hure ein besonderes Gericht ergeht. Die abgefallene Kirche und die abgefallene Welt, Pseudochristenthum und Antichristenthum sind die beiden Grundformen des widergöttlichen Wesens. Hier findet also auch der alte Streit, ob der Abfall in seiner letzten Gestalt mehr pseudochristlicher oder antichristlicher Art sein werde, seine einfache Lösung: Er wird in der Vereinigung des Pseudochristenthums mit dem Antichristenthum bestehen, welche die Apokalypse durch das Sitzen der Hure auf dem Thier ausdrückt. Das Resultat der christlichen Geschichte ist ein Zustand tiefer Unwahrheit und Lüge. Die Völker sind innerlich vom Christenthum abgefallen, aber die Kirche hat sich äußere Anerkennung zu verschaffen gewußt und beherrscht dieselben noch, gestützt auf die weltliche Macht, welche hinwiederum die Kirche als Mittel für ihre Zwecke braucht._Das ist das Bild der ihrem Gericht entgegengehenden Christenheit, wie es uns Off. 17, 3. vor die Augen gemalt wird. Das napoleonische Frankreich z. B. ist geeignet, uns die Möglichkeit dieses unmöglich Scheinenden anschaulich zu machen. Nur dürfen wir uns dieß Lügenwesen nicht blos so in seiner äußerlichen kirchlich=politischen Gestaltung denken, wo es ziemlich grob hervortritt, sondern vorzüglich auf feinere geistige Weise mischt sich auf allen Lebensgebieten Scheinchristenthum und Widerchristenthum, Aberglaube und Unglaube in einander und verstellt sich der Satan zum Engel des Lichts (2. Cor. 11, 13. 14.).
Dieser Bund der Hure und des Thiers ist nichts Neues. Er tritt am Ende der neutestamentlichen Zeit nur ebenso hervor, wie er am Ende der alttestamentlichen hervorgetreten ist. Das abgefallene Israel, welches dazumal die Hure war, verbündete sich, seinen Unglauben in heiligen Eifer kleidend, mit der heidnischen Weltmacht wider Jesum und seine Apostel. „Auf den Tag wurden Pilatus und Herodes Freunde mit einander; denn zuvor waren sie einander feind“; und die Hohenpriester sprachen, um Jesu los zu werden, das entsetzliche Wort: „Wir haben keinen König denn den Kaiser“ (Luc. 23, 12; Joh. 19, 15)._ Paulus mußte in Thessalonich die Gemeinde der Gläubigen ebenfalls von den Juden an die Heiden verrathen sehen (Apgsch. 17, 5-9), und es geschieht wohl mit auf Grund dieser Thatsache, welche auch ein Sitzen der Hure auf dem Thier ist, daß er nach der bekannten Stelle des zweiten Thessalonicherbriefs (2, 7) bereits das Geheimniß der Bosheit sich regen sieht (vgl. Baumgarten, Apgsch. II, 1, 311ff.). Es zogen auch diese Gräuel der Juden die römische Zerstörung Jerusalems, d. h. das Gericht der Hure durch das Thier herbei (Dan. 9, 26.27), sowie jetzt wiederum am Ende der neutestamentlichen Zeit die Hure durch das Thier gerichtet werden soll.
Denn treten wir nun der Beschreibung des Gerichtes (Off. 17–19) näher so fällt auf den ersten Blick der Unterschied auf, daß zuerst die Hure gerichtet wird, und zwar durch das Thier mit seinen Königen, dann erst die Thiere mit ihrem Anhang durch die Parusie Christi selbst. Es ist vorzüglich unsere Aufgabe, die hierin sich ausdrückenden Grundideen hervorzuheben; über das Einzelne wird wenig zu sagen sein, da es theils im Bisherigen schon seine Erklä rung gefunden hat, theils nur im Zusammenhang mit der gesammten Weissagung der Apokalypse erläutert werden kann, theils (als der Zukunft angehörig) seiner näheren Deutung überhaupt noch warten muß.
1) Daß die Hure zuerst gerichtet wird, ist nicht nur dem allgemeinen Grundsatze gemäß, daß das Gericht anfangen soll am Hause Gottes (Jer. 25, 29; Ezech. 9, 6; 1. Petr. 4, 17); sondern es handelt sich dabei zugleich einfach um Herstellung der thatsächlichen Wahrheit. Was nämlich dann im Grunde allein noch existirt, als existirend anerkannt wird, das ist die Welt; denn auch die Kirche buhlt ja nur noch um ihre Gunst, auch für die Kirche ist sie die einzige Realität. Gegen eine solche Kirche muß die Welt Recht behalten.
Darum wird die Hure nicht durch den Herrn selbst, sondern durch das Thier und seine Könige gerichtet (Off. 17, 13.16.17). Dieß geschieht ganz nach demselben Reichsgrundgesetze Gottes, welches wir schon im A. T. überall hervortreten sehen, daß nämlich die hurerische Gemeinde eben in die Hände der Weltmacht hingegeben wird, mit welcher sie gebuhlt hat. Womit man sündigt, damit wird man gestraft. Aegypten ist dem Hause Israel ein Rohrstab, welcher, wenn sie ihn in die Hand fassen, so bricht er und schlitzt ihnen die ganze Schulter, wenn sie sich aber darauf lehnen, so zerbricht er und spießt ihnen die ganzen Lenden (Ezech 29, 5+6; Jes. 36, 6).
So ist Israel für seine Hurerei mit Assur und Babel in’s assyrische und babylonische Exil gewandert, für seine Hurerei mit den Römern ist Jerusalem von Titus zerstört und das Volk abermals unter die Heiden zerstreut worden. Ebenso wird nun die Kirche, weil sie mit der Weltmacht, auch noch mit der abgefallenen, gehuret hat, statt wider sie zu zeugen, von eben dieser Weltmacht gerichtet. Wie Christus eine Braut hat, so Antichristus eine Hure, aber während jener seine Braut verherrlicht und zur Hochzeit heimholt, wird von diesem seine Hure am Ende verstoßen und vernichtet. Es wird die Zeit kommen, wo die irdischen Machthaber der Kirche als Mittel für ihre Zwecke nicht mehr zu bedürfen glauben; dann werden sie das heuchlerisch getragene Joch derselben abschütteln und ihrem Hasse freien Lauf lassen und werden die Hure wüst machen und nackt und werden ihr Fleisch (τὰς σάρκας αὐτῆς plur. zur Bezeichnung der Fülle fleischlichen Wesens, darein die Kirche versunken war) essen, und sie selbst werden sie mit Feuer verbrennen (17, 16).
Dieses Gericht über die Hure wird nun nach seinen verschiedenen Seiten (18, 1─19, 5) näher beschrieben, zuerst durch einen mächtigen Engel (18, 1─3), dann durch eine andere Stimme vom Himmel (V. 4─20), hierauf noch einmal durch einen starken Engel (V. 21─24), woran sich (19, 1─5.) wieder himmlische Stimmen schließen, welche Gott für das vollbrachte Gericht preisen.
Ueber die näheren Hergänge desselben etwas zu bestimmen, ist jetzt noch unmöglich, obwohl es an Vorspielen und Anbahnungen nicht fehlt.
„Die Anfänge oder vielmehr das schreckenhafte Vorspiel dieser der Christenheit bevorstehenden Verwüstung hat Gott uns in der ersten französischen Revolution vor die Augen geführt. Da wurde das untreue Weib durch das Thier wüste und blos gemacht. Alle weltlichen und geistlichen Institutionen des Reiches, dessen König den Titel des allerchristlichsten führte, wurden durch den Haß der Gottesleugner zerstört. Ein treffenderes Bild dieser Zerstörung giebt es wohl nicht, als das eines wehrlosen Weibes, das der zerstörenden Macht eines wüthenden Thieres preisgegeben wird. Das Schicksal Frankreichs war eine Warnung für die gesammte Christenheit. Sie hat die Warnung nicht zu Herzen genommen. Die Lehren und Grundsätze des Antichristenthums, in früheren Zeiten mehr oder weniger das traurige Monopol der sogenannten Gebildeten, sind in den letzten Jahrzehnten wie ein Sauerteig durch die Volksmassen gedrungen. Der gemeine Mann kennt keine Geschichte, und das Mißlingen früherer revolutionärer Versuche wird seine Hand von dem Werke der Zerstörung nicht zurückhalten, wenn Gottes Stunde, wo Er Babel richten will, geschlagen hat. In Einer Stunde (Off. 18, 10.17) soll der Reichthum der großen Stadt verwüstet werden. Einen plötzlichen Umsturz der jetzigen Ordnung der Dinge verkündigt das prophetische Wort. Trotz aller Warnungen, die Gott gegeben, und sie haben sich in unserer Zeit oft genug wiederholt, wird ein allgemeiner Schrecken die Menschen ergreifen, wenn die große Stadt zusammenstürzen wird.“
(Aus: Charles J. T. Böhm, Schatten und Licht in dem gegenwärtigen Zustande der Kirche, mit einem Vorwort von Dr. Heinr. W. J. Thiersch, 1855, S. 181) [pdf-Download dort verfügbar].
Der schon früher betrachtete Abschnitt 19, 6─10, welcher schildert, wie durch die Vernichtung der Hure nunmehr der Ehrentag des Weibes seine Rechtfertigung und seine Hochzeit gekommen sei, bildet den Uebergang zum Folgenden. Denn mit dem Gericht über den Antichrist (V. 11─21) und dem Anbruch des tausendjährigen Reiches (20, 1ff.) beginnt das Hochzeitmahl des Lammes (19, 9), an welchem der Herr mit seiner Gemeinde sich völlig vermählt, jenes selige Ereigniß, von welchem er selbst in seinen Fleischestagen schon so oft geredet hat (z. B. Matth. 22, 2; 25, 10; Luc. 14, 16; 22, 18.30). Als Johannes diese herrliche Verheißung für die Gemeinde der Gläubigen vernimmt, will er sich, hingenommen von dankbarer anbetender Freude über diese entzückenden Aussichten, dem Engel, der mit ihm redet, zu Füßen werfen (19, 10). Dasselbe wiederholt sich später unter ganz ähnlichen Umständen, nachdem ihm das neue Jerusalem und damit die ewige Herrlichkeit der Gemeinde gezeigt worden ist (22, 8f.). Beide Male geht also dem anbetenden Niederfallen des Apostels eine herrliche Verheißung für die Gemeinde voran, welche beide Male durch die Versicherung, diese Worte seien wahrhaftig, und durch die Seligpreisung derer, die daran sich halten, bekräftigt wird (19, 9; 22, 6+7). So bildet diese Aeußerung einer tiefen Gemüthsbewegung bei Johannes einen charakteristischen Gegensatz zu jener oben besprochenen gewaltigen Verwunderung (17, 6): da, wo es sich um das Schicksal der Gemeinde Gottes handelt, kann der Seher seine innige Theilnahme nicht zurückhalten; er staunt beim Anblick ihres tiefen Falles, er betet an bei der Wahrnehmung ihrer hohen, künftigen Herrlichkeit.
2) Ein zweites Regierungsgesetz Gottes, das wir schon bei den Propheten überall finden, ist nun aber, daß auch die Weltmacht, deren sich Gott als Zuchtruthe wider seine abgefallene Gemeinde bedient hat, gerichtet wird; s. Jer. 30, 14─16. So verkündigt Jesaja 9, 8ff. das Gericht über Israel, Kap. 10. Assurs Fall, Kap. 11─12 das messianische Reich. So weissagt Zephanja im 1. Kap. den Tag des Zorns über Juda und Jerusalem, im 2. die Bestrafung der Heiden, der Feinde des Volkes Gottes. So schließt Jeremia sein Buch, dessen Hauptinhalt das durch Babel an Jerusalem zu vollstreckende Gericht bildet, mit jener majestätischen Verkündigung des Falles Babels selbst, welche Kap. 50 und 51 zu lesen ist. Ebenso finden wir nun in der Apokalypse an das Gericht über die Hure 19, 11ff. das über die antichristliche Weltmacht angeknüpft.
Indessen tritt die Herabkunft Christi zum Gericht über den Antichrist und zur Verherrlichung seiner Gemeinde zeitlich wohl nicht unmittelbar nach der Vollziehung des Gerichts über die Hure ein, sondern es folgt noch eine kurze Zwischenperiode, die eigentliche Triumphzeit des antichristlichen Reiches, jene Zeit, in welcher das Wohlleben, der Erdensinn und die Sicherheit aufs Höchste steigen und welche Jesus und die Apostel so oft als der Zukunft des Herrn unmittelbar vorangehend schildern. Hier schließt sich nun auch wieder Daniel an die Off. Joh. an; denn mit der Beseitigung der Hure und der damit beginnenden Alleinherrschaft des Thieres ist das Mittelstück zu Ende, welches die neutestamentliche Apokalypse vor der alttestamentlichen voraus hat, Auch Daniel schaut diese letzte Steigerung der antichristlichen Macht: es sind die vierthalb Zeiten, von denen er 7, 24. 25. redet, und die wir vielleicht mit den vierthalb Tagen, wo die zwei Zeugen in den Tod dahingegeben sind (Off. 11, 9), identificiren dürfen.
Es ist nämlich diese letzte Zeit zugleich die Zeit der heftigsten Christenverfolgung (Off. 13, 7. 15─17; vgl. 11, 7. 6, 11. 17, 3.). Das wahre Volk Gottes, das Weib, ist ja nicht mit der Hure zu Grunde gegangen, sondern es hat zuvor den Befehl erhalten, bei den hereinbrechenden Gerichten von Babel auszugehen, damit es nicht durch die letzte Steigerung der babylonischen Sündengräuel noch mitbefleckt und so auch mit in’s Verderben hineingezogen werde (18, 4); ganz ebenso, wie einst der Herr seinen Jüngern befohlen hatte, zu fliehen, wenn in Jerusalem und im Tempel der Verwüstungsgräuel zu sehen sei (Matth. 24, 15.16). Das ist also die erste Rechtfertigung des Weibes gegenüber von der Hure, daß es nicht mit ihr gerichtet wird. Aber dieß ist nur eine negative Rechtfertigung, die positive, die wirkliche Verherrlichung, muß noch in einem heißen Kampf erstritten, der eigentliche Eingang in’s Reich Gottes kann nicht ohne viele Trübsale erlangt werden. Diese letzte und schwerste Noth ist also für die Brautgemeinde nicht ein Gericht, wie solches über die Hure hereinbrach, sondern eine Läuterungszeit, durch welche ihr vollends Alles abgestreift wird, was ihr noch von irdischem Wesen anhing. Sie lernt jetzt, wo alle Macht der Sichtbarkeit wider sie ist, ihre Hoffnung im vollen Sinne allein auf ihren unsichtbaren Herrn setzen, sie wird ganz Gebet um sein Kommen, und so ist sie im Tiegel der Trübsal innerlich vollbereitet für die jetzt herein brechende Herrlichkeit. Das Martyrium der letzten Zeit ist der Weg zur Verklärung, ja die schon beginnende Verklärung selbst (Off. 20, 4). Ganz das Nämliche, was Jesus im johanneischen Evangelium von seinem eigenen Verklärtwerden und Hingehen zum Vater bezeugt, das bezeugt er in der Apokalypse von seiner Gemeinde und für dieselbe. Sie darf in der letzten Leidenszeit, wie ihr Meister in seinen Abschiedsreden, aufsehen und das Haupt emporheben, darum daß sich ihre Erlösung nahet (Luc. 21, 28.).
Aber nicht blos die Christen werden in dieser Zeit verfolgt, sondern auch die Juden. Denn diese haben wir ja, wie früher gezeigt, Dan. 7, 21. 25. unter den Heiligen des Höchsten zu verstehen, die der Antichrist aufreibt und denen er Festzeiten und Gesetz ändert. Es ist auch ganz natürlich, daß ein ächter Israelit, welcher treu am Glauben seiner Väter festhält, den Götzendienst der Thieranbetung nicht mitmachen kann, und daß darum die wahren Israeliten so gut der antichristlichen Aechtung verfallen als die wahren Christen. Dem neuen Heidenthum gegenüber ist das alttestamentliche und das neutestamentliche Gottesvolk wieder auf einen gemeinsamen Boden gestellt; die gemeinsame Noth wird sie einander näher bringen und Israels Herz aufschließen. Das ist für die Christen eine große Freude und ein großer Trost, nicht nur, weil sie das Volk lieb haben, dem sie ihr Heil verdanken, sondern auch, weil das neue Leben, das unter Israel sich zu regen beginnt, eine weitere Bürgschaft für die nahe bevorstehende Erfüllung der Weissagungen ist. Es wird nämlich durch diese Vorgänge zwar die Bekehrung Israels, welche der Heidenapostel selbst (Röm. 11) so klar in Aussicht stellt, noch nicht unmittelbar bewirkt, aber sie wird doch angebahnt. Es ist jene tiefste Erniedrigung Israels, jene vollendete Zerbrechung der natürlichen Kraft des heiligen Volkes (Dan. 12, 7.), welche nach allen Propheten (s. z. B. Jer. 30, 4ff.; Sach. 14, 2.) der Erhöhung desselben vorangehen muß, ja welche bei Israel ganz ähnlich wie bei den Christen schon der erste Schritt der Erhöhung selber ist. Denn in dieser tiefen Noth lernen sie wieder enstlich nach ihrem Gott und nach ihrem Messias fragen; und wenn sie ihn dann kommen sehen in den Wolken des Himmels, so begrüßen sie ihn auch als ihren Heiland und sprechen: „Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Matth. 23, 39). Wir werden unten hierüber noch näher zu reden haben.
3) Wenn die Sicherheit der triumphirenden Weltmacht und die Noth des Gottesvolkes auf’s Höchste gestiegen ist, dann wird als ein Dieb in der Nacht der Herr Jesus Christus vom Himmel erscheinen, dem ganzen bisherigen Weltlauf ein Ende machen und sein Reich der Herrlichkeit auf Erden errichten. Diese Erscheinung Christi ist also von der zum jüngsten Gerichte wohl zu unterscheiden; sie ist es, welche uns die Apokalypse (19, 11─21.) und Daniel (2, 34f. 44f.; 7, 9─14. 26─27) einstimmig schildern; sie ist es, durch welche sich alles das erfüllen wird, was die Propheten des A. B. von der messianischen Zeit des Friedens und Glückes weissagen; sie ist es, auf welche Jesus Matth. 24, 29ff. zum Unterschied von 25, 31ff. hinausschaut; sie ist es, welche die Apostel allezeit im Blicke haben und in sehnsüchtiger Hoffnung erwarten. Der Ausdruck Parusie Christi 1) bezeichnet im NT stets nur diese Zukunft, welche sammt dem durch sie begründeten Reiche Christi auf Erden dem tausendjährigen in der gesammten biblischen Denkweise eine viel größere Bedeutung hat als in der kirchlichen und modernen. Daß diese Erscheinung des Herrn eine sichtbare sein wird, ist nicht nur nach ausdrücklichen Stellen wie Matth. 24, 27-31; Apg. 1, 11; Off. 1, 7., kaum zu bezweifeln, sondern wird auch aus den großen, jedenfalls höchst sichtbaren Veränderungen wahrscheinlich, welche die ganze Weltgestalt durch sie erleiden wird; ja das Offenbar= und Sichtbarwerden Christi und seiner Gemeinde im Gegensatz gegen ihre bisherige Verborgenheit in Gott ist geradezu die Grundbedeutung dieser Zukunft, wie sie Paulus Col. 3, 3.4 ausspricht. Dieselbe hat einen doppelten Zweck: der Weltmacht bringt sie das Gericht, der Gemeinde die Erlösung, die Verklärung, die Weltherrschaft. Mit dem Gericht haben wir es hier zu thun, mit der andern positiven Seite im folgenden, vom tausendjährigen Reich handelnden Abschnitt.
Christus erscheint als der das Wort der Weissagung treu und wahrhaftig erfüllende Richter und König an der Spitze seines himmlischen Heeres, und diese Erscheinung wird von entsprechenden gewaltigen Naturereignissen begleitet sein (Off. 6, 12ff.; 11, 19. Matth. 24, 29f.; Joel 3, 3f.; Sach. 14, 5ff.). Nachdem sie Off. 19, 11─16 geschildert ist, wird nun V. 17─21 die Vernichtung der antichristlichen Mächte des Thiers und des falschen Propheten beschrieben. Die höchste Spannung der Gegensätze in der letzten Zeit hat wie die Gemeinde für ihre Verherrlichung, so auch die antichristliche Welt für ihr Verderben ausgereift. Bei jener wird der Tod des Fleisches der Weg zur Geistesherrlichkeit, bei dieser bringt die Blüthe des Fleisches ihre Frucht, den Tod: das Thier geht in’s Verderben (Off. 17, 8. 11.; Gal. 6, 8.). Das widergöttliche Wesen ist gerade in seiner höchsten Steigerung, auf der Spitze seiner materiellen und geistigen Machtentfaltung doch nur eine aufgeputzte Leiche, ein faulendes Aas, um welches sich die Adler sammeln müssen, und zu dessen Verzehrung denn jetzt auch vor allen Dingen die Vögel des Himmels feierlich eingeladen werden (Off. 19, 17f.; Matth. 24, 28.). Sehr bezeichnend ist, daß der Antichrist und seine Könige in ihrer Verblendung wähnen, es lasse sich mit irdischer Heeresmacht gegen den himmlischen König streiten (V. 19). Das ist die Spitze der alten babylonischen Thorheit, die da meint, Welt und Fleisch sei etwas. So fahren sie in ihrer tollen Vermessenheit dahin. Christus erscheint mit den Seinigen, aber von einer Schlacht zwischen beiden Heeren ist weit und breit nicht die Rede, sondern der bloße Anblick des Herrn der Herrlichkeit genügt, um dem Antichrist seine völlige Nichtigkeit aufzuzeigen: er wird sein ein Ende machen durch die (einfache) Erscheinung seiner Zukunft (2. Thess. 2, 8). So stürzten einst nach der Erzählung desselben Johannes vor dem, der da sagte: Ich bin’s, seine Feinde zu Boden (Joh. 18, 6.). Von tödtlichem Schrecken gelähmt, werden das Thier und der falsche Prophet oder, wie Oetinger sagt, der Antichrist und seine Philosophen an der Spitze ihrer Schaaren ohne Widerrede ergriffen und lebendig in den Feuersee, in die Hölle geworfen (V. 20).
Dagegen wird ihr Anhang, die Könige, die Hauptleute, die Gewaltigen sammt ihren Untergebenen, nur getödtet durch das scharfe Schwert, das aus Christi Munde geht, d. h. durch seinen Hauch, sein Richterwort (V. 21. 15.; 2. Thess. 2, 8; Hebr. 4, 12). Es scheint also ein Unterschied gemacht zu sein zwischen Verführern und Verführten; und so schwer die Strafe auch der letzteren ist (vgl. 14, 9─11), so werden doch die ersten noch besonders exemplarisch gestraft, wie wir solche Abstufungen der genau abmessenden Vergeltung, solche verschiedene Grade der Verdammniß auch sonst angedeutet finden (Matth. 11, 22. 24. Luc 12, 47. 48. Joh. 19, 11.).
„So wie die Besten einer ersten Auferstehung gewürdigt werden, und die Reihe viel später erst an alle Uebrigen kommt, so umgekehrt fahren die obersten Aufrührer vor allen andern in den Feuerpfuhl, da hingegen die minder hervorragenden Sünder in andern Behältnissen auf das Schlußgericht warten“.
Ganz entsprechend, wenn auch nicht so speziell, beschreibt Paulus das Gericht über den Antichrist in der Stelle, die uns schon so vielfache Parallelen bot, 2. Thess. 2, 8. Hiemit ist nun das Thierwesen ein für allemal abgethan und von der Erde ausgemerzt, die Weltreiche in ihrer bisherigen Gestalt hören auf, die Weltgeschichte nimmt einen von dem bisherigen total verschiedenen Charakter an. An die Stelle des Thierreiches tritt das Reich des Menschensohnes und seiner Heiligen.
III. Das tausendjährige Reich.
Daniel und Johannes beschreiben beide das tausendjährige Reich, aber in verschiedener Weise, weil von verschiedenen Standpunkten aus. Das alttestamentliche Prophetenwort schildert dem ganzen Standpunkt des A. B. gemäß vorzugsweise die irdische, das neutestamentliche die überirdische Seite der Zukunft des Reiches Gottes. Und wie wir schon oben gesehen haben, daß beide Apokalypsen Zusammenfassungen der gesammten Weissagung ihrer Testamente sind, so ist es auch hier: Dan. 2, 35. 44. 7, 13f. 27. ist der kurze Inbegriff aller alttestamentlichen, Off. 20, 1-6. aller neutestamentlichen Weissagung über das Reich der Herrlichkeit auf Erden. Eine große Menge prophetischer, eine schöne Anzahl evangelischer und epistolischer Stellen dienen dazu, diese allgemeinen Umrisse reicher auszufüllen. Endlich fehlt es im NT auch nicht an solchen Aussprüchen, welche die Brücke schlagen zwischen der irdischen und der überirdischen Seite der Betrachtung.
Es wird dienlich sein, auf alle diese Punkte etwas genauer einzugehen, da die Lehre vom tausendjährigen Reiche so viel verkannt und vernachläßigt ist. Freilich sehr mit Unrecht. Denn es beruht diese Lehre nicht blos, wie man es so oft ansieht, auf einer vereinzelten apokalyptischen Stelle, sondern die ganze Prophetie des A. B. kann ohne dieselbe gar nicht wahrhaft verstanden werden, und was das N. T. betrifft, so weist der Grundbegriff der Lehre Jesu, in welchem er die Hauptsumme der messianischen Weissagungen zusammenfaßt, der Begriff des Reiches Gottes, schon durch seinen Namen auf die Verwandtschaft mit unserer Lehre hin. Gewöhnlich faßt man die Sache so auf, als habe Jesus im Gegensatz zu den äußerlichen fleischlichen Messiaserwartungen des jüdischen Volks ein rein innerliches, sittliches, geistiges Gottesreich gepredigt.
[….]
Quelle:
Auberlen, Carl August, weil. Dr. der Philos. u. Theol., der letzteren a. o. Prof. in Basel:
Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis. In ihrem gegenseitigen Verhältniß betrachtet und in ihren Hauptstellen erläutert. Mit einer Beilage von M. Fr. Roos.
Dritte Auflage. Basel, Bahnmaier’s Verlag, 1874. [S. 321-331; Digitalisat]
Alles dies sind wahre Zeichen,
Daß wir bald das Ziel erreichen,
Wo der Heiland kommen mag,
Alles Böse wegzuschaffen,
Babel schrecklich abzustrafen,
O, es naht sich dieser Tag!
Höret also Gottes Stimme,
Eh‘ er prediget im Grimme;
Weil er ziehet, laufet doch!
Wer die Gnadenzeit versäumet,
Der hat gar zu viel verträumet;
Seelen, hört das „Heute“ noch!
Sehet zu, liebe Brüder, daß nicht jemand unter euch ein arges, ungläubiges Herz habe, das da abtrete von dem lebendigen Gott; sondern ermahnet euch selbst alle Tage, solange es „heute“ heißt, daß nicht jemand unter euch verstockt werde durch Betrug der Sünde. (Hebräer 3, 12+13)
Übersicht: Die Offenbarung Jesu Christi durch Johannes